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Panik am Berg

<p class="article-intro">Vielen bricht der Schweiss aus, wenn sie in die Tiefe schauen, und manchen wird deshalb sogar der Job gekündigt. Doch Höhenangst verlieren viele Patienten, wenn sie sich der Angst aussetzen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>H&ouml;henangst ist weit verbreitet und kann die Betroffenen im Alltag erheblich einschr&auml;nken.</li> <li>Die Veranlagung, an H&ouml;henangst zu leiden, scheint angeboren zu sein.</li> <li>Be&auml;ngstigende Erlebnisse oder Ereignisse sowie starke psychische Belastungen k&ouml;nnen die H&ouml;henangst verst&auml;rken.</li> <li>Die kognitive Verhaltenstherapie (Konfrontationstherapie &ndash; wenn m&ouml;glich in Anwesenheit des Therapeuten) zur Bew&auml;ltigung der H&ouml;henangst hat hohe Erfolgschancen.</li> </ul> </div> <p>Die H&auml;nde sind schweissnass, die F&uuml;sse zittern, mir wird &uuml;bel und mein Herz schl&auml;gt rasend. Ich werde sterben, gleich werde ich in die Tiefe st&uuml;rzen. Die Diagnose habe ich mir als &Auml;rztin schnell gestellt: H&ouml;henangst, Akrophobie, vom griechischen &aacute;kron f&uuml;r Gipfel und phobos f&uuml;r Angst. Das hilft mir aber gar nichts. Ich will nur raus aus dem Gurt, runter vom Berg, auf den sicheren Boden. Doch ich h&auml;nge an der Wand des Arzalpenkopfes in den Dolomiten, 400 Meter &uuml;ber dem Abgrund. &laquo;Du guckst wie ein Kaninchen&raquo;, sagt Bergf&uuml;hrer Kurt Stauder. &laquo;Du f&auml;llst nicht, entspann dich.&raquo; Ich hole tief Luft und versuche, meine ohne Ende zitternden F&uuml;sse zum Stillstand zu bringen. <br />H&ouml;henangst geh&ouml;rt zu den spezifischen &Auml;ngsten wie die vor Spinnen, Spritzen oder Hunden. Mehr als die H&auml;lfte der Bev&ouml;lkerung haben sch&auml;tzungsweise w&auml;hrend ihres Lebens einmal eine Art von spezifischer Phobie.<sup>1</sup> Wie viele davon unter H&ouml;henangst leiden, ist nicht systematisch untersucht. &laquo;So eine Angst kann das Leben extrem einschr&auml;nken&raquo;, sagt Borwin Bandelow, Professor f&uuml;r Psychiatrie an der Uni G&ouml;ttingen und Pr&auml;sident der deutschen Gesellschaft f&uuml;r Angstforschung. Er erinnert sich an einen Patienten, der wegen seiner H&ouml;henangst nicht mehr mit seinem Fahrrad zur Arbeit &uuml;ber eine Flussbr&uuml;cke fahren konnte. &laquo;Der Mann bekam kurz vor Mitte der Br&uuml;cke immer solch ein Herzrasen und panische Angst, dass er schliesslich nur noch mit dem Auto fuhr.&raquo; <br />Die Neigung zur H&ouml;henangst scheint bei einem Teil der Betroffenen angeboren zu sein. &laquo;Hinzu kommen bei manchen ein oder mehrere stark Angst machende Erlebnisse als Kind&raquo;, erkl&auml;rt Professor Michael Rufer, stellvertretender Direktor der Klinik f&uuml;r Psychiatrie und Psychotherapie am UniSpital Z&uuml;rich. Bei anderen tritt die H&ouml;henangst w&auml;hrend Lebensphasen auf, in denen der Betroffene aus anderen Gr&uuml;nden psychisch stark belastet ist. Dass einem in der H&ouml;he schwindelig wird, ist eigentlich normal. &laquo;In der H&ouml;he sind keine Objekte in der N&auml;he, die wir mit den Augen gut fixieren k&ouml;nnen &ndash; dann f&uuml;hlt sich jeder etwas instabil&raquo;, sagt Rufer. L&ouml;st dieser Schwindel jedoch intensive Angst aus und denkt der Betroffene: &laquo;Ich k&ouml;nnte die Kontrolle verlieren und fallen&raquo;, kann ein Teufelskreis entstehen: Man beobachtet sich &uuml;berbesorgt selbst, sp&uuml;rt Herzklopfen und Schwindel, was die Angst verst&auml;rkt. <br />Wie sich das anf&uuml;hlt, k&ouml;nnen Leute ohne H&ouml;henangst nicht verstehen. Man weiss, die Angst ist unbegr&uuml;ndet, denn man st&uuml;rzt nicht vom Hochhaus, nicht aus der Seilbahn, nicht von der Bergwand. Doch das Gef&uuml;hl der Panik l&auml;sst sich mit solchen logischen Gedanken nicht unterdr&uuml;cken. Entscheidend f&uuml;r das Erleben von Furcht im Gehirn ist die Amygdala. &laquo;Wenn wir eine Situation als gef&auml;hrlich bewerten, gelangt diese Information blitzschnell an die Amygdala&raquo;, erkl&auml;rt Rufer. Daraufhin werden Stresshormone ausgesch&uuml;ttet und das vegetative Nervensystem wird aktiviert, was die typischen Angstsymptome ausl&ouml;st. Im Gehirn werden solche Erfahrungen gespeichert. Diese Erinnerungen k&ouml;nnen wieder wach werden und &auml;hnliche emotionale und k&ouml;rperliche Reaktionen ausl&ouml;sen, etwa wenn wir einen schweren Unfall erleben und sp&auml;ter an den Ort des Unfalls zur&uuml;ckkehren. So ist es auch mit der Angst. Irgendwann hat das Hirn &laquo;gelernt&raquo;, &uuml;berempfindlich auf Situationen in der H&ouml;he zu reagieren. <br />H&ouml;henangst per se m&uuml;sse nicht schlimm sein, man k&ouml;nne ja oft die Angst ausl&ouml;senden Situationen meiden, sagt Rufer. &laquo;Bei manchen Menschen geht das aber nicht, und sie kommen im Alltag nicht mehr klar.&raquo; So musste einer seiner Patienten jedes Gesch&auml;ftsessen in Dachrestaurants absagen, er konnte sogar die Treppen zu seinem B&uuml;ro nicht mehr hochgehen, aus Angst, in das offene Treppenhaus zu fallen. Manchmal kann das so weit gehen, dass die Betroffenen ihren Arbeitsplatz verlieren &ndash; wie neulich eine Patientin von Rufer. Die Eventmanagerin bekam vor Anl&auml;ssen in oberen Stockwerken immer Schweissausbr&uuml;che und Herzrasen, sie konnte die Nacht davor nicht schlafen, es wurde immer schlimmer, und sie musste solche Veranstaltungen letztendlich absagen. &laquo;Erst nachdem sie ihren Job verloren hatte und depressiv wurde, kam sie auf die Idee, sich professionelle Hilfe zu suchen&raquo;, erz&auml;hlt Rufer. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1605_Weblinks_seite23.jpg" alt="" width="" height="" /> <br />Ich h&auml;tte die Berge meiden k&ouml;nnen, aber meine Freunde schw&auml;rmten st&auml;ndig vom Klettern und Bergsteigen, wie anders das sei als &laquo;normales&raquo; Wandern. Weil ich mir das auch selbst immer ertr&auml;umt hatte, hing ich nun hier an der Wand des Arzalpenkopfes. Ich frage mich, wie ich auf die Schnapsidee kommen konnte, meine H&ouml;henangst &uuml;berwinden zu wollen. Denn die Angst kann man loswerden &ndash; mit der richtigen Therapie. &laquo;Die Betroffenen brauchen das nat&uuml;rlich nur zu machen, wenn sie es wollen oder einen hohen Leidensdruck sp&uuml;ren&raquo;, sagt Peter Zwanzger, Professor f&uuml;r Psychiatrie an der Ludwig-Maximi&shy;lians-Universit&auml;t in M&uuml;nchen. Am besten hilft kognitive Ver&shy;haltenstherapie mit Schwerpunkt auf Konfrontation. &laquo;Dem Patienten muss man vorher erkl&auml;ren, dass er die Angst so lange aushalten sollte, bis sie nachl&auml;sst.&raquo; Nur so &laquo;lernt&raquo; das Gehirn, nicht mehr mit &uuml;berschiessendem Stress zu reagieren. Was das bedeutet? Man h&auml;ngt zitternd und schweissgebadet an der Felswand, das Herz schl&auml;gt bis zum Hals, man will einfach nur auf den festen Boden. <br />Doch dann passiert das Erstaunliche: Die Angst verschwindet. Steht man auf dem Gipfel, durchstr&ouml;mt einen ein Gef&uuml;hl grossen Gl&uuml;cks und man ist sehr stolz, es geschafft zu haben. &laquo;Ich versuche, viel Vertrauen zu geben, bis der Betroffene das selbst lernt&raquo;, sagt Bergf&uuml;hrer Kurt Stauder. &laquo;Ich versichere immer wieder, er sei ganz fest gesichert und werde nicht fallen. Und ich rate, tief ein- und auszuatmen &ndash; da l&auml;sst der Stress nach.&raquo; Viele h&auml;tten verst&auml;ndlicherweise Angst, sich der Angst auszusetzen, erz&auml;hlt Psychiater Bandelow. &laquo;Sie f&uuml;rchten, einen Herzinfarkt zu bekommen. Die Wahrscheinlichkeit daf&uuml;r ist aber praktisch gleich null.&raquo; Nur wenn man Herzprobleme hat, r&auml;t er seinen Patienten, das vorher mit seinem Kardiologen zu besprechen. &laquo;Nat&uuml;rlich braucht es f&uuml;r die Konfrontationstherapie Mut&raquo;, sagt Bandelow. &laquo;Aber sp&auml;ter erleben die Betroffenen, wie toll es ist, die Angst &uuml;berwunden zu haben. Das versuche ich den Patienten zu erkl&auml;ren.&raquo; Wenn man anfange, den &Auml;ngsten aus dem Weg zu gehen, w&uuml;rden andere &Auml;ngste auftreten und man komme aus dem Teufelskreis nicht mehr heraus. <br />Immer wieder w&uuml;rden ihn Patienten fragen, ob sich die Angst nicht &laquo;weghypnotisieren&raquo; lasse. &laquo;Das kann man als wirksames Verfahren aber nicht empfehlen, denn eine Wirkung wurde noch nicht in Studien belegt&raquo;, sagt Bandelow. Wenn es jemandem helfe, liege das wahrscheinlich am Placeboeffekt. &laquo;F&uuml;r Hypnose und andere nicht nachgewiesene Methoden wird viel Geld verplempert und das, was wirklich hilft, n&auml;mlich die Konfrontationstherapie, wird den Leuten nicht angeboten.&raquo; In rund einem Dutzend &laquo;Bergsitzungen&raquo; kann man langsam die Angst verlieren &ndash; sowohl vor dem Klettern als auch vor Hochh&auml;usern. Die Panik kommt zun&auml;chst immer wieder, aber Stauder lenkt geschickt mit Gespr&auml;chen &uuml;ber das Wetter ab oder vergleicht die schreckerf&uuml;llten Augen mit denen eines Kaninchens, wodurch man so lachen muss, dass die Angst verschwindet. <br />Dem Gehirn k&ouml;nne man auf zweierlei Weise helfen, erkl&auml;rt Psychiater Zwanzger seinen Patienten. &laquo;Zum einen kann man die Kognition st&auml;rken und sich immer wieder sagen: Ich falle nicht, ich brauche keine Angst zu haben.&raquo; Zum anderen lerne das Gehirn nur durch Erfahrung: Sp&uuml;rt man immer wieder, dass einem in der H&ouml;he nichts passiert, verliert das Hirn das falsch eingelernte Verhalten. Die Therapie hilft: Mehr als 80 Prozent der Betroffenen verlieren ihre Angst.<sup>1</sup> &laquo;Am gr&ouml;ssten sind die Erfolgschancen, wenn man bei der Konfrontation vom Therapeuten begleitet wird&raquo;, sagt Zwanzger. Um den Berg oder hohe Geb&auml;ude n&auml;her zum Therapeuten zu bringen, hat er einen Therapieraum eingerichtet, wo Betroffene eine &laquo;virtuelle Konfrontationstherapie&raquo; machen k&ouml;nnen. Der Patient sieht dabei im Computer Situationen, die ihm Angst machen, etwa von einem Hochhaus hinunter. In kleineren Studien funktionierte das.<sup>2</sup> &laquo;Ich halte es f&uuml;r eine gute Alternative, wenn einem die Therapie in der Realit&auml;t zu aufwendig ist&raquo;, sagt Zwanzger. Apps f&uuml;r das Mobiltelefon funktionieren &auml;hnlich: Mit einer &laquo;Virtual Reality&raquo;-Brille blickt man von Wolkenkratzern oder schaut in Abgr&uuml;nde, bei anderen Apps wird man per Hypnose unterst&uuml;tzt. &laquo;Im Einzelfall kann eine App helfen&raquo;, sagt Michael Rufer, &laquo;ich rate den Patienten, sich solche zu suchen, die auf einer kognitiven Verhaltenstherapie beruhen und von einer Uni hinsichtlich ihrer Wirksamkeit &uuml;berpr&uuml;ft wurden.&raquo; <br />Die Eventmanagerin ist erst zusammen mit ihm, dann alleine auf Hochh&auml;user, Kircht&uuml;rme, Dachterrassen und auf hohe Br&uuml;cken gegangen. &laquo;Nach zw&ouml;lf Expositionen hatte sie keine Angst mehr bei Events in oberen Stockwerken&raquo;, erz&auml;hlt Rufer. &laquo;Sie hatte gelernt, mit solchen Situationen klarzukommen, und fand schnell einen neuen Job.&raquo; Auch ich kann inzwischen problemlos auf Berge klettern, in Gondeln steigen und auf Aussichtsplattformen Hunderte Meter in die Tiefe schauen. Nur neulich, da kam die Angst am Berg wieder. Wie ein blaugrauer Kobold lugte sie listig unter meiner rechten Achsel hervor und wollte mir Stress machen. &laquo;Hau ab, du nervst&raquo;, sagte ich zu ihr. &laquo;Lass mich in Ruhe klettern.&raquo;</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> &Ouml;st L-G: Spezifische Phobien. In: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: St&ouml;rungen im Erwachsenenalter. Hg.: Margraf J, Schneider S. Springer 2009 <strong>2</strong> Bandelow B et al: S3-Leitlinie Behandlung von Angstst&ouml;rungen. <a href="http://www.awmf.org" target="_blank">www.awmf.org</a></p> </div> </p>
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