© Getty Images/iStockphoto

ICNMD in Wien

Neuromuskuläre Erkrankungen im Fokus

<p class="article-intro">Anfang Juli fand der International Congress on Neuromuscular Diseases in Wien statt. Internationale Fachleute präsentierten und diskutierten auf dem Kongress Fortschritte hinsichtlich Forschung, Diagnose und Therapie von neuromuskulären Erkrankungen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Neuropathien: verbesserte Behandlungsm&ouml;glichkeiten</h2> <p>&bdquo;Die Diagnose &sbquo;Neuropathie&lsquo; ist f&uuml;r die Betroffenen heute kein Grund mehr, in Panik zu verfallen und ein Leben im Rollstuhl bef&uuml;rchten zu m&uuml;ssen. Zwar lassen sich fortgeschrittene Neuropathien meistens nicht vollst&auml;ndig r&uuml;ckg&auml;ngig machen, eine an den Symptomen orientierte Therapie gegen Schmerzen, Schw&auml;che und Bewegungsst&ouml;rung ist aber in jedem Fall m&ouml;glich und verbessert die Lebensqualit&auml;t&ldquo;, so Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Ludwig Boltzmann Institut f&uuml;r Experimentelle und Klinische Traumatologie, Kongresspr&auml;sident des ICNMD 2018. Die Behandlung sei oft multidisziplin&auml;r und multiprofessionell. Gro&szlig;e Fortschritte in der Entwicklung neuer Therapien wurden in den letzten Jahren nicht nur bei den immunvermittelten Neuropathien (z.B. GBS, CIDP) erzielt, sondern auch bei einigen genetischen, bisher unheilbaren Formen.</p> <h2>Gentherapien &ndash; die gro&szlig;e Zukunftshoffnung</h2> <p>&bdquo;Die seltenen neuromuskul&auml;ren Erkrankungen mit erblichem Hintergrund waren bis vor Kurzem ein therapeutisch d&uuml;sterer Bereich unseres Fachgebiets, denn es gab f&uuml;r betroffene Patienten so gut wie keine Hoffnung auf Besserung oder Heilung. Gl&uuml;cklicherweise &auml;ndert sich das jetzt, und die Betroffenen profitieren zunehmend von der Erforschung und Entwicklung neuer genetischer Therapien&ldquo;, berichtete Grisold.<br /><br /> Enzymersatztherapien werden bereits erfolgreich bei den Stoffwechselerkrankungen Morbus Pompe und Morbus Fabry eingesetzt. Ein weiteres Beispiel f&uuml;r eine durch eine genetische Therapie behandelbare Erkrankung ist die Transthyretin( TTR)-Amyloidose, eine seltene vererbte, systemische, periphere Polyneuropathie, die am h&auml;ufigsten in einigen D&ouml;rfern Nordportugals vorkommt. Die Behandlung der Krankheit bestand bisher darin, sie durch eine Lebertransplantation zum Stillstand zu bringen. Seit rund zehn Jahren kann man aber den Erkrankten diese Transplantation ersparen und sie stattdessen mit einer Enzymersatztherapie behandeln. F&uuml;r die Behandlung der TTR-Amyloidose wird heuer voraussichtlich zus&auml;tzlich das Medikament Patisiran zugelassen. Der Wirkstoff beruht auf RNA-Interferenz beziehungsweise auf dem Prinzip der Gen-Stilllegung.<br /><br /> Die neueste vielversprechende Entwicklung der Gentherapie zur Behandlung neuromuskul&auml;rer Erkrankungen ist die CRISPR-CAS9-Methode. Mit dieser &bdquo;Genschere&ldquo; l&auml;sst sich die DNA chemisch an genau der Stelle ausschneiden und korrigieren, an der die Mutation sitzt. Bei ersten Versuchen mit M&auml;usen konnte diese Behandlungsmethode den Erkrankungsbeginn von genetischer amyotropher Lateralsklerose (ALS) verz&ouml;gern.<br /> Auch bei entz&uuml;ndlichen, nicht genetisch bedingten Krankheiten sind Fortschritte zu verzeichnen.</p> <h2>Neue Behandlungsm&ouml;glichkeiten bei der Nervenregeneration</h2> <p>&bdquo;Das riesige Fachgebiet der Nervenregeneration wird derzeit intensiv beforscht. &Ouml;sterreichische Einrichtungen leisten hier vielfach Pionierarbeit. Wir erleben gerade etliche Durchbr&uuml;che, die in absehbarer Zeit f&uuml;r die klinische Praxis relevant sein werden oder teilweise bereits sind&ldquo;, betonte Univ.-Prof. Dr. Heinz Redl, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts f&uuml;r Experimentelle und Klinische Traumatologie. Als Beispiele brachte er unter anderem das Projekt &bdquo;Wings for Life&ldquo;, das den Einfluss der extrakorporalen Sto&szlig;wellentherapie in der subakuten und chronischen Phase von R&uuml;ckenmarksverletzungen testet. Im pr&auml;klinischen Modell konnten bereits vielversprechende Ergebnisse erzielt werden. Nun soll im Rahmen der ersten klinischen Studie die Behandlung von Patienten gestartet werden. Ein weiteres Projekt befasst sich mit einer k&uuml;nstlich hergestellten Nervenleitschiene, einem sogenannten Conduit, das als Alternative zu einem autologen Nerventransplantat nach einer schweren Nervenverletzung mit Gewebsverlust dienen kann. Das Seidenconduit wird im pr&auml;klinischen Modell bereits erfolgreich eingesetzt und stetig weiterentwickelt. Schlie&szlig;lich berichtete Redl noch dar&uuml;ber wie am Ludwig Boltzmann Institut f&uuml;r Experimentelle und Klinische Traumatologie neue Ans&auml;tze in der Rehabilitation erforscht werden. Ist der Nerv einige Monate nach der Verletzung eines K&ouml;rperareals wieder in das Versorgungsgebiet eingewachsen, muss das Gehirn wieder lernen, die erneut ankommenden Signale zu verarbeiten. Dieser Prozess ist langwierig, m&uuml;hsam und hat meist nur geringen Erfolg. Eine neue Methode versucht nun, das Gehirn bei diesem Prozess zu unterst&uuml;tzen. Dies geschieht &uuml;ber audiovisuelles Feedback: Ber&uuml;hrung wird h&ouml;r- und sichtbar gemacht. Das Wirken mehrerer Sinne veranlasst das Gehirn, das besch&auml;digte Areal nicht zu vergessen. Mithilfe von speziell entwickelten Spielen werden die Compliance und Motivation der Patienten w&auml;hrend der Therapie erh&ouml;ht. Die Rehabilitation von Verletzungen der peripheren Nerven in den oberen Extremit&auml;ten wird dadurch beschleunigt und wesentlich vereinfacht.<br /><br /> Als gro&szlig;es Manko und Gef&auml;hrdung f&uuml;r die Umsetzung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung sieht Redl die fehlende finanzielle Unterst&uuml;tzung f&uuml;r translationale Forschung in &Ouml;sterreich. Mit dem FWF (Fonds zur F&ouml;rderung der wissenschaftlichen Forschung) und der FFG (&Ouml;sterreichische Forschungsf&ouml;rderungsgesellschaft mbH) verf&uuml;gt &Ouml;sterreich &uuml;ber Einrichtungen zur F&ouml;rderung von Grundlagenforschung einerseits und f&uuml;r Firmenbasierte Forschung andererseits. Translationale Forschung, die au&szlig;erhalb von Firmen betrieben wird, kommt hierzulande nicht zum Zug. Redl bef&uuml;rchtet, dass &Ouml;sterreich dadurch im internationalen Vergleich bald ins Hintertreffen geraten k&ouml;nnte: &bdquo;Wir m&uuml;ssen f&uuml;r diese Situation ein starkes Bewusstsein schaffen, denn hier ist wirklich Feuer am Dach!&ldquo;</p> <h2>Rehabilitation: best&auml;ndiges Muskeltraining im Alltag</h2> <p>&bdquo;Patienten mit den verschiedensten neuromuskul&auml;ren Erkrankungen profitieren von einem richtigen Trainingskonzept. Wichtig ist, jene Muskeln zu trainieren, die noch nicht zu geschw&auml;cht sind&ldquo;, r&auml;t Prim. Univ.-Prof. Dr. Tatjana Paternostro- Sluga, Vorstand des Instituts f&uuml;r Physikalische Medizin und Rehabilitation, SMZ Ost Donauspital, Wien. Besonders hilfreich sei es f&uuml;r Patienten, das Muskeltraining in den Alltag einzubauen, etwa wiederholtes Aufstehen von einem Sessel.<br /><br /> F&uuml;r eine optimale Versorgung sollten Patienten ihr Leben lang mit station&auml;ren und ambulanten Rehabilitationseinrichtungen in Kontakt bleiben k&ouml;nnen. Im Idealfall gibt es alle zwei Jahre einen Reha-Aufenthalt und dazwischen gibt es Rehabilitationsfach&auml;rzte und/oder ambulante Rehabilitationseinrichtungen als kompetente Ansprechpartner. Die Kosten&uuml;bernahme kann jedoch ein schwieriges Thema sein. Patienten m&uuml;ssen oft um Reha-Aufenthalte oder die Bewilligung f&uuml;r Therapien k&auml;mpfen. Eine fundierte medizinische Begr&uuml;ndung durch Rehabilitationsfach&auml;rzte f&uuml;r die Bewilligungsstellen ist hier immer sehr hilfreich.</p> <h2>Myasthenia gravis: selten und manchmal falsch interpretiert</h2> <p>Myasthenia gravis wird zwar zu den seltenen Erkrankungen gerechnet, tritt aber in den europ&auml;ischen L&auml;ndern bei bis zu 18 pro 1 Million Einwohner auf. Gelegentlich wird Myasthenia gravis falsch eingesch&auml;tzt und lange nicht oder nur ungeeignet behandelt, vor allem auch dann, wenn noch andere Komorbidit&auml;ten im Spiel sind. &bdquo;Es ist sehr wichtig, Allgemeinmediziner und Neurologen zu sensibilisieren und zu ermuntern, lieber einmal zu viel als zu wenig an die spezialisierten Muskelzentren zuzuweisen. Myasthenia gravis kommt gar nicht so selten vor, und je fr&uuml;her wir die Patienten erreichen, desto besser k&ouml;nnen wir ihnen helfen und ihre Lebensqualit&auml;t verbessern und erhalten&ldquo;, betonte Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Julia Wanschitz, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Neurologie, Innsbruck.</p> <h2>Neue monoklonale Antik&ouml;rpertherapien</h2> <p>Bei Myasthenie-Patienten entfaltet der Neurotransmitter Acetylcholin nicht die Wirkung, die er sonst bei gesunden Synapsen hat. Bei &uuml;ber 80 Prozent der Patienten sind Anti-Acetylcholinrezeptor-Antik&ouml;rper im Blut nachweisbar. Eine etablierte Therapieform ist daher der Einsatz von Acetylcholinesterase-Inhibition. Bei einem Teil der Myasthenie-Patienten, die keine Anti-AChR-Antik&ouml;rper aufweisen, beruht die Muskelschw&auml;che auf einem Autoimmunprozess, der gegen andere postsynaptische Zielproteine gerichtet ist. Sie haben einen anderen, meist schwereren Krankheitsverlauf mit mehr Schluckst&ouml;rungen oder Atemproblemen und sind in der Regel schlechter oder schwieriger zu behandeln. Bei diesen Patienten wirken monoklonale Antik&ouml;rpertherapien besser. Der Anti-CD20-Antik&ouml;rper Rituximab kann beispielsweise bei generalisierten, therapierefrakt&auml;ren Krankheitsverl&auml;ufen erwogen werden.<br /><br /> Eine neue Therapieoption ist der monoklonale Antik&ouml;rper Eculizumab. Dieser wurde k&uuml;rzlich in Europa f&uuml;r die mittelschwere und schwere generalisierte Myasthenie mit AChR-Antik&ouml;rpern zugelassen. Die Substanz hemmt speziell das Komplementsystem an einem sp&auml;ten Schenkel. 2013 galt Eculizumab als das teuerste Medikament der Welt, die Kosten f&uuml;r einen Jahresbedarf gehen in die Hunderttausende. &bdquo;Es ist daher nicht zu erwarten, dass diese Therapie sehr h&auml;ufig zum Einsatz kommt, sie k&ouml;nnte aber eine Option sein, wenn alle anderen Behandlungen fehlschlagen&ldquo;, meinte Wanschitz. (red)</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Pressegespräch zum ICNMD 2018, 6. Juli 2018, Wien </p>
Back to top