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EAN 2016

Neue Perspektiven in der Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen

<p class="article-intro">Viele neue Therapien wurden in den letzten Jahren zur Behandlung von neuromuskulären Erkrankungen vorgeschlagen und weckten grosse Hoffnungen. Die Organisatoren des EAN-Kongresses 2016 widmeten ein eigenes Symposium neuen therapeutischen Ansätzen bei ausgewählten neuromuskulären Krankheiten, für welche die existierenden Therapien nicht zufriedenstellend sind oder für die trotz zunehmenden Verständnisses ihrer Pathogenese noch keine effektive Therapie zur Verfügung steht.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1604_Weblinks_Seite19.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>ALS: weit entfernt von einer effektiven Therapie?</h2> <p>Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der Patienten eine fokale und sp&auml;ter auch generalisierte Muskelschw&auml;che entwickeln, die oft in einer vollst&auml;ndigen Paralyse endet. Riluzol kann die Progression verz&ouml;gern und die &Uuml;berlebensrate um zwei bis drei Monate verl&auml;ngern. Es gibt aber noch keine wirksame krankheitsmodifizierende Therapie. 23 Studien mit insgesamt 18 Wirkstoffen blieben bisher ohne positives Ergebnis.<sup>1</sup><br /> Die Ursache daf&uuml;r vermutet Prof. Vincenzo Silani, Mailand, in der klinischen und biologischen Komplexit&auml;t und Variabilit&auml;t von ALS. Seit der Entdeckung von TDP-43 als Ausl&ouml;ser von ALS seien immer mehr Gene mit Aufgaben in unterschiedlichen Zellfunktionen mit ALS assoziiert worden. &laquo;Das ist entmutigend, denn es scheint, als br&auml;uchten wir eine personalisierte Therapie f&uuml;r jeden einzelnen ALS-Patienten&raquo;, so Prof. Vincenzo, &laquo;Ein gemeinsamer Nenner all dieser Gene scheint jedoch der Prozess der Autophagozytose zu sein.&raquo;<br /> Die Pr&auml;zisionsmedizin ist laut Prof. Silani ein innovativer, wegweisender Ansatz, um ALS-Patienten zu helfen. Die Vorgehensweise, Patienten entsprechend der Biologie und/oder Prognose der Erkrankung oder dem Ansprechen auf spezifische Behandlungen in Subpopulationen einzuteilen, wird in der Onkologie bereits erfolgreich eingesetzt, steht bei ALS aber erst am Anfang. Die ph&auml;notypische Klassifikation, die umfassende Risikobeurteilung, die Detektion der pr&auml;symptomatischen Phase, das Studium der molekularen Abl&auml;ufe, die Entwicklung eines Krankheitsmodells, die Identifikation von Biomarkern und schliesslich die Anpassung der therapeutischen Interventionen an die molekularen Gegebenheiten sind Schl&uuml;sselelemente eines modernen Ansatzes zur Behandlung von ALS.<br /> Viele Wirkstoffe und Methoden werden aktuell entwickelt.<sup>2, 3</sup> Relativ neu sind dabei Agenzien, die auf SOD1 oder C9ORF72 zielen, das Malariamedikament Pyrimethamin und der Einsatz von Stammzellen oder Antisense-Nukleotid-Therapien. Beim Airlie House ALS Clinical Trials Guidelines Workshop im M&auml;rz 2016 haben Experten die Ans&auml;tze f&uuml;r klinische ALS-Studien aktualisiert und neue Entwicklungen eingearbeitet, mit dem Ziel, die Studienergebnisse zu verbessern. Der finale Entwurf wurde im August pr&auml;sentiert.<sup>4</sup></p> <h2>Myasthenia gravis: neue Therapien f&uuml;r neue Antik&ouml;rper?</h2> <p>Prof. Nils-Erik Gilhus, Bergen, widmete seinen Vortrag der Therapie von Myasthenia gravis (MG) und dem Zusammenhang zwischen dem Nachweis unterschiedlicher Autoimmunantik&ouml;rper und personalisierten Therapieentscheidungen: &laquo;Autoimmun&shy;antik&ouml;rper sind spezifische und sensitive Marker f&uuml;r die Diagnose. Die Einteilung von MG-Patienten in Subpopulationen ist besonders wichtig, da dies Konsequenzen f&uuml;r die Prognose und somit auch f&uuml;r die Therapieentscheidung hat&raquo;, betonte Prof. Gilhus und f&uuml;gte hinzu: &laquo;Einige Autoimmunantik&ouml;rper sind bereits bekannt und es werden sicher noch mehr werden. Sie alle sind essenziell f&uuml;r die Einteilung in Subpopulationen und f&uuml;r die personalisierte Therapie von MG-Patienten.&raquo;<br /> MG-Patienten k&ouml;nnen basierend auf den nachgewiesenen Autoimmunantik&ouml;rpern eingeteilt werden: AChR-Antik&ouml;rper<sup>5</sup> kommen meist bei Patienten mit &laquo;Early- onset&raquo;- oder &laquo;Late-onset&raquo; MG sowie Thymomen vor. Dar&uuml;ber hinaus gibt es die Subpopulationen mit MuSK-Antik&ouml;rpern<sup>6</sup> und LRP4-Antik&ouml;rpern<sup>7, 8</sup>, Patienten ohne nachweisbare Antik&ouml;rper und Patienten mit reiner okularer MG. &laquo;Auch Autoantik&ouml;rper gegen die intrazellul&auml;ren Proteine Ryanodinrezeptor und Titin wurden in MG-Patienten nachgewiesen. Sie waren vor allem mit schweren Formen von Thymomen und Late-onset-MG assoziiert und k&ouml;nnen daher m&ouml;glicherweise als Hinweise auf den Bedarf an aggressiveren Therapieregimen dienen.&raquo;<br /> MG sollte laut Prof. Gilhus aktiv mit Immunsuppressiva behandelt werden. Bei Bedarf sollten infrage kommende Therapieoptionen so lange ausgesch&ouml;pft werden, bis auch der Patient mit dem Ergebnis zufrieden ist, denn die Erkrankung h&auml;tte generell eine gute Prognose. Die Behandlungspalette f&uuml;r MG-Patienten ist breit (Tab. 1) &ndash; die einzelnen Wirkstoffe greifen in unterschiedliche pathogenetische Phasen ein (an der Synapse, auf dem Level von B- und T-Zell-Funktionen, im Thymus).<br /> Und wie sieht die Zukunft bez&uuml;glich neuer MG-Therapien aus? &laquo;Die Liste an Immunsuppressiva, die bereits f&uuml;r andere Indikationen getestet wurden oder sich in der Pipeline befinden, ist lang &ndash; wir werden sie nicht alle testen k&ouml;nnen. Manche erscheinen aber f&uuml;r die Behandlung von Myasthenia gravis besser geeignet zu sein als andere &ndash; sich auf diese zu konzentrieren ist eine der Herausforderungen in der Zukunft.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1604_Weblinks_Seite18.jpg" alt="" width="839" height="477" /></p> <h2>Immunvermittelte Neuropathien: monoklonale Antik&ouml;rper &ndash; was sonst?</h2> <p>Chronische immunvermittelte Neuropathien (chronische inflammatorische demyelinisierende Neuropathie [CIDP], multifokale motorische Neuropathie [MMN] und Neuropathie assoziiert mit einer IgM- oder IgG/A-monoklonalen Gammopathie) sind eine Gruppe von seltenen Erkrankungen, bei denen eine der Pathogenese zugrunde liegende Immunreaktion gegen das periphere Nervensystem vermutet wird.<br /> Verschiedene Therapien werden bereits effektiv gegen diese Neuropathien eingesetzt &ndash; Kortikosteroide, Plasmapherese und hoch dosierte intraven&ouml;s verabreichte Immunglobuline (IVIg); allerdings sprechen nicht alle Patienten auf diese Therapien an bzw. tolerieren diese.<sup>9</sup> Laut Prof. Eduardo Nobile-Orazio, Mailand, liegt die Effektivit&auml;t der drei Therapien bei vergleichbaren 60 % . Welche davon im Einzelfall eingesetzt wird, m&uuml;sse jedoch immer individuell entschieden werden. Immunsuppressiva, die laut Richtlinien der European Federation of Neurological Societies (EFNS) und der Peripheral Nerve Society (PNS)<sup>10</sup> bei inad&auml;quatem Ansprechen auf Standardtherapien (vor allem IVIg) als Add-on-Therapien eingesetzt werden k&ouml;nnen, zeigten in Beobachtungsstudien ein gutes Ansprechen der CIDP-Patienten. Randomisierte Kontrollstudie f&uuml;r drei der Substanzen konnten die Effektivit&auml;t jedoch nicht best&auml;tigen.<sup>11</sup><br /> Auf der Suche nach Alternativen werden nun monoklonale Antik&ouml;rper getestet, die in Einzelf&auml;llen bereits erfolgreich eingesetzt wurden. F&uuml;r Rituximab konnte die Effektivit&auml;t bei Patienten mit Neuropathie assoziiert mit IgM-Gammopathie gezeigt werden.<sup>12</sup> Der Antik&ouml;rper soll nun auch bei anderen Neuropathien untersucht werden. Eculizumab zeigte bei manchen MMN-Patienten geringe Effekte.<sup>13</sup> Laufende Studien untersuchen die Wirksamkeit von Fingolimod (FORCIDP, randomisierte kontrollierte Studie) und Alemtuzumab (&laquo;open label trial&raquo;) bei Behandlung von CIDP. Weitere Therapien, die bei einzelnen CIDP-Patienten Erfolge brachten, sind Micophenolat-Mofetil, Rituximab, Natalizumab, h&auml;matopoetische Stammzelltransplantation und Cyclophosphamid.<sup>14, 15</sup> &laquo;Obwohl Therapien mit Immunglobulinen bei Neuropathien h&auml;ufig einen positiven Effekt haben, sind weitere neue Therapien am Horizont sichtbar. Deren Effizienz muss allerdings erst in kontrollierten Studien dargelegt werden&raquo;, fasste Prof. Nobile-Orazio die aktuelle Situation zusammen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Mitsumoto et al: Lancet 2014; 13: 1127-38 <br /><strong>2</strong> <a href="http://www.alsconsortuim.org" target="_blank">www.alsconsortuim.org</a> <br /><strong>3</strong> www.clinicaltrials.gov <br /><strong>4</strong> <a href="http://alsclinicaltrialsguidelines2016.ning.com/" target="_blank">alsclinicaltrialsguidelines2016.ning.com </a><br /><strong>5</strong> Leite MI et al: Brain 2008; 131: 1940-52 <br /><strong>6</strong> Hoch W et al: Nat Med 2001; 7: 365-8 <br /><strong>7</strong> Higuchi O et al: Ann Neurol 2011; 69: 418-22 <br /><strong>8</strong> Zhang B et al: Arch Neurol 2012; 69: 445-51 <br /><strong>9</strong> Cocito D et al: Eur J Neurol 2010; 17: 289-94 <br /><strong>10</strong> Van den Bergh PY et al: Eur J Neurol 2010; 17: 356-63 <br /><strong>11</strong> Mahdi-Rogers M et al: Cochrane Database Syst Rev 2013; (6):CD003280 <br /><strong>12</strong> Dalakas MC: Curr Treat Options Neurol 2010; 12: 71-83 <br /><strong>13</strong> Nobile-Orazio E und Gallia F: Drugs 2013; 73: 397-406 <br /><strong>14</strong> Curr Opin Neurol 2015; 28: 480-5 <br /><strong>15</strong> Vallat et al: Eur Neurol 2015; 73: 294-302</p> </div> </p>
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