
Muskeldystrophie Duchenne und spinale Muskelatrophie beim Kind
Bericht:
Mag. Harald Leitner
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Muskelerkrankungen und damit assoziierte Komorbiditäten und Fragestellungen standen im Zentrum des „UpDate Muskelforschung“. Dr. Magdalena Gosk-Tomek, SMZ-Süd, Wien, und Prof. Andrea Klein, Universitätsspital Bern, berichteten über neue Therapieansätze – von dissoziativen Steroiden über Antisense-Oligonukleotide, monoklonale Antikörper und Small Molecules bis hin zu Genersatztherapien. Sie sindin der Lage, die Progredienz dieser Erkrankungen zu verlangsamen und das Überleben der Patienten zu verbessern.
Die Muskeldystrophie Duchenne (DMD) ist eine x-chromosomal vererbte Erkrankung mit einer Inzidenz von 1:3500 bis 1:6000 Knaben.1 Sie ist durch einen progredienten Verlust der körperlichen Funktionsfähigkeit aufgrund von Muskeldystrophie und -atrophie gekennzeichnet. Je früher eine DMD diagnostiziert wird, desto länger lassen sich die einzelnen Krankheitsstadien hinauszögern und desto länger bleiben die Patienten gehfähig.2
Nicht mutationsspezifische Therapien
Zu den Standards of Care der DMD zählen neuromuskuläres, orthopädisches, pulmologisches, kardiales, psychosoziales und Rehabilitations-Management.3,4 Die therapeutischen Ansätze sind mutationsspezifisch und nicht mutationsspezifisch.
Nicht mutationsspezifische Therapien sind Steroide (Glukokortikoide), Vamorolon, die Hemmung der Bindegewebsproliferation sowie die Myostatin-Blockade. Glukokortikoide (Prednisolon oder Deflazacort) unterdrücken die Entzündungsreaktion, verbessern die Muskelkraft und haben positive Effekte auf die Herz- sowie die Lungenfunktion. Verschiedene Studien haben unter Glukokortikoidtherapie eine Verlängerung der Gehfähigkeit bis zu 2 Jahre beschrieben.5,6 Allerdings ist die Glukuokortikoidtherapie mit einer Reihe von Nebenwirkungen assoziiert, sodass bis zu 65% der DMD-Patienten diese Therapien abbrechen.
Eine Alternative mit vergleichbarer Wirkung und günstigerem Nebenwirkungsprofil als Glukokortikoide könnte das dissoziative Steroid Vamorolon sein. Vamorolon bindet an denselben Rezeptor wie Kortikosteroide, verändert jedoch dessen nachgeschaltete Aktivität. Das im Vergleich zu Glukokortikoiden günstigere Sicherheitsprofil und die gute antiinflammatorische Wirksamkeit konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden.7–9
Ein anderer Therapieansatz ist die Minderung der Fibroseentwicklung mittels des monoklonalen Antikörpers gegen den „connective tissue growth factor“ (CTGF) Pamrevlumab. Eine placebokontrollierte Phase-III-Studie, in der Wirksamkeit und Sicherheit von Pamrevlumab in Kombination mit systemischen Kortikosteroiden bei DMD evaluiert werden, ist derzeit im Laufen.10 Ebenfalls in der Phase-III-Erprobung befindet sich Givinostat, das die Histon-Deacetylase-Aktivität blockiert.11 Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass dadurch die Fibrose verhindert und die Regeneration gefördert wird.12,13
Mutationsspezifische Therapien
Mit Ataluren steht eine Dystrophin wiederherstellende Substanz zur Verfügung, die bei Patienten mit DMD mit einer Nonsense-Mutation (nmDMD) eingesetzt werden kann. Ataluren ermöglicht das ribosomale Durchlesen eines vorzeitigen Stopp-Codons, das von einer Nonsense-Mutation verursacht wird.14 Rund 13% der DMD-Patienten haben eine nmDMD.15 In einem Vergleich der Daten aus dem STRIDE- und dem CINRG-Register konnte gezeigt werden, dass der Verlust der Gehfähigkeit bei Patienten, die mit Ataluren zusätzlich zu Steroiden behandelt worden waren, im Alter von knapp 18 Jahren erwartet wird, während dies bei alleiniger Steroidbehandlung dies bereits mit 12,5 Jahren der Fall ist.16 Vorteile für Ataluren zeigten sich auch im Sinne einer Verzögerung der pulmonalen Verschlechterung.
Ebenfalls zu den mutationsspezifisch wirksamen Substanzen zählen die Antisense-Oligonukleotide Eteplirsen und Golodirsen. Für Eteplirsen konnte eine signifikante und klinisch bedeutsame Abschwächung des Verlusts an Lungenfunktion nachgewiesen werden.17
Diese Therapien können die Krankheitsprogression allerdings nur verzögern und sind auch nur bei Patienten mit spezifischen Mutationen einsetzbar. Wünschenswert sind daher Therapien, die genetische Fehler auf DNA-Ebene beheben. Geforscht wird derzeit an Gentransfer-Therapien mit verschiedenen Virus-Vektoren, mit denen ein modifiziertes Dystrophin-Gen (z.B. Micro-Dystrophin) eingeschleust werden soll.
Die spinale Muskelatrophie (SMA)
Bei der spinalen Muskelatrophie handelt es sich um eine autosomal rezessiv vererbte Erkrankung mit einer Inzidenz von 1:7500. Pathologisch liegt bei 97% der SMA-Fälle eine homozygote Deletion im SMN1(Survival Motor Neuron 1)-Gen vor.18
Basis jeder Therapie sind die Standards of Care, die Impfungen, Gewichtskontrolle, Kontrolle der respiratorischen Funktion, der Entwicklung, orthopädischer Aspekte u.v.m.19,20 Derzeit stehen drei medikamentöse Therapieformen mit zwei Wirkprinzipien zur Verfügung.21 Ein Prinzip zielt auf die Verbesserung der Funktion des SMN2-Gens ab. Dies geschieht entweder mit Oligosense Nucleotiden oder Small Molecules. Das andere Prinzip ist der Gen-Ersatz oder die Gen-Addition. Für alle drei Therapieformen konnte gezeigt werden, dass die Wirkung umso besser ist, je früher im Krankheitsstadium sie eingesetzt wird.22
Die umfangreichsten Daten liegen für den SMN2 Splicing Modifier Nusinersen vor, der 2017 in der EU zugelassen wurde. Ein guter Effekt wurde dabei für alle symptomatischen Formen der SMA nachgewiesen. So zeigte etwa das SMArtCARE-Register, dass Nusinersen über drei Jahre zu einer Stabilisierung und Verbesserung im 6MWT (6-Minuten-Gehstrecken-Test) führt.23
Ebenfalls ein Splicing Modifier ist das Small Molecule Risdiplam, das in einem umfangreichen Studienprogramm getestet wird. In der FIREFISH-Part-2-Studie wurde gezeigt, dass nach 2 Jahren Therapie mit Risdiplam 93% der Probanden überlebt hatten, 29% konnten nach 12 Monaten Behandlung sitzen und 75% konnten oral ernährt werden.24 Die motorische und bulbäre Funktion hat sich im Jahr 2 stabilisiert oder verbessert.
Genersatztherapie
Seit 2020 ist Onasemnogen-Abeparvovec zur Behandlung der 5q-assoziierten SMA zugelassen. Damit wird einmalig ein SMN1-Gen in einem AAV9-Vektor in die Zellen eingeschleust, wodurch eine SMN-Protein-Produktion induziert wird. In der Zulassungsstudie wurde gezeigt, dass diese Behandlung mit längerem Überleben und verbesserter Motorik assoziiert ist.25 In einer weiteren Studie zu Onasemnogen-Abeparvovec waren 58 von 76 Kindern im Alter von bis zu 2 Jahren bereits mit Nusinersen vorbehandelt.26 Es konnte gezeigt werden, dass auch bereits vortherapierte Kinder von der Genersatztherapie profitieren. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass schwere Nebenwirkungen auftreten können und daher ein engmaschiges Monitoring erforderlich ist.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass für die Wirksamkeit aller drei Therapieformen gute Evidenz vorliegt, wobei ein direkter Vergleich zwischen den Substanzen nicht möglich ist. Ein frühzeitiger Einsatz im Krankheitsverlauf hat sich als vorteilhaft erwiesen.
Quelle:
UpDate Muskelforschung 2023, 17.2.2023, Wien
Literatur:
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