
Multiple Sklerose: Neues zu Risikofaktoren und Anti-CD20-Antikörpern
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Der Kongress der European Academy of Neurology fand in diesem Jahr virtuell statt. Wie jedes Jahr war die Multiple Sklerose (MS) einer der zentralen Themenschwerpunkte. Neuigkeiten gibt es in diesem Jahr unter anderem zum Einfluss von Umweltnoxen und zur Therapie mit Anti-CD20 Antikörpern.
Nach Risikofaktoren für die Entwicklung einer MS wird seit vielen Jahren intensiv gefahndet. Eine aktuelle, im Rahmen des virtuellen EAN-Kongresses präsentierte Studie legt nun nahe, dass Umweltschadstoffe, konkret die Feinstaubbelastung, dazugehören könnten und dass sich dieser Faktor in einer trotz diverser Adjustierungen um fast ein Drittel höheren MS-Inzidenz in urbanen Regionen äussert.
In die Studie waren mehr als 900 MS-Patientinnen und -Patienten aus der Region Lombardei eingeschlossen. Die Auswertung der Daten ergab zunächst einen Anstieg der MS-Prävalenz in den vergangenen 50 Jahren auf das Zehnfache, von 16 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr 1974 auf aktuell 170 Fälle. Dieser Anstieg kann zweifellos teilweise durch die stark verbesserte Prognose der MS erklärt werden. Zumindest zum Teil kann aber auch eine steigende Inzidenz infolge einer stärkeren Exposition gegenüber Risikofaktoren im Spiel sein. Diese Hypothese wird durch die aktuelle Studie gestützt. Die Autoren verglichen drei Gebiete mit unterschiedlichen Graden von Urbanisierung, von denen in zwei die Empfehlungen der Europäischen Kommission betreffend Luftverschmutzung überschritten wurden.
Mehr multiple Sklerose durch Feinstaub
Für die Provinz Pavia, die europaweit als eine der Regionen mit der höchsten Luftverschmutzung gilt, wurde die Assoziation von MS-Prävalenz und Belastung mit Feinstaub PM 2,5 untersucht. Bei Feinstaub («particulate matter», PM) wird zwischen den Kategorien PM10 mit einer Partikelgrösse von 10 Mikrometern und PM2.5 mit einem Partikeldurchmesser von maximal 2,5 Mikrometern unterschieden. Die Analyse wurde im Winter, also der Zeit mit der höchsten Schadstoffbelastung, durchgeführt. PM2.5-Daten wurden aus der Datenbank des European Monitoring and Evaluation Programme für die Jahre 2020–2017 und für 188 Gemeinden extrahiert. Diese Gemeinden wurden anschliessend anhand der Feinstaubbelastung in drei Gruppen stratifiziert. Die Studie zeigte für Personen, die in Gebieten mit einer PM2,5-Konzentration über dem europäischen Grenzwert von 25 Mikrogramm/m3 lebten, ein signifikant erhöhtes MS-Risiko. Dieses Ergebnis war durch Hochrisiko-Cluster in der gesamten Provinz konsistent.1 «Wir wissen, dass Autoimmunerkrankungen wie die MS einerseits mit genetischen, andererseits aber auch mit Umweltfaktoren assoziiert sind. Im Fall der MS kennen wir Risikoerhöhungen beispielsweise durch Rauchen oder niedrige Vitamin-D-Spiegel. Zur Rolle von Umweltschadstoffen gibt es bislang allerdings noch relativ wenig Daten. Unsere Studie stützt jedenfalls die Hypothese, dass diese Noxen für das MS-Risiko von Bedeutung sind», kommentierte Studienautor Prof. Dr. med. Roberto Bergamaschi vom Multiple Sclerosis Center, IRCCS Mondino Foundation in Pavia.
Switch: Probleme während der Auswaschphase
Angesichts eines immer grösser werdenden therapeutischen Repertoires werden Therapieumstellungen im Verlauf einer MS-Erkrankung immer häufiger und wichtiger. In der Praxis bedeutet das, so Dr. med. Marine Boudot de la Motte von der Fondation Rothschild in Paris, dass nach der MS-Diagnose eine krankheitsmodifizierende Therapie («Disease Modifying Therapy», DMT) begonnen und weitergeführt wird. Entschliesst man sich wegen schlechter Verträglichkeit oder mangelnder Wirksamkeit zu einer Therapieumstellung, so wird zunächst eine Auswaschphase erforderlich, ehe eine andere DMT begonnen werden kann. Während dieser Auswaschphase kann es zu einer Reaktivierung der Erkrankung kommen, auch als Rebound bezeichnet. Boudot de la Motte unterstreicht, dass prädiktive Faktoren eines solchen Rebounds bislang nur unzureichend untersucht sind. Dies gelte insbesondere für den Switch auf einen monoklonalen Anti-CD20-Antikörper. Während für diese B-Zell-depletierenden Biologika gute Wirksamkeit gegen die Krankheitsaktivität bei schubförmig verlaufender MS gezeigt werden konnte, sind Fragen des praktischen Einsatzes noch ungeklärt. Dies betrifft vor allem den Start der Therapie nach dem Absetzen einer anderen DMT.
Ihre nun im Rahmen des virtuellen EAN-Kongresses vorgestellte Studie untersuchte Krankheitsaktivität und prädiktive Faktoren für einen Rebound während der Auswaschphase zwischen dem Absetzen der vorhergehenden DMT und dem Beginn der Therapie mit dem Anti-CD20-Antikörper. In die monozentrische Studie wurden alle Patientinnen und Patienten aufgenommen, bei denen zwischen 2016 und 2019 an der neurologischen Abteilung des Hôpital Pitié Salpêtrière in Paris eine Behandlung mit Rituximab oder Ocrelizumab begonnen wurde. Die insgesamt 72 Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender MS hatten zuvor durchschnittlich 3,2 DMT (1–7) erhalten, wobei Fingolimod das häufigste war (44,4%). In 20 Fällen trat während der Auswaschphase Krankheitsaktivität auf, wobei eine Vorbehandlung mit Fingolimod als einziger Risikofaktor identifiziert werden konnte. Eine verlängerte Auswaschphase von mehr als zwei Monaten nach dem Absetzen war ebenfalls ein Prädiktor für einen Rebound. Wurde Fingolimod abgesetzt, war bereits eine Auswaschphase von mehr als einem Monat mit einem höheren Rebound-Risiko assoziert. Insgesamt lag die Dauer der Auswaschphase allerdings bei 1,95 Monaten im Median und nach Fingolimod sogar bei mehr als zwei Monaten. Ein Rebound trat im Median 1,25 Monate nach dem Absetzen der vorhergehenden DMT auf und war auch assoziiert mit einem höheren Schubrisiko in der Anfangsphase der Therapie mit dem Anti-CD20-Antikörper. Unklar ist, ob ein Rebound während der Auswaschphase die langfristige Prognose verschlechtert.
Die Autoren schliessen aus diesen Daten, dass die Auswaschphase im Rahmen einer Therapieumstellung möglichst unter zwei Monaten, im Falle einer Umstellung von Fingolimod auf einen Anti-CD20-Antikörper sogar unter einem Monat gehalten werden sollte. Um dies zu erreichen, ist ein sorgfältiges Monitoring der Rekonstitution des Immunrepertoires erforderlich. Auch sei die Frage zu stellen, ob nicht niedrigere Lymphozytengrenzwerte bei Beginn der Therapie mit einem Anti-CD20-Antikörper akzeptabel wären. Guidelines wären hilfreich, so Boudot de la Motte.2
Zweijahresdaten zu Ocrelizumab bei RRMS
Zum Anti-CD20-Antikörper Ocrelizumab wurden im Rahmen des virtuellen EAN 2020 neue Langzeitdaten aus der Phase-IIIb-Studie CHORDS vorgestellt. Ocrelizumab zeigte, so Prof. Dr. med. Bianca Weinstock-Guttman von der Unversität Buffalo, in mehren Studien im Vergleich zu Interferon -1a bei schubförmig verlaufender MS überlegene Wirksamkeit. Die Phase-IIIb-Studie CHORDS untersuchte Ocrelizumab in einer Population von Patienten, die zuvor auf bis zu 3 andere DMT suboptimal angesprochen hatten. Einschlusskriterien waren mindestens 1 Schub, mindestens 1 gadoliniumaufnehmende T1-Läsion oder mindestens 2 neue oder sich vergrössernde T2-Läsionen unter einer mindestens 6 Monate dauernden Behandlung mit einer DMT. Die Patienten erhielten Ocrelizumab 600mg alle 24 Wochen über mindestens 96 Wochen. Primärer Endpunkt war der Anteil an Patienten, die von protokolldefinierter Krankheitsaktivität in Klinik und Bildgebung frei blieben. Ausgewertet wurde die modifizierte ITT-Population mit Daten-Imputation für Patienten, die frühzeitig wegen mangelnder Wirksamkeit oder Tod aus der Studie ausgeschieden waren. Patienten, die die Behandlung aus anderen Gründen abbrachen, wurden aus der Studie ausgeschlossen. Sekundäre Endpunkte waren die annualisierte Schubrate (ARR) und die Behinderungsprogression, gemessen mittels Expanded Disability Status Scale (EDSS) im Vergleich zum Ausgangswert, sowie die Lebensqualität. Fast die Hälfte der Patienten war mehrfach vorbehandelt, 36% hatten 2, 8% bereits 3 Vortherapien hinter sich.
Von den 555 Patienten, die die Studie abschlossen, blieben 48,1% über 96 Wochen frei von Ereignissen im Sinne des primären Endpunkts. Die grosse Mehrheit der Studienpatienten (89,6%) machte keine Schübe nach Protokolldefinition durch, zeigte keine gadoliniumaufnehmenden T1-Läsionen (95,5%) oder neue oder sich vergrössernde T2-Läsionen (59,5%). Damit ergibt sich eine annualisierte Schubrate von 0,046. Eine über 24 Wochen bestätigte Behinderungsprogression trat nur bei etwas über 10% der Studienteilnehmer ein. EDSS blieb in den meisten Fällen stabil (61,5%) oder verbesserte sich sogar (22,7%). Hinsichtlich der «patient reported outcomes» wurde eine hohe Zufriedenheit mit der Therapie festgestellt, die von den Befragten als wirksam und wenig störend («convenient») wahrgenommen wurde. Eine Verbesserung der Patientenzufriedenheit war ab Woche 24 gegeben und blieb bis zum Ende der Studie erhalten. Die Therapie wurde gut vertragen und musste lediglich bei 8 Patienten wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden. Eine Unterbrechung oder Dosisreduktion war bei 108 Patienten erforderlich, 9 Patienten erkrankten an einer schweren Infektion. Reaktionen an der Einstichstelle traten bei rund einem Drittel der Patienten nach der ersten Infusion, danach jedoch deutlich seltener auf.3
Bericht:
Reno Barth
Quelle:
Kongress der European Academy of Neurology 2020
Literatur:
1 Bergamaschi RGE et al.: PM2.5 exposure is a risk factor of multiple sclerosis. An ecological study with a Bayesian mapping approach. Presented at EAN 2020, EPR1151
2 Boudot de la Motte M et al.: Challenges of initiating anti-CD20 monoclonal antibodies in RRMS. Presented at EAN 2020, O2030 3 Weinstock-Guttman B et al.: Effectiveness and safety of ocrelizumab in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis who had a suboptimal response with prior disease-modifying therapy: 2-year findings from CHORDS. Presented at EAN 2020, O2028
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