<p class="article-intro">Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden bei Kindern und Jugendlichen mit einer Inzidenz bis zu 75 % mit 15 Jahren. Häufig werden sie von Patienten, Eltern und Ärzten unterschätzt.<sup>1–3</sup></p>
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<p class="article-content"><p>Aufgrund der funktionellen Beeinträchtigung und hohen Prävalenz schon in jungen Jahren kommt der Migräne bei den Kopfschmerzen die größte Bedeutung zu. Sie beginnt aufgrund einer ausgeprägten genetischen Prädisposition häufig schon im Kindesalter, kann in bis zu 4 % der Fälle chronifizieren und persistiert in 50 % bis ins Erwachsenenalter. Deshalb sind eine frühzeitige Diagnose und eine individuell angepassten Therapie von großer Bedeutung. <sup>4, 5</sup></p> <h2>Diagnose</h2> <p>Die Differenzialdiagnose von erstmaligen oder rezidivierenden Kopfschmerzen (KS) ist auch im Kindes- und Jugendalter breit gefächert und wird in der 3. IHS(International Headache Society)-Klassifikation nach Ursache in primäre und sekundäre KS<sup>6</sup> eingeteilt.<br /><br /> <strong>Ursache: primär-sekundär</strong> <br />In erster Linie gilt es „sekundäre“ und damit potenziell bedrohliche KS als Folge einer zugrunde liegenden Erkrankung abzugrenzen. Grundsätzlich gilt, dass sekundäre Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter im Vergleich zu den primären KS (i. e. KS ohne hirnorganische Erkrankung) wesentlich seltener sind und gemäß Richtlinien und neueren Studien<sup>7, 8</sup> anhand klinischer Zeichen (Tab. 1) zuverlässig abgegrenzt werden können. Besondere Aufmerksamkeit muss (per-)akuten starken, chronisch-progredienten KS und KS bei (Klein-)Kindern > 5 Jahren geschenkt werden. Alarmzeichen (Tab. 1) erhöhen dabei die Sensitivität und müssen aktiv exploriert werden. Bei „red flags“ (Tab. 1) in der Anamnese und/oder neurologischen Untersuchung ist deshalb eine gezielte weiterführende Abklärung auf sekundäre KS mit Bildgebung (z. B. MRI, Neurosonografie ...) und weiteren Untersuchungen (Labor, Lumbalpunktion u. a.) indiziert.<sup>7</sup> Umgekehrt schließt eine normale neurologische Untersuchung, mit besonderem Augenmerk auf die häufigsten pathologischen Befunde Stauungspapillen, Augenmotilitätsstörungen, fokale Zeichen (wie Hemiparese), Ataxie oder meningeale Zeichen, sekundäre KS mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.<sup>8</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1806_Weblinks_s20_tab1.jpg" alt="" width="500" height="550" /><br /><br /><strong>Primär: Migräne und Spannungstypkopfschmerzen</strong><br /> Auch im Kindes- und Jugendalter sind Migräne und Spannungstypkopfschmerzen die wichtigsten primären Kopfschmerzen mit einer zunehmenden Prävalenz vom Kindes- ins Jugendalter bis zu 10–15 %.<sup>3</sup> Die Diagnose und Unterscheidung aller primären KS erfolgen immer noch ausschließlich mit einer ausführlichen Anamnese. Anhand der in Tabelle 2 aufgeführten IHS-Kriterien können primäre KS unter Berücksichtigung der Dynamik und der individuellen Schmerzanamnese mit Erfassung von psychosozialen Belastungs- und Triggerfaktoren klassifiziert werden.<sup>7, 8</sup> Charakteristische Migränesymptome wie die Kopfschmerzverstärkung durch Routineaktivitäten oder Photo-/Phonophobie können im Kindesalter besser durch Verhaltensbeobachtung als durch direkte Beschreibung evaluiert werden. Bei Migräne wird erfahrungsgemäß auf gezielte Befragung häufig ein begleitender Schwindel beschrieben. Umgekehrt ist die häufigste Ursache von Schwindel im Kindes- und Jugendalter eine (vestibuläre) Migräne.<sup>9</sup><br /> Die Migräne mit Aura tritt selten vor der Adoleszenz auf und präsentiert sich analog wie bei Erwachsenen. Wenn bei Schilderung der Aurasymptome der charakteristische, auf dem Phänomen der „cortical spreading depression“ basierende, sich konsekutiv ausbreitende Ablauf (i. e. die Symptome treten nacheinander auf) der visuellen, sensorischen oder/und dysarthrischen Aura fehlt, sollte auch ein vaskulär- ischämisches Ereignis in Betracht gezogen werden,<sup>10, 15</sup> insbesondere wenn eine familiäre Prädisposition für Migräne mit Aura fehlt.<br /> Im Kindesalter existieren auch episodische Syndrome wie der benigne paroxysmale Torticollis oder Vertigo, Abdominalmigräne oder zyklisches Erbrechen, welche später in bis zu 40 % mit Migräne assoziiert sind und deshalb mit gleichen Therapieschemata behandelt werden.<sup>11</sup><br /> Cluster-Kopfschmerzen, weitere trigemino- autonome und andere primäre Kopfschmerzen sind im Kindesalter äußerst selten und sollen deshalb an einem spezialisierten Zentrum abgeklärt werden.<br /> Auch wenn die Kopfschmerzen vom Spannungstyp zu geringerer Beeinträchtigung führen als Migräne, sollten damit assoziierte depressive oder psychosomatische Symptome erfragt und in die Behandlung miteinbezogen werden.<sup>12</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1806_Weblinks_s20_tab2.jpg" alt="" width="500" height="878" /><br /><br /></p> <h2>Therapie</h2> <p>Die therapeutischen Maßnahmen orientieren sich an der Einschränkung der Lebensqualität und beinhalten pharmakologische sowie nicht pharmakologische Maßnahmen, welche die rasche Rückkehr zur normalen Alltagsfunktion oder/und Reduktion der Frequenz von beeinträchtigenden Kopfschmerzen zum Ziel haben (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1806_Weblinks_s20_abb1.jpg" alt="" width="600" height="377" /><br /><br /> <strong>Pharmakotherapie</strong><br /> Bei der Migräne ist aufgrund der funktionellen Beeinträchtigung fast immer eine medikamentöse Behandlung angezeigt. Die Patienten und ihre Eltern sollten darüber aufgeklärt werden, dass die Medikamente so früh wie möglich im Attackenablauf eingesetzt und ausreichend hoch dosiert werden müssen,<sup>1</sup> auch in der Schule. Kopfschmerzen vom Spannungstyp führen selten zu wesentlichen Funktionseinschränkungen und sollten deshalb sehr zurückhaltend medikamentös antherapiert werden, in gleicher Dosierung wie bei der Migräne.<sup>12</sup><br /> <strong><br />Akut:</strong> Ibuprofen ist bei Migräne mit 7,5–10 mg/kg ED wirksamer als 15 mg/kg Paracetamol und gilt somit als Therapie der 1. Wahl bei der Attackentherapie. Aufgrund eines hohen Placeboeffekts im Kindesalter muss die Wirksamkeit einer Attackentherapie jeweils an der Schmerzerleichterung > 50 % innerhalb von 11/2 (–2) Stunden gemessen werden, bei Schulkindern ist hier die VAS (0–10) hilfreich.<br /> Falls diese Schmerzmedikamente ungenügend wirken, was bei einer kindlichen Migräne im Verlauf der Jahre wiederholt beobachtet wird, sollten die migränespezifischen Triptane eingesetzt werden. Evidenzbasiert sind Sumatriptan, Rizatriptan, Zolmitriptan ab dem Schulkindalter und Almotriptan auch ab dem Jugendalter wirksam, in vielen Ländern sind sie aber erst ab 12 Jahren zugelassen (Tab. 3).<sup>1</sup> <br />Schmerzmedikamente sollten allgemein an nicht mehr als 10–15 Tagen pro Monat (NSAR 15 Tage, Triptane 10 Tage) eingesetzt werden, aufgrund der Gefahr eines chronischen Medikamentenüberkonsum- Kopfschmerzes (MüKS),<sup>1, 3, 5</sup> speziell bei Adoleszenten. Ein Therapiemonitoring mit einem Kopfschmerzkalender ist deshalb unabdingbar.<br /> Kann eine beeinträchtigende, prolongierte Migräneattacke über 72 Stunden ambulant mit Triptanen nicht genügend behandelt werden, existieren neuere Algorithmen mit intensivierter Pharmakotherapie mit Sumatriptan s. c., Metoclopramid i. v. (cave: extrapyramidale NW) und Magnesiumsulfat u. a. auf der Notfallstation.<sup>5<br /></sup><br /> <strong>Prävention:</strong> Bei 3–4 Migräneattacken pro Monat oder mehr, unwirksamer Attackentherapie, intensiven prolongierten Attacken oder MüKS ist eine tägliche präventive Therapie indiziert, mit dem Ziel, die Häufigkeit der Episoden und die Gefahr einer Progression in chronische Kopfschmerzen zu reduzieren. Falls durch die Behandlung eine Frequenz von < 3 x/Monat erreicht werden kann, sollte diese Behandlung über 4–6 Monate aufrechterhalten werden. Magnesium oder/und Vitamin B2 sind häufig wirksam, werden gut toleriert und sind somit besonders geeignet schon ab dem frühen Kindesalter. Bei deutlicher Beeinträchtigung durch eine Migräne können auch evidenzbasiert effektive Medikamente wie Flunarizin und weitere Prophylaxepräparate (Tab. 3) angewandt werden, was aber aufgrund der Nebenwirkungsprofile sowie möglicher Komorbiditäten einer individuellen Abwägung, basierend auf ausreichender Erfahrung, bedarf. In einer rezenten Studie bei Patienten mit jugendlicher Migräne (6–17 Jahre) konnten weder Topiramat noch Amitriptylin eine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen und können daher nur mehr eingeschränkt empfohlen werden.<sup>13</sup><br /> Die prophylaktische Anwendung von monoklonalen Antikörpern gegen „calcitonin gene-related peptide“ (CGRP) bei Jugendlichen mit therapieresistenter Migräne wird derzeit in Studien untersucht.<sup>14</sup><br /> Nicht medikamentöse Prävention: Eine nicht pharmakologische Therapie sollte immer begleitender Bestandteil einer umfassenden Kopfschmerzbehandlung sein und beinhaltet neben einer ausführlichen Aufklärung über die Erkrankung eine Anleitung in Selbstmanagement und Lifestyle- Modifikation. Nicht medikamentöse Prävention kann als Basis eines multimodalen Therapieansatzes angesehen werden, welches die Schmerzkontrolle und das Langzeit-Outcome in der pädiatrischen und adoleszenten Patientenpopulation verbessert. <sup>18</sup> Im Rahmen der Aufklärung sollen die Patienten über folgende Punkte, die einzuhalten sind, informiert werden:</p> <ul> <li>Regelmäßiger, ausreichender Schlaf (mindestens 8 Stunden)</li> <li>Regelmäßige, ausgewogene Mahlzeiten</li> <li>Adäquate Hydration</li> <li>Rauchkarenz</li> <li>mind. 3 x 30 min Ausdauersport wöchentlich</li> <li>Führen eines Kopfschmerzkalenders</li> <li>Identifizieren und Meiden von Migränetriggern (z. B. Alkohol, Stress, übermäßiger Koffeinkonsum, bestimmte Nahrungsmittel und bestimmte Verhaltensweisen vermeiden …)</li> </ul> <p>Diese Maßnahmen sollten aufgrund des Risiko-Nutzen-Profils allen Patienten nachegelegt werden.<br /> Zusätzlich zeigt sich eine Reihe psychologischer Interventionen als effektiv in der Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen, neben Stressreduktion und -management bieten sich kognitive Verhaltenstherapie, Biofeedback und Relaxationsübungen an.</p> <h2>Prognose</h2> <p>Verschiedene Langzeitstudien zeigen eine Persistenz der episodischen Migräne bei etwa der Hälfte der Patienten über 30– 40 Jahre, bei einem Viertel wechselt die Kopfschmerzart in Spannungstypkopfschmerzen und umgekehrt, ein weiteres Viertel geht in Remission.<sup>12, 16, 17</sup> Frühe und multimodale Therapieinterventionen können die Progression einer episodischen in eine chronische Migräne, welche im Kindes- und Jugendalter mit einer Prävalenz von 1–4 % vorkommt, verhindern.<sup>4</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1806_Weblinks_s20_tab3.jpg" alt="" width="500" height="697" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Hershey AD: Current approaches to the diagnosis and management of paediatric migraine. Lancet Neurol 2010; 9:190-204 <strong>2</strong> Landgraf MN et al.: Migräne im Kindes- und Jugendalter – Gehirn und Muskel? Nervenarzt 2017; https:// dol.org/10.1007/s00115-017-0428-6 <strong>3</strong> Bonfert MN et al.: Primary headache in children and adolescents: update on pharmacotherapy of migraine and tension-type headache. Neuropediatrics 2013; 44: 3-19 <strong>4</strong> Charles JA et al.: Favorable outcome of early treatment of new onset child and adolescent migraine-implications for disease modification. J Headache Pain 2009; 10: 227-33 <strong>5</strong> Kacperski J et al.: The optimal management of headaches in children and adolescents. Ther Adv Neurol Disord 2016; 9: 53-68 <strong>6</strong> Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS) The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition. Cephalalgia 2018; 38(1): 1–211 <strong>7</strong> Lewis D et al.: Practice Parameter: Evaluation of children and adolescents with recurrent headaches. Neurology 2002; 59: 490-8 <strong>8</strong> Kelly M et al.: Pediatric Headache: overview. Curr Opin Pediatr 2018, 30:000-000 <strong>9</strong> Langhagen T et al.: Vestibular migraine in children and adolescents. Curr Pain Headache Rep 2016; 20: 67 <strong>10</strong> Iff T, Klein A: Neuropädiatrische Notfälle. Paediatrica 2016; 27(5): 29-33 <strong>11</strong> Gelfand A: Episodic syndromes of childhood associated with migraine. Curr Opin Neurol 2018; 31: 281-5 <strong>12</strong> Anttila P: Tension-type headache in childhood and adolescence. Lancet Neurol 2006; 5: 268-74 <strong>13</strong> Powers SW et al.: Trial of amitriptyline, topiramate, and placebo for pediatric migraine. N Engl J Med 2017; 376(2): 115-24 <strong>14</strong> Szperka CL et al.: Recommendations on the use of anti-CGRP monoclonal antibodies in children and adolescents. Headache 2018; Oct 15. doi: 10.1111/head.13414. [Epub ahead of print] <strong>15</strong> Gelfand AA et al.: Child neurology: migraine with aura in children. Neurology 2010; 75:e16 –e19 <strong>16</strong> Bille B: A 40-year follow-up of school children with migraine. Cephalalgia 1997; 17(4): 488-91 <strong>17</strong> The prognosis of pediatric headaches--a 30- year follow-up study. Dooley JM et al.: Pediatr Neurol 2014; 51(1): 85-7 <strong>18</strong> Paediatric migraine: evidance-based management and future directions. Nat Rev Neurol 2018; 14(9): 515-27</p>
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