
Kommunikation von Diagnosen mit infauster Prognose
Autorin:
Dr. Sara Silvaieh
Universitätsklinik für Neurologie
MedUni Wien
E-Mail: sara.silvaieh@meduniwien.ac.at
Die Kommunikation von Diagnosen mit infauster Prognose stellt auch erfahrene Ärzt:innen vor eine große Herausforderung. Sie erfordert nicht nur ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz, sondern auch sensible zwischenmenschliche Fähigkeiten, um Patient:innen und deren Angehörige in dieser enorm belastenden Situation zu unterstützen. Dabei müssen Ärzt:innen mit Reaktionen rechnen, die stark von sozialen, religiösen und psychologischen Faktoren beeinflusst werden.
Keypoints
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Patientenzentrierter Ansatz: umfassende, empathische Aufklärung der Patient:innen und Einbeziehung in die Entscheidungsfindung
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Strukturierte Kommunikation: Strukturierte Gesprächsmodelle wie das SPIKES-Protokoll bieten Ärzt:innen Unterstützung, um schlechte Nachrichten einfühlsam zu übermitteln.
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Klare und einfache Sprache: Statt beschönigende Formulierungen zu verwenden, sollten Ärzt:innen die Diagnose direkt ansprechen und sich auf die Bedürfnisse des Patienten konzentrieren, um eine vertrauensvolle Kommunikationsebene zu schaffen.
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Emotionale Unterstützung: Neben der reinen Informationsweitergabe ist es wichtig, auch emotionale Unterstützung anzubieten. Ärzt:innen sollten einfühlsam auf die Reaktionen der Patient:innen eingehen, ihre Sorgen ernst nehmen und ihnen Möglichkeiten zur Bewältigung und Unterstützung anbieten.
Was bedeutet „infauste Prognose“?
Der Begriff der „infausten Prognose“ leitet sich von dem lateinischen Wort „infaustus“, also ungünstig, ab und bezeichnet eine ungünstige Vorhersage für den weiteren Krankheitsverlauf. Damit ist im medizinischen Alltag meist die Prognose „quoad vitam infaust“ gemeint, also dass aufgrund des aktuellen Gesundheitszustandes bzw. der Grunderkrankung in absehbarer Zeit mit dem Tod zu rechnen ist.
Aufklärung früher …
Vor nicht allzu langer Zeit verfolgten ärztliche Aufklärungen einen paternalistischen Ansatz, bei dem die Ärzt:innen als Vormund der Patient:innen agierten und nur ausgewählte Informationen zur Verfügung stellten, um die Patient:innen zu dem zu führen, was die Ärzt:innen als beste Entscheidung ansahen.
Aufklärung heute …
Glücklicherweise kam es zu Beginn des späten 20. Jahrhunderts zu einem grundlegenden Wandel hin zu einem patient:innenzentrierten Ansatz, der auch im Rahmen des Medizinstudiums mit Fokus auf „end-of-life care“ und ärztlicher Gesprächsführung einfloss. Es wurden vermehrt Studien rund um Bedürfnisse der Patient:innen durchgeführt und es entstanden Empfehlungen auf Basis von Expert:innenmeinungen. Heutzutage folgt die Aufklärung einem Ansatz des „informed and shared decision-making“, bei dem relevante Informationen bereitgestellt werden („informed consent“), die die Patient:innen benötigen, um einer Therapie zuzustimmen oder diese abzulehnen. Dabei findet ein bidirektionaler Informationsaustausch („shared decision-making“) statt, um gemeinsam die beste Entscheidung im Sinne der Patient:innen zu treffen.
Aufklärung: aber wie?
Die meisten Kommunikationsmodelle sind ähnlich aufgebaut und beruhen auf folgenden Punkten:
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Vorbereitung: im Vorfeld des Gesprächs mit der Anamnese vertraut machen. Geeignete ruhige Umgebung vorbereiten, beispielsweise durch das Abschalten störender Geräte wie Telefone. Zudem ist es essenziell zu erheben, auf welchem Wissensstand sich der/die Patient:in befindet und was er/sie wissen will.
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Aufklärungsgespräch: einfache und direkte Sprache verwenden, Empathie zeigen, rückversichernd nachfragen
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Follow-up: auf Emotionen reagieren, Fragen beantworten, die nächsten Schritte erklären oder einen nächsten Termin vereinbaren, falls es für den Patienten zu viel ist
Bewährte Modelle
Es gibt mittlerweile zahlreiche Gesprächsmodelle (wie z.B. SPIKES, ABCDE, BREAKS etc.), wobei hier das SPIKES-Protokoll als Beispiel erwähnt wird.
SPIKES-Protokoll
Das SPIKES-Protokoll ist ein strukturierter Ansatz zur Übermittlung schlechter Nachrichten, der in der Onkologie weit verbreitet ist. Es gliedert sich in folgende Schritte:
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Setting (geeigneten Gesprächsrahmen schaffen)
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Die Ärzte sollten sich vor dem Gespräch gründlich mit der Anamnese vertraut machen. Das Schaffen einer ruhigen Atmosphäre ist hierbei essenziell. Auch auf Kleinigkeiten wie das Ausschalten des Telefons oder Pagers sollte geachtet werden.
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Perception (Kenntnisstand/Wahrnehmung ermitteln): Mittels offener Fragen sollte der Kenntnisstand der Patient:innen bezüglich der aktuellen Befunde bzw. der Erkrankung erhoben werden. Beispiele: „Was wissen Sie bereits über Ihre Erkrankung/Befunde“? „Als Sie Ihr Bein nicht mehr gespürt haben, was war da Ihr erster Gedanke?“
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Invitation (Informationsbedarf erheben): Die Patient:innen sollten gefragt werden, ob sie bereit sind, die Ergebnisse zu erfahren, und inwieweit sie über die Befunde aufgeklärt werden möchten. Beispiel: „Ist es in Ordnung, wenn ich Ihnen die Befunde mitteile (,shared-decision making‘)?“ „Wie soll ich Sie über die Befunde aufklären? Wollen Sie alle Ergebnisse/Informationen wissen oder nur die wichtigsten? Soll ich die Ergebnisse weglassen und den Therapieplan genauer erklären?“ Falls Patient:innen die Mitteilung der Informationen ablehnen sollten, ist es angebracht, nach den Gründen für die Ablehnung zu fragen. Beispielsweise kann das Fehlen einer Begleitperson ein behebbarer Grund sein. Es sollte stets die Möglichkeit eines neuen Termins, sobald die Patient:innen bereit sind, die Informationen zu erhalten, besprochen werden.
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Knowledge (Wissensvermittlung: Informationen über die Diagnose bereitstellen): Die einfühlsame Übermittlung schlechter Nachrichten zur Vorbereitung auf die bevorstehende herausfordernde Zeit stellt einen zentralen Aspekt dar. Einzelne Studien weisen darauf hin, dass eine Vorwarnung bezüglich einer schlechten Nachricht den nachfolgenden Schock teilweise mindern kann. Hierbei können Formulierungen wie „Bedauerlicherweise muss ich Ihnen schlechte Nachrichten überbringen“ oder „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass …“ Anwendung finden. Es ist von großer Bedeutung, eine klare und verständliche Sprache ohne medizinische Fachterminologie zu wählen und die Informationen schrittweise zu vermitteln. Zusätzlich ist es ratsam, durch rückversicherndes Nachfragen sicherzustellen, dass der Patient den bisherigen Inhalt verstanden hat.
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Emotions (Emotionen wahrnehmen, ansprechen und empathisch reagieren): Eine aufmerksame Beobachtung der Patient:innen und ein gezieltes Ansprechen der emotionalen Reaktion sind von großer Bedeutung. Beispielsweise: „Ich sehe, das sind nicht die Neuigkeiten, die Sie sich erwartet haben. Können Sie mir mehr über Ihre Sorgen erzählen?“ Durch das direkte Adressieren der Emotionen, etwa mittels Formulierungen wie „Es scheint, als würden Sie sich traurig/wütend … fühlen“, kann zudem eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, die den Patient:innen Raum bietet, Sorgen zu äußern.
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Summary (Behandlungsplan entwickeln und Zusammenfassung des Gespräches): Vor der Erläuterung des Therapieplans werden die Patient:innen gefragt, ob sie bereit sind, weitere Informationen zu erhalten, oder ob diese im Rahmen eines Kontrolltermins besprochen werden sollen. Dieser sollte innerhalb weniger Tage stattfinden, um aufkommende Fragen zeitnah beantworten zu können. Auch in palliativen Situationen sollten Phrasen wie „Es gibt nichts, was wir für Sie tun können …“ vermieden werden. Stattdessen sollten unterstützende Maßnahmen angeboten werden, wie beispielsweise soziale Unterstützung und (palliative) Schmerztherapien. Beispiel: „Obwohl eine Heilung des Krebses nicht möglich ist, können wir Ihnen Medikamente anbieten, die dazu beitragen, Schmerzen zu lindern.“
Das SPIKES-Protokoll bietet eine strukturierte und umfassende Methode, um schwierige Nachrichten einfühlsam zu kommunizieren und gleichzeitig die Bedürfnisse der Patienten zu berücksichtigen.
Einfache Sprache, aber wie …?
In Gesprächen über infauste Prognosen ist die Verwendung einer einfachen und klaren Sprache entscheidend. Statt um „den heißen Brei zu reden“, ist es angebracht, die Diagnose direkt anzusprechen, zum Beispiel durch die Aussage „Sie haben Krebs“, anstatt verschleiernde Formulierungen wie „In der Biopsie wurden tumorverdächtige Zellen festgestellt“ zu verwenden. Wenn beispielsweise die Möglichkeit von Haarausfall angesprochen wird, sollten keine banalen Phrasen wie „Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Haare werden wieder nachwachsen“ verwendet werden, da es in der Regel nicht um den Haarausfall an sich, sondern eher um die damit verbundene emotionale Belastung geht.
Fazit
Die Vermittlung von Diagnosen mit infauster Prognose bleibt weiterhin eine herausfordernde Aufgabe im klinischen Alltag. Es sollten immer die individuellen Hintergründe, Überzeugungen und Emotionen der Patient:innen berücksichtigt werden. In diesem Kontext stellen Gesprächsmodelle wie das SPIKES-Protokoll eine wertvolle Unterstützung dar, indem sie einen strukturierten Ansatz bieten, um die Bedürfnisse und Reaktionen der Patient:innen umfassend zu adressieren.
Quelle:
Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag der Autorin bei der ÖGN-Jahrestagung 2024.
Literatur:
bei der Verfasserin
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