© Simon von Gunten

Neurologische Praxis Zofingen

«Wir wandern an einem Grat zwischen Anspruch, Machbarkeit und Zeit»

In der neurologischen Praxis Zofingen, welche auf dem Areal des Regionalspitals Zofingen liegt, arbeiten die beiden Neurologen Dr. med. Andreas Bock und Dr. med. Hans-Günther Frank Seite an Seite. Sie sehen ihre Arbeit als Dienst an der Gesellschaft und für die Region und setzen sich für einen breiten Service für ihre Patient:innen ein, trotz zunehmender struktureller Herausforderungen.

Herr Dr. Bock, seit 2019 sind Sie mit Dr. Frank ein Team in Ihrer Praxis. Inwiefern profitieren Sie von Ihrer gemeinsamen Tätigkeit beruflich und persönlich?

A. Bock: Wir profitieren gegenseitig, und dies auf der ganzen Linie. Einerseits fachlich – wir haben jederzeit die Möglichkeit, komplexere Fälle zu besprechen und miteinander abzustimmen. Andererseits haben wir organisatorisch zu zweit enorme Vorteile. Wir können uns gegenseitig vertreten und so übers Jahr die Praxis meistenteils offen haben. Auch ist natürlich die Nutzung der Infrastruktur wesentlich effizienter, was zukünftig noch viel wichtiger werden wird. Auch persönlich lernen wir natürlich voneinander. Dr. Frank war bereits vor 20 Jahren einer meiner Lehrer und ist es in vielen Bereichen noch immer, worüber ich sehr dankbar bin. Dafür darf ich ihn gelegentlich mit Neuerungen «belästigen», wie z.B. mit einem Kanban-Board zur Visualisierung laufender Aufgaben.

Sie haben beide in Ihrer Zeit der Ausbildung und der Krankenhaustätigkeit unterschiedliche Bereiche kennengelernt, von der Neurochirurgie bis hin zur Neurorehabilitation. Inwieweit können Sie diese Erfahrungen in Ihrem Arbeitssetting in der Praxis einsetzen?

H.-G. Frank: Wir betreuen viele Patient:innen mit chronischen Grunderkrankungen, so gibt es immer einen Anteil, der rehabilitative Massnahmen benötigt. Von daher profitieren wir sicher von unserem Vorwissen und den Abläufen in der Neurochirurgie und Neurorehabilitation. Wir haben einen umfassenden Einblick in die Betreuungsmöglichkeiten und das hilft sehr bei der Beratung der Patient:innen.

Sie wollen Ihren Patient:innen umfassende Dienstleistungen anbieten und sind neben der Praxistätigkeit auch als Konsiliarärzte im Spital und Pflegezentrum tätig. Wie schaffen Sie es, diesen Tätigkeiten zusätzlich zur Praxis nachzugehen? Stossen Sie hier nicht manchmal auf Hürden?

A. Bock: Die Konsilien sind nicht immer gut planbar und diese müssen auch zeitnah durchgeführt werden. Hier arbeiten wir eng mit den Spitalsärzt:innen zusammen und auch mit den Neurolog:innen vom Kantonsspital Aarau. Wer da gerade Kapazität hat, macht das Konsil. Die Konsile sind natürlich eine Herausforderung, weil sie mehr Arbeit erfordern, aber sie machen auch Spass, weil die Arbeit unser Spektrum erweitert. Dadurch, dass sich unsere Praxis auf dem Spitalsareal befindet, haben wir mehr Abwechslung.

Sie sind beide Mitglieder des Ärzteverbandes und des Spezialärztevereins Zofingen. Warum ist es für Sie wichtig, regional gut vernetzt zu sein?

H.-G. Frank: Dies erleichtert die Versorgung der Patient:innen. Je besser man vernetzt ist, desto einfacher gestaltet sich die Gesundheitsversorgung. Wenn Grundversorger und Spezialisten am gleichen Strang ziehen, ist es auch für die Patient:innen stimmig.

A. Bock: Der Ärzteverband hat das Ziel, dass sich Ärzt:innen vernetzen und austauschen können. Dieser hat auch einen politischen Einfluss – zumindest auf regionaler Ebene, da sich die Rahmenbedingungen verändern und der Druck für die Ärzt:innen immer mehr steigt. Oftmals lassen sich die Ärzt:innen auseinanderdividieren und treten nicht in einer Einheit auf – dem wollen wir entgegenwirken. Wir haben untereinander einen guten Austausch und treffen uns auch regelmässig, das kommt letztlich auch den Patient:innen zugute.

Für Sie sind Service und medizinische Leistungen auf bleibend hohem Niveau in Ihrer Praxis sehr wichtig – wie setzen Sie dies um?

H.-G. Frank: So, wie sich die weiteren Entwicklungen im Gesundheitssystem abzeichnen, werden wir uns darauf einstellen müssen, dass wir zukünftig für unsere Patient:innen noch weniger Zeit haben als bisher, die Betreuung wird dadurch natürlich nicht einfacher. Wir sind aufgrund des Kostendrucks im Gesundheitssystem dazu gezwungen, immer schneller zu arbeiten, dennoch versuchen wir, unseren Patient:innen weiterhin den bestmöglichen Service anzubieten.

Welche Situationen im Praxisalltag würden Sie als herausfordernd beschreiben?

A. Bock: Wir erleben oft eine Gratwanderung zwischen Kostendruck und administrativem Druck, der immer grös-ser wird. Auch die politischen Rahmenbedingungen verändern sich und es wird dadurch nicht leichter. Die Patient:innenzahlen steigen und in der Neurologie nehmen besonders die neurodegenerativen Erkrankungen zu. Andererseits nehmen auch die Erkenntnisse zu. Die Behandelbarkeit von einigen Krankheiten ist ganz anders als noch vor 10–20 Jahren und wir haben viel mehr zu tun. Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung der Patient:innen und der Institutionen recht hoch und die Patient:innen sind immer besser informiert. Letztlich wird aus unserer Sicht auch das Tarifsystem immer schwieriger. So wandern wir ständig an einem Grat zwischen Anspruch, Machbarkeit und Zeit, die man zur Verfügung hat.

Sie bieten auch Fahrtauglichkeitsprüfungen an. Die Fahrtauglichkeit bedeutet für viele Menschen Selbstständigkeit. Viele neurologische Erkrankungen bedrohen jedoch diese Freiheit. Wie ist hier der Ablauf?

H.-G. Frank: In der Regel bekommen wir die Zuweisungen vom Strassenverkehrsamt. Hier gibt es drei verschiedene Untersuchungskategorien – die 4. und letzte Beurteilungsstufe betrifft ausschliesslich das Institut für Rechtsmedizin. In Abhängigkeit von der Fragestellung klären wir ab, ob die Betroffenen weiterhin Auto fahren dürfen.

A. Bock: Manche Fahrer:innen kommen aber auch aus freien Stücken zu uns und sind dann recht zuversichtlich. Hingegen sind jene Fahrer:innen, die vorsorglich den Führerschein entzogen bekommen haben oder im Strassenverkehr aufgefallen sind, weniger begeistert. Wir sind dann nicht «everybodies darling», doch ich sehe diese Arbeit als einen Dienst an der Gesellschaft, denn es ist nicht verantwortbar, dass Personen, welche die Fahrtauglichkeitskriterien nicht mehr erfüllen, weiterhin Auto fahren.

Wie ist Ihre Meinung zu den gesetzlichen Vorgaben zur Fahrtauglichkeit in der Schweiz im Hinblick auf rehabilitative Massnahmen? Werden diese ausreichend im Gesetz berücksichtigt?Speziell nach Schlaganfall: Können Patient:innen mit guten Kompensationsmöglichkeiten ihrer Beeinträchtigungen die Fahrerlaubnis wiedererlangen?

A. Bock: Das ist leider ein Thema mit grosser Spannung. Ich denke, in der Neurologie sind wir sehr gut aufgestellt, wir haben klare Kriterien für Personen mit Epilepsie. Für Personen mit anderen Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson, Multipler Sklerose oder für solche mit hirnchirurgischen Eingriffen gibt es entsprechende Richtlinien, letztlich bleibt es jedoch stets ein individueller Entscheid. Die Vorgaben sind nicht in allen medizinischen Bereichen gleich gut definiert – beispielsweise im Bereich von Herz- und Kreislauferkrankungen. Ich denke aber, dass die Bestimmungen ganz gut sind und besser als in anderen Ländern.

H.-G. Frank: In der Schweiz werden ab dem 75. Lebensjahr regelmässige medizinische Kontrollen der Fahrzeuglenker:innen durchgeführt, die Sinnhaftigkeit wird ja zurzeit politisch hinterfragt, derartige gesetzliche Vorgaben gibt es nur in ganz wenigen Ländern. Manchmal stellt ein negatives Untersuchungsresultat eine Herausforderung dar, vor allem, wenn die betroffene Person uneinsichtig ist.

Werden technische Fortschritte wie z.B. selbstfahrende Autos, Robotik etc. Ihrer Meinung nach für diese Patient:innen neue Möglichkeiten schaffen?

A. Bock: Ja, ich denke schon, und ich glaube, das kann zukünftig durchaus eine Erleichterung bringen. Jedoch benötigen wir dafür dann auch die nötigen Rahmenbedingungen und geeignete gesetzliche Bestimmungen.

Nach einigen Jahren in der Praxis, was bereitet Ihnen immer noch Freude?

H.-G. Frank: Wir haben ein ausgezeichnetes Team, unsere Mitarbeiter:innen handeln sehr vorausschauend und verlässlich, das macht jeden Tag viel Freude. Darüber hinaus haben wir das Glück, dass wir eine Vielzahl von Zusatzuntersuchungen anbieten können, so gestaltet sich der Arbeitsalltag flexibel. Auch haben wir in der Neurologie eine hohe Variabilität an Grunderkrankungen, was ich ebenfalls sehr schätze.

A. Bock: Wir sind schon lange ein gutes Team, es gibt nur wenig Veränderung im Personal und wir fühlen uns fast schon wie eine Familie. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter:innen hinsichtlich gesundheitsfördernder Massnahmen, Teamentwicklung, Coaching und sportlicher Aktivitäten. Vieles ist in unserem Praxisalltag schon Routine, aber ich nehme mir am meisten Freude mit, wenn ich jemandem helfen konnte und wenn ich spüre, dass die Patient:innen sich verstanden fühlen und man Hoffnung oder Positivität mitgeben konnte.

Welche Ziele schweben Ihnen für die Zukunft vor? Wohin soll sich Ihre Praxis noch entwickeln?

H.-G. Frank: Wir würden gerne unser Team noch verstärken, denn wir haben in der Zwischenzeit lange Wartezeiten, was für uns und vor allem für die Patient:innen unangenehm ist.

A. Bock: Unser Ziel ist es, weiterhin einen qualitativ hochwertigen Service für die Region anzubieten und unseren Dienst an der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Wir glauben, dass die Entwicklung, alles zu zentrieren und die Versorgung nur in grossen Zentren sicherzustellen, rational und gesundheitspolitisch nachvollziehbar ist, andererseits geht hier viel an individueller und menschlicher Betreuung verloren, ein wertvolles Gut für unsere Patient:innen.

Wir danken für das Gespräch!
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