© © iStockphoto.com/bunditinay

Management des Stigmatisierungserlebens

Dysmorphophobie bei Kindern mit Hautproblemen

Die Dysmorphophobie, auch körperdysmorphe Störung (KDS) genannt, ist eine wichtige Diagnose, die im Rahmen von dermatologischen Behandlungen immer häufiger vorkommt. Einzelne Patienten suchen gezielt wegen dieser Störung eine Psychotherapie. Mit einer Häufigkeit von ca. 1% an Personen in der repräsentativen Bevölkerung, die an einem Entstellungssyndrom bzw. der sogenannten KDS leiden, zeigt sich klar, dass diese Störung vor allem auch in der pädiatrischen Dermatologie bekannt sein sollte und in differenzialdiagnostische Überlegungen miteinbezogen werden muss.

Da die therapeutischen Prognosen einer KDS entscheidend von einer frühzeitigen Diagnose abhängen und die KDS sich meist in der frühen oder späten Pubertät zuerst manifestiert, ist es auch in der pädiatrischen Dermatologie bedeutend, das Krankheitsbild und seine Symptome sowie therapeutische Ansätze zu kennen. Prävalenzstudien zeigen, dass das Entstellungserleben vor allem bei jungen Menschen (Adoleszenz) in den letzten 15 Jahren deutlich zugenommen hat. Während bei der KDS die dermatologischen Merkmale eher sehr diskret sind und die subjektive Wahrnehmung der empfundenen Entstellung in keiner Weise mit dem objektiven Befund korreliert, ist es interessant, dass objektiv klar wahrzunehmende Entstellungen wie die Naevi flammei und die Giant-Nävi deutlich weniger Probleme bereiten. Diese angeborenen Hautveränderungen werden offenbar in der Regel bereits in der frühen Kindheit gut in das Persönlichkeitsbild der Betroffenen integriert und führen eher selten zu Entstellungsproblemen.

Die KDS ist eine auf die Hautoberfläche projizierte psychische Störung mit der Annahme, dass Teile des Körpers (vor allem Gesicht, Nase, Ohren etc.) entstellend verändert seien, ohne dass dies von objektiven Betrachtern erkannt werden würde. Diese Störung, die in der dermatologischen Praxis bei 5–8% der Patienten und in der kosmetischen Sprechstunde bei ca. 10% aller Ratsuchenden vorhanden ist, sollte erkannt und entsprechend den auslösenden Ursachen diagnostiziert und behandelt werden. Hintergrund dieses Störungsbildes ist sicher der verbreitete Schönheitswahn der Menschen, den die Beauty-Industrie noch verstärkt.

Psychosoziale Auswirkungen der KDS

Die KDS geht mit einem inneren und sozialen Rückzug einher. Die Zusicherung von Partnern, Angehörigen, Freunden und Ärzten, dass das Aussehen völlig in Ordnung sei, nützt nichts. Die Patienten lassen sich nicht überzeugen. Sie halten sich für hässlich und nicht lebenswert. Besonders bei vorbestehenden Dermatosen wie Akne und Neurodermitis, die durch ihre Sichtbarkeit Entstellungsprobleme begünstigen können, tritt die KDS deutlich häufiger auf als ohne Dermatose. So fanden sich in einer repräsentativen Stichprobe in Deutschland in 4,9% Aspekte der Entstellung, während es bei mehr als 1000 Aknepatienten im Altersdurchschnitt von 14 Jahren 14,7% waren, die deutliche Entstellungsgefühle aufwiesen. In einer kleineren spanischen Stichprobe von Aknepatienten fanden die Autoren sogar 23,4% Entstellungsprobleme.

Dysmorphophobie korreliert, wie aus Studien bekannt ist, mit einem deutlichen sozialen Rückzug und «skin picking» sowie mit Essstörungen. Dieser Rückzug übersteigt das Mass normaler Schüchternheit deutlich, d.h., die betroffenen Menschen gehen nicht mehr vor die Tür, nehmen keinen Kontakt mehr auf, sind arbeitsunfähig, sozial ausgegliedert und nicht selten auch suizidal. Sie entwickeln häufig Essstörungen und mittelschwere oder schwere Depressionen. Meistens ist damit ein Ansteigen des Körpergewichts verbunden. Dann folgen häufig Diäten. In etwa 15% der Fälle gibt es ausserdem suizidale Reaktionen.

Psychotherapie als Behandlungsoption

Die Behandlung der Menschen mit Dysmorphophobie ist schwierig. Natürlich kann man Operationen durchführen, um diesen Menschen zu helfen, besser mit
ihrer Krankheit fertigzuwerden. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich die Einstellung der Patienten zu ihrem Körper dadurch nur höchst selten verändert. Bei der plastisch-ästhetischen Behandlung fühlen sich zwar etwa 15% hinterher besser, aber über 20% fühlen sich danach schlechter.

Die Behandlung von Patienten mit KDS ist bisher nur wenig untersucht worden. Es liegen Studien zur Einzelverhaltenstherapie im ambulanten Setting vor, die zeigen, dass eine Psychotherapie sinnvoll ist, wenn es auch prognostisch wesentlich vom Zeitpunkt der Diagnose abhängt, ob eine Chance besteht, die Erkrankung zu stabilisieren und ein normales soziales Leben wiederherzustellen. Erst in diesem Jahr wurden einige Psychotherapiestudien publiziert, die mit randomisierten Kontrollgruppen durchgeführt wurden. Die vorliegenden Psychotherapiestudien favorisieren einen kognitiv-behavioralen Ansatz, aber auch Internet-basierte Psychotherapie und psychodynamische Psychotherapie wurden beschrieben. In der dermatologischen Praxis gilt es, die Störung frühzeitig zu erkennen, aktiv anzusprechen und auf die möglichen Psychotherapien im Rahmen eines Netzwerkes mit Fachpsychotherapeuten hinzuweisen. Um allgemein bei chronisch-entzündlichen Dermatosen der Entwicklung von Stigmatisierungsproblemen vorzubeugen, wird empfohlen, schon bei der ersten Besprechung der Diagnose und möglicher Dermatotherapien diese Aspekte mitanzusprechen und gezielte Unterstützung bezüglich der Entwicklung von Stigmatisierung bzw. Entstellung im Sinne einer Prävention anzubieten. Stigmatisierung, die sich in reales Stigmatisierungserleben und antizipiertes Stigmaerleben aufteilt, beeinflusst auch die Adhärenz und deshalb sollte dieser Aspekt in die Therapiebesprechung mit aufgenommen werden. Bei schwereren Formen der KDS mit Komorbiditäten scheint jedoch die ambulante Therapie nicht auszureichen und eine fachpsychotherapeutische stationäre Behandlung ist indiziert.

Buhlmann U et al.: Psychiatry Res 2010; 178(1): 171-5 • Capoccia D et al.: Clin Ter 2015; 166(4): e248-53 • Constantian MB, Lin CP: Plast Reconstr Surg 2014; 134(4): 823-35 • Enander J et al.: BMJ Open 2019; 9(1): e024307 • Gentile AJ et al.: BMJ Open 2019; 9(3): e024693 • Gieler T et al.: Acta Derm Venereol 2016; 96(217): 83-90 • Gieler T, Brähler E: Hautarzt 2016; 67(5): 385-90 • Gieler T et al.: unveröffentlichtes Manuskript, 2019 • Gieler U: In: Aglaja Stirn et al. (Hrsg.): Körperkunst und Körpermodifikation. Psychosozial 2003; 26: 55-64 • Lahousen T et al.: Hautarzt 2017; 68(12): 973-9 • Marron SE et al.: Actas Dermosifiliogr 2019; 110(1): 28-32 •Rief W et al.: Psychol Med 2006; 36(6): 877-85 • Semiz U et al.: Acta Neuropsychiatr 2008; 20(1): 33-40 • Stangier U, Hungerbühler R: Zeitschrift für Klinische Psychologie 2001; 30(2): 77-83 • Stangier U: Göttingen: Hogrefe, 2002 • Veale D et al.: Behav Res Ther 1996; 34: 717-29 • Wilhelm P et al.: JAMA Psychiatry 2019; 76(4): 363-73 • Wilver NL, Cougle JR: J Consult Clin Psychol 2019; 87(3): 257-69

Back to top