
«Whistleblower:innen geht es in der Schweiz schlecht»
Die Autorin und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen (sQmh) Erika Ziltener erklärt, warum Whistleblowing gut ist und der Föderalismus meistens nicht.
Welche Herausforderungen im schweizerischen Gesundheitswesen sind derzeit am drängendsten?
Wir haben in der Schweiz eine sehr gute Gesundheitsversorgung mit Spitzenmedizin, die im Grossen und Ganzen für alle zugänglich ist. Aber es gibt grosse Probleme mit Qualitätslücken, vor allem beim Thema Sicherheit – das betrifft Patient:innen, aber auch das Personal. Das Meldesystem CIRS wird derzeit nicht konsequent und flächendeckend umgesetzt. Ziel sollte eine «just culture» sein, wo es gilt, aus Fehlern zu lernen und den Blick darauf zu richten, was im System und bei den Prozessen falsch läuft. Noch wird allerdings zu oft zuerst nach Schuldigen gesucht. So können wir uns aber nicht verbessern. Eine Vertrauensbasis ist nötig, damit wir aus Fehlern lernen (dürfen).
Wie kann das gelingen?
Das CIRS basiert auf Vertrauen und das zeigt, wie und wann welche Massnahmen in den verschiedensten Bereichen umgesetzt werden müssen. Für mein Buch «Zwischen Sorge, Hoffnung und Vertrauen. Patientinnen, Patienten und Personal – mehr Sicherheit für alle» habe ich unter anderem zu Whistleblowing im Universitätsspital in Zürich recherchiert. Die Situation dort ist in diesem Zusammenhang katastrophal und leider kaum eine Ausnahme. Whistleblower:innen haben eine ganz schlechte Position in der Schweiz, das muss sich ändern. Wenn wir die Umsetzung der «just culture» schaffen, dann – und da bin ich mir sicher – wird es weniger Burnouts, weniger Berufsaussteiger:innen und weniger «second victims», also Menschen, die aufgrund eines vielleicht fatalen Behandlungsfehlers nicht mehr arbeiten können oder dürfen, geben. Zum Glück gibt es schon gute Initiativen, vor allem in der Pflege.
Welche Initiativen sind das?
Einerseits wurde in der Schweiz die Pflegeinitiative angenommen. Da findet jetzt eine Ausbildungsoffensive des Bundes statt. Was noch neu ist: Die Pflege hat durch das revidierte Krankenversicherungsgesetz mehr Kompetenzen erhalten. Vorher musste alles ärztlich verordnet werden, jetzt kann die Pflege teilweise selbstständig verordnen. Bei der sQmh engagieren wir uns ausserdem dafür, dass das Pflegeleistungserfassungssystem in den Spitälern abgeschafft wird. Wir wollen den administrativen Abbau überall in der Gesundheitsversorgung vorantreiben.
Apropos Administration und Bürokratie – welche Rolle spielt die Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Ich sehe die Digitalisierung als unsere grosse Chance, wenn wir uns der Risiken bewusst sind. Sie kann überall helfen, in der Reha, der Akutmedizin, in den Spitälern und so weiter. Das Bundesamt für Gesundheit hat das Programm DigiSanté auf die Beine gestellt. Das ist ein jahrelanges Projekt, wo viel Geld drinsteckt. Hier schauen wir, wo wir konkret mitarbeiten und uns einbringen können. Bei künstlicher Intelligenz zum Beispiel ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen und darauf zu achten, wo es noch Risiken gibt. Zur Sensibilisierung im Umgang mit KI bieten wir Weiterbildung und Veranstaltungen an. Aber auch beim Pflegeleistungssystem, bei den Schnittstellen, bei der Kompatibilität der Systeme müssen wir über die Digitalisierung zu einer Verbesserung ansetzen – das gilt auch für die Harmonisierung von Gesundheitsdaten. Das Spital muss derzeit an verschiedene Stellen Daten liefern. Es sind Bestrebungen im Gang, die Daten an einer Stelle zusammenzulegen, damit auch die Auswertung dort stattfinden kann. Hier steht uns auch der Föderalismus teilweise noch im Weg. Der eine Kanton macht es so, der andere so und beide wollen zu oft nicht von ihren Vorgehensweisen abweichen. Das verursacht Probleme. Grundsätzlich ist auch bei Digitalisierung das Wichtigste, auf Nachhaltigkeit zu achten. Wir müssen nachhaltig denken, sonst entwickeln wir uns nicht weiter. (Das Interview führte Katrin Grabner)
Lic. phil. I Historikerin Erika Ziltener
Dipl. Pflegefachfrau, Autorin und
Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen,
Mitglied einer kantonalen Ethikkommission
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