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«Sich vorwärtsbewegen»
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30
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31.08.2017
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<p class="article-intro">Biomarker, um herauszufinden, welche Patienten von Immunsuppressiva profitieren, ernüchternde Ergebnisse für Vitamin-D-Analoga bei Dialysepatienten, eine verblüffend einfache Strategie zur Reduktion der Hospitalisationsrate bei Dialysepatienten: Der Kongress der Europäischen Gesellschaften für Nierenkrankheiten, Dialyse und Transplantationen (ERAEDTA) bot ein breites Spektrum an Themen. Wir berichten für Sie über einige Highlights.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Nephrologie war die erste Disziplin, die es geschafft hat, die Funktion eines Organs mittels Ersatztherapie für viele Jahre aufrechtzuerhalten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch die ersten sein werden, die die Organfunktion vollumfänglich werden regenerieren können. » Voller Enthusiasmus eröffnete der Kongresspräsident Prof. Dr. med. Jorge B. Cannata-Andía aus Spanien den 54. Kongress der Europäischen Gesellschaften für Nierenkrankheiten, Dialyse und Transplantationen (ERA-EDTA). Als Motto für den diesjährigen Kongress habe er «Moving forward» gewählt, weil immer noch viele meinten, die Nephrologie beschäftige sich nur mit den Nieren. «Wir müssen unsere Disziplin aber breiter wahrnehmen», forderte Cannata-Andía. «Bei Nierenkrankheiten geht es um eine Art systemische Krankheit. Sie betreffen auch andere Organsysteme und verursachen viele Komorbiditäten. » Abgesehen davon sei Nephrologie ein sehr innovatives Fachgebiet und würde sich auch deshalb ständig vorwärtsbewegen.</p> <h2>Spezifische Therapie für das nephrologische Sorgenkind</h2> <p>Ein ständiges «Sorgenkind» der Nephrologen sind die Glomerulonephritiden (GN). Sie sind in Europa nach der diabetischen und der hypertensiven Nephropathie der dritthäufigste Grund für eine fortgeschrittene Niereninsuffizienz oder ein Nierenversagen. Die IgA-Nephropathie ist die häufigste idiopathische GN, und sie ist der häufigste Grund dafür, dass junge Erwachsene dialysiert werden müssen. Eine zentrale Rolle bei der Pathogenese spielen Ablagerungen von Galaktose-defizientem IgA1 (Gd-IgA1) in den Glomeruli, welche die Entzündung vorantreiben. Die Behandlung der IgA-Nephropathie basiert immer noch zum grössten Teil auf Expertenmeinung oder auf schwacher Evidenz. Jetzt könnte endlich ein spezifisches Medikament für die IgA-Nephropathie gefunden worden sein. Es handelt sich um eine neue Formulierung von Budesonid («targeted- release formulation», TRF). Seit mehr als 50 Jahren werden antiinflammatorische Medikamente und Immunsuppressiva eingesetzt, unter anderem Kortikosteroide und sogar Zytostatika. Alle diese Medikamente gehen aber mit potenziell schweren Nebenwirkungen einher. Bei TRF-Budesonid wird der Wirkstoff erst im distalen Ileum freigesetzt. Dort soll es gezielt die Produktion von Gd-IgA1 hemmen und gleichzeitig mit einem geringeren Risiko für steroidbedingte Nebenwirkungen einhergehen. In der NEFIGANStudie reduzierte die neunmonatige Behandlung mit TRF-Budesonid zusätzlich zu einer optimalen RAS-Blockade die Proteinurie und stabilisierte die glomeruläre Filtrationsrate bei Patienten mit fortgeschrittener IgA-Nephropathie. Die Nebenwirkungsrate war gleich hoch wie in der Kontrollgruppe.<sup>1</sup> «Die Resultate weisen darauf hin, dass mit TRF-Budesonid das Risiko für eine weitergehende Progression bis hin zum terminalen Nierenversagen reduziert werden kann», so das Fazit von Studienleiter Prof. Dr. med. Bengt Fellström von der Universität Uppsala (Schweden). «Durch den gezielten Ansatz an der gestörten mukosalen Immunität im Darm könnte TRF-Budesonid die erste spezifische Therapie der IgA-Nephropathie werden.»</p> <h2>Neuer Biomarker</h2> <p>Andere Forscher versuchen indes herauszufinden, bei welchen Patienten mit einer IgA-Nephropathie man auf Immunsuppressiva verzichten könnte. Die STOP-IgAN-Studie<sup>2</sup> wies darauf hin, dass eine unterstützende Therapie, im Sinne einer maximalen antihypertensiven und antiproteinurischen Behandlung, bei vielen Patienten genauso effektiv sein könnte wie Immunsuppressiva. Manche Patienten profitieren aber durchaus von Immunsuppressiva und erreichen darunter eine vollständige klinische Remission. Unklar war bisher jedoch, wie diese Patienten erkannt werden können. Bisher wurden nur wenige Biomarker zur Vorhersage des Progressionsrisikos vorgeschlagen. Jetzt hat die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. med. Jürgen Floege, Direktor der Klinik für Nierenund Hochdruckkrankheiten an der Universitätsklinik Aachen, möglicherweise einen geeigneten Marker gefunden: In einer Studie, die unter «late breaking clinical trials» vorgestellt wurde, fanden die Forscher einen Zusammenhang zwischen höheren Gd-IgA1-Serumspiegeln und einem schlechteren Outcome.<sup>3</sup> Dafür analysierten sie die Gd-IgA1-Spiegel der Patienten, die in der STOP-IgAN-Studie nicht auf die unterstützende Therapie angesprochen hatten. Von den 104 Non-Respondern hatten die Patienten, die später ein terminales Nierenversagen erlitten hatten, deren eGFR um mehr als 30ml/ min/1,73m<sup>2</sup> gesunken war oder die keine vollständige klinische Remission erreicht hatten, zu Studienbeginn höhere Gd-IgA1- Spiegel. «Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit hohen Gd-IgA1-Spiegeln Hochrisikopatienten sind», so das Fazit von Floege. «Die Gd-IgA1-Spiegel vor Therapiebeginn könnten ein guter Biomarker sein, um die Patienten herauszufiltern, die eine intensivere Therapie benötigen.»</p> <h2>Vitamin-D-Forschung</h2> <p>Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist die Aktivierung von Vitamin D extrem eingeschränkt – vor allem wenn der Patient hämodialysiert wird. Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass der Einsatz von Vitamin-D-Rezeptor-Aktivatoren (VDRA) bei Dialysepatienten mit einer geringeren kardiovaskulären und Gesamtmortalität assoziiert war – unabhängig vom Parathormon( PTH)-Spiegel.<sup>4</sup> Prof. Dr. med. Tesuo Shoji von der Universität Osaka (Japan) und sein Team untersuchten nun, ob Dialysepatienten mit normalen PTH-Spiegeln von einer VDRA-Therapie profitieren. Die Ergebnisse der randomisierten J-DAVID- Studie (Japan Dialysis Active Vitamin D) mit 976 Patienten, die in Madrid ebenfalls als «late breaking clinical trial» präsentiert wurde, enttäuschten jedoch.<sup>5</sup> VDRA reduzierten das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten nicht – im Gegenteil: Es war sogar ein wenig höher, wenn auch nicht statistisch signifikant. Über die Ergebnisse lässt sich bisher nur spekulieren. VDRA erhöhen die Serumspiegel von Kalzium und FGF23, die beide mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert sind. «Diese Effekte könnten den potenziellen Benefit einer Supplementierung mit aktivem Vitamin D aufheben», erklärte Shoji.</p> <h2>Mit einem einfachen Sportprogramm das Outcome verbessern</h2> <p>Eine andere Massnahme zeigte dagegen positive Effekte – und dazu ist sie auch noch einfach und preiswert. Dialysepatienten, die zu Hause ein Trainingsprogramm absolvierten, schnitten nach sechs Monaten im 6-Minuten-Gehtest und im Sitzen-stehen-sitzen-Test deutlich besser ab als zu Studienbeginn.<sup>6</sup> In der Kontrollgruppe ohne Training wurden solche Veränderungen erwartungsgemäss nicht beobachtet. Auch die kognitiven Funktionen und die Qualität der sozialen Interaktionen besserten sich in der Trainingsgruppe mehr als in der Kontrollgruppe. Nach 36 Monaten ging das körperliche Training mit einem reduzierten Risiko für Hospitalisierungen einher. Dabei hatten die Patienten, die das Übungsprogramm am strengsten befolgten, das geringste Risiko. «Ein einfaches, individuelles Übungsprogramm mit geringer Intensität, das die Patienten zu Hause machen können und das vom Dialysepersonal koordiniert werden kann, verbessert bei Patienten, die dabeibleiben, die körperliche Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität und reduziert das Risiko für Hospitalisationen», so das Fazit von Studienleiterin Prof. Dr. med. Francesca Mallamaci, Direktorin der Abteilung für Nephrologie, Hypertonie und Nierentransplantation am Ospedale Bianchi Melacrino Morelli, Reggio Calabria (Italien).</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 54. Kongress der ERA-EDTA, 3.–6. Juni 2017, Madrid
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<p><strong>1</strong> Fellström BC et al.: Targeted-release budesonide versus placebo in patients with IgA nephropathy (NEFIGAN): a double-blind, randomised, placebo-controlled phase 2b trial. Lancet 2017; 389: 2117-27 <strong>2</strong> Rauen T et al.: Intensive supportive care plus immunosuppression in IgA nephropathy. N Engl J Med 2015; 373: 2225-36 <strong>3</strong> Floege J et al.: Galactose-deficient IgA1 levels predict renal outcome in the STOP-IgAN trial cohort. ERA-EDTA 2017, Abstract #3409 <strong>4</strong> Teng M et al.: Activated injectable vitamin D and hemodialysis survival: a historical cohort study. J Am Soc Nephrol 2005; 16: 1115-25 <strong>5</strong> Shoji T et al.: Active vitamin D in the prevention of cardiovascular events in haemodialysis patients: the Japan Dialysis Active Vitamin D (J-DAVID) trial. ERA-EDTA 2017, Abstract #3404 <strong>6</strong> Mallamaci F et al.: A personalized walking exercise program reduces the risk of hospitalization in dialysis patients. ERA-EDTA 2017, Abstract #3410</p>
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