
Antikoagulation bei eingeschränkter Nierenfunktion
Bericht:
Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Aus mehreren Gründen haben die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) weitgehend als orale Antikoagulanzien abgelöst. Einer davon ist die beschleunigte Abnahme der Nierenfunktion unter VKA. Das Allheilmittel sind die DOAK aber nicht, wie dieser Vortrag vom WebUp Nephrologie zeigt. Vor allem bei der terminalen Niereninsuffizienz inkl. Nierenersatztherapie fehlt die Evidenz für den Einsatz der Substanzen.
Vorhofflimmern (VHF) ist in der ärztlichen Praxis ein alltägliches Problem. Die Prävalenz des VHF nimmt mit abnehmender Nierenfunktion zu, gleichzeitig steigt auch das Risiko für Schlaganfälle und systemische Embolien. Mit der oralen Antikoagulation (OAK) zur Thromboembolieprophylaxe nimmt bei fortschreitender chronischer Nierenerkrankung (CKD) allerdings auch das Blutungsrisiko zu.
Die OAK mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wurde weitgehend durch die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) abgelöst. Im Unterschied zu VKA, die nicht renal eliminiert werden, erfolgt die Ausscheidung des direkten Thrombin-Inhibitors Dabigatran zu 80% über die Nieren. Die direkten Faktor-Xa-Inhibitoren Edoxaban, Rivaroxaban und Apixaban werden zu 50%, 35% und 27% über die Nieren eliminiert.1 Die Steuerung der VKA erfolgt über den INR (INR-Zielwert bei VHF 2,0–3,0). Ein zu hoher INR-Wert kann das Risiko für eine Blutung erhöhen. Bei subtherapeutischen INR-Werten nimmt das Schlaganfallrisiko zu.2 Neben der einfacheren Handhabung sind vor allem drei Gründe für den bevorzugten Einsatz von DOAK entscheidend:
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Bei der CKD wird es mit fortschreitender Niereninsuffizienz immer schwieriger, den INR-Zielwert zu erreichen. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse oder Blutungen nimmt zu.
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Die OAK mit VKA ist mit einem erhöhten Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) assoziiert, wie unter anderem eine Studie des ORBIT-AF-II-Registers zeigt (Abb. 1).3–5 Dieser Effekt könnte eine Folge der zunehmenden Gefässkalzifikation aufgrund der Vitamin-K-Antagonisierung sein – ein Effekt, der bei DOAK fehlt.
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Die OAK mit VKA ist der Hauptrisikofaktor für eine urämisch kalzifizierende Arteriolopathie (Calciphylaxie). Die seltene aber schwerwiegende Erkrankung mit Hautnekrose tritt mehrheitlich im CKD-Stadium 5 auf und zu circa 40% in früheren CKD-Stadien.6
Abb. 1: Signifikante Verschlechterung der Nierenfunktion unter der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten im Vergleich zu DOAK (adaptiert nach Inohara et al., 2020)3
OAK im CKD-Stadium 3
Ein systematischer Review mit 53 Publikationen, der die Wirkung und Sicherheit von DOAK im Vergleich zu VKA zur Prophylaxe rekurrierender venöser Thromboembolien (VTE) bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance (CrCl) von 30–50ml/min untersuchte, zeigte, dass die DOAK den VKA hinsichtlich ihrer Effektivität nicht unterlegen waren. Was das Auftreten von Blutungen betraf, waren die DOAK den VKA signifikant überlegen.7 Ähnliche Ergebnisse zeigte die Thromboembolieprophylaxe mit DOAK versus VKA bei Patienten mit VHF.
OAK im CKD-Stadium 4
Bei Patienten mit schwerer CKD waren die DOAK den VKA in der Prävention rekurrierender VTE nicht unterlegen und führten zu signifikant weniger Blutungen.8 Eine koreanische Metaanalyse von 19 Studien mit Patienten mit VHF und schwerer CKD (CrCl <30ml/min) zeigte ebenfalls hinsichtlich der Effektivität eine Nichtunterlegenheit und weniger Blutungskomplikationen der DOAK im Vergleich zu VKA.9 Die Dosis der DOAK muss abhängig vom CKD-Stadium reduziert werden (Abb. 2).1,10 «Regelmässige Kreatininkontrollen bei CKD-Patienten im Stadium 3 und 4 sind wichtig, um auf Veränderungen der Nierenfunktion rechtzeitig mit einer Dosisanpassung reagieren zu können», betonte Dr. med. Robert Schorn, Leitender Arzt Nephrologie am Spital Lachen. Die European Heart Rhythm Association (EHRA) empfiehlt bei einer GFR <30ml/min/1,73m2 aufgrund der niedrigen renalen Clearance, der bereits erfolgten Dosisreduktion auf 50% und der verfügbaren Evidenz aus RCT, zur Antikoagulation bevorzugt Apixaban oder Edoxaban einzusetzen.1 Ein direkter Vergleich der beiden Substanzen existiert nicht.
OAK im CKD-Stadium 5, inkl. Nierenersatztherapie
Die Datenlage zur OAK mit VKA oder DOAK bei Patienten mit einer CKD im Stadium 5 resp. 5D ist insgesamt dürftig. Ein systematischer Review inkl. Metaanalyse von 12 prospektiven oder retrospektiven Beobachtungsstudien, der eine Thromboembolieprophylaxe mit VKA bei 17000 hämodialysepflichtigen Patienten mit VHF untersuchte, konnte einen Trend, jedoch keine signifikante Reduktion von ischämischen Schlaganfällen zeigen. Dagegen führte die Behandlung zu einer signifikanten Zunahme von Blutungen, insbesondere von hämorrhagischen Schlaganfällen.11
Abb. 3: Laufende Studien zur OAK bei CKD 5D. Quelle: https://clinicaltrials.gov
Eine OAK mit DOAK ist gemäss den EHRA-Leitlinien im CKD-Stadium 5 (GFR <15ml/min/1,73m2) oder bei Dialysepflicht kontraindiziert und weder von der Swissmedic noch von der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen.1 Demgegenüber hat die U.S. Food and Drug Administration der OAK mit Apixaban bei Patienten mit einem CKD-Stadium 5 die Zulassung erteilt. Das Verhältnis von Nutzen und Risiko lässt sich schwer abschätzen. Eine Metaanalyse von 16 Beobachtungsstudien (n=17877), inkl. 2 Studien mit DOAK, zeigt, dass eine OAK mit VKA oder Apixaban (2x tägl. 2,5mg) bei Patienten an der Langzeitdialyse die Häufigkeit von ischämischen Schlaganfällen nicht reduzierte. Das Blutungsrisiko war dagegen unter VKA, Dabigatran und Rivaroxaban höher als unter Apixaban oder bei Verzicht auf eine OAK.12 Eine Kohortenstudie, die die Therapie mit Apixaban (2x tägl. 2,5 oder 5mg) versus den Verzicht auf eine OAK bei dialysepflichtigen Patienten verglich, zeigte ebenfalls keinen Nutzen für das Schlaganfallrisiko, aber ein häufigeres Auftreten von Blutungen unter Apixaban.13 Insgesamt 3 randomisierte kontrollierte Studien untersuchten die OAK mit DOAK versus VKA. Die belgische VALKYRIE-Studie verglich die OAK mit VKA mit Rivaroxaban (10mg) bei 132 Hämodialysepatienten mit einem VHF. Das Ergebnis zeigte keinen Unterschied bezüglich der Schlaganfallhäufigkeit, aber eine Reduktion von tödlichen und nichttödlichen kardiovaskulären Ereignissen sowie weniger Blutungen unter Rivaroxaban.14 Die Ergebnisse der US-amerikanischen RENAL-AF-Studie zum Vergleich einer OAK mit VKA versus Apixaban (2x 2,5mg tägl.) zur Schlaganfallprophylaxe bei dialysepflichtigen CKD-Patienten mit einem VHF waren aufgrund von Rekrutierungsproblemen nicht konklusiv.15 Die deutsche AXADIA-AFNET-Studie, die die Therapie mit VKA versus Apixaban (2x 2,5mg tägl.) bei 97 Patienten mit dialysepflichtiger CKD und VHF evaluierte, konnte hinsichtlich der Effektivität und des Blutungsrisikos keinen Unterschied zwischen den beiden OAK zeigen.16 Mehr Evidenz dürften die aktuell laufenden RCT (Abb. 3) liefern. «Aufgrund der verfügbaren Evidenz bleibt die Indikation zur Antikoagulation bei Patienten mit einer CKD im Stadium 5 und VHF eine individuelle Entscheidung, die eine gute Information des Patienten und Dokumentation erfordert», so der Spezialist. Eine Behandlung mit DOAK ist in diesen Fällen bislang weder empfohlen noch zugelassen. Die persönliche Meinung des Referenten lautete: keine OAK zur Primärprävention bei Patienten mit einem CKD-Stadium 5 und VHF, regelmässige INR-Kontrollen bei der Behandlung mit VKA, Diskussion eines Vorhofohrverschlusses und keine Therapie mit OAK bei Patienten mit Blutungsanamnese.
Aufgrund von fehlenden Daten zur DOAK-Therapie bleiben VKA unabhängig von der GFR bei Personen mit einem mechanischen Herzklappenersatz oder valvulärem VHF auch weiterhin die einzige Option zur OAK.
Neues Krankheitsbild: Anticoagulant-related Nephropathy (ARN)
Die Anticoagulant-related Nephropathy, kurz ARN, ist eine neue, noch nicht gut untersuchte Ätiologie der akuten Nierenschädigung. Die Erkrankung wurde erstmals 2009 von Sergey Brodsky, einem Pathologen der Columbus-Universität, Ohio, beschrieben.17 Das Auftreten wird vor allem unter einer Überantikoagulation mit VKA beobachtet (INR >3,0). Die Prävalenz ist unklar. Das Risiko scheint aber unter VKA grösser zu sein als bei einer OAK mit DOAK.18 Histologisch findet sich bei den Patienten ein akuter Tubulusschaden mit Erythrozyten und Erythrozytenzylindern im Tubulussystem. Diese verursachen eine Obstruktion und eine direkte Schädigung der Tubuli durch Hämoglobin und Eisen. Risikofaktoren für eine ARN sind hohes Alter, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und eine vorbestehende Nephropathie, insbesondere vom Typ «Syndrom der dünnen Basalmembran». Die Therapie besteht in einem Stopp der OAK und gegebenenfalls einem Ersatz durch Heparin. Der Stellenwert von Kortikosteroiden ist ungeklärt. «An die Anticoagulant-related Nephropathy sollte gedacht werden bei Patienten mit einer OAK und einer akuten Nierenschädigung unklarer Ätiologie», so Schorn.
Quelle:
WebUp Experten-Forum «Update Nephrologie», 2. März 2023
Literatur:
1 Steffel J et al.: The 2018 European Heart Rhythm Association practical guide on the use of non-vitamin K antagonist oral anticoagulants in patients with atrial fibrillation. Eur Heart J 2018; 39: 1330-93 2 Limdi NA et al.: Kidney function influences warfarin responsiveness and hemorrhagic complications. J Am Soc Nephrol 2009; 20: 912-21 3 Inohara T et al.: Decline in renal function and oral anticoagulation dose reduction among patients with atrial fibrillation. Heart 2020; 106: 358-64 4 Sittichocharoenchai P et al.: Non-vitamin K antagonist oral anticoagulants provide less adverse renal outcomes than warfarin in non-valvular atrial fibrillation: a systematic review and metaanalysis. J Am Heart Assoc 2021; 10: e019609 5 González Perez A et al.: Renal decline in patients with non-valvular atrial fibrillation treated with rivaroxaban or warfarin: a population-based study from the United Kingdom. Int J Cardiol 2022; 352: 165-71 6 McCarthy JT et al.: Survival, risk factors, and effect of treatment in 101 patients with calciphylaxis. Mayo Clin Proc 2016; 91: 1384-94 7 Parker K et al.: A systematic review of the efficacy and safety of anticoagulants in advanced chronic kidney disease. J Nephrol 2022; 35: 2015-33 8 Alhousani M et al.: Using oral anticoagulants among chronic kidney disease patients to prevent recurrent venous thromboembolism: a systematic review and meta-analysis. Thromb Res 2021; 198: 103-14 9 Rhee TM et al.: Efficacy and safety of oral anticoagulants for atrial fibrillation patients with chronic kidney disease: a systematic review and meta-analysis. Front Cardiovasc Med 2022; 9: 885548 10 Stamellou E, Floege J: Novel oral anticoagulants in patients with chronic kidney disease and atrial fibrillation. Nephrol Dial Transplant 2018; 33: 1683-9 11 Van der Mersch H et al.: Vitamin K antagonists for stroke prevention in hemodialysis patients with atrial fibrillation: a systematic review and meta-analysis. Am Heart J 2017; 184: 37-46 12 Kuno T et al.: Oral anticoagulation for patients with atrial fibrillation on long-term hemodialysis. J Am Coll Cardiol 2020; 75: 273-85 13 Mavrakanas TA et al.: Apixaban versus no anticoagulation in patients undergoing long-term dialysis with incident atrial fibrillation. Clin J Am Soc Nephrol 2020; 15: 1146-54 14 De Vriese AS et al.: Safety and efficacy of vitamin K antagonists versus rivaroxaban in hemodialysis patients with atrial fibrillation: a multicenter randomized controlled trial. J Am Soc Nephrol 2021; 32: 1474-83 15 Pokorney SD et al.: Apixaban for patients with atrial fibrillation on hemodialysis: a multicenter randomized controlled trial. Circulation 2022; 146: 1735-45 16 Reinecke H et al.: A randomized controlled trial comparing apixaban with the vitamin K antagonist phenprocoumon in patients on chronic hemodialysis: the AXADIA-AFNET 8 study. Circulation 2023; 147: 296-309 17 Brodsky SV et al.: Acute kidney injury during warfarin therapy associated with obstructive tubular red blood cell casts: a report of 9 cases. Am J Kidney Dis 2009; 54: 1121-6 18 Zahkocka I, Wojcoech Z: Anticoagulant-related nephropathy: focus on novel agents. Adv Clin Exp Med 2022; 31: 165-73