Spezifische Diabetesformen erkennen und korrekt behandeln
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Neben Diabetes Typ 1 und Typ 2 (DT1, DT2) gibt es auch seltene spezifische Diabetesformen (Typ 3). Sie werden häufig nicht oder falsch diagnostiziert. Eine korrekte Diagnose ist aber wichtig, da dies oft Konsequenzen für die Behandlung hat, wie Prof. Dr. med. Peter Wiesli, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Frauenfeld, am FOMF Diabetes Update Refresher ausführte.
Keypoints
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Spezifische Diabetesformen werden häufig falsch klassifiziert. Die richtige Klassifizierung hat oft Konsequenzen für die Behandlung.
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Haben viele Familienmitglieder einen Diabetes und eine Schwerhörigkeit, muss an einen mitochondrialen Diabetes (MIDD) gedacht werden.
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Der MIDD wird nur von den Müttern vererbt.
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Metformin ist bei MIDD absolut kontraindiziert.
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Der MODY wird oft falsch als DT1 klassifiziert.
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Bei MODY gibt es in der Regel in jeder Generation Betroffene.
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Ein permanent leicht erhöhter Nüchtern-BZ ist typisch für MODY 2; die Insulinsekretion ist nicht eingeschränkt, sie springt aber erst bei höheren BZ-Werten an.
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Bei MODY 2 ist keine Behandlung nötig, ausser in der Schwangerschaft. Es treten keine Spätkomplikationen auf.
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Typisch für MODY 3 ist die niedrige Nierenschwelle. Glukose wird bereits ab BZ-Werten <10mmol/l im Urin ausgeschieden.
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Der MODY 3 spricht sehr gut auf Sulfonylharnstoffe an.
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Das Vorliegen von Zysten in den Nieren ist typisch für MODY 5.
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Bei Vorliegen von Diabetes und Arthralgien sollte an eine Hämochromatose gedacht werden.
In der klassischen Diabetesklassifikation wird zwischen DT1, DT2, spezifischen Diabetesformen und dem Gestationsdiabetes unterschieden. «Bei der Klassifikation machen wir alle Fehler», gestand Wiesli. Bei Erwachsenen mit einem DT1 wird dieser in 40% der Fälle als DT2 klassifiziert, und ein MODY («maturity onset diabetes of the young») wird bei Kindern und Adoleszenten auch etwa in 40% als DT1 diagnostiziert. Ein Diabetes, der unter einer Behandlung mit Immuncheckpoint-Inhibitoren auftritt, wird oft nicht als DT1 erkannt, weil die Autoantikörper bei mehr als der Hälfte der Fälle negativ sind. Auch der pankreatoprive Diabetes wird häufig nicht erkannt und fälschlicherweise als DT2 diagnostiziert.1
Neben verschiedenen Klassen werden beim Diabetes auch fünf Subtypen unterschieden. Dazu gehören der schwere Autoimmundiabetes (SAID, 6%), der dem klassischen DT1 und dem spät auftretenden DT1 (LADA) entspricht, und beim DT2 der schwere insulinmangelbetonte Diabetes (SIDD, 18%), der schwere insulinresistenzbetonte Diabetes (SIRD, 15%), der moderate adipositasassoziierte Diabetes (MOD, 22%) und der moderate Altersdiabetes (MARD, 39%).2
Die Einteilung der spezifischen Diabetesformen erfolgt anhand der Ursache:3
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3a: genetische Defekte der Betazellfunktion (Typ 3a; z.B. mitochondrialer Diabetes [MIDD], MODY)
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3b: genetische Defekte der Insulinwirkung
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3c: Erkrankungen des exokrinen Pankreas (z.B. Hämochromatose)
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3d: Endokrinopathien (z.B. Akromegalie, Morbus Cushing)
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3e: Medikamente (z.B. Glukokortikoide)
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3f: Infektionen
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3g: immunvermittelte Defekte (z.B. bei Stiff-Person-Syndrom)
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3h: genetische Syndrome (z.B. Klinefelter, Turner)
Abklärung des Diabetestyps
In der Diagnostik helfen mehrere Kriterien, die man sich einfach mit AABBCC(C) merken kann: Autoimmunität, Alter, BMI, «Background» (Familienanamnese), C-Peptid, «Comorbidities» und eventuell auch «Control», d.h. HbA1c bei Diagnosestellung und wie gut der Diabetes mit Antidiabetika oder Insulin kontrolliert werden kann.
Sind die Autoantikörper (Anti-GAD-Antikörper, Anti-IA-2-Antikörper, Anti-Zinktransporter[ZnT]-8-Antikörper) positiv, kann die Diagnose eines DT1 gestellt werden. «Sind sie negativ, schliesst dies einen DT1 nicht aus, weil zwar die Spezifität der Autoantikörper 99% beträgt, die Sensitivität aber viel niedriger ist», erklärte Wiesli.
Bei negativen Autoantikörpern geben weitere Charakteristika Hinweise auf den Diabetestyp. Ein eher jüngeres Alter (<35 Jahre), normales Gewicht, negative Familienanamnese, ein C-Peptid-Insulin-Quotient, der für einen Insulinmangel spricht, das Fehlen von Komorbiditäten und ein Blutzucker (BZ), der sich mit Antidiabetika nur schlecht einstellen lässt, sind Hinweise auf das Vorliegen eines DT1 oder eines insulinmangelbetonten Diabetes. Der Altersdiabetes kann sich (abgesehen vom Alter) auch so präsentieren. Sind die Patient:innen hingegen älter (>35 Jahre), liegt der BMI >28kg/m2, ist die Familienanamnese positiv, das C-Peptid hoch, sind Komorbiditäten/ein metabolisches Syndrom vorhanden und lässt sich der BZ medikamentös gut einstellen, spricht dies für einen DT2, einen insulinresistenzbetonten oder einen adipositasassoziierten Diabetes.
Liegt bereits eine andere Autoimmunkrankheit vor (z.B. Vitiligo, M. Basedow) ist dies ein Hinweis auf einen DT1. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Familienanamnese. Von eineiigen Zwillingen sind bei DT1 nur in einem Drittel der Fälle beide betroffen, bei DT2 sind es hingegen über 80%.
Diabetes bei genetischen Defekten der Betazellfunktion
MIDD
«Sind viele Mitglieder einer Familie von Diabetes betroffen, ist die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer genetischen Ursache sehr hoch», so der Referent. Leiden ausserdem viele Familienmitglieder an einer Schwerhörigkeit, muss man einen mitochondrialen Diabetes (MIDD, «maternally inherited diabetes and deafness») denken. Bei dieser spezifischen Diabetesform liegt ein genetischer Defekte der Betazellfunktion vor, der nur von den Müttern vererbt wird.4 Die Diagnose kann allein anhand der Familienanamnese gestellt und gegebenenfalls mit einer Genanalyse nachgewiesen werden.
«Es ist sehr wichtig, diese Diagnose zu stellen, weil das Metformin beim MIDD absolut kontraindiziert ist», betonte Wiesli. Metformin wirkt in den Mitochondrien, und die mitochondrialen Zytopathien sind mit einer Laktatazidose assoziiert. Patient:innen mit MIDD müssen genetisch beraten werden und brauchen zusätzliche Verlaufskontrollen, da sie ein höheres Risiko für Kardiomyopathien und neuropsychiatrische Probleme haben. Auch Manifestationen in der Retina wie die retinale Pigmentatrophie und das «macular mottling» sind häufig und typisch für MIDD.4
Behandelt werden Patient:innen mit einem MIDD mit Insulin, wenn ein Insulinmangel besteht, ansonsten mit einem DPP-4-Hemmer. Auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten könnten eingesetzt werden, allerdings qualifizieren die meisten MIDD-Patient:innen aufgrund des niedrigen BMI nicht dafür. Metformin ist absolut kontraindiziert und bei Vorliegen eines Insulinmangels sollen auch keine SGLT2-Hemmer eingesetzt werden.
MODY
Der MODY («maturity onset diabetes of the young») ist eine heterogene Störung durch monogene Mutationen in verschiedenen Genen (mindestens 14) und wird autosomal-dominant vererbt. In der Regel gibt es in jeder Generation Familienmitglieder, die betroffen sind. Mit Ausnahme des MODY 2 handelt es sich um einen Defekt der Insulinsekretion. Die Erkrankung tritt typischerweise in der Kindheit, Adoleszenz oder im jungen Erwachsenenalter auf. «Wahrscheinlich ist der MODY ähnlich häufig wie der DT1 (5–7% aller Diabetesformen), er wird aber häufig nicht resp. falsch als DT1 diagnostiziert», so Wiesli.
An einen MODY muss man denken, wenn der Diabetes vor dem 25. Lebensjahr auftritt, ein Elternteil betroffen ist (ausser bei Neumutationen), das Gewicht normal ist, keine Ketoazidose vorhanden ist, Autoantikörper fehlen und das C-Peptid nachweisbar ist. Ausserdem brauchen die Betroffenen initial meist kein Insulin.
MODY 2, 3 und 5
Der MODY 2 macht 15–50% aller MODY-Fälle aus und wird verursacht durch einen genetischen Defekt des Glukosesensors (Glukokinasedefekt).5 Die Insulinsekretion ist normal, sie springt aber erst bei höheren BZ-Werten an, weshalb der Nüchtern-BZ permanent leicht erhöht ist (≥5,5mmol/l). Im oralen Glukosebelastungstest (oGGT) steigt der BZ aber praktisch nicht an, weil die Insulinsekretion an sich nicht eingeschränkt ist. Das HBA1c liegt meistens im oberen Normbereich (5,6–7,6%). Die Familienanamnese ist positiv, wobei häufig von Familienmitgliedern mit einem DT2 berichtet wird, weil der MODY 2 oft nicht erkannt wird. Spätkomplikationen treten keine auf. «Es ist keine Therapie notwendig, mit Ausnahme von Frauen in der Schwangerschaft», erklärte Wiesli.
Der MODY 3 ist mit 30–65% die häufigste MODY-Form. Ursache ist eine HNF1α-Mutation. Im Gegensatz zum DT1 ist bei MODY 3 der Insulinbedarf gering und das C-Peptid nachweisbar. Typisch sind ein starker Anstieg des BZ im oGGT sowie die niedrige Nierenschwelle; die Betroffenen scheiden bereits bei BZ-Werten <10mmol/l Glukose über den Urin aus.5 Der MODY 3 spricht sehr gut auf Sulfonylharnstoffe an, es können aber auch DPP-4-Hemmer, GLP-1-RA oder Insulin eingesetzt werden.
Der MODY 5 ist eine seltene MODY-Form und wird durch eine HNF1β-Mutation verursacht. Die Betroffenen haben praktisch immer Zysten in den Nieren, die im Verlauf zu einer zystischen Degeneration der Nieren führen. Häufig sind auch weitere Manifestationen wie urogenitale Malformationen, Pankreashypoplasie, Hepatopathie, Hyperurikämie, Gicht, Hypomagnesiämie und Autismus.
Diabetes bei Erkrankungen des exokrinen Pankreas
In diese Gruppe gehört der Diabetes bei Hämochromatose (früher: Bronzediabetes). Verursacht wird er durch die Fibrosierung des Pankreas aufgrund der Eiseneinlagerungen. Oft sind Arthralgien die erste klinische Manifestation einer Hämochromatose. Im Röntgenbild findet man typischerweise schnabelartige Osteophyten an Gelenken. Die Diagnostik umfasst die Messung von ALAT, Ferritin und Transferrinsättigung sowie eine genetische Testung. «Die richtige Klassifizierung ist wichtig, weil diese Patient:innen neben der Diabetesbehandlung oft auch Aderlässe benötigen», betonte Wiesli. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu wissen, dass das HbA1c nicht mehr verwendet werden kann, wenn Aderlässe gemacht werden.
Diabetes bei Endokrinopathien
Diabetes bei Endokrinopathien ist generell selten. Typisch ist er im Rahmen einer Akromegalie oder eines Cushing-Syndroms. Bei der Akromegalie gibt nicht selten erst das Auftreten eines Diabetes Anlass für eine Abklärung. Besonders bei Hinweisen auf ein akrales Wachstum muss an eine Akromegalie gedacht werden. Sensitive, aber unspezifische Hinweise sind Schnarchen, Schlafapnoe, Karpaltunnelsyndrom, Diabetes, Hypertonie, Arthralgien/Rückenschmerzen, Organomegalie (Schilddrüse, Makroglossie), Schwitzen, Kopfschmerzen und Darmpolypen. «Besteht der Verdacht auf eine Akromegalie, sollte das IgF-1 bestimmt werden. Ist es erhöht, wird eine Überweisung an eine Endokrinologin oder einen Endokrinologen empfohlen», so der Referent.
Das Cushing-Syndrom ist meistens eine Blickdiagnose. Für die Bestätigung ist das Nüchterncortisol ungeeignet; ein normaler Wert schliesst ein Cushing-Syndrom nicht aus. Es braucht einen 1-mg-Dexamethason-Hemmtest, die Bestimmung von Cortisol im 24-h-Urin oder im Speichel um Mitternacht. «Oft ist es aber sinnvoll, die Patient:innen vor diesen Tests zu überweisen, da diese in verschiedenen Situationen, die zu einem Pseudo-Cushing-Syndrom führen können, wie übermässiger Alkoholkonsum, Depression, Anorexie, Adipositas, Stresszustände oder ein schlecht eingestellter Diabetes, nicht zu interpretieren sind», erklärte Wiesli.
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 7. bis 9. November 2024, Zürich
Literatur:
1 Holt RIG et al.: The management of type 1 diabetes in adults. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2021; 44: 2589-625 2 Ahlqvist E et al.: Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 361-9 3 American Diabetes Association: Standards of medical care in diabetes –– 2014. Diabetes Care 2014; 37(Suppl 1): S14-80 4 Murphy R et al.: Clinical features, diagnosis and management of maternally inherited diabetes and deafness (MIDD) associated with the 3243A>G mitochondrial point mutation. Diabet Med 2008; 25: 383-99 5 Auble B et al.: Monogenetic etiologies of diabetes. Med Clin North Am 2024; 108: 15-26
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