
Doppel- und Tripelagonisten bei Diabetes und/oder Adipositas
Autoren:
OA Dr. Michael Resl
OA Dr. Matthias Heinzl
Abteilung für Innere Medizin
Barmherzige Brüder Linz
E-Mail: michaelresl@outlook.com
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Im Rahmen des EASD-Kongresses wurden neue Entwicklungen zu Doppel- und Tripelagonisten präsentiert. War Tirzepatid nur der Anfang? Ein Blick in die Zukunft.
GLP-1-Agonisten
Die bereits seit mehreren Jahren etablierten GLP-1-Analoga aus der Gruppe der Inkretine stellen eine der Hauptsäulen der modernen Diabetestherapie dar. Besonders vorteilhaft sind neben der blutzuckersenkenden Wirkung die markante Gewichtsreduktion sowie positive Effekte auf die hepatale Steatose und eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse (Abb. 1).
Abb. 1: Die klinisch wichtigsten Wirkmechanismen von GLP-1, Glucagon und GIP. Diese bilden die Hauptgrundlage für die Wirkung von GLP-1-Rezeptor-Agonisten sowie von Zwei- und Dreifach-Rezeptor-Agonisten bei der Therapie von Typ-2-Diabetes und Adipositas. (modifiziert – ins Deutsche übersetzt – nach Tschöp M et al. 2023)1(Creative Commons Licence 4.0)
Die im Rahmen des Kongresses der American Heart Association (AHA) präsentierte und parallel publizierte SELECT-Studie demonstriert eindrücklich die Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte durch Semaglutid (Wegovy®) in einer Gruppe aus adipösen Patienten ohne Diabetes, was ein Novum in der Adipositastherapie darstellt. In höherer Dosierung ist Semaglutid auch zur Adipositastherapie ohne Diabetes zugelassen.
Die derzeit in Österreich etablierten Inkretine werden nur subkutan verabreicht, künftig werden aber auch orale Präparate zur Verfügung stehen. Neben dem bereits zugelassenen, in Österreich jedoch noch nicht verfügbaren oralen Semaglutid (Rybelsus®) wird der ebenfalls oral applizierbare Nicht-Peptid-GLP1-Agonist Orforglipron untersucht. In einer rezenten Phase-II-Studie zur Therapie der Adipositas bewirkte Orforglipron innerhalb von 36 Wochen einen Gewichtsverlust von 15,4kg. Die Resultate der noch laufenden Phase-III-Studien werden daher mit Spannung erwartet.
GIP/GLP-1-Agonisten
Die medikamentöse Aktivierung anderer Inkretinrezeptoren scheint eine positive Wirkung bei Diabetes und Adipositas zu haben (Abb. 1). Im Vergleich zu reinen GLP-1-Analoga zeigt der duale GIP/GLP-1-Agonist Tirzepatid eine signifikant effektivere Blutzucker- und Gewichtssenkung. GIP bzw. „glucose-dependent insulinotropic polypeptide“ war früher unter dem Namen „gastric inhibitory peptide“ bekannt. Neben bekannten Inkretineffekten weist der zusätzliche GIP-Agonismus u.a. positive Auswirkungen auf das Fettgewebe auf.
Tirzepatid ist in der EU zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen und in Österreich voraussichtlich im Laufe des Jahres 2024 verfügbar. Im Rahmen des SURPASS-Studienprogrammes bei Diabetespatienten wurde Tirzepatid in den Dosierungen 5mg, 10mg und 15mg einmal wöchentlich untersucht. Nach 72 Wochen konnte Tirzepatid das Körpergewicht um bis zu 20,9% reduzieren. Die klinisch signifikantesten Nebenwirkungen stellen Übelkeit und Durchfall dar, welche mit einer ähnlichen Häufigkeit wie bei GLP-1-Analoga auftreten. Die Resultate der kardiovaskulären Endpunktstudie SURPASS-CVOT werden im Herbst 2024 erscheinen.
Glukagon/GLP-1-Agonisten
Auch ein medikamentöser Agonismus am Glukagonrezeptor dürfte sehr positive Effekte bei Diabetespatienten haben (Abb.1). Auf den ersten Blick erscheint eine Aktivierung des Glukagonrezeptors kontraproduktiv, da Glukagon als potentes Insulin-antagonistisches Hormon bekannt ist. Glukagon bewirkt sehr potente katabole Effekte, stimuliert die Lipolyse in den Adipozyten, reduziert die Nahrungsaufnahme und verlangsamt die Magenentleerung. Ein Glukagonrezeptor-Agonismus dürfte im Unterschied zu den anderen genannten Inkretinen auch einen erhöhten Energiebedarf bewirken. So wurden bereits mehrere Glukagon/GLP-1-Agonisten (Survotid, Cotadutid, Efinopegdutid) in klinischen Studien getestet, wobei Survotid bei Adipositaspatienten einen Gewichtsverlust von 13,8% innerhalb von 16 Wochen bewirkte.
Tripelagonisten
Retatrutid bewirkt einen Agonismus an allen 3 genannten Rezeptoren, ist also ein kombinierter GIP/GLP-1/Glukagonrezeptoragonist („Triple-G“). Retatrutid bewirkte in einer Phase-II-Studie bei Patienten mit Adipositas bzw. Übergewicht einen Gewichtsverlust von 24% innerhalb von 48 Wochen. Relevanteste Nebenwirkungen waren analog zu den GLP-1-Agonisten Übelkeit und Erbrechen, welche bei 45–60% der Studienteilnehmer auftraten. Die Datenlage zu Retatrutid kann wohl sehr optimistisch betrachtet werden, die Resultate der Phase-III-Studien bleiben aber natürlich noch abzuwarten. Retatrutid zeigte in einer Subgruppe von 98 Personen mit nichtalkoholischer Fettlebererkrankung (NAFLD/MASLD) eine Normalisierung des hepatalen Fettgehaltes bei 90% der Patienten. Generell sind bei NAFLD/MASLD klinische Studien mit diversen Inkretinpräparaten zu erwarten, sodass neben Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas auch die steatotische Lebererkrankung möglicherweise eine zusätzliche Indikation zum Einsatz von Inkretinanaloga darstellen könnte.
Amylin-Analoga/GLP-1-Agonist
Auch das schonseit Langem bekannte Konzept der Amylin-Analoga wird derzeit in einer Kombination mit Semaglutid untersucht. Amylin ist ein neuroendokrines Peptidhormon, welches aus den pankreatischen Betazellen gemeinsam mit Insulin ausgeschüttet wird. Über direkte zentrale Wirkungen in der Area postrema und dem Nucleus arcuatus wird der Appetit reduziert. In den USA ist Pramlintid zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 und 2 als Add-on zur Insulintherapie zugelassen. Cagrilintid, ein neues, langwirksames Amylin-Analogon mit längerer Halbwertszeit (ca. 180h), befindet sich inKombination mit Semaglutid (CagriSema) in klinischer Evaluierung. Bei 92 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und einem BMI >27kg/m2 sank das HbA1c unter CagriSema um 2,2%. Die HbA1c-Senkung war ähnlich wie unter der Hochdosis-Monotherapie mit Semaglutid (–1,8%), jedoch führte CagriSema zu einem deutlich stärkeren Gewichtsverlust (–15,6%) im Vergleich zur Semaglutid-Monotherapie. Allerdings wurden unter CagriSema auch signifikant mehr gastrotintestinale Nebenwirkungen, wenngleich nur mild, registriert.
Fazit
Aus heutiger Sicht dürfte Tirzepatid tatsächlich nur der Anfang einer ganzen Reihe an revolutionären Diabetesmedikamenten sein. Assoziiert mit einem deutlichen Gewichtsverlust rückt eine Remission des Diabetes mellitus und der hepatalen Steatose in greifbare Nähe.
Literatur:
1 Tschöp M et al.: Gut hormone-based pharmacology: novel formulations and future possibilities for metabolic disease therapy. Diabetologia 2023; 66(10): 1796-808
Weitere Literatur bei den Verfassern