
Präeklampsie-Screening für alle?
Autor:
Prof. Dr. med. Leonhard Schäffer
Chefarzt für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik
Kantonsspital Baden
E-Mail: Leonhard.Schaeffer@ksb.ch
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die Einschätzung, ob eine Schwangere ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie und damit eine Indikation zur prophylaktischen Gabe von Aspirin hat, erfährt in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel weg von der einfachen Erhebung anamnestischer Faktoren hin zu einer multimodalen Risikokalkulation, die zu deutlich besseren Detektionsraten führt. So können die Schwangeren mit tatsächlichem Risiko am besten von einer Prophylaxe profitieren.
Keypoints
-
Eine Einschätzung des Risikos für die Entwicklung einer Präeklampsie sollte bei jeder Schwangeren erfolgen.
-
Das kombinierte Screening mit dem Algorithmus der FMF London hat eine bessere Performance als die alleinige Erhebung anamnestischer Risikofaktoren.
-
Bei einer Detektionsrate von ca. 75% können ca. zwei Drittel aller frühgeburtlichen Präeklampsien verhindert werden.
-
Exakte und standardisierte Messungen sind für eine verlässliche Risikoeinschätzung unerlässlich.
Die Einschätzung des Risikos für die Entwicklung einer Präeklampsie beruht traditionell, wie in vielen Bereichen der Medizin, auf der Erhebung anamnestischer Faktoren, die je nach deren Kombination eine verhältnismässig unspezifische Selektion eines Risikokollektivs ermöglicht. Diese Form des Präeklampsie-Screenings wird seit vielen Jahren im Rahmen der ersten Schwangerschaftskontrolle durchgeführt. Wenn die Patientin hierbei ein erhöhtes Risiko zeigt, wird die prophylaktische Behandlung mit niedrig dosiertem Aspirin empfohlen, für die in Metaanalysen eine signifikante Reduktion der Entwicklung einer Präeklampsie gezeigt werden konnte.1 Je nach empfohlener Kombination dieser Risikofaktoren resultiert jedoch eine hohe Falsch-positiv- oder Falsch-negativ-Rate für die risikoadaptierte Betreuung und prophylaktische Behandlung während der Schwangerschaft. Viele Schwangere, die eine Präeklampsie entwickeln, haben zudem keine anamnestischen Risikofaktoren.
Kombiniertes Screening
Mit dem Ziel einer besseren Selektion der richtigen Risikopatientinnen wurde bereits seit einiger Zeit versucht, durch eine Kombination von Anamnese mit Biomarkern und biophysikalischen Messungen statistische Algorithmen zu entwickeln, die eine spezifischere Risikoeinschätzung ermöglichen. Hierbei hat sich der Algorithmus der FMF London als aussichtsreichstes Modell herauskristallisiert, der im Vergleich zu anderen Modellen am besten untersucht und in verschiedenen Populationen extern validiert wurde.2 Zudem konnte in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie die Effektivität der Aspirinprophylaxe unter Verwendung dieses Algorithmus nachgewiesen werden.3
Durch die Kombination der traditionellen anamnestischen Faktoren mit einer standardisierten Messung des Blutdrucks, der Perfusion der Arteriae uterinae mit dem PI («pulsatility index») und der Verwendung des Biomarkers PlGF («placentalgrowth factor») konnte in einer prospektiven Multicenterstudie gezeigt werden, dass bei einer fixierten Falsch-positiv-Rate von 10% ca. 80% der mit Frühgeburtlichkeit (<37 SSW) verbundenen Präeklampsien vorhergesagt werden konnten.4
Die Detektionsrate war dabei doppelt so hoch wie unter Anwendung der durch die NICE-Guidelines empfohlenen anamnestischen Risikofaktoren (ca. 40%) bei vergleichbarer Falsch-positiv-Rate. Die hohe Detektionsrate von 90% der amerikanischen ACOG-Kriterien wird hingegen mit einer Falsch-positiv-Rate von über 60% erkauft.
Die Rate nimmt bei der Detektion der sehr frühen Präeklampsien weiter zu, während die Vorhersage einer Präeklampsie bei Terminschwangerschaften durch den Algorithmus im Vergleich zu den anamnestischen Faktoren nicht verbessert werden kann. Gleichzeitig zeigt sich, dass jeder einzelne Parameter des Algorithmus nur einen moderaten Baustein für die Erlangung dieser Detektionsrate darstellt und dass nur die Kombination dieser Faktoren eine effiziente Vorhersage ermöglicht, was gleichzeitig auch die Komplexität der Pathophysiologie und damit der Vorhersage widerspiegelt (Abb. 1). 5
Abb. 1: Detektionsrate in Abhängigkeit von der Kombination der Parameter des FMF-Algorithmus bei einer Falsch-positiv-Rate von 10% (modifiziert nach Chaemsaithong P et al.)5
Da Risikoalgorithmen mithilfe von statistischen Modellierungen an Studienkollektiven unter Anlegen von definierten Cut-off- und Screen-positiv-Werten kalkuliert werden, ist das Risiko hoch, dass diese aufgrund eines «overfittings» an dieses Kollektiv in anderen Kollektiven und Populationen nicht genauso gut funktionieren. Eine Anwendbarkeit und Verlässlichkeit der Berechnungen können dadurch begrenzt sein. Für den Risikoalgorithmus der FMF London wurde in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Validierungsstudien durchgeführt, die an unterschiedlichen Populationen eine ausgezeichnete Performance des Algorithmus bestätigen konnten.2
Bei Anwendung des FMF-Algorithmus zur Risikoselektion konnte zudem in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie die Effektivität der Aspirinprophylaxe direkt nachgewiesen werden. In der Risikogruppe (Risiko >1:100), welche mit einer täglichen Dosis von 150mg Aspirin, begonnen vor 16 SSW, behandelt wurden, kam es zu einer 60%igen Verminderung der mit Frühgeburtlichkeit assoziierten Präeklampsien (OR: 0,38). Die Rate an Präeklampsien am Termin konnte hingegen nicht beeinflusst werden.3 Dabei betrug die «number needed to treat» 1:38. Eine Therapieadhärenz von >90% scheint für die Effektivität der Prophylaxe ein sehr wichtiger Faktor zu sein6 und dies sollte den Schwangeren auch so mitgeteilt werden. Aufgrund der chronobiologischen Effekte sollte die Einnahme am Abend erfolgen und eine Dosierung von 100–150mg/d sollte geringeren Dosierungen vorgezogen werden.
Praktische Durchführung
Für die praktische Anwendung ist es von entscheidender Bedeutung, dass die biophysikalischen Messungen nach streng standardisierten Bedingungen und unter Angabe des korrekten Gestationsalters mittels exakter Messung der Scheitel-Steiss-Länge zum Zeitpunkt der Ersttrimesterdiagnostik bei 11 0/7 bis 13 6/7 SSW durchgeführt werden, da die Messdaten gestationsaltersabhängig kalibriert sind.
Für die Blutdruckmessungen bedeutet dies, dass diese in Ruhe (5min.), in sitzender Position mit nicht überschlagenen Beinen an beiden Armen mit der dem Armumfang angepassten Manschettengrösse 2- bis 4-mal pro Arm durchgeführt werden.
Die dopplersonografische Darstellung der Aa. uterinae erfolgt transabdominal in einem Sagittalschnitt durch die Zervix durch Schwenken des Schallkopfs nach lateral auf Höhe des inneren Muttermunds und damit medialer (zervixnaher) als beim Uterina-Doppler des 2. Trimenons (Abb. 2). Für die Messung des PI muss das «sample gate» eine Grösse von 2 mm haben und der Insonationswinkel unter 30 Grad liegen. Die Flussgeschwindigkeit der Dopplerkurve sollte >60 cm/sek. betragen, um das Risiko für ein zu laterales Abgreifen des Flusses und damit für falsch niedrige Messwerte zu minimieren (Tab. 3). Der Füllzustand der Harnblase zum Zeitpunkt der Messung scheint hierbei kein relevanter Einflussfaktor zu sein.7
Eine exakte Erhebung dieser Messdaten ist für die korrekte Berechnung des Risikos entscheidend, führt doch beispielsweise eine fehlerhafte Abweichung der Uterinamessung von 5–10% zu einer mehrprozentigen Abweichung der Screen-positiv-Rate und damit der Qualität der Risikokalkulation.8
Der kombinierte Einsatz des Biomarkers PLGF und das für das Trisomie-Screening verwendete PAPP-A konnten keinen signifikanten additiven Effekt erzielen. Die Verwendung von PLGF hat im Vergleich zum Einsatz von PAPP-A eine etwas bessere Performance von 5–7% und sollte deshalb bevorzugt werden.
Kosteneffizienz
Eine Verbesserung der Detektion der Risikoschwangeren und damit der prophylaktischen Behandlung hat sowohl einen kurzfristigen als auch langfristigen gesundheitlichen und gesundheitsökonomischen Benefit durch eine Reduktion der Zahl mütterlicher Hospitalisationen, der Verweildauer auf der Neonatologie und möglicher Langzeitkomplikationen. Mehrere gesundheitsökonomische Berechnungen sind zu dem Schluss gekommen, dass das multimodale Screening ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist und mindestens kostenneutral wäre. Auch für die Schweiz existiert eine solche Berechnung.10 Ein Antrag zur Kostenübernahme wurde beim BAG durch die Fachgesellschaft gestellt.
Fazit
Ein Präeklampsie-Screening für alle und die prophylaktische Behandlung mit Low-dose-Aspirin bei Risikoschwangeren gehört schon lange zum Standard bei der Schwangerschaftsbetreuung. Allerdings haben wir heute die Möglichkeit, über eine unspezifische Risikoeinschätzung mit anamnestischen Faktoren hinaus mithilfe einer multimodalen Risikokalkulation eine signifikant bessere Detektion der Schwangeren zu erreichen, die von einer Prophylaxe mit Aspirin profitieren. Die FIGO und auch die ISSHP empfehlen beide das kombinierte Screening. Der Expertenbrief Nr.80 der SGGG empfiehlt das kombinierte Screening, wenngleich zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine alleinige Einschätzung nach Risikofaktoren eine Alternative bleibt. Bei einem kalkulierten Risiko von >1:100 wird gegenwärtig die Prophylaxe mit 100–150mg Aspirin pro Tag empfohlen.9
Literatur:
1 Roberge S et al.: Aspirin for the prevention of preterm and term preeclampsia: systematic review and metaanalysis. Am J Obstet Gynecol 2018; 218: 287-293.e1 2 Tiruneh SA et al.: Externally validated prediction models for pre-eclampsia: systematic review and meta-analysis. Ultrasound Obstet Gynecol 2023; doi:10.1002/uog.27490 3 Rolnik D L et al.: Aspirin versus placebo in pregnancies at high risk for preterm preeclampsia. N. Engl J Med 2017; 377, 613-22 4 O’Gorman N et al.: Multicenter screening for pre-eclampsia by maternal factors and biomarkers at 11–13 weeks’ gestation: comparison with NICE guidelines and ACOG recommendations. Ultrasound Obstet Gynecol 2017; 49: 756-60 5 Chaemsaithong P et al.: First trimester preeclampsia screening and prediction. Am J Obstet Gynecol 2022: 226: S1071-97.e2 6 Wright D et al.: Aspirin for Evidence-Based Preeclampsia Prevention trial: influence of compliance on beneficial effect of aspirin in prevention of preterm preeclampsia. Am J Obstet Gynecol 2017; 217: 685.e1-685.e5 7 Seravalli V et al.: Impact of bladder filling on uterine artery Doppler variables in the first trimester of pregnancy. J Clin Ultrasound 2019; 47: 83-7 8 Rolnik, D L et al.: A Quality assessment of uterine artery Doppler measurement in first-trimester combined screening for pre-eclampsia. Ultrasound Obstet Gynecol 2019; 53: 245-50 9 SGGG-Expertenbriefe: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe 10 Mewes JC et al.: Cost-effectiveness analysis of implementing screening on preterm pre-eclampsia at first trimester of pregnancy in Germany and Switzerland. PLoS One 2022; 17: e0270490
Das könnte Sie auch interessieren:
Verbesserung der Ästhetik ohne onkologische Kompromisse
In der Brustchirurgie existiert eine Vielzahl an unterschiedlich komplexen onkoplastischen Operationstechniken mit verschiedenen Klassifikationen. Die kritische Selektion der Patient: ...
Neue Erkenntnisse zur Kolporrhaphie
Die Kolporrhaphie ist eines der etabliertesten chirurgischen Verfahren in der Beckenbodenchirurgie, welches vorrangig zur Behandlung von Beckenorganprolaps (BOP) eingesetzt wird. Die ...
Die Kunst ärztlicher Kommunikation bei Breaking Bad News
Worte haben entscheidende Wirkungen. In Gesprächen mit Patient:innen und Angehörigen gibt es meist eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der Ärztin, dem Arzt. Vor allem die Übermittlung ...