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Wie gefährlich sind Impfungen wirklich?
Jatros
Autor:
Dr. Norbert Hasenöhrl
30
Min. Lesezeit
23.03.2017
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<p class="article-intro">Obwohl es sich bei Impfungen nachweislich um eine der ungefährlichsten, sinnvollsten und kosteneffektivsten Maßnahmen handelt, die es in der Medizin überhaupt gibt, verstummen die falschen Behauptungen von Impfgegnern nicht. Aber was ist wahr an angeblichen Impfschäden? Der Impfexperte Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz klärt auf.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Kaum ein medizinisches Thema wird öffentlich so kontrovers diskutiert wie das Impfen. Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz, Impfexperte und Facharzt für Pädiatrie, Österreichische Liga für Präventivmedizin, Salzburg, nahm sich der heiklen Frage an, wie gefährlich Impfungen denn tatsächlich sind und ob Impfgegner gar recht haben. An den Anfang stellte Mutz eine Anekdote, die aus dem Buch „Vaccinated“ des amerikanischen Arztes Paul A. Offit stammt und die Situation sehr gut beleuchtet:<br />„Eine Mutter brachte ihr vier Monate altes Baby zur Impfung in die Ordination. Das Baby saß am Schoß der Mutter, während ich die Spritze vorbereitete. Plötzlich begann das Baby zu krampfen. In der Familie gab es Anfallsleiden und das Kind entwickelte in der Folge eine Epilepsie.<br />Man kann sich vorstellen, was die Mutter gedacht hätte, wenn ich die Impfung fünf Minuten früher gegeben hätte. Sie wäre überzeugt gewesen, dass die Impfung die Epilepsie verursacht habe. Und alle statistischen Daten der Welt hätten ihre Meinung nicht ändern können.“</p> <h2>Woher kommt die Impfangst?</h2> <p>Angst ist ein Grundgefühl, das sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als unlustbetonte Erregung äußert. Ein möglicher Auslöser können erwartete Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit sein.<br />Die primär oft zurückhaltende bis abweisende Einstellung von Ärzten und Impfkandidaten gegenüber Impfungen lässt sich u.a. dadurch erklären, dass die meisten Impfungen einer bisher gesunden Person verabreicht werden und vorübergehend Krankheitssymptome verursachen können. Impfungen richten sich gegen dem Patienten (und manchmal auch dem Arzt) unbekannte, zukünftig mögliche Erkrankungen und bewirken unmittelbar keine Steigerung des Wohlbefindens, keine Besserung des Gesundheitszustands. „Dies steht im Gegensatz zur Werbung für zahllose Produkte mit fraglicher Wirksamkeit, für die eine solche Besserung versprochen wird“, betonte der Pädiater.</p> <h2>Argumente von Impfgegnern</h2> <p>Es gibt eine Reihe von typischen, immer wieder artikulierten Argumenten, die von Impfgegnern vorgebracht werden:</p> <ul> <li>„Impfen wirkt nicht“ – dies ist nachweislich falsch und relativ leicht zu belegen, was nicht bedeutet, dass es Impfgegner auch überzeugt.</li> <li>„Der Rückgang der Infektionskrankheiten ist nicht die Folge des Impfens, sondern der besseren Lebensumstände (Ernährung, hygienische Verhältnisse)“ – es lässt sich ein klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Einführung von Impfungen und dem Rückgang der entsprechenden Krankheiten (teilweise bis auf null) darstellen.</li> <li>„Es ist nicht mehr notwendig, gegen bestimmte Erkrankungen zu impfen, die wir nicht mehr sehen, da damit nur Nebenwirkungen und Gefahren verbunden sind“ – ein Scheinargument, da in Wirklichkeit ungeimpfte Personen nur durch Herdenimmunität, also durch die Gesamtheit der Geimpften, geschützt werden. Sinkt die Durch­impfungsrate, so steigt die Krankheitsinzidenz wieder an, siehe z.B. Masern oder Keuchhusten.</li> <li>„Schwerwiegende Nebenwirkungen der Impfungen sind häufiger als Komplikationen bei den zu verhütenden Erkrankungen“ – nachweislich falsch. Das Gegenteil ist wahr und stellt ja gerade das Rationale für die Impfungen dar.</li> <li>„Masern sind eine harmlose Kinderkrankheit, die für die natürliche Entwicklung des Immunsystems erforderlich ist; durchgemachte Masern schützen nämlich vor Allergien“ – blanker Unsinn. Masern sind eine potenziell tödliche Erkrankung mit einer Gesamtkomplikationsrate von 30 % , einer Pneumonierate von ca. 6 % und einer Rate an potenziell tödlichen ZNS-Komplikationen von 0,1−0,2 % ; dazu kommen akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) und subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) als Spätfolgen. SSPE ist immer letal und tritt nach Masernimpfung nicht auf.</li> <li>„Verschwörungstheorie: Industrie und Ärzte verhindern, dass Nebenwirkungen bekannt werden.“</li> <li>„Die angeschuldigten Erreger gibt es gar nicht“ – hier ist die Schwelle der Irrationalität endgültig überschritten.</li> </ul> <p>Die von Impfgegnern behauptete Liste angeblicher Impfschäden ist lang und umfasst unter anderem Neurodermitis, Heuschnupfen, Verdauungsbeschwerden, Candida-Befall, Zahnkaries, Sehstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Hyperaktivität, Angstzustände, Menstruationsbeschwerden, Tumoren, Diabetes, Multiple Sklerose, Lähmungen, Sprechstörungen, spastische Zustände und epileptische Anfälle.<br />Falsche Argumente und Scheinwissenschaft – wie etwa Berichte über vermeintliche neurologische Reaktionen auf die Pertussisimpfung oder den in einer nachweislich gefälschten Studie von Wakefield postulierten angeblichen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und Fällen von Autismus – werden von oft erstaunlich gut organisierten und im Internet sehr präsenten Gruppierungen verbreitet.<br />Allerdings dürfte die Rate der militanten, durch rationale Argumente nicht zu überzeugenden Impfgegner, mit denen rationale Diskussionen sinnlos sind, nur bei etwa 1−3 % der Bevölkerung liegen. Es gibt jedoch, Umfragen zufolge, auch eine Gruppe von etwa 30−35 % , die sich als „Impfskeptiker“ bezeichnen. Diese sollten die primäre Zielgruppe für gute und fundierte Aufklärung sein, da diese Menschen zwar skeptisch, aber guten Argumenten zugänglich sind. Solche Diskussionen sind zwar oft mühsam, aber notwendig.</p> <h2>Welche Probleme gibt es wirklich?</h2> <p>„Nun soll natürlich nicht behauptet werden, dass es keinerlei Impfnebenwirkungen oder Impfschäden gibt“, fuhr Mutz fort. Allerdings ist es notwendig, zwischen kausalen Zusammenhängen und bloßem zeitlichem Zusammentreffen zu unterscheiden. Im letzteren Fall handelt es sich (wie im anfangs erwähnten Beispiel) um Krankheitsereignisse, die auch ohne Impfung aufgetreten wären (man spricht hier von Hintergrundmorbidität). So ist etwa innerhalb von sechs Wochen nach einer hypothetischen Impfung mit 21,5 Fällen von Guillain-Barré-Syndrom pro 10 Millionen Impf­linge oder mit 16.684 Spontanaborten pro Million schwangere Frauen zu rechnen.<br />„Ein anderes kurioses Beispiel“, so Mutz, „ist die Feststellung der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, dass Kopfschmerz als unerwünschte Wirkung der FSME-Impfung bei 4,8 % der Geimpften vorkomme. Laut einer Untersuchung aus Österreich leiden aber an jedem beliebigen Tag 5,7 % der Bevölkerung an Kopfschmerzen – man könnte also sogar behaupten, dass die FSME-Impfung gegen Kopfschmerzen hilft.“<br />Auch die Zahl der plötzlichen Kindstode – auch diese werden von Impfgegnern als Impfschäden bezeichnet – ist im Zeitraum zwischen 1987 und 2012 ca. um 90 % gesunken, obwohl in dieser Zeit die Impfung gegen Haemophilus influenzae, Hepatitis B und dann ab 2001/2002 die Sechsfachimpfung eingeführt wurden (Abb. 1).<br />Auch die historische und medizinische Entwicklung ist zu berücksichtigen. So war etwa die Pockenimpfung tatsächlich mit Enzephalomyelitiden und Enzephalopa­thien behaftet, die in Österreich bei Kindern unter zwei Jahren mit einer Inzidenz von 10/100.000, bei Personen über zwei Jahren sogar mit 122/100.000 auftraten.<br />Die heutigen Impfungen sind in der Regel wesentlich sicherer und nebenwirkungsärmer. Dies spiegelt sich auch in der Anerkennungsstatistik von Impfschäden wider. Im Zeitraum zwischen 1990 und 2006 gab es nur eine Impfung, für die einige Hundert (genau 343) Impfschäden anerkannt wurden: die heute obsolete BCG-Impfung. Die anerkannten Impfschäden für andere Impfungen bewegten sich in diesem Zeitraum von 16 Jahren zwischen 12 (Diphtherie/Tetanus/Pertussis) und null.<br />Dabei ist zu beachten, dass die Anerkennung von Impfschäden nach aktueller Gesetzeslage noch Jahrzehnte nach der Impfung beantragt werden kann. So wurden im Jahr 2007 zwei Impfschäden nach Pockenimpfung (eine postvakzinale Enzephalitis, eine Hemiparese) anerkannt; die gegenständlichen Impfungen hatten in den Jahren 1964 bzw. 1966 stattgefunden.<br />Im Jahr 2010 gab es 17 Anträge, von denen zwei positiv erledigt wurden. Beide bezogen sich auf eine BCG-Impfung. Im einen Fall lagen ein eitriges Granulom, Minderbegabung und Sprachentwicklungsstörung nach Impfung 1953 vor, im anderen Fall eine Meningoenzephalitis nach Impfung 1981.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Infekt_1701_Weblinks_s11.jpg" alt="" width="1416" height="1191" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es ist streng zwischen den abstrusen Behauptungen von Impfgegnern über angebliche Impfschäden und den wenigen tatsächlich anerkannten Impfschäden zu unterscheiden. Für die Anerkennung eines tatsächlichen Impfschadens muss durch einen fachkundigen Gutachter ein kausaler Zusammenhang als wahrscheinlich dargestellt werden.<br />Die Zahl der anzuerkennenden Impfschäden geht stetig zurück. Gründe dafür sind die Ausrottung von Erkrankungen (z.B. Pocken), bessere Präventivmaßnahmen (z.B. Tbc), die Umstellung von Lebend- auf Totimpfstoffe (z.B. Polio) und die laufende Verbesserung von Impfstoffen (z.B. Pertussis).<br />Pharmakovigilanz-Maßnahmen sind für neue Impfstoffe, ebenso wie für jedes andere Medikament, unerlässlich.</p> </div></p>
<p class="article-quelle">Quelle: „Wie gefährlich sind Impfungen? Haben Impfgegner
recht?“ <br> Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz im
Rahmen
des Infektionsabends der ÖGIT, 16. November
2016, Van-Swieten-Saal der MedUni Wien
</p>
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