
PVP-Jod – besser als sein Ruf
Jatros
30
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13.09.2018
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<p class="article-intro">2018 erschien das Update eines Konsensus zur Wundantisepsis, der weithin als Standard zu diesem Thema gilt. Allerdings, so der Dermatologe Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Trautinger, hat dieser Konsensus einen erheblichen Schönheitsfehler. Und das hat mit Jodophoren wie PVP-Jod zu tun, wie der Dermatologe im Gespräch mit JATROS erklärte.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Was stört Sie an diesem Konsensus?</strong><br /> <strong>F. Trautinger:</strong> Grundsätzlich ist es äußerst positiv, dass sich eine Expertengruppe des schwierigen Themas der Wundantisepsis angenommen hat. Auf dem Gebiet herrscht ja auch in der Ärzteschaft durchaus eine Menge Unsicherheit.<br /> Auch ist es erfreulich, dass nun ein Update zu diesem Konsensus erschienen ist.<sup>1</sup> Bedenklich ist allerdings die Art und Weise, wie PVP-Jod in diesem Konsensus dargestellt und wie von seiner Verwendung abgeraten wird, denn das ist einfach nicht korrekt. Hier wird Literatur missinterpretiert.<sup>2</sup></p> <p><strong>Können Sie das bitte näher ausführen?</strong><br /> <strong>F. Trautinger:</strong> Es geht vor allem um zwei Aspekte. Der erste Aspekt ist das behauptete allergene Potenzial von PVPJod, das meiner Meinung nach zu stark in den Vordergrund gestellt wird. Der Konsensus stützt sich hier ausschließlich auf eine kleine Studie mit 45 Patienten, von denen 20 % eine Allergie gegen PVP-Jod gehabt hätten.<sup>3</sup> Das ist das einzige Paper, das in diesem Zusammenhang im Konsensus zitiert wird. Es gibt aber eine Fülle von Daten aus großen Studien zu PVPJod, die zeigen, dass sein Sensibilisierungspotenzial gering ist und in jenem Bereich liegt, der für in der Wundantisepsis verwendete Substanzen allgemein akzeptiert wird. Die Aussage im Konsensus kann man daher so nicht stehen lassen.</p> <p><strong>Und der zweite Aspekt?</strong><br /> <strong>F. Trautinger:</strong> Der zweite Fehler in Bezug auf PVP-Jod ist ein offensichtlich – vermutlich irrtümlich – falsches Zitat. Dabei geht es um die Conclusio eines systematischen Reviews aus den Niederlanden, der sich mit der Rolle von Jod in der Wundantisepsis auseinandersetzt.<sup>4</sup> Und diese wichtige zusammenfassende Empfehlung einer aufwendigen Literaturanalyse wird im gegenständlichen Konsensus falsch wiedergegeben, wenn es heißt: „PVP-Jod sollte in der Therapie chronischer Wunden nicht mehr verwendet werden.“ Das ist aber nicht das, was der holländische Review sagt. Dort steht vielmehr, dass es aufgrund der publizierten Daten keine Gründe gebe, auf PVP-Jod bei der Behandlung chronischer Wunden zu verzichten, also genau das Gegenteil!</p> <p><strong>Wie würden Sie selbst PVP-Jod zusammenfassend beurteilen?</strong><br /> <strong>F. Trautinger:</strong> Betrachtet man im Vergleich die wesentlichen Substanzen, die in der Wundantisepsis verwendet werden – Octenidin, Polyhexanid und PVP-Jod –, so stellt man fest, dass der größte „body of evidence“ für PVP-Jod vorhanden ist, sowohl was die Wirksamkeit als auch was die Verträglichkeit und das Nebenwirkungspotenzial angeht. Das hat einfach damit zu tun, dass PVP-Jod von diesen drei Substanzen die älteste ist. Für die jüngeren Produkte gibt es vielleicht ein Zehntel der Literatur für PVP-Jod.<br /> Für mich sind diese Substanzen etwa gleichwertig, keine ist grundsätzlich besser oder schlechter als die andere.</p> <p><strong>Wie kommt es Ihrer Meinung nach zu solchen Fehlbeurteilungen?</strong><br /> <strong>F. Trautinger:</strong> Das Gebiet der Behandlung chronischer Wunden leidet ein wenig unter etwas, was ich Mythenbildung nennen würde. Das liegt daran, dass es dazu recht wenige prospektive, kontrollierte Studien gibt. Einer dieser Mythen lautet, dass PVP-Jod die Wundheilung verzögert.<br /> Hier kommen auch kommerzielle Interessen ins Spiel, denn diese Behauptung dient nicht zuletzt den Herstellern und Vertreibern neuerer Antiseptika. Leider hat die Community das zum Teil unkritisch aufgenommen, wobei ich keinem der Autoren des rezenten Konsensus kommerzielles Interesse unterstellen möchte.<br /> Faktum ist, dass solche Mythen unser tägliches medizinisches Handeln beeinflussen und deshalb angesprochen und hinterfragt werden müssen. Konkret ist mein Fazit, dass PVP-Jod Patienten mit chronischen Wunden, die davon profitieren, nicht vorenthalten werden soll und dass bei sachgerechter Anwendung keine Bedenken bestehen.</p> <p><strong><em>Vielen Dank für das Gespräch!</em></strong></p></p>
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<p><strong>1</strong> Kramer A et al.: Skin Pharmacology and Physiology 2018; 31(1): 28-58 <strong>2</strong> Trautinger F: Skin Pharmacol Physiol 2018; 31(5): 261 <strong>3</strong> Freise J et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2008; 22(10): 1203-1207 <strong>4</strong> Vermeulen H et al.: J Hosp Infect 2010; 76(3): 191-199</p>
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