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Pharmakologisches Update
Jatros
Autor:
Leonie Meemken
Pharmazeutin<br>E-Mail: info@meettheexperts.at<br>Web: <a href="http://www.meettheexperts.at">www.meettheexperts.at</a>
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08.06.2017
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<p class="article-intro">Auch in diesem Jahr haben führende Pharmakologen die Aspekte in der HIV- und HCV-Therapie auf der CROI präsentiert. Im Folgenden werden die Neuigkeiten zusammengefasst. </p>
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<p class="article-content"><h2>Spiegelschwankungen im Alter: hö­here DRV-Spiegel bei älteren Patienten</h2> <p>Die steigende Anzahl von über 50-jährigen HIV-infizierten Patienten und das damit verbundene Risiko von Interaktionen animierten Ahlgren et al, die Pharmakokinetik von 65-jährigen Patienten im Vergleich zu jüngeren Patienten (<49 Jahren) in einer schwedischen Kohortenstudie zu untersuchen. Komorbidität, Begleitmedikation, Adhärenz und Nebenwirkungen wurden in einem standardisierten Fragebogen abgefragt und Wechselwirkungen ausgewertet.<br />89 Patienten im Alter von >65 Jahren, die zwischen 2013 und 2015 ein Regime einmal tägliche mit Atazanavir/Ritonavir (ATV/r), Darunavir/Ritonavir (DRV/r) und Efavirenz (EFV) über 6 Monate einnahmen, wurden in die Analyse miteinbezogen. In der jungen Kontrollgruppe wurden Spiegelmessungen bei 92 Patienten durchgeführt. Im Gegensatz zu ATV und EFV sind bei DRV signifikant höhere „Steady state“-DRV-Konzentrationen festgestellt worden (geometrisches Mittel: 48 % ). Im Patientenarm mit höherem Alter konnten im Vergleich zu der jüngeren Patientengruppe (Begleitmedikamente: 0–2 und Interaktionen: 0–1) außerdem eine signifikant höhere Anzahl von Begleitmedikamenten (1–5) und signifikant mehr Interaktionen (0–3) gezählt werden. Im Gegensatz zu ATV und EFV wurden in DRV-Regimen höhere DRV-Spiegel gemessen. Mit den erhöhten DRV-Spiegeln wurden verglichen mit ATV- und EFV-Regimen (37,9 % vs. 0 % und 23,8 % ) auch eine höhere Anzahl von Nebenwirkungen gesehen.<sup>1</sup></p> <h2>Hormonelle Kontrazeption: Etonogestrel-Implantat kombinierbar mit ART</h2> <p>Lang wirksame hormonelle Kontrazeptiva sind in der Verhütung sehr effizient. Doch die Datenlage in Kombination mit der ART ist weltweit limitiert. Während das Interaktionspotenzial der Integrasehemmer mit Hormonen gering ausgeprägt ist, muss bei Ritonavir(RTV)-haltigen Regimen und den NNRTIs EFV/Nevirapin (NVP) auf die Wirksamkeit der hormonellen Kontrazeption geachtet werden. Unter RTV fallen beispielsweise Ethinylestradiol-Konzentrationen im Blut stark ab und gefährden dadurch die hormonelle Kon­tra­zeption. Reine Gestagen-Präparate scheinen hingegen vorteilhaft. Bis jetzt werden nur unter EFV verminderte Gestagen-Spiegel beschrieben.<sup>2–4</sup><br />Die Daten zum Interaktionspotenzial zwischen Gestagen und der ART sind noch unzureichend. Deshalb evaluierten Kreitchmann et al die Effekte antiretroviraler Therapieregime bestehend aus ATV/r, ­Lopinavir/Ritonavir (LPV/r) und EFV auf die Pharmakokinetik von Etonogestrel (ENG) bei HIV-infizierten Frauen post partum. Voraussetzung für die Teilnahme der Frauen war eine zweiwöchige Einnahme von Regimen, die ATV/r, LPV/r und EFV enthielten. Das ENG-Implantat wurde zwischen Woche 2 und 12 eingesetzt. Die PK-Messungen erfolgten in Woche 6 und 7. <br />Übliche ENG-Spiegel liegen bei 250–500pg/ml. Eine ENG-Konzentration von >90pg/ml supprimiert bereits zuverlässig die Ovulation. Bei den 62 Frauen (6 Schwarzafrikanerinnen, 49 Frauen hispanischer Abstammung und 7 Asiatinnen) in dieser Studie konnten diejenigen, die unter einer PI-Therapie standen, adäquate ENG-Spiegel im Blut aufbauen. Ein verstärkter Abfall der ENG-Konzentrationen wurde unter EFV gesehen. Dieser Effekt wird auch in der Literatur anhand von zwei Fällen beschrieben. Hier ist auf eine ausreichende hormonelle Kontrazeption zu achten oder auf nicht hormonelle Maßnahmen auszuweichen.<sup>5</sup></p> <h2>Mörserbarkeit und Sondengängigkeit</h2> <p>Die Datenlage zur Mörserbarkeit und Sondengängigkeit ist besonders bei neueren Medikamenten nur sehr begrenzt. Bewusstlose Patienten sind auf Sonden angewiesen. Ein Patient mit Schluckschwierigkeiten kann auf Schluckhilfen oder flüssige Zubereitungen zurückgreifen. Eine wei­tere Option ist das Mörsern von Tabletten. Beim Mörsern von Tabletten kann jedoch die Pharmakokinetik der Substanzen beeinflusst werden, insbesondere wenn es sich um Retardzubereitungen handelt. Therapieversagen, Resistenzentwicklung und Toxizitäten können auftreten. Deshalb wären wissenschaftliche Daten in diesem Bereich sehr hilfreich.<br />Da es zurzeit keine ausreichende Information zur Mörserbarkeit der Fixkombination Dolutegravir (DTG)/Abacavir (ABC)/Epivir (3TC) gibt, gingen Roskam-Kwint et al dieser Fragestellung in einer Studie mit 22 Gesunden nach. Das Studiendesign wurde so konzipiert, dass auch eine mögliche Komplexbildung von DTG mit Kationen in der enteralen Ernährung hinterfragt wurde. Deshalb wurden die Plasmaspiegel nach Gabe der gemörserten Tablette und der im Ganzen betrachtet. Verglichen wurde die Auswirkung der Einnahme einer ganzen mit der einer gemörserten Tablette sowohl in nüchternem Zustand als auch nach Einnahme mit einem Zusatznahrungsmittel (250kcal) fünf Minuten danach.<br />Die Ergebnisse waren vielversprechend. Es wurden keine Nebenwirkungen berichtet, obwohl sich die DTG-Konzentrationen im Blut nach dem Mörsern um 26 % und mit der Zusatznahrung um 18 % erhöhten. Da die Halbwertszeit bei allen drei Regimen konstant blieb, wurden die erhöhten Spiegel auf eine verbesserte Absorption zurückgeführt. Die Zusatznahrung hatte keinen negativen Effekt auf die DTG-Absorption. Obwohl keine dosislimitierende Toxizität gesehen wird, ist bei der Verabreichung von DTG aufgrund der erhöhten DTG-Spiegel über die Sonde Vorsicht geboten, bis weitere Daten vorliegen.<sup>6</sup></p> <h2>Identifizierung unterschiedlicher PK-Effekte der Booster Cobicistat und Ritonavir</h2> <h2>Innerhalb der ART: Dolutegravir</h2> <p>Cobicistat (Cobi) ist ein selektiver Inhibitor des Cytochrom-P-450-Systems und beeinflusst deshalb weniger Isoenzyme als RTV. So ist beispielsweise beim Einsatz von Cobicistat der induktive Effekt auf CYP1A2 nicht zu beachten. Unter RTV führt dieser Effekt zu einer verminderten Olanzapin-Wirksamkeit, was eine Dosiserhöhung um bis zu 50 % notwendig macht, um eine mögliche Neuroleptika-resistente Psychose zu verhindern.<sup>7, 8</sup> Wesentlich weniger Daten gibt es zu den Transporterinteraktionen.<br />Wie werden die intestinalen Efflux-Transporter P-Glykoprotein (P-gp) und BCRP von den beiden Boostern beeinflusst? Gervasoni et al untersuchten diese Fragestellung innerhalb der ART bei der Umstellung von DRV/r (800/100mg QD) auf DRV/Cobi (800/150mg QD). Bei 10 Kaukasiern der Studie (80 % Männer, mittleres Alter 54±6 Jahre und mit einem guten immunologischen Zustand [CD4-Zellzahl: 650±399 Zellen/ml, VL <37 Kopien]) wurden Spiegelmessungen von DTG bzw. DRV vor und nach der Umstellung auf Cobi durchgeführt. Zu erwarten war, dass der Booster-Effekt von RTV und Cobi auf die DRV-Spiegel vergleichbar ist. Erstaunlicher war das Ergebnis, dass Cobi den DTG-Spiegel signifikant um 100 % erhöhte (von 591±373 auf 1130±634ng/ml).<br />Der Erstautor erklärt die Interaktion durch den stärkeren inhibitorischen Effekt von Cobi auf die intestinalen Efflux-Transporter P-Glycoprotein und BCRP. Damit wäre für DTG eine vermehrte Absorption möglich. Weiter ist zu bemerken, dass keine erhöhten Serum-Kreatinin-Konzentrationen gemessen wurden, obwohl beide Substanzen die Nierenfunktion beeinflussen können.<sup>9</sup></p> <h2>Begleitmedikation: Dabigatran</h2> <p>In einer weiteren Studie an 36 Gesunden wurden weitere Transporter-Interaktionen der beiden Booster untersucht. Hier ging es um den Einfluss von RTV 100mg QD und Cobi 150mg QD auf die Transporter P-gp bzw. MATE-1. Dabigatran gehört zur Gruppe der NOAK, ist ein Prodrug und ein Substrat dieser beiden Transporter, sodass Spiegelschwankungen von Dabigatran unter den Boostern erwartet werden.<br />Brooks et al ging es zum einen um die Interaktion an sich, zum anderen aber auch um die Vermeidung von Spiegelschwankungen durch eine separate Einnahme des Boosters und von Dabigatran. Die PK-Daten entsprachen nicht den Erwartungen der Autoren.<br />Unter RTV sanken die Dabigatran-Spiegel leicht um 29 % AUC, sodass eine Kombination ohne Dosisanpassung möglich ist. Die HWZ blieb konstant. Dagegen stiegen unter COBI die Dabigatran-Spiegel bei separater Einnahme um 110 % und bei gleichzeitiger Einnahme um 127 % an, sodass an dieser Stelle über eine Dosisanpassung von Dabigatran und ein klinisches Monitoring nachzudenken ist. Die HWZ ändert sich nur minimal um 7 % .<br />Diese Studie zeigt auch wieder, dass der Effekt von Cobi auf das P-gp stärker ausgeprägt ist als derjenige von RTV. Die Autoren erklären diese Wirkung durch die gemischten induktiven und inhibitorischen Effekte von RTV auf das P-gp.<sup>10</sup></p> <h2>Interaktionsarme neue DAA in der HCV-Therapie: Glecaprevir und Pibrentasvir</h2> <p>Glecaprevir (GLE, ABT-493) ist ein NS3/4-Proteaseinhibitor der Firma AbbVie. Er wird fix mit Pibrentasvir (PIB, ABT-530), einem MS5-A-Inhibitor, kombiniert. Das Präparat ist für die HCV-Genotypen 1–6 zugelassen.<br />Eine PK-Studie evaluierte, inwiefern die Fixkombinationen ELV/COBI/FTC/TAF 150/150/200/10mg QD und DTG/ABC/­3TC 600/50/300mg QD mit GLE 300mg QD + PIB 120mg QD pharmakokinetisch tolerabel sind. Trotz Spiegelanstieg von GLE und PIB vor allem unter ELV/COBI/FTC/TAF und einem leichten Anstieg der Elvitegravir- und Cobicistat-Spiegel schlussfolgerte der Autor, dass die beiden antiretroviralen Regime ohne Dosisanpassung mit GLE/PIB kombiniert werden können.<sup>11</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die pharmakologischen Aspekte der CROI-Veröffentlichungen 2017 zeigen, dass sich durch das Alter, die Begleitmedikation und auch durch besondere Applikationsarten die Spiegel der antiretroviralen Medikamente verändern können. Ob diese Veränderungen im Alter gravierend sind, wird sich zeigen.<br />Für den Einsatz der hormonellen Kontrazeption ist die Studie von Kreitchmann et al sehr hilfreich. Denn sie zeigt, dass der Einsatz eines Etonogestrel-Implantates eine weitere Option bei Verschreibung RTV-haltiger Regime darstellt.<br />Daten zur Sondengängigkeit zeigen zudem erste Hinweise, dass komplexe Fixkombinationen mörserbar sein könnten.<br />Die Studien zu den Boostern RTV und Cobi eröffnen uns innerhalb der ART individuelle Therapieoptionen und weitere Informationen zur Kombinierbarkeit mit der Begleitmedikation. Die Kombinierbarkeit von DAA der HCV-Therapien mit antiretroviralen Regimen wird durch die neue Fixkombination Glecaprevir und Pi­brentasvir nochmals erweitert bzw. vereinfacht.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Ahlgren E et al: Higher plasma levels and more side effects in elderly darunavir-treated patients. CROI 2017, Abstract #431 <strong>2</strong> Vieira CS et al: Effect of antiretroviral therapy ­including lopinavir/ritonavir or efavirenz on etonogestrel-releasing implant pharmacokinetics in HIV-positive women. J Acquir Immune Defic Syndr 2014; 66: 378-85 <strong>3</strong> Leticee N et al: Contraceptive failure of etonogestrel implant in patients treated with antiretrovirals including efavirenz. Contraception 2012; 85: 425-7 <strong>4</strong> Scarsi K et al: Efavirenz- but not nevirapine-based antiretroviral therapy decreases exposure to the levonorgestrel released from a sub-dermal contraceptive implant. J Int AIDS Soc 2014; 17: 19484 <strong>5</strong> Kreitchmann R et al: Interaction between etonogestrel-releasing implant and 3 antiretroviral regimes. CROI 2017, Abstract #938 <strong>6</strong> Roskam-Kwint M et al: Crushing of dolutegravir combination tablets increases dolutegravir exposure. CROI 2017, ­Abstract #429 <strong>7</strong> van Oeffelt T, Prinsen EJ: Treatment-­resistant psychosis due to interaction between ritonavir and olanzapine: case report and literature review. Tijdschr Psychiatr 2016; 58: 309-13 <strong>8</strong> Jacobs BS et al: Effect of fosam­prenavir/ritonavir on the pharmacokinetics of single-dose olanzapine in healthy volunteers. Int J Antimicrob Agents 2014; 44: 173-7 <strong>9</strong> Gervasoni C et al: Increased ­dolutegravir exposure in HIV patients switched from ­ritonavir to cobicistat. CROI 2017, Abstract #410 <strong>10</strong> Brooks KM et al: Cobicistat, but not ritonavir, increases dabigatran exposure. CROI 2017, Abstract #409 <strong>11</strong> Kosloski M et al: Glecaprevir and pibrentasvir interaction with combination antiretroviral regimens. CROI 2017, Abstract #413</p>
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