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„Infektkind“ und Immundefizienz

<p class="article-intro">Zum Ende der Schwangerschaft können Antikörper der Klasse IgG die Plazentaschranke passieren. So werden reif geborenen Kindern passiv humorale Abwehrstoffe ihrer Mütter übertragen. Mit diesem „Nestschutz“ sind Reifgeborene in den ersten Monaten ihres Lebens gegen die am Ende der Schwangerschaft durchgemachten mütterlichen Infektionskrankheiten weitgehend geschützt.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine physiologische Infektanf&auml;lligkeit ist Teil des normalen Reifungsprozesses des Immunsystems.</li> <li>Die 5 Leitsymptome f&uuml;r einen Immundefekt sind eine pathologische Infektanf&auml;lligkeit (Akronym &bdquo;ELVIS&ldquo;), die Immundysregulation (Akronym &bdquo;GARFIELD&ldquo;), eine Gedeihst&ouml;rung, eine auff&auml;llige Familienanamnese und bestimmte Laborbefunde inkl. Genetik.</li> <li>Mittels immunologischer Basisdiagnostik (Blutbild mit Differenzierung, IgG, IgA und IgM) werden ca. 60&ndash;70 % der Erkrankungen erfasst.</li> <li>Chronische Erkrankungen, z. B. der Atmungsorgane, k&ouml;nnen einen Immundefekt vort&auml;uschen, aber auch dessen Folge sein.</li> </ul> </div> <p>Fr&uuml;hgeborene kommen zur Welt, bevor nennenswerte Mengen der Abwehrstoffe &uuml;bertragen werden k&ouml;nnen. Sie haben daher &ndash; in Abh&auml;ngigkeit vom Zeitpunkt der verfr&uuml;hten Geburt &ndash; keinen so guten &bdquo;Nestschutz&ldquo; erhalten und sind anf&auml;lliger f&uuml;r Infektionserkrankungen.<br /> Die passiv &uuml;bertragenen IgG-Antik&ouml;rper sind allerdings nach einigen Monaten nicht mehr ausreichend vorhanden. Das Kind muss bei Infektionen selbst Abwehrstoffe bilden. In Kenntnis der genetisch bedingten Vielfalt des Immunsystems wird klar, dass nicht jede Infektion gleich gut verarbeitet werden kann. Die individuell ausgepr&auml;gte HLA-Formel eines jeden Individuums impliziert auf immunologischer Ebene, dass TZell- Epitope und interagierende Molek&uuml;le der fr&uuml;hen Immunabwehr verschiedener Menschen die gleichen Antigene von Erregern nicht immer gleich gut verarbeiten k&ouml;nnen. Begleitende Dispositionen, z. B. Atopie oder chronische Erkrankungen, f&uuml;hren zu zus&auml;tzlichen Modifikationen. Es wird daher Kinder geben, die h&auml;ufiger krank sind, und solche, die kaum krank werden. Oft wissen Eltern oder Gro&szlig;eltern, dass auch bei ihnen in der Kindheit eine solche Infektanf&auml;lligkeit vorlag und wie lange sie dauerte.</p> <h2>Immunologisches Ged&auml;chtnis</h2> <p>Es gibt mehrere Hundert Erreger bzw. Erregersubtypen, gegen die Abwehrstoffe gebildet werden m&uuml;ssen und ein immunologisches Ged&auml;chtnis erzeugt werden muss. Kommt es nur bei 10&ndash;20 % der Erstinfektionen zu einer manifesten Erkrankung, erscheint dies den Eltern als ein sehr h&auml;ufiges Ereignis. Als Besonderheit kann bei bakteriellen Erregern mit einer Polysaccharidkapsel (z. B. Pneumo- und Meningokokken sowie <em>Haemophilus influenzae</em> Typ B) bis etwa zum 2. Geburtstag ein immunologisches Ged&auml;chtnis gegen diesen Bestandteil gar nicht erzeugt werden. Faktoren, die die Infektneigung unterst&uuml;tzen, sind u. a. der Kontakt mit Zigarettenrauch und mit kranken Kindern, wie er z. B. beim Besuch einer Kindertagesst&auml;tte h&auml;ufig auftritt. Ist ein immunologisches Ged&auml;chtnis dann aber vorhanden, ist die schnellere Initiierung einer sehr spezifischen Immunantwort leichter und die Infektanf&auml;lligkeit l&auml;sst nach. Klinisch ist dieser Zeitpunkt meist mit etwa dem 4. Geburtstag erreicht.<br /> Untersuchungen an sonst gesunden Kindern ohne chronische Erkrankungen zeigen, dass in den ersten 4 Lebensjahren im Durchschnitt 5&ndash;6 respiratorische Erkrankungen (maximal 10&ndash;12, also monatliche (!) Erkrankungen, oft mit einer H&auml;ufung im Winter) normal sind. Erst im Schulalter verringert sich die Erkrankungsfrequenz deutlich.</p> <h2>Klinisch relevanter Immundefekt</h2> <p>Von der h&auml;ufigen physiologischen Infektanf&auml;lligkeit abzugrenzen sind Patienten mit einem echten, klinisch relevanten Immundefekt (kumulative H&auml;ufigkeit aller Immundefekte ca. 1:5000) und solche mit chronischen respiratorischen Erkrankungen (z. B. Mukoviszidose). Sie weisen eine pathologische Infektanf&auml;lligkeit auf. Eine Diagnosestellung der Grunderkrankung muss m&ouml;glichst bald erfolgen, da eine l&auml;ngere Krankheitsdauer ohne ad&auml;quate Behandlung mit dem Auftreten von nicht reversiblen, strukturellen Lungensch&auml;den verbunden ist. Daher ist die Abgrenzung zur physiologischen Infektanf&auml;lligkeit notwendig. Kinder mit einer pathologischen Infektanf&auml;lligkeit haben mehr als 8 Minor- Infektionen pro Jahr von einem eher h&ouml;heren Schweregrad bis zum Kleinkindesalter und dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen Major-Infektionen auftreten. Der Verlauf ist rezidivierend oder chronisch und f&uuml;hrt nicht immer zu einer Restitutio ad integrum. Rezidive mit demselben Erreger und opportunistische Infektionen werden beobachtet.<br /> Die pathologische Infektanf&auml;lligkeit ist ein Leitsymptom f&uuml;r prim&auml;re Immundefekte. Die klinischen Hinweiszeichen werden mit dem Akronym &bdquo;ELVIS&ldquo; beschrieben (Tab. 1). Trotz fehlender Infektanf&auml;lligkeit kann ein prim&auml;rer Immundefekt vorliegen. Ein anderes Leitsymptom ist die Immundysregulation, deren Zeichen mit dem Akronym &bdquo;GARFIELD&ldquo; beschrieben werden (Tab. 2). Weitere Leitsymptome sind eine Gedeihst&ouml;rung, eine auff&auml;llige Familienanamnese (z. B. mit Konsanguinit&auml;t, Immundefekt und pathologischer Infektanf&auml;lligkeit) sowie bestimmte Laborbefunde (z. B. persistierende Lymphozytopenie, Neutrozytopenie, Hypogammaglobulin&auml;mie) inklusive eines genetischen Hinweises auf einen prim&auml;ren Immundefekt oder ein positives Neugeborenenscreening auf prim&auml;re Immundefekte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1903_Weblinks_jatros_pneumo_1903_s20_tab1_schmidt.jpg" alt="" width="550" height="455" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Pneumo_1903_Weblinks_jatros_pneumo_1903_s21_tab2_schmidt.jpg" alt="" width="550" height="337" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Bei den Laboruntersuchungen k&ouml;nnen mittels immunologischer Basisdiagnostik schon ca. 60&ndash;70 % der Erkrankungen erfasst werden. Zur Basisdiagnostik geh&ouml;ren die Bestimmung des Blutbildes mit Differenzierung sowie von IgG, IgA und IgM. Diese kann in jeder Sprechstunde durchgef&uuml;hrt werden und ist nicht teuer. Mittels weiterf&uuml;hrender Diagnostik werden dann in der Spezialambulanz erkrankungsbezogen Befunde bestimmt (IgE, IgG-Subklassen, Impfantik&ouml;rper, Komplement CH50 etc.). Die Bestimmung der IgG-Subklassen ist nur indiziert ab dem 3. Lebensjahr, bei normalem Gesamt-IgG, rezidivierenden bakteriellen Infektionen sowie Candida- Infektionen. Eine Labor-Spezialdiagnostik wird vorwiegend in Spezialambulanzen durchgef&uuml;hrt. Sie umfasst die Bestimmung der Phagozyten, B- und T-Zellen (Anzahl und Funktionstests) sowie ggf. von Einzelkomponenten des Komplements. Bei gezieltem Verdacht k&ouml;nnen weitere Untersuchungen in Speziallaboratorien notwendig werden.<br /> Neben immunologischen Krankheitsbildern k&ouml;nnen auch chronische Erkrankungen z. B. der Atmungsorgane einen Immundefekt vort&auml;uschen. Sie k&ouml;nnen aber auch Folge des Immundefektes sein, insbesondere wenn er schon l&auml;nger besteht oder nicht rechtzeitig diagnostiziert worden ist. Hier sind dann bildgebende Verfahren (initial R&ouml;ntgenbild des Thorax) und z. B. ein Schwei&szlig;test zum Ausschluss einer Mukoviszidose indiziert. Im Einzelfall kann eine Bronchoskopie notwendig sein, etwa bei Verdacht auf Fremdk&ouml;rperaspiration, Fehlbildung des Bronchialbaumes oder Infektionen mit speziellen Erregern.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> AWMF-Leitlinie &bdquo;Diagnostik auf Vorliegen eines prim&auml;ren Immundefekts&ldquo;</p> </div> </p>
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