© Getty Images/iStockphoto

Highlights vom IX. Schweizer Impfkongress

Impfkomplikationen sind selten, aber es gibt sie

<p class="article-intro">Die Sorge um Impfkomplikationen treibt viele Eltern um, auch wenn der zu erwartende Nutzen einer Impfung viel grösser ist als das Risiko einer unerwünschten Wirkung. Wie man mit diesen Sorgen umgeht, wie die korrekte Meldung nach einer schwerwiegenden Impfreaktion aussieht und wer in einem solchen Fall haftet, über diese und andere Themen berichten wir vom IX. Schweizer Impfkongress.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Eine vollst&auml;ndige Garantie, dass nach der Impfung von Kindern keine Nebenwirkungen auftreten, gibt es nicht. &laquo;Diese Botschaft sollte man den Eltern vor der Schutzimpfung ehrlich kommunizieren&raquo;, empfahl Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, Leitender Arzt der Abteilung f&uuml;r Infektiologie und Vakzinologie am Universit&auml;tskinderspital beider Basel, am IX. Schweizer Impfkongress. Aufgrund der Zahlen zur Impfschutzwahrscheinlichkeit k&ouml;nne man den Eltern aber versichern, dass der zu erwartende Nutzen gr&ouml;sser ist als das Risiko einer Impfkomplikation.<br /> Bei den Impfkomplikationen ist es nicht immer einfach, Nebenwirkungen und unerw&uuml;nschte Ereignisse voneinander zu unterscheiden. W&auml;hrend Nebenwirkungen immer in einem urs&auml;chlichen Zusammenhang mit der Arzneimittelgabe stehen, treten unerw&uuml;nschte Ereignisse in einem zeitlichen Zusammenhang auf, sie k&ouml;nnen aber sowohl urs&auml;chlich wie auch zuf&auml;llig sein. &laquo;Am einfachsten ist die Unterscheidung bei einer lokalen Impfreaktion&raquo;, sagte Heininger. Schwierig bis teilweise unm&ouml;glich ist die Differenzierung, wenn bei den Kindern nach der Impfung Fieber auftritt, wie er anhand einer Grafik (Abb. 1) zur H&auml;ufigkeit von Impfkomplikationen im Vergleich zu Placebo verdeutlichte.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s11_abb1.jpg" alt="" width="1425" height="948" /></p> <h2>Entsch&auml;digung und Genugtuung nach Impfsch&auml;den</h2> <p>F&uuml;r Sch&auml;den, die im Zusammenhang mit den vom Bund empfohlenen Schutzimpfungen auftreten, leistet der Bund konsequenterweise auch eine angemessene Hilfe. &laquo;Diese Regelung war bereits im Epidemiengesetz (EpG) von 1970 vorgesehen, aber nur wenigen Personen bekannt und kam deshalb selten zur Anwendung&raquo;, sagte Dr. med. Catherine Bourquin von der Sektion Impfempfehlungen und Bek&auml;mpfungsmassnahmen des Bundesamts f&uuml;r Gesundheit (BAG). Das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene revidierte EpG (Art. 64&ndash;69) sieht neu ein einheitliches Verfahren f&uuml;r die Gesuche vor. Die Beurteilung und Entscheidung, ob eine Entsch&auml;digung oder Genugtuung gesprochen wird, obliegt dem EDI. Bund und Kantone &uuml;bernehmen eine subsidi&auml;re Haftung. Mit anderen Worten: Diese &uuml;bernehmen die Entsch&auml;digung, wenn der Schaden nicht durch Dritte gedeckt wird. Das Ziel dieser Regelung ist, ungen&uuml;gende Leistungen Dritter zu erg&auml;nzen. Als Ausdruck der gesellschaftlichen Anerkennung der schwierigen Situation, die der Person durch einen Impfschaden entstanden ist, wurde im Gesetz neu die Genugtuung aufgenommen. Die Zahlung einer Genugtuung ist auf schwere physische und psychische Beeintr&auml;chtigungen begrenzt und abh&auml;ngig von der Schwere. Auch in diesem Fall &uuml;bernehmen Bund und Kantone eine subsidi&auml;re Haftung.</p> <h2>Was und wann melden?</h2> <p>Der Verdacht auf schwerwiegende, bisher unbekannte oder auch ungen&uuml;gend in der Fachinformation erw&auml;hnte unerw&uuml;nschte Wirkungen sollte an das kantonale Pharmakovigilanz-Zentrum gemeldet werden. Die Kontakte und der genaue Ablauf der Meldung sind auf der Website der Swissmedic zu finden. Schwerwiegende Ereignisse sollten innert 15 Tagen gemeldet werden, nicht schwerwiegende in einem Zeitraum von 60 Tagen. &laquo;Die zeitnahe Meldung ist wichtig, damit man beispielsweise im Zusammenhang mit einer neu ausgelieferten Impfstoffcharge rasch darauf reagieren kann&raquo;, betonte Heininger. Neben dem konventionellen Meldeformular gibt es seit zwei Jahren die M&ouml;glichkeit, die Vorkommnisse &uuml;ber das &laquo;Electronic Vigilance System&raquo; (ElViS) zu melden. Dazu muss man sich zun&auml;chst registrieren. &Uuml;ber die Swissmedic-Website hat man zudem die M&ouml;glichkeit, sich &uuml;ber die gemeldeten unerw&uuml;nschten Ereignisse zu informieren. Im Jahr 2015 wurden 278 Verdachtsf&auml;lle von unerw&uuml;nschten Wirkungen in Zusammenhang mit Impfungen gemeldet. Das waren ungef&auml;hr gleich viele F&auml;lle wie 2014 (296 F&auml;lle), aber rund doppelt so viele wie im Jahr 2013 (138 F&auml;lle). &laquo;Da die Gesamtzahl der Impfungen, die 2015 durchgef&uuml;hrt wurden, unbekannt ist, k&ouml;nnen aus der Melderate keine definitiven Schlussfolgerungen gezogen werden&raquo;, erkl&auml;rte Heininger. Die Analyse der 2015 gemeldeten F&auml;lle zeigt, dass unerw&uuml;nschte Ereignisse am h&auml;ufigsten in der Altersgruppe der 17- bis 69-J&auml;hrigen auftraten, wobei Frauen h&auml;ufiger betroffen waren als M&auml;nner. Die Ursache f&uuml;r diesen Geschlechterunterschied ist unklar. Eine Erkl&auml;rung k&ouml;nnte sein, dass Frauen eher R&uuml;ckmeldung erstatten als M&auml;nner. Der Spezialist &auml;usserte allerdings seine Zweifel an der Zuverl&auml;ssigkeit im Umgang mit Impfkomplikationen. So wurden 2015 bei den unter 2-j&auml;hrigen Kindern nur gerade 30 Verdachtsf&auml;lle gemeldet, obwohl in dieser Altersgruppe sehr viel geimpft wird.<br /> Beim Vergleich der gemeldeten Verdachtsf&auml;lle nach Impfstoffgruppen zeigte sich, dass die meisten unerw&uuml;nschten Wirkungen im Zusammenhang mit der Influenzaimpfung aufgetreten sind (Abb. 2).<sup>2</sup> &laquo;Dies verwundert nicht, denn mit mehr als 1 Million Dosen j&auml;hrlich ist diese die am h&auml;ufigsten verwendete Impfung in der Schweiz&raquo;, so der Spezialist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1701_Weblinks_s11_abb2.jpg" alt="" width="1783" height="1173" /></p> <h2>Nationale Impfstrategie zur Masernelimination</h2> <p>Das EpG erm&auml;chtigt das BAG unter Einbezug der Kantone und interessierter Kreise, ein nationales Impfprogramm auszuarbeiten. Die nationale Strategie zu Impfungen steht mit dem globalen Impfaktionsplan der WHO und mit dem europ&auml;ischen Impfaktionsplan in Einklang und basiert auf den spezifischen Bed&uuml;rfnissen und Erfahrungen, die f&uuml;r die Schweiz identifiziert wurden.<br /> In der Schweiz genehmigte der Bundesrat 2011 die nationale Strategie zur Elimination der Masern. Diese war vom BAG in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren entwickelt worden und wurde von 2012 bis 2015 umgesetzt. Den Hintergrund bildeten zwei bedeutende Masernepidemien in Europa und der Schweiz in den Jahren 2006 und 2011. Diese f&uuml;hrten dazu, dass die WHO als Ziel f&uuml;r die Eurozone (zu der auch die Schweiz z&auml;hlt) per 31. Dezember 2015 eine Durchimpfrate (2 Impfdosen) von 95 % und eine Maserninzidenz von weniger als 1 Fall/1 Mio. erkl&auml;rten.<br /> Die Masern geh&ouml;ren seit 1999 zu den meldepflichtigen Erkrankungen. Zum Zeitpunkt der 2. Masernepidemie war die Durchimpfrate mit 73&ndash;95 % in den Kantonen sehr heterogen. &laquo;Einige Ergebnisse der Evaluierung (Juli 2015 bis November 2016) lassen sich bereits zusammenfassen, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Auswirkungen der Strategie erkennbar sind&raquo;, sagte Val&eacute;rie Henry vom Institut f&uuml;r Sozial- und Pr&auml;ventivmedizin in Lausanne. Was die operativen Ziele betrifft, konnte die Durchimpfungsrate von 95 % nicht erreicht werden. Die Durchimpfungsrate wurde aber in allen Kantonen verbessert und liegt zum Teil sehr nahe an den Zielvorgaben. Eine anhaltende Inzidenz von Zu den Faktoren, die die Durchimpfungsrate ung&uuml;nstig beeinflussten, geh&ouml;rten die schwierige Erreichbarkeit bestimmter Zielgruppen, darunter Erwachsene und Kleinkinder in Betreuungseinrichtungen. Andere Gr&uuml;nde waren Vorbehalte bei gewissen Fachpersonen gegen&uuml;ber der Impfung und Unterschiede in den personellen und finanziellen Ressourcen zwischen den Kantonen. Die niedrige Durchimpfungsrate in den angrenzenden Nachbarl&auml;ndern verdeutlichte aber auch, dass die Schweiz die Masern nicht alleine ausrotten kann. Es handelt sich vielmehr um ein Problem, das nur gemeinsam mit den anderen europ&auml;ischen L&auml;ndern bew&auml;ltigt werden kann.</p> <h2>Welche Faktoren beeinflussen die Durchimpfungsrate in den Kantonen?</h2> <p>Bei den Durchimpfungsraten gegen Hepatitis- B-Viren (HBV) und humane Papillomaviren (HPV) bei Teenagern existieren ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen den Kantonen. Mit dem Ziel, mehr &uuml;ber die Faktoren zu erfahren, die die Impfrate beeinflussen, wurden in der FEVAC-Studie kantonale Beh&ouml;rden, Gesundheitsfachleute, Eltern und Jugendliche befragt.<sup>3</sup> Verglichen wurden je 4 Kantone mit einer hohen (&laquo;high vaccination coverage&raquo;, HVC) und einer niedrigen Impfrate (&laquo;low vaccination coverage&raquo;, LVC).<br /> Dabei zeigten sich &uuml;ber alle Gruppen hinweg wichtige Unterschiede zwischen den verglichenen Kantonen. &laquo;W&auml;hrend beispielsweise die kantonalen Beh&ouml;rden der LVC-Kantone den Impfschutz nicht als priorit&auml;re Aufgabe ansahen, betrachteten die Beh&ouml;rden der HVC-Kantone diesen als eine ihrer Hauptverantwortlichkeiten&raquo;, sagte Dr. med. Virginie Masserey Spicher von der Sektion Impfkontrolle und Impfprogramm des BAG. Vergleichsweise gering war das Engagement der Beh&ouml;rden in den LVC-Kantonen, die das Thema Impfungen in der Verantwortung jedes Einzelnen sahen und den Gemeinden in Sachen Schulgesundheit viel Freiheit liessen. Im Unterschied dazu wurde in den HVC-Kantonen die Schulgesundheit kantonal koordiniert.<br /> Wichtige Unterschiede bestanden auch bei der Durchf&uuml;hrung der Impfung. In den LVC-Kantonen waren fast ausschliesslich Privat&auml;rzte und in 2 von 4 vorwiegend Allgemein&auml;rzte f&uuml;r die Impfungen verantwortlich. Dagegen erfolgte die Impfung von Teenagern gegen HBV/HPV in den HVC-Kantonen vorwiegend durch Kinder&auml;rzte und in den Schulen durch Pflegefachpersonen. Was die Rolle der &Auml;rzte bei den Impfungen betraf, so nahmen diese in den LVC-Kantonen eine eher passive Rolle ein. Dagegen sahen die &Auml;rzte der HVC-Kantone das Impfen als Teil ihrer t&auml;glichen Arbeit und einen wichtigen Beitrag zur Public Health. Die Bev&ouml;lkerung der LVC-Kantone stand der Impfung insgesamt kritischer gegen&uuml;ber. Die vorherrschende Meinung der befragten Personen aus den LVC-Kantonen war, dass Impfungen wichtig sind, um eine Verbreitung von Krankheiten zu verhindern und sich selbst und gef&auml;hrdete Personen vor schweren Erkrankungen zu sch&uuml;tzen. Daneben existierte aber auch die Meinung, dass ein Zuviel an Impfungen dazu f&uuml;hre, dass der K&ouml;rper nicht mehr in der Lage sei, Krankheiten selbst zu bew&auml;ltigen.<br /> Aus den Ergebnissen der Untersuchung liess sich ableiten, dass die Durchimpfungsrate verbessert werden k&ouml;nnte, wenn die Interventionen von kantonalen Gesundheits- und Schulbeh&ouml;rden systematischer, strukturierter und koordinierter erfolgen w&uuml;rden.</p> <h2>Der Erfolg einer Impfung ist abh&auml;ngig von Impfstoff und Impfprogramm</h2> <p>Die perfekte Impfung besteht aus einem wirksamen Impfstoff und einem Impfprogramm, mit dem die notwendige Abdeckung erreicht wird. &laquo;H&auml;ufig ist es so, dass die Wirksamkeit (&lsaquo;efficacy&rsaquo;) des Impfstoffes sehr gut untersucht ist, die Anwendung (&lsaquo;effectiveness&rsaquo;) aber nicht&raquo;, sagte Prof. Dr. med. Matthias Egger, Direktor des Instituts f&uuml;r Sozial- und Pr&auml;ventivmedizin in Bern. Einen Beitrag zur Probleml&ouml;sung k&ouml;nnten pragmatische Impfstudien leisten, die nicht nur die Wirkung des Impfstoffs, sondern das gesamte Impfprogramm in einer breiteren Studienpopulation und im Routine-Setting beispielsweise Arztpraxen- oder Spital-basiert testen. Bis heute werden die meisten Impfstudien explanatorisch durchgef&uuml;hrt. Dazu wird der Impfstoff in einer eng definierten Studienpopulation mit zumeist gesunden Freiwilligen mit Placebo verglichen. &laquo;Da f&uuml;r das Ergebnis nur die Immunogenit&auml;t angeschaut wird, sind in der Regel weitere Untersuchungen n&ouml;tig, bevor der Impfstoff in einer gr&ouml;sseren Population zur Anwendung kommt&raquo;, sagte Egger. Im Unterschied dazu k&ouml;nne ein Impfstoff, der in einer pragmatischen Studie getestet wurde, sofort eingesetzt werden. Als Beispiel f&uuml;hrte er die randomisierte Studie der Ringimpfung gegen Ebola in Guinea, Westafrika, an.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: IX. Schweizer Impfkongress, 10.–11. November 2016, Basel </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Ruiz-Palacios GM et al: Dose response and efficacy of a live, attenuated human rotavirus vaccine in Mexican infants. Pediatrics 2007; 120: e253-61 <strong>2</strong> Swissmedic, Pharmacovigilance: Zusammenfassung zu den in der Schweiz gemeldeten unerw&uuml;nschten Ereignissen nach Impfungen im Jahr 2015. https://www.swissmedic.ch/marktueberwachung/ 00135/00160/index.html?lang=de <strong>3</strong> Masserey Spicher V: Factors explaining differences in vaccination coverage across cantons in Switzerland 2014-2015. Unpublished data</p> </div> </p>
Back to top