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«Drug-induced liver injury»

Die Dosis macht das Gift – oder doch nicht?

<p class="article-intro">Eine medikamentös-toxische Hepatitis kann durch viele im medizinischen Alltag häufig eingesetzte Medikamente verursacht werden. Die Diagnose eines «drug-induced liver injury» (DILI) ist aufgrund des unterschiedlichen Erscheinungsbilds und der fehlenden standardisierten Tests oft schwierig zu stellen, die therapeutischen Optionen sind limitiert. Somit ist der Vermeidung eines DILI durch behutsame Medikamenteneinnahme oberste Priorität beizumessen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Viele Medikamente, vor allem Antibiotika, aber auch Nahrungserg&auml;nzungsmittel k&ouml;nnen ein DILI ausl&ouml;sen. N&auml;here Infos zur medikament&ouml;sen Toxizit&auml;t finden Sie unter: www.livertox.nih.gov</li> <li>Die Diagnose eines DILI wird nach genauer Anamnese und Ausschluss anderer Lebererkrankungen gestellt.</li> <li>Die therapeutischen M&ouml;glichkeiten des DILI sind limitiert. Durch sorgsamen Umgang mit Medikamenten und deren Indikationsstellung kann die Entstehung einer DILI zum Teil vermieden werden.</li> </ul> </div> <p>In der westlichen Welt ist die medikament&ouml;s- toxische Hepatitis f&uuml;r ca. 30 % der akuten Hepatitisf&auml;lle verantwortlich und somit der h&auml;ufigste Grund f&uuml;r ein akutes Leberversagen. Die Inzidenz des DILI liegt bei 14&ndash;19/100 000.</p> <h2>Pathophysiologie und Einteilung</h2> <p>Die Leber ist Hauptorgan f&uuml;r den Metabolismus k&ouml;rpereigener und k&ouml;rperfremder Stoffe. Verabreichte Medikamente oder ihre Komponenten gelangen &uuml;ber den enterohepatischen Kreislauf in die Leber und werden dort in mehreren Metabolisierungsschritten (Phase I&ndash;III) ver&auml;ndert. Katalysiert werden diese metabolischen Umbauprozesse durch die Cytochromkaskade. Durch chemische Prozesse auf zellul&auml;rer Ebene (Oxidation, Hydrolyse, Konjugation mit Glukuronaten/Sulfaten/Acetaten) werden die Wasserl&ouml;slichkeit und damit die Transportf&auml;higkeit gesteigert und inaktive Metaboliten in aktive umgewandelt. Im Rahmen dieser chemischen Prozesse entstehen oft toxische Metaboliten, welche direkt oder indirekt hepatotoxisch wirken k&ouml;nnen. Im Wesentlichen werden zwei Arten von DILI unterschieden: ein intrinsisches und ein idiosynkratisches DILI.</p> <ul> <li>Bei dem intrinsischen DILI gilt die Regel: Die Dosis macht das Gift! Dabei kommt es zu einer dosisabh&auml;ngigen Lebersch&auml;digung, die bei allen Menschen und S&auml;ugetieren &auml;hnlich verl&auml;uft. Die Toxizit&auml;t ist somit vorhersehbar und reproduzierbar. Durch die oben beschriebenen Metabolisierungsschritte entstehen toxische Metaboliten/freie Radikale, die die Leberzelle direkt sch&auml;digen oder &uuml;ber kovalente Bindung Zellorganellen in ihrer Funktion hemmen und somit zum Zelltod f&uuml;hren. Die Latenzzeit ist kurz (wenige Stunden bis Tage), es kommt zu einem deutlichen Transaminasenanstieg. Beispiele hierf&uuml;r sind Acetaminophen, Alkohol und i.v. verabreichte Tetrazykline.</li> <li>Das idiosynkratische DILI ist die weitaus h&auml;ufigere Form einer medikament&ouml;stoxischen Lebersch&auml;digung. Hierbei besteht keine klare Dosisabh&auml;ngigkeit zwischen Noxe und Lebersch&auml;digung. Ausmass und Muster der Lebersch&auml;digung sind individuell unterschiedlich und somit nicht reproduzierbar. Die Latenzzeit von der Exposition bis zum Auftreten eines DILI ist variabel und betr&auml;gt meist ein bis drei Monate. Bei dieser Art der Lebersch&auml;digung werden zwei Untergruppen voneinander unterschieden:<br /> <ul> <li>Bei dem nicht immunologischen idiosynkratischen DILI vermutet man genetisch determinierte Ver&auml;nderungen des hepatischen Metabolismus (z.B. in der Cytochromkaskade), was zu einer Anh&auml;ufung reaktiver Metaboliten f&uuml;hrt. Diese wiederum f&uuml;hren zu einer direkten Leberzellsch&auml;digung. Beispiele hierf&uuml;r sind: Amiodaron, Diclofenac, Isoniazid.</li> <li>Die Pathogenese des immunmediierten idiosynkratischen DILI gleicht einer Hypersensitivit&auml;tsreaktion: Es entsteht eine kovalente Bindung zwischen dem reaktiven Metaboliten der Noxe/des Medikaments mit einem k&ouml;rpereigenen Protein (= Haptenisierung). Dieses Hapten fungiert als Neoantigen und stimuliert so das angeborene Immunsystem. Durch Stimulation von T-Zellen, B-Zellen und nat&uuml;rlichen Killerzellen wird Apoptose induziert. Beispiele hierf&uuml;r sind: Amoxicillin/Clavulans&auml;ure, Fluorchinolone, Antikonvulsiva und Allopurinol.</li> </ul> </li> </ul> <p>Die Entstehung eines DILI ist meist multifaktoriell bedingt. Die Immunogenit&auml;t des ausl&ouml;senden Agens ist sicherlich hauptverantwortlich f&uuml;r die sch&auml;digende Wirkung. Die Immunantwort und Immuntoleranz des Organismus spielen aber ebenfalls eine wesentliche Rolle. Weitere Risikofaktoren, die die Entstehung eines DILI beg&uuml;nstigen, sind in Tabelle 1 aufgelistet. In Tabelle 2 sind die Top-10-Medikamente und -gruppen aufgelistet, die ein DILI verursachen k&ouml;nnen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1806_Weblinks_s73_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1142" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1806_Weblinks_s73_tab2.jpg" alt="" width="1418" height="1080" /></p> <h2>Klinisches Bild</h2> <p>Klinisch pr&auml;sentieren sich die Patienten meist asymptomatisch. Bei schweren Verlaufsformen wird &uuml;ber Oberbauchschmerzen, Inappetenz, &Uuml;belkeit, Erbrechen, Fatigue, Ikterus, Pruritus, acholische St&uuml;hle, Dunkelf&auml;rbung des Harns und Fieber berichtet. Bei immunmediierten Reaktionen zeigen sich oft extrahepatische Manifestationen im Sinne von Hautausschlag, Gesichts&ouml;dem, Lymphadenopathie, Myalgien und Arthralgien. Ein akutes Leberversagen mit Koagulopathie und Enzephalopathie tritt nur &auml;usserst selten auf.<br /> Laborchemisch werden drei Formen von DILI beschrieben. Man beurteilt die H&ouml;he der Transaminasen (GOT = AST und GPT = ALT), die Auslenkung der Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase = Alk P, Gamma-GT, Bilirubin) und berechnet die R-Ratio = (ALT/ALT ULN) &divide; (Alk P/Alk P ULN); (ULN = &laquo;upper limit of normal&raquo;).</p> <ul> <li>Hepatozellul&auml;r/hepatitisch ist die h&auml;ufigste Form. Es zeigt sich eine f&uuml;hrende Transaminasenerh&ouml;hung, die R-Ratio betr&auml;gt &gt;5 und die Cholestasewerte sind meist nicht oder nur geringgradig ausgelenkt.</li> <li>Cholestatisch: Hierbei kommt es zu einem merklichen Anstieg der alkalischen Phosphatase, der Gamma-GTWerte und des Bilirubins. Die Transaminasen sind normal bzw.</li> <li>Gemischt hepatitisch und cholestatisch: Bei dieser Form sind die Transaminasen &gt;3xULN, die Cholestaseparameter &gt;2xULN und die R-Ratio zwischen 2 und 5.</li> </ul> <h2>Diagnose</h2> <p>Die Diagnosefindung kann oft herausfordernd sein, da ein DILI beinahe jede Lebererkrankung imitieren kann. Ein DILI kann das klinische Erscheinungsbild einer Virushepatitis, einer Autoimmunhepatitis, einer langj&auml;hrig bestehenden Zirrhose, einer akuten Fettlebererkrankung und einer Gallengangsobstruktion annehmen. Folgende sechs Eigenschaften helfen bei der Diagnosefindung und sind in der Berechnung des &laquo;Roussel Uclaf Causality Assessment Method&raquo;(RUCAM)-Scores beinhaltet.</p> <ul> <li>Latenzzeit (ab der ersten Medikamenteneinnahme): 5 Tage bis 3 Monate, auch Jahre m&ouml;glich</li> <li>Zeit bis zur Genesung: Besserung meist nach 1&ndash;2 Wochen, Genesung nach 2&ndash;3 Monaten</li> <li>Klinisches Verhalten: hepatitisch, cholestatisch, gemischter Typ</li> <li>Ausschluss anderer Hepatopathien: Virushepatitis, Autoimmunhepatitis, prim&auml;r bili&auml;re Cholangitis (PBC), prim&auml;r sklerosierende Cholangitis (PSC), nicht alkoholische und alkoholische Steatohepatitis (NASH bzw. ASH), vaskul&auml;re Pathologien, bili&auml;re Abflusshindernisse</li> <li>Medikament als Hepatotoxin bekannt: LiverTox (www.livertox.nih.gov)</li> <li>Verlauf nach Reexposition: nicht empfehlenswert</li> </ul> <h2>Therapie und Prognose</h2> <p>Das Absetzen der vermuteten ausl&ouml;senden Noxe ist bei jedem Verdacht auf DILI angezeigt. Bei einzelnen Intoxikationen k&ouml;nnen medikament&ouml;se Therapieans&auml;tze gestartet werden: Verabreichung von L-Carnitin bei Valproins&auml;urevergiftung oder N-Acetyl-Cystein bei Acetaminophenintoxikation, was den Abbau reaktiver Metaboliten beschleunigt. Klare Empfehlungen f&uuml;r den Einsatz von Glukokortikoiden als Therapie des DILI gibt es nicht. Bei immunmediiertem idiosynkratischem DILI oder bestehenden extrahepatischen Manifestationen k&ouml;nnen Glukokortikoide (z.B. Prednisolon 30mg/d) zur Besserung beitragen. Bei cholestatischem DILI kann der Zusatz von Ursodeoxychols&auml;ure (15mg/kg K&ouml;rpergewicht) zur Therapie zu einer rascheren Normalisierung der Laborwerte beitragen. Bei zus&auml;tzlich bestehender Pruritussymptomatik sollte eine symptomatische Therapie mit Cholestyramin, Phenobarbital, Rifampicin und Naltrexon bis hin zur Plasmapherese bei intraktablem Pruritus begonnen werden. Beim seltenen Verlauf eines akuten Leberversagens muss an eine Lebertransplantation gedacht werden.</p> <p>Prognostisch verl&auml;uft ein DILI in den meisten F&auml;llen gutartig und die klinischen und laborchemischen Ver&auml;nderungen bilden sich komplett zur&uuml;ck. Bei ca. 5&ndash;10 % stellt sich ein chronischer Verlauf ein, wobei eine chronische Lebersch&auml;digung bis hin zur Entstehung einer Leberzirrhose m&ouml;glich ist. Ein cholestatisches DILI hat hinsichtlich kompletter Restitutio eine bessere Prognose als ein hepatitisches DILI; wobei Patienten mit hepatitischem DILI und Bilirubinerh&ouml;hung (Bilirubin &gt;2xULN) ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r die Ausbildung eines akuten Leberversagens haben (&laquo;Hy&rsquo;s law&raquo;).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Chalasani N et al.: Gastroenterology 2015; 148: 1340-52 &bull; Iorga A et al.: Int. J. Mol. Sci. 2017; 18: pii E1018 &bull; Kullak- Ublick GA et al.: Gut 2017; 66: 1154-64 &bull; Weiterf&uuml;hrende Literatur bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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