
Colistin: aktueller Stellenwert
Jatros
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08.06.2017
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<p class="article-intro">Obwohl Colistin als Polymyxin E schon in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts bekannt war, wurde es seit den 1980ern kaum mehr eingesetzt. Das hat sich nun aufgrund der Resistenzsituation im gramnegativen Bereich geändert. Allerdings ist Colistin nicht ganz einfach zu dosieren. Die aktuelle Datenlage zu diesem wichtigen Reserveantibiotikum fasste ein „Giftiger Donnerstag Hospital“ in Linz zusammen.</p>
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<p class="article-content"><p>Die steigenden Resistenzraten gramnegativer Erreger geben Anlass zur Sorge, insbesondere dann, wenn Resistenzen gegen Carbapeneme vorliegen. In solchen Fällen greift man zu „Reserveantibiotika“. Dies sind lang bekannte Substanzen mit meist sehr breitem Wirkspektrum gegen Gramnegative. Ein Beispiel ist Colistin.</p> <h2>Mikrobiologie: Diagnostik und Resistenzen</h2> <p>„Colistin oder Polymyxin E ist schon lange bekannt. Es wirkt an der äußeren Membran gramnegativer Erreger“, erklärte OA Dr. Rainer Hartl, Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin, Ordensklinikum Linz Elisabethinen.<br />An sich seit den 1980ern als Reserveantibiotikum betrachtet, wird Colistin heute aufgrund der Zunahme von Infek­tionen mit multiresistenten gramnega­tiven Erregern wieder zunehmend verwendet. „Colistin hat eine breite Wirksamkeit gegen zahlreiche gramnegative Erreger mit erworbenen Resistenzmechanismen, einschließlich Carbapenemase-produzierender Isolate“, erläuterte der Mikrobiologe.<br />Neben dem Einsatz als Reserveantibiotikum in der Humanmedizin wird der überwiegende Teil der Substanz im veterinärmedizinischen Bereich gebraucht.<br />Das Wirkspektrum umfasst zahlreiche Enterobakterien wie E. coli, Enterobacter-Spezies, Klebsiellen, Citrobacter-Spezies, Salmonellen und Shigellen sowie zahl­reiche Nonfermenter, wie P. aeruginosa, Acinetobacter baumannii und Stenotrophomonas maltophilia. Keine Aktivität zeigt Colistin bei Neisserien, grampositiven Erregern und Anaerobiern.<br />Natürlich gibt es auch Resistenzen gegen Colistin. Hier sind verschiedene intrinsische Resistenzen zu nennen. Darüber hinaus wird aber eine weltweite Zunahme von erworbenen Resistenzmechanismen mit horizontaler Weitergabe beobachtet. Besonders eine Plasmid-kodierte Colistin-Resistenz (mcr-1) steht hier im Fokus.<br />Die Colistin-Empfindlichkeitstestung ist aktuell nur mittels Bouillon-Mikrodilution zuverlässig und stellt hohe Anforderungen an das mikrobiologische Labor.<br />„Die Detektion von Resistenzmechanismen gegen Colistin ist schwierig und zumeist Referenzlaboratorien vorbehalten“, so Hartl abschließend.</p> <h2>Colistin: Pharmakokinetik und Dosierung</h2> <p>„Colistin liegt als unwirksame Prodrug – Colistinmethansulfonat − vor und wandelt sich erst durch Hydrolysierung in das aktive Colistin um“, erläuterte Univ.-Prof. Dr. Robert Krause, Infektiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, MedUni Graz.<br />Das pharmakokinetische Verhalten von Colistinmethansulfonat und Colistin ist komplex. Colistinmethansulfonat wird zu einem Großteil unverändert über die Niere ausgeschieden und im Plasma nur zu einem geringen Teil zu Colistin hydrolysiert. Colistin selbst wird zu einem geringen Teil renal ausgeschieden, der größere ist anderen, bis heute nicht vollständig charakterisierten Eliminationswegen unterworfen. In den ableitenden Harnwegen wird renal eliminiertes Colistinmethansulfonat weiter zu aktivem Colistin hydrolysiert.<br />Vorsicht ist bei Niereninsuffizienz geboten, weil dadurch die Rate an Hydrolyse zu aktivem Colistin erheblich ansteigt. Zu beachten ist, dass Colistin (nicht jedoch Colistinmethansulfonat) nephrotoxisch ist, wobei das Ausmaß der Nephrotoxizität in der Literatur unterschiedlich angegeben wird.<br />Bei intravenöser Gabe von Colistin besteht keine ZNS-Gängigkeit; bei ZNS-Infektionen muss das Medikament daher intrathekal bzw. intraventrikulär verabreicht werden. Eine orale Gabe ist wegen möglicher Resistenzinduktion zu vermeiden. Zur inhalativen Therapie siehe den nächsten Punkt.<br />Was die Dosierung von Colistin angeht, so waren die Angaben in früheren Fachinformationen oft nicht korrekt. Um den Zielspiegel rasch zu erreichen, sollte eine „loading dose“ gegeben werden. Sowohl für die „loading dose“ als auch für die Erhaltungsdosis sollte möglichst die Garonzik/Nation-Formel verwendet werden (Nation R et al: Clin Infect Dis 2017; 64(5): 565-71).</p> <h2>Therapie der VAP</h2> <p>„Die beatmungsassoziierte Pneumonie oder VAP ist ein schwieriges Thema; schon die Definition der VAP ist nicht ganz scharf und auch die Diagnostik ist schwierig“, so Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer, Klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin, MedUni Wien.<br />Wichtig ist jedenfalls ein früher und breiter Therapiebeginn – eine verzögerte antimikrobielle Behandlung steigert die Letalität der Erkrankung, je nach Studie, auf 60 bis über 80 % .<br />Die frühere Einteilung in „early“ und „late onset“ ist weitgehend obsolet, da sich beim Keimspektrum keine wesentlichen Unterschiede zeigen. Eine erregerspezifische Anamnese sollte u.a. Reisen, Lebensalter, chronische Lungenerkrankungen und die Frage, ob der Patient in einer Pflegeeinrichtung lebt, berücksichtigen.<br />Die Kenntnis der nationalen sowie der lokalen Resistenzsituation ist natürlich wichtig. Im Fall der VAP ist z.B. die Carbapenem-Resistenz von P. aeruginosa von Bedeutung, die je nach Abteilung zwischen 10 und 20 % liegen kann. Aber auch MRSA und MRGN spielen eine Rolle.<br />Die Dauer der Therapie kann kurz sein − wenn der Patient stabil ist und eine VAP nur vermutet wird, genügen sogar drei Tage.<br />Die Therapie kann systemisch oder inhalativ erfolgen. Bei systemischer Therapie ist die Konzentration im Lungengewebe (die bei Pneumonie anders ist als im gesunden Gewebe) zu berücksichtigen.<br />Colistin kann sowohl systemisch als auch inhalativ verabreicht werden.<br />Für die inhalative Therapie der VAP sind derzeit nur wenige Medikamente zugelassen – neben Colistin nur Tobramycin und Aztreonam. Verschiedene andere Antibiotika werden „off-label“ verwendet.<br />Gesichert ist die inhalative Anwendung von Colistin derzeit allerdings nur für die zystische Fibrose. Für die VAP besteht zurzeit keine Leitlinienempfehlung.</p> <h2>Therapieoptionen bei Pseudomonas-Infektionen</h2> <p>„Pseudomonas aeruginosa kann man als einen der ,Hauptfeinde‘ in der Hämatologie und Stammzelltransplantation bezeichnen“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Johannes Clausen, Interne Abteilung 1, Hämato-Onkologie, Ordensklinikum Linz Elisabethinen.<br />Generell nimmt bei Patienten mit akuten Leukämien, die eine antibiotische Prophylaxe erhalten haben, der Prozentsatz an Pseudomonas-Bakteriämien ab, während z.B. Enterokokken regelhaft zunehmen.<br />Die 30-Tages-Letalität durch P. aeruginosa (PA) liegt in der pädiatrischen Hämatologie bei knapp 20 % , bei multiresistenten PA (MDRPA) bei 36 % .<br />Multiresistente PA sind laut einer Studie (Trecarichi et al: Haematologica 2011) zu 60 % gegen Carbapeneme, zu 42 % gegen Pseudomonas-wirksame Cephalosporine, zu 24 % gegen Piperacillin/Tazobactam, zu 50 % gegen Amikacin und zu 66 % gegen Ciprofloxacin resistent.<br />MDRPA sollten mit einem Kombinationsregime behandelt werden, wobei in der gezielten Therapie Colistin-haltige Regime fast dreimal so wirksam sind wie Regime ohne Colistin.<br />Die Resistenzraten gegen Colistin sind in den meisten hämatoonkologischen Zentren niedrig und Colistin stellt somit eine Option zur Behandlung von MDRPA-Bakteriämien dar.<br />Für die initiale empirische Therapie febriler Hochrisikopatienten mit unkomplizierter Neutropenie werden Pseudomonas-wirksame Cephalosporine wie Cefepim oder Ceftazidim empfohlen, eine weitere, gleichwertige Option ist Piperacillin/Tazobactam. Carbapeneme sollten dann verwendet werden, wenn es sich um schwer kranke Patienten handelt oder die ESBL-Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist. Bei MDRPA mit Betalaktam- und insbesondere Carbapenem-Resistenz kommt Colistin als Teil einer Kombinationstherapie zum Einsatz.</p> <h2>Kombinationen mit Colistin</h2> <p>„Laut WHO sind Forschung und Entwicklung von antimikrobiellen Substanzen vor allem gegen Carbapenem-resistente, gramnegative Erreger − Acinetobacter baumannii, P. aeruginosa, Enterobakterien – sehr wichtig“, sagte OA Dr. Rainer Gattringer, Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin, Ordensklinikum Linz Elisabethinen. „Zwar gibt es neue Kombinationen aus Betalaktamen und Betalaktamaseinhibitoren, die uns hier helfen, aber wir kommen um die Verwendung von Reserveantibiotika wie Colistin derzeit in vielen Fällen nicht herum“, fuhr Gattringer fort.<br />Es gibt zu Kombinationen mit Colistin viele In-vitro-, jedoch wenige In-vivo-Studien. Letztere haben oft kleine Patientenzahlen und retrospektive Designs. Günstige Kombinationspartner für Colistin bei Pseudomonas-Infektionen sind Fosfomycin, Aztreonam, Carbapeneme und ev. Aminoglykoside. Die Kombination von Colistin mit Fosfomycin wirkt auch gut gegen Klebsiellen und andere Enterobakterien.<br />Für Acinetobacter baumannii wurde gezeigt, dass die Kombination Colistin/Fosfomycin die klinischen Ergebnisse gegenüber einer Colistin-Monotherapie verbessert und die Mortalität verringert.<br />„Allgemein zeigt die aktuelle Datenlage, dass vor allem Hochrisikopatienten von Kombinationstherapien profitieren“, erläuterte Gattringer.<br />Große, prospektive Studien – z.B. Colistin vs. Colistin plus Meropenem – sind derzeit im Gang.</p> <p>Quelle: <br />„Colistin – ein altes Antibiotikum startet durch – vom ,No Go‘ zum wichtigen Reserveantibiotikum“, Giftiger Donnerstag Hospital, Linz, 4. Mai 2017</p></p>