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Riesenzellarteriitis

«Hoffnung auf bessere Patientencharakterisierung und gezielte Therapie»

Forscher aus Boston haben gezeigt, dass Mutationen im TET2-Gen (es hemmt die Aktivierung myeloider Zellen und fungiert deshalb als Tumorsuppressorgen für myeloide Neoplasien) das Risiko erhöhen, an einer Riesenzellarteriitis zu erkranken. Patienten mit TET2-Mutationen hatten ausserdem ein erhöhtes Risiko für einen Visusverlust.1 PD Dr. med. Mike Becker erklärt, wie die Ergebnisse einzuordnen sind.

Für wie wichtig halten Sie TET2 im Rahmen einer Riesenzellarteriitis?

M. Becker: Ich finde es interessant, TET2-Mutationen im Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen zu betrachten. Bei Mutationen des TET2-Proteins kommt es aufgrund der fehlenden inhibitorischen Aktivität zur inflammatorischen Aktivierung von Monozyten und Makrophagen, was unter anderem mit Sekretion von Interleukin-6 einhergeht.2,3 Nach Mutationen zu forschen ist aber in der Routineversorgung nicht einfach und ausserdem teuer. Um den endgültigen Stellenwert von TET2-Mutationen bei Riesenzellarteriitis festzulegen und zu entscheiden, ob diese Diagnostik in die Routineversorgung aufgenommen werden soll, braucht es deshalb mehr Daten.

Was halten Sie vom Studienaufbau?

M. Becker: Die Stärken der Studie sind die gute Charakterisierung der Kohorte und die umfassende Untersuchung der Patienten. Allerdings hätte die Kohorte mit den Patienten selbst für eine seltene Krankheit wie die Riesenzellarteriitis etwas grösser sein können – die Autoren hatten nur 114 Patienten eingeschlossen. So blieben in den Untergruppen teilweise recht wenige Patienten übrig, zum Beispiel nur drei Patienten mit definitiver myeloider Neoplasie.

Welche Rolle spielen die myeloiden Zellen für die Pathogenese?

M. Becker: Ich denke, das ist ein wichtiger Baustein. Darauf haben schon frühere Studien hingewiesen.2,3 Dazu passt, dass die Aktivierung der myeloiden Zellen typischerweise in der Sekretion proinflammatorischer Zytokine mündet, unter anderem Interleukin-6. Und dieses konnte erfolgreich mit dem Interleukin-6-Rezeptor-Inhibitor Tocilizumab bei Patienten mit Riesenzellarteriitis blockiert werden.4

Was ist an der Studie neu für Sie?

M. Becker: Interessant finde ich neben der Assoziation mit der TET2-Mutation und einer klonalen Hämatopoese die Tatsache, dass viele Patienten mit Visusverlust diese Mutation haben und dass ein eher niedriges CRP sowie eine Lymphopenie typisch zu sein scheinen. Das ist vorher so nicht beschrieben worden und kann vielleicht zukünftig helfen, Risikopatienten früher zu identifizieren und eher mit einer aggressiveren Therapie zu behandeln. Allerdings ist der Visusverlust bis hin zur Erblindung manchmal immer noch die erste Manifestation der Erkrankung und in der Regel ist dies auch mit einer frühen, intensiven Therapie nicht reversibel.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Praxis?

M. Becker: Die Ergebnisse sind zum einen wissenschaftlich interessant und zum anderen nützlich für den Praxisalltag, wenn man damit Risikopatienten früher identifizieren kann: mithilfe einer klinischen Charakterisierung und neu dann zusätzlich eventuell einer genetischen Testung. Allerdings müssten die Ergebnisse in anderen Studien erst noch repliziert werden und die Mutationsanalysen müssten in den Zentren zur Verfügung stehen.

Welche Patienten testen Sie auf TET2-Mutationen?

M. Becker: Bisher ist das in unserem Praxisalltag nicht Routine. Wir haben immer wieder Patienten mit klonaler Hämatopoese beziehungsweise Verdacht auf eine myeloproliferative Erkrankung auf ein VEXAS-Syndrom getestet. Dort finden wir und andere mitunter TET2- und auch andere Mutationen, etwa eine DNMT3A-Mutation.5,6 Dies zeigt uns, dass inflammatorische Erkrankungen ähnlich wie Karzinome einen «genetischen Fingerabdruck» haben und mit unterschiedlichen Phänotypen einhergehen können. Vielleicht kann das in Zukunft zu einer besseren Patientencharakterisierung und einer daraus folgenden gezielten Therapie beitragen.

Haben Ihre Patienten dann eine Riesenzellarteriitis oder ein VEXAS-Syndrom?

M. Becker: Die bisher identifizierten Patienten mit Mutationen eines VEXAS-Syndroms und zusätzlich TET2-Mutation hatten klinisch nicht alle eine Riesenzellarteritis oder nur eine Vaskulitis, sondern auch andere entzündliche Erkrankungsbilder. Die Aktivierung myeloider Zellen spielt sicher bei verschiedenen entzündlichen Krankheitsbildern eine Rolle und andere – vielleicht auch genetische Faktoren – könnten hier mit hineinspielen.

Werden wir irgendwann mithilfe einer Gentherapie am TET2-Gen einen Visusverlust verhindern können?

M. Becker: Ich halte es für sinnvoller und einfacher, die inflammatorische Endstrecke zu behandeln, also die Entzündung. Das können wir zurzeit auch schon, wenn wir die Patienten rechtzeitig diagnostizieren.

Leider gibt es immer wieder Patienten, die mit einer einseitigen Erblindung als Erstmanifestation erkranken.

M. Becker: Deshalb gehört jede Visusstörung bei jedem Patienten abgeklärt, inklusive Bildgebung und ophthalmologischer Beurteilung. Bei hinreichendem Verdacht auf eine kraniale Riesenzellarteriitis muss umgehend behandelt werden. Insbesondere Patienten mit Claudicatio masticatoris oder mit peripherer Vaskulopathie – etwa aufgrund einer Arteriosklerose – sind gefährdet.5 Vorübergehende Erblindung ist ein Warnsignal, und auch wenn schon ein Auge erblindet ist, muss eine konsequente Therapie erfolgen, um das zweite Auge zu schützen. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die frühe Diagnose und vor allem rechtzeitige Therapie bei Verdacht sind das A und O. Mithilfe umfassenderer genetischer und zellulärer Analysen können wir in Zukunft hoffentlich aber auch Patienten mit bestehender Diagnose besser einteilen und mit neuen Medikamenten gezielter therapieren.

1 Robinette ML et al.: Association of somatic TET2 mutations with giant cell arteritis. Arthritis Rheumatol 2024; 76(3): 438-43 2 Li J et al.: Role of tet2 in regulating adaptive and innate immunity. Front Cell Dev Biol 2021; 9: 665897 3 Cull AH et al.: Tet2 restrains inflammatory gene expression in macrophages. Exp Hematol 2017; 55: 56-70.e13 4 Stone JH et al.: Trial of tocilizumab in giant-cell arteritis. N Engl J Med 2017; 377: 317-28 5 Lötscher F et al.: Case Report: genetic double strike: VEXAS and TET2-positive myelodysplastic syndrome in a patient with long-standing refractory autoinflammatory disease. Front Immunol 2022; 12: 800149 6 Gutierrez-Rodrigues F et al.: Spectrum of clonal hematopoiesis in VEXAS syndrome. Blood 2023; 142(3): 244-59 7 Yates M et al.: The association of vascular risk factors with visual loss in giant cell arteritis. Rheumatology 2017; 56: 524-8

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