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Autor:
Prof. Dr. med. Ulf Müller-Ladner
Abteilung Rheumatologie und
Klinische Immunologie
Justus-Liebig-Universität
Gießen
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Auch mehrere Jahre nach der eigentlichen Covid-Pandemie ist die Frage, ob Covid und Autoimmunerkrankungen sich gegenseitig beeinflussen, immer noch sehr aktuell. Befragt man PubMed, so findet man im September 2025 fast 10000 Publikationen zu diesem Thema und selbst wenn man den Term rheumatische Erkrankungen und Covid kombiniert, sind es noch 3000. Fünf Fragen werden in diesem Zusammenhang immer noch oder weiterhin gestellt.
Hat die Covid-Infektion einen Einfluss auf entzündlich- rheumatische Erkrankungen?
Die Untersuchungen hierzu sind nicht ganz einheitlich, obwohl die allgemeine Einschätzung so ist, dass doch eine zunehmende Häufigkeit von Autoimmunerkrankungen nach Covid-Infektion zu beobachten war. In grossen Kohorten zeigte sich bei den meisten rheumatologischen Erkrankungen nur ein leichter Anstieg im kleinen Prozentbereich. Rückblickend berechnet ergab sich jedoch für einige Erkrankungen ein erhöhtes Risiko: etwa 3,0 für rheumatoide Arthritis und 2,0 für Vaskulitiden.1,2 Die weltweit grösste Studie untersuchte fast sechs Millionen Erwachsene aus 50 Gesundheitsorganisationen.2 Umgerechnet auf 10000 Einwohner ergeben sich bei gängigen Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis rund zwei Neudiagnosen während der Covid-19-Pandemie – also eine sehr geringe Zahl Covid-induzierter Fälle.2,3 Da Kollagenosen besonders infektionssensitiv sind, stellte sich die Frage, ob systemischer Lupus erythematodes häufiger mit Covid auftritt. In einer Untersuchung von 4500 Patienten traten nach Infektion zwar mehr und teils schwerere Schübe auf, insgesamt blieb die Zahl jedoch gering.4
Kann eine Covid-Infektion eine rheumatische Erkrankung induzieren?
Diese Frage wurde kürzlich in einem Übersichtsartikel ausführlich behandelt, wobei Risiko und relatives Risiko für verschiedene rheumatische und Autoimmunerkrankungen berechnet wurden. Am höchsten lagen sie für bullöse Hauterkrankungen und Vaskulitiden, die vor allem die Haut betreffen.5 Interessanterweise zeigte die Analyse geringere Risiken für systemischen Lupus erythematodes und die Erwachsenenform des Morbus Still – normalerweise sehr infektionssensitive Autoimmunerkrankungen. Insgesamt lag die Risikosteigerung für alle Autoimmunerkrankungen nur knapp über 1,0, sodass davon ausgegangen werden kann, dass Covid in der Regel keine Autoimmunerkrankung dauerhaft auslöst.6
Molekular liessen sich zahlreiche Assoziationen zwischen Genloci sowie molekularen und zellulären Immunkomponenten und einer Covid-19-Infektion ableiten; das Immunsystem war also nicht unbeeinflusst, bei den meisten Patienten reichten die Gegenregulationsmechanismen jedoch für eine Selbstheilung (Abb. 1).7,8
Abb. 1: Modell zur Entwicklung von Autoimmunität nach Virusinfektion (mod. nach Talwar S et al. 2025)8
Auch wenn viele Tiermodelle die menschliche Erkrankung nur entfernt abbilden, wurde untersucht, ob in einem responsiven Tiermodell durch Covid-Antigene systemischer Lupus erythematodes ausgelöst werden kann, am Beispiel des Covid-19-Spike-Proteins als treibendes Antigen. Die Immunisierung führte tatsächlich zu Lupus-Aktivität, Antikörperbildung, Fibrosen und Thrombosen – eine direkte Übertragbarkeit auf den Menschen besteht jedoch nicht.9
Wirkt eine Impfung gegen Covid in bzw. bei rheumatischen Erkrankungen?
Schon zu Beginn der Pandemie, als noch keine Impfstoffe vorhanden waren, wurde die «alte» Gretchen-Frage reaktiviert: Kann man gegen Covid während einer Therapie mit Immunsuppressiva impfen und wenn ja, mit welchem Vakzin und sollte bzw. muss die Immunsuppression pausiert werden?
Zusätzlich ergab sich die Frage, ob eine Impfung auch Schübe der Grunderkrankung induzieren kann, da diese Hypothese bei vielen anderen Impfungen auch immer wieder von Kollegen und Patienten geäussert wird.
Zahlreiche Studien der europäischen Fachgesellschaften, darunter der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie,10 führten zu Handlungsempfehlungen. Mehrere Task-Forces und Register in Deutschland und Europa veröffentlichten über 40 Publikationen zu dieser Fragestellung. Dabei zeigte sich: Patienten mit rheumatischen Erkrankungen unter Immunsuppression entwickelten meist ausreichend Antikörper gegen die Covid-Oberflächenantigene; nur wenige ohne nennenswerte Immunantwort waren benachteiligt.11
Wie bei anderen Impfungen minderten B-Zell-Hemmung (z. B. Rituximab) oder hohe Kortikosteroid-Dosen (> 10 mg/d) den Impferfolg. Bei Januskinase-Hemmern war das Ergebnis uneinheitlich, eine Impfempfehlung wurde jedoch stets ausgesprochen. Mehrfache oder sequenzielle Impfungen waren erfolgreich, insbesondere wenn sie an das Infusionsschema angepasst wurden.11
Umgekehrt zeigte die Frage, ob nach Absetzen der Immunsuppression zum Zweck der Impfung Krankheitsschübe auftreten, folgenden Risikofaktor: eine höhere Krankheitsaktivität durch die vorübergehende Beendigung oder Reduktion der antirheumatischen Medikation vor oder nach der Impfung. Weniger ausgeprägt für Schübe waren Patienten erstaunlicherweise des höheren Lebensalters sowie mit kontinuierlicher Therapie mit Methotrexat, TNF-Hemmern oder Rituximab.
Als allgemeine Empfehlung hieraus ergab sich, dass Patienten unabhängig von der Grunderkrankung und der Medikation geimpft werden sollten, die Impfsequenzen aber den immunmodulatorischen Medikamenten angepasst werden sollten, insbesondere für Rituximab. Kurze Unterbrechungen der Medikation ergaben etwas höhere Impferfolge, dies betraf vor allem Mycophenolat, JAK-Hemmer, Abatacept und zum Teil Methotrexat.12
Stimuliert eine Impfung Schübe der Grunderkrankung?
Hierzu wurden mehrere Untersuchungen durchgeführt, eine dieser ergab keine Assoziation zwischen Covid-19-Impfungen und Schüben der Grunderkrankung über einen Zeitraum von zwei Wochen.13
Eine weitere Publikation, die erst vor Kurzem herausgegeben wurde, zeigte einen lediglich leichten Anstieg von Autoimmunität nach der Impfung bei insgesamt 9 Millionen Personen.
Das berechnete Risiko, insbesondere für den systemischen Lupus erythematodes, betrug nur 1,16 im Vergleich zu den Kontrollen. Nur bei mehrfachen Impfungen kam es bei Psoriasis und rheumatoider Arthritis zu einer etwas erhöhten Aktivität der Grunderkrankung.14
Long Covid ist eines der meistgebrauchten Wörter in der Versorgung von Langzeitkranken nach Covid-Infektion im rheumatologischen Bereich und es gibt zumindest theoretisch Hinweise darauf, dass durch molekulares Mimikry Autoimmunprozesse auch in den hierfür verantwortlichen neurologischen Regionen induziert werden.8,15 Bei Berechnung eines 1-Jahres-Risikos ergaben sich allerdings keine wesentlichen Steigerungen und Zusammenhänge mit Beteiligung des Immunsystems. Auf der anderen Seite lassen molekulare Zusammenhänge zwischen SARS-CoV-2-Infektionen oder einzelnen Oberflächenproteinen durchaus Verbindungen zu Entzündungen und intrazellulären Stoffwechselwegen zu.
Möglicherweise resultiert hieraus bei Long-Covid-Syndromen eine niedrigschwellige, aber langfristige entzündliche Aktivität, die zum Beispiel im Gehirn oder in Nervenstrukturen induziert wird, die aber dann konsequenterweise durch die Optimierung der Immunsuppression normalisiert werden könnte.8,15,16
Zusammenfassung und Ausblick
Im wissenschaftlichen Kontext gesehen sind die Erkenntnisse zur Covid-Infektion, Stimulation von Autoimmunvorgängen, Induktionen von rheumatischen Erkrankungen, Präventionen durch Impfung und Einfluss auf Langzeiterkrankungen, mit sehr hoher Geschwindigkeit und durch Zusammenarbeit vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Klinikerinnen und Kliniker erzielt worden. Auch wenn anfangs die Angst bestand, dass sehr viele rheumatologische Patienten, insbesondere unter immunsupressiven Medikamenten, schwere Verläufe zeigen würden, hatte sich dies erfreulicherweise nicht bestätigt. Auch konnten die Impfungen, wie bei Gesunden, in aller Regel die gleichen Erfolge erzielen und die Patienten zusätzlich schützen. Ungeklärt ist nach wie vor die Rolle der Induktion von Langzeit-Autoimmunvorgängen, die dann zum Bild eines Chronic-Fatigue-Syndroms führen, und wie medikamentös damit umzugehen ist.
Literatur:
1 Chang R et al.: eClinicalMedicine. 2023; 56: 101783. eClinical Medicine 2023 2 Chang R et al.: Risk of autoimmune diseases in patients with COVID-19: A retrospective cohort study. eClinicalMedicine 2023; 56: 101783 3 De Lorenzis E et al.: Rising incidence of systemic autoimmune inflammatory rheumatic diseases during the COVID-19 pandemic: a geographical cohort studyRMD open 2025, epub. 4 Mageau A et al.: Risk of systemic lupus erythematosus flare after COVID-19 hospitalization: A matched cohort study. PLoS One 2024; 19(10): e0309316. 5 Curman P et al.: COVID-19 infection is associated with an elevated risk for autoimmune blistering diseases while COVID-19 vaccination decreases the risk: A large-scale population-based cohort study of 112 million individuals. J Am Acad Dermatol 2024: S0190-9622(24)03111-6 6 Hileman et al.: New-onset autoimmune disease after COVID-19. Front Immunol 2024; 15: 1337406 7 Xu et. al.: Exploring the complex relationship between systemic lupus erythematosus and coronavirus disease 2019: genetic insights and potential protective mechanisms. J Glob Health 2025; 15: 04191 8 Talwar S et al.: Autoimmunity in long COVID. J Allergy Clin Immunol 2025; 155(4): 1082-94 9 Lee YS et al.: SARS-CoV-2 spike aggravates lupus nephritis and lung fibrosis in systemic lupus erythematosus. Lupus Sci Med 2024; 11(2): e001104 10 www.dgrh.de 11 Goodyear CS et al.: Immunogenicity of third dose COVID-19 vaccine strategies in patients who are immunocompromised with suboptimal immunity following two doses (OCTAVE-DUO): an open-label, multicentre, randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Rheumatol 2024; 6(6): e339-e351 12 Farisogullari B et al.: Factors associated with disease flare following SARS-CoV-2 vaccination in people with inflammatory rheumatic and musculoskeletal diseases: results from the physician-reported EULAR Coronavirus Vaccine (COVAX) Registry. Ann Rheum Dis 2024; 83(11): 1584-95 13 Braverman G et al.: Association of COVID-19 vaccinations with flares of systemic rheumatic disease: a case-crossover study. Arthritis Care Res 2024; 76(5): 733-42 14 Jung SW et al.: Long-term risk of autoimmune diseases after mRNA-based SARS-CoV2 vaccination in a Korean, nationwide, population-based cohort study. Nat Commun 2024; 15(1): 6181 15 Diaz M et al.: SARS-CoV-2 spike peptide analysis reveals a highly conserved region that elicits potentially pathogenic autoantibodies: implications to pan-coronavirus vaccine development. Front Immunol 2025; epub 16 Michalak KP et al.: Acute COVID-19 and long COVID syndrome - molecular implications for therapeutic strategies – review. Front Immunol 2025; epub
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