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ÖGGH 2016

Management der Abstoßung nach Lebertransplantation – die Kunst des Minimalismus

<p class="article-intro">Die Lebertransplantation (LTx) bleibt bis auf Weiteres die einzige Möglichkeit zur Heilung bei akutem oder chronischem Leberversagen, von hepatozellulärem Karzinom, hilärem Cholangiokarzinom und bestimmten angeborenen Stoffwechseldefekten. Der Langzeiterfolg der LTx wird maßgeblich durch die Nebenwirkungen der notwendigen Medikation beeinflusst. Deshalb sollten Immunsuppressiva in so geringen Dosen wie möglich verordnet werden.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Grunds&auml;tzliche Empfehlung lebenslanger Immunsuppression nach LTx; Studien zufolge ist mehr als 10 Jahre nach Operation Beendigung immunsuppressiver Therapie in Einzelf&auml;llen m&ouml;glich.</li> <li>Induktionsphase einer IS (30 Tage post LTx): 3-fach-Kombination aus Calci-&shy;neurininhibitoren, Tacrolimus (in zweiter Linie Cyclosporin A), Proliferationshemmern + Kortikosteroiden in h&ouml;heren Dosen.</li> <li>Erhaltungsphase einer IS (sp&auml;testens 6 Monate nach LTx): immunsuppressive Monotherapie mit Tacro&shy;limus, alternativ Myco&shy;phenolat-Mofetil oder mTOR-Inhibitoren.</li> <li>Histologischen und klinischen Befunden zufolge &shy;treten Absto&szlig;ungen innerhalb der ersten 90 Tage sehr h&auml;ufig auf, jedoch zumeist mit selbst limitierendem &shy;Verlauf.</li> </ul> </div> <h2>Geschichte der Lebertransplantation</h2> <p>Nach ersten tierexperimentellen Studien f&uuml;hrte Thomas Starzl 1963 die erste LTx am Menschen durch. Es dauerte dann allerdings bis zur Mitte der 1970er-Jahre, bis die chirurgischen Probleme, insbesondere die kritische Choledochusanastomose, so weit gel&ouml;st waren, dass unter Verwertung der Erfahrungen mit immunsuppressiver Therapie nach Nierentransplantation die LTx als Routineverfahren anzudenken war. Im Jahre 1983 hielt die erste <em>&bdquo;NIH Consensus Development Conference on Liver Transplantation&ldquo;</em> dazu fest: <em>&bdquo;&hellip; liver transplantation is a therapeutic modality for end-stage liver disease that deserves broader application. However, in order for liver transplantation to gain its full therapeutic potential, the indications for and results of the procedure must be the object of comprehensive, coordinated, and ongoing evaluation in the years ahead. This can best be achieved by expansion of this technology to a limited number of centers where performance of liver transplantation can be carried out under optimal conditions.&ldquo;</em> Mit diesem bis heute geltenden Auftrag hat sich die LTx zu einer der Erfolgsgeschichten der modernen Medizin entwickelt. Die erste LTx wurde in Innsbruck 1977 vom weltbekannten Pionier Univ.-Prof. Dr. Raimund Margreiter durchgef&uuml;hrt. Bis 1983 hatte er dort eine Infrastruktur entwickelt, um dem Programm eine kontinuierliche Entwicklung als Routineverfahren zu erm&ouml;glichen. Die Universit&auml;ten Innsbruck und Wien tragen mit jeweils ca. 70 Transplantationen pro Jahr die Hauptlast in &Ouml;sterreich.</p> <h2>Transplantationsbiologie der Leber</h2> <p>Die Leber genie&szlig;t in der Transplantationsbiologie einen privilegierten Status. Daf&uuml;r liegen zahlreiche klinische und experimentelle Befunde vor. So ist zwischen Spender und Empf&auml;nger kein HLA-Abgleich notwendig und eine hyperakute Absto&szlig;ung wird so gut wie nie beobachtet. Transplantationen von Lebern sind &uuml;ber Blutgruppengrenzen und bei positivem Cross-Match m&ouml;glich. Dementsprechend sind die Langzeitergebnisse nach LTx die besten in der Transplantationsmedizin. Die zugrunde liegenden Mechanismen werden allerdings nur inkomplett verstanden. Zentral d&uuml;rfte der rasche Austausch des retikulo-endothelialen Systems der transplantierten Leber durch Zellen des Empf&auml;ngerknochenmarkes sein. Die f&uuml;r eine Alloreaktion wichtige Expression von HLA-Antigenen findet vornehmlich an diesen Zellen und den Zellen des Endothels der Gef&auml;&szlig;e sowie an den Gallengangsepithelien statt. Hepatozyten exprimieren kaum HLA-Klasse-II-Antigene, produzieren aber bis zu 90 % der Komplementfaktoren und induzieren mit mem&shy;brangebundenen Pathogen-Recognition-Rezeptoren (PRR) Toleranz gegen Antigene. Physiologischerweise hat die Leber eine wichtige Funktion in der Suppression von immunologischen Reaktionen auf oral aufgenommene Antigene.<br /> Mechanistisch spielen neben den spenderspezifischen immunregulatorischen Effekten sowie dem h&auml;matopoetischen Chim&auml;rismus zwischen Spender und Empf&auml;nger vor allem die klonale Elimination alloreaktiver Zellen und die Pr&auml;senz regulativer T-Zellen und dendritischer Zellen eine entscheidende Rolle. Die Inhibition von Alloantik&ouml;rpern wurde bisher als so effektiv erachtet, dass eine humorale Form der Absto&szlig;ung als ausgeschlossen galt. Neuere Konzepte legen allerdings nahe, dass unter bestimmten Umst&auml;nden spenderspezifische Antik&ouml;rper nach Transplantation klinisch relevant werden k&ouml;nnen. Hierf&uuml;r scheinen Lebern mit einem Pr&auml;servationsschaden und solche von alten Spendern besonders anf&auml;llig zu sein. Ein weiteres neues Konzept k&ouml;nnte erkl&auml;ren, warum eine Untergruppe von Patienten doch zu klinisch problematischen Absto&szlig;ungen neigt. So konnte j&uuml;ngst gezeigt werden, dass die genetisch determinierte starke Expression von PD-1-Liganden der Spender-Hepatozyten gemeinsam mit einer starken Expression von PD-1 durch die Empf&auml;nger-T-Zellen eine Absto&szlig;ung unterdr&uuml;ckt.</p> <h2>Immunsuppression nach LTx</h2> <p>Unabh&auml;ngig von diesen Tatsachen gilt auch nach Lebertransplantation die grunds&auml;tzliche Empfehlung der lebenslangen Immunsuppression. Allerdings zeigen Studien, dass mehr als 10 Jahre nach der Operation eine Beendigung einer bis dahin in der Regel bereits minimalen immunsuppressiven Therapie in Einzelf&auml;llen m&ouml;glich ist. Die immunsuppressive Therapie muss in Zusammensetzung und Dosierung auf den individuellen Patienten ma&szlig;geschneidert werden. Wir verf&uuml;gen auch heute noch &uuml;ber keine Biomarker, anhand deren sich der konkrete Bedarf an immunsuppressiver Therapie bzw. das Ausma&szlig; der erfolgten Immunsuppression ablesen lie&szlig;e. Grunds&auml;tzlich gilt: so wenig wie m&ouml;glich (um Nebenwirkungen zu vermeiden) und so viel wie notwendig (um normale Transaminasewerte sicherzustellen). Somit gibt es auch keine allgemein g&uuml;ltigen Zielspiegel f&uuml;r Serumkonzentrationen der Medikamente. Parallel zu den oben skizzierten zeitabh&auml;ngigen immunologischen Interaktionen zwischen Empf&auml;nger und Spenderorgan nimmt auch der Bedarf an Immunsuppression ab &ndash; von der &bdquo;Dreierkombination&ldquo; in den ersten Monaten nach einer LTx zur Monotherapie im Langzeitverlauf.<br /> <br /> Die initialen immunsuppressiven Probleme der LTx wurden mit Einf&uuml;hrung der Calcineurininhibitoren (Cyclosporin A und Tacrolimus) in die Therapie weitgehend gel&ouml;st. Beide unterdr&uuml;cken die Expression von CD25 und CD154 an T-Zellen sehr wirksam und verhindern so die f&uuml;r die Absto&szlig;ung wichtige T-Zell-Stimulation. F&uuml;r viele Patienten sind diese beiden Medikamente in den ersten Jahren entscheidend f&uuml;r den Transplantationserfolg.<br /> <br /><strong> Induktionsphase</strong><br /> Die fr&uuml;he Phase der Immunsuppression (Induktionsphase) soll innerhalb der ersten 30 Tage nach Transplantation Akzeptanz des Spenderorganes induzieren. In dieser Zeit ist in der Regel eine 3-fach-Kombination, bestehend aus Calcineurininhibitoren, Tacrolimus oder in zweiter Linie Cyclosporin A, in Kombination mit einem Proliferationshemmer und Korti&shy;kosteroiden in h&ouml;heren Dosen notwendig. Calcineurininhibitoren werden ausschlie&szlig;lich in dieser postoperativen Phase nach Serumzielspiegel dosiert. F&uuml;r Kortikosteroide liegt die l&auml;ngste, in der Regel zentrumspezifische Erfahrung, aber die schlechteste Evidenz vor. Die hohen postoperativen Dosen von bis zu 1.000mg Methylprednisolon pro Tag werden rasch auf zweistellige Erhaltungsdosen zur&uuml;ckgesetzt, die nach 3 bis 6 Monaten ganz abgesetzt werden.<br /> <br /><strong> Erhaltungsphase</strong><br /> Die Aufrechterhaltung der Immun&shy;suppression (IS), die sp&auml;testens nach 6 Monaten erreicht werden sollte, besteht aus einer immunsuppressiven Monotherapie (Abb. 1). Falls renale oder metabolische Nebenwirkungen keine Kontraindikation darstellen, wird eine Monotherapie mit Tacrolimus dosiert nach der Minimumdosis zur Gew&auml;hrleistung normaler Transaminasewerte angestrebt. Alterna&shy;tive Monotherapien sind mit Mycophenolat-Mofetil oder mit mTOR-Inhibitoren m&ouml;glich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Infekt_1603_Weblinks_seite28.jpg" alt="" width="734" height="667" /></p> <p><strong>Absto&szlig;ungsreaktionen</strong><br /> Eine Absto&szlig;ung ist kein &bdquo;Alles oder nichts&ldquo;-Ph&auml;nomen, sondern eine dynamische Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem neuen Organ. In dieser Auseinandersetzung wird das Organ auch immunologisch in den neuen Organismus &bdquo;eingebaut&ldquo; (toleriert). Histologische und klinische Befunde belegen, dass Absto&szlig;ungen innerhalb der ersten 90 Tage sehr h&auml;ufig vorkommen, aber auch h&auml;ufig selbstlimitiert verlaufen. Tats&auml;chlich liegen zahlreiche Befunde vor, die belegen, dass die Intensit&auml;t dieser fr&uuml;hen immunologischen Auseinandersetzung g&uuml;nstig f&uuml;r den Langzeitverlauf ist. Die Diagnose &bdquo;akute zellul&auml;re Absto&szlig;ung&ldquo;, per definitionem eine histologische, l&auml;sst sich anhand klinischer Kriterien mit brauchbarer Zuverl&auml;ssigkeit stellen. Fast regelhaft tritt sie unterschiedlich ausgepr&auml;gt innerhalb der ersten 14 Tage nach Operation auf und ist durch einen pl&ouml;tzlichen Anstieg der Serum-Glutamat-Pyruvat-Transferase (SGPT) charakterisiert. Die H&auml;ufigkeit nimmt innerhalb der ersten 90 Tage deutlich ab &ndash; vor allem im ersten Jahr ist allerdings immer mit einem solchen Ereignis zu rechnen. Sie ist bei Betroffenen unter 50 Jahren problematischer zu behandeln als bei &auml;lteren Patienten. In der Differenzialdiagnose m&uuml;ssen eine arterielle Durchblutungsst&ouml;rung der Leber, eine Erkrankung der Gallenwege und ihrer Anastomose, virale (CMV, EBV, Hepatitis B oder C) oder bakterielle Infektionen ausgeschlossen worden sein.<br /> <br /> Aus Biopsiestudien ist bekannt, dass bis zu 30 % asymptomatisch und selbstlimitiert verlaufen. Die symptomatische Absto&szlig;ung wird mit Bolusgaben von Methylprednisolon entsprechend den zentrumsspezifischen Protokollen behandelt. Im Gegensatz zu diesen fr&uuml;hen Absto&szlig;ungen sind akute Absto&szlig;ungen jenseits der 90-Tage-Grenze prognostisch weniger g&uuml;nstig. Zu diesen Komplikationen neigen vor allem junge Patienten mit autoimmunen Vorerkrankungen.<br /> Die chronische Absto&szlig;ung wird mit einer Pr&auml;valenz von ca. 5 % beobachtet. Sie ist immunologisch unverstanden, klinisch durch ein Cholestasesyndrom gekennzeichnet und letztlich nur histologisch zu belegen. Bei der histologisch fr&uuml;hen Form sind die Ver&auml;nderungen an Galleng&auml;ngen, Arterien und Zentralvenen noch diskret. Das fortgeschrittene und irreversible Stadium ist durch obliterative Prozesse an diesen vaskul&auml;ren Strukturen charakterisiert. Therapeutisch bleiben nur ein in etwa 50 % der F&auml;lle erfolgreicher Versuch, die Immunsuppression qualitativ und quantitativ empirisch zu erweitern, sowie die Retransplantation.</p> <h2>Komplikationen nach LTx</h2> <p>Die Reaktivierung latenter Virusinfektionen &ndash; CMV, EBV, Hepatitis B aus anti-HBc-positiven Organen &ndash; ist eine Komplikation der fr&uuml;hen IS-Phase und verlangt neben antiviraler Therapie eine Reduktion der IS. Die Pneumocystis-carinii-Infektion wird vor allem nach Retransplantation und bei untypisch hohem IS-Bedarf beobachtet und verlangt eine prophylaktische Therapie. Gallenwegsinfektionen sind typisch nach endoskopischen Interventionen und h&auml;ufig durch resistente Keime charakterisiert. Dementsprechend ist ein Erregermonitoring in der Galle bei solchen Eingriffen verpflichtend.<br /> <br /> Die fast regelhaften metabolischen Nebenwirkungen der IS werden im Langzeitverlauf nach LTx &ndash; nach 10 bis 30 Jahren und mehr &ndash; zum prognosebestimmenden Faktor. Deren fr&uuml;hes therapeutisches Management durch Minimierung und spezifische Interventionen vor allem zur Sicherung der Nierenfunktion und Vermeidung kardiovaskul&auml;rer Komplikation ist das Geheimnis eines normal langen Lebens nach Transplantation. Das absolute Risiko maligner Erkrankungen &ndash; ca. 22 % der &shy;Todesf&auml;lle &ndash; wird bis auf das Post-Transplantations-lymphoproliferative Syndrom durch die IS nicht erh&ouml;ht, aber das relative. So treten Karzinome, verursacht durch Risikoverhalten wie Rauchen und Alkoholgenuss in der Vergangenheit, durch die IS h&auml;ufiger und fr&uuml;her auf. Dementsprechend sollte eine allgemeine oder gezielte Vorsorgeuntersuchung alle 5 Jahre durchgef&uuml;hrt werden.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Immunsuppression ist entscheidend f&uuml;r das kurz- und langfristige Ergebnis nach LTx und bis auf Einzelf&auml;lle lebenslang notwendig. Obwohl die Leber eine geringe transplantationsrelevante Immunogenit&auml;t aufweist, ist in den ersten Monaten eine 3-fach-Kombination aus immunsuppressiven Medikamenten notwendig. Diese kann in der Regel nach 6 Monaten auf eine Minimaltherapie zur Mini&shy;mierung der Nebenwirkungen reduziert werden. Die H&auml;ufigkeit und Schwere der akuten Absto&szlig;ung nimmt in den ersten 90 Tagen signifikant ab. Chronische Absto&szlig;ungen sind selten und in der Regel therapierefrakt&auml;r. Der Langzeiterfolg der Transplantation wird vor allem durch Nebenwirkungen der Medikamente gef&auml;hrdet. Dementsprechend muss das Ziel sein, mit einem minimalen Einsatz von Immunsuppressiva, die ja zum Teil mehrere Jahrzehnte lang genommen werden m&uuml;ssen, eine normale Leberfunktion sicherzu&shy;stellen und Nebenwirkungen zu verhindern. Hierbei helfen Erfahrung und Histologie.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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