
Das akute Leberversagen: ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild
Autoren:
Dr. med. Julian Pohl
Prof. Dr. med. Frank Tacke
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie
Campus Virchow-Klinikum (CVK)
Campus Charité Mitte (CCM)
Charité – Universitätsmedizin Berlin
E-Mail: frank.tacke@charite.de
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Das akute Leberversagen zählt zu den seltenen Leberkrankheiten und tritt ohne bekannte Leberfunktionsstörung auf. Besonderes Augenmerk sollte auf die diagnostische Abklärung der Ätiologie gelegt werden, anhand deren die therapeutischen Massnahmen festzumachen sind.
Keypoints
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In der westlichen Welt ist das ALF meist medikamentös-induziert, weltweit betrachtet ist ätiologisch das viral induzierte ALF führend.
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Bei Auftreten eines ALF sollten virale, stoffwechselbedingte, medikamentös-toxische und (kardio)vaskuläre Ursachen ausgeschlossen werden.
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Bei Zeichen eines ALF ist die Kontaktaufnahme mit einem Lebertransplantationszentrum und ggf. frühzeitige Verlegung dorthin indiziert.
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Circa ein Drittel der Patient*innen mit ALF muss lebertransplantiert werden, etwa ein weiteres Drittel verstirbt an diesem Krankheitsbild.
Definition
Das akute Leberversagen (ALF; «acute liver failure») ist ein seltenes, aber lebensbedrohliches Krankheitsbild. Ohne bekannte Leberfunktionsstörung tritt ein Leberversagen auf. Definiert wird das ALF durch folgende Trias:
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schwere Hepatopathie (>2- bis 3-fache Transaminasenerhöhung) mit Lebersynthesestörung (Ikterus und Koagulopathie INR >1,5),
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hepatische Enzephalopathie und
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das Fehlen einer zugrunde liegenden chronischen Lebererkrankung oder einer sekundären extrahepatischen Ursache.
Aus klinischer Sicht ist es wichtig, das ALF vom Leberversagen im Rahmen einer anderen sekundären Ursache abzugrenzen, z.B. der Schockleber oder der hypoxischen Hepatitis bei Multiorganversagen, der Sepsis-induzierten Cholestasen oder der sekundär sklerosierenden Cholangitis bei kritischer Krankheit.1 Ebenso abzugrenzen ist das akut-auf-chronische Leberversagen (ACLF; «acute-on-chronic liver failure»), welches als (Multi-)Organversagen bei dekompensierter Leberzirrhose auftritt.2
Epidemiologie
In Deutschland treten schätzungsweise 200–500 ALF-Fälle pro Jahr auf, wobei angemerkt werden muss, dass es innerhalb der Europäischen Union keine genauen Statistiken zur Prävalenz und Inzidenz des ALF gibt.3,4 In der Schweiz sind schätzungsweise 50 bis 60 Personen pro Jahr von einem ALF betroffen. Zusammenfassend kann man allerdings sagen, dass das ALF zu den seltenen Leberkrankheiten zählt.
Ätiologie und Einteilung
Ätiologisch ist in der «westlichen Welt» das medikamentös induzierte Leberversagen führend. Beispielhaft kann eine deutsche Studie von Hadem et al. aus dem Jahr 2012 genannt werden: In dieser retrospektiven Analyse mit 109 ALF-Patient:innen (2008–2009) waren 41% der ALF-Fälle medikamentös induziert (nicht Paracetamol- bedingt 32%, Paracetamol-bedingt 9%), 21% viral bedingt, und in 24% der Fälle konnte die Ätiologie nicht geklärt werden.5 Weltweit betrachtet ist ätiologisch das viral induzierte ALF (Hepatitis A, B und E) führend.4 Auch die kürzlich berichteten Fälle von schwerer Hepatitis bis zum ALF bei Kindern scheint viral bedingt zu sein (Adenoviren und/oder Adeno-assoziierte Viren).6
Das ALF wird subklassifiziert – nach dem Zeitraum vom erstmaligen Auftreten eines Ikterus bis zum Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie – in
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das hyperakute (bis 7 Tage),
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das akute (bis 28 Tage) und
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das subakute ALF (5 bis 12 Wochen).7
Diese Subklassifikation kann dabei helfen, Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Ätiologie und die Prognose der Patient:innen zu ziehen. Typischerweise ist die Chance einer spontanen Erholung der Leberfunktion beim hyperakuten ALF (z.B. aufgrund von Paracetamol) höher als beim subakuten ALF (z.B. bei nicht Paracetamol-bedingten «drug-induced liver injuries»).8
Diagnostik
Diagnostisch sollte sowohl nach intra- als auch extrahepatischen Ursachen des ALF gesucht werden.
Die Diagnostik sollte neben einer ausführlichen Anamnese (v.a. Reise-, Suchtmittel und Arzneimittelanamnese) mindestens folgende Punkte beinhalten: Virusserologie (Herpes- und Hepatitisviren), Autoantikörper (autoimmune Hepatitis), Toxikologie (je nach Verdacht: Amanita, Paracetamol usw.), Kupferausscheidung im Urin (M. Wilson), (Doppler-)Sonografie (vaskuläre Ursachen und Hinweise auf chronische Lebererkrankung) und Echokardiografie (kardiale Ursachen).
Cave: Subakute Verläufe eines ALF sind oft schwieriger zu diagnostizieren, diese Verläufe haben allerdings statistisch betrachtet das schlechteste Outcome!
Therapie
Die Therapie des ALF besteht einerseits aus allgemeinen (nicht ätiologiespezifischen) und andererseits aus ätiologiespezifischen Therapiemassnahmen.9 Eine Auflistung der Massnahmen findet sich in Tabelle 1. Sollten diese Therapiemassnahmen nicht zur Verbesserung der Leberfunktion führen, ist die einzige (bis dato) etablierte kurative Therapiemassnahme die orthotope Lebertransplantation (OLT). Die Listung zur OLT soll (für das nicht Paracetamol- bedingte bzw. das Paracetamol-bedingte ALF) nach den King’s-College-Kriterien oder (für das viral bedingte ALF) nach den Clichy-Kriterien erfolgen (Tab. 2). Ein Erfüllen dieser (ätiologiespezifischen) Kriterien erlaubt (nach Ausschluss von Kontraindikationen) die Listung der Patient:innen zur «High urgency»(HU)-Lebertransplantation.
Tab. 2: Das Erfüllen der King’s-College- oder der Clichy-Kriterien erlaubt eine Listung zur Notfall-Lebertransplantation (HU-Status); diese Patient:innen werden bevorzugt lebertransplantiert
Prognose
Aus der Studie von Hadem et al. geht auch hervor, dass in Deutschland etwa jeweils ein Drittel der Patient:innen mit ALF entweder ohne OLT überlebt, stirbt oder mit OLT erfolgreich behandelt werden kann.5 Das 1-Jahres-Überleben der notfallmässig lebertransplantierten Patient:innen beträgt über 80%, dies ist vergleichbar mit Nicht-HU-OLT.4 Im Falle eines Überlebens ohne Notwendigkeit einer OLT gibt es – nach derzeitigem Kenntnisstand – meistens keine offensichtlichen Hinweise auf residuale Krankheitssymptome.10
Ausblick
Es ist derzeit keine andere kurative Therapie als die OLT für das ALF etabliert und zugelassen, jedoch sind z.B. in prospektiven klinischen Studien therapeutische Ansätze, wie die Plasmapherese, in Testung. Larsen et al. zeigten 2016, dass die Plasmapherese zu einer signifikanten Verlängerung des «transplant-free survival» gegenüber der «standard medical therapy» bei Patient:innen, die keine OLT erhielten, führte.11 Bei jenen mit OLT zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Teile dieser Studie konnten 2021 von einer indischen Arbeitsgruppe verifiziert werden, die allerdings die Plasmapherese mit geringeren Plasmaaustauschvolumina durchführte.11,12 Neben der Plasmapherese kommen auch andere «Leberunterstützungsverfahren» (z.B. Albumindialyse, Bilirubinadsorption etc.) in Kombination mit Hämofiltrationsverfahren zum Einsatz. Neue Ansätze versuchen, die Regeneration der Leber zu unterstützen, während die lebensbedrohlichen systemischen Konsequenzen des Leberausfalls – z.B. mangelnde Entgiftung, hyperdyname Kreislaufsituation, Gerinnungsversagen – überbrückt werden.
Literatur:
1 Kasper P et al.: Med Klin Intensivmed Notfmed 2020; 115: 609-19 2 Arroyo V et al.: N Engl J Med 2020; 382: 2137-45 3 Canbay A et al.: Dtsch Arztebl Int 2011; 108: 714-20 4 European Association for the Study of the Liver: J Hepatol 2017; 66: 1047-81 5 Hadem J et al.: Clin Gastroenterol Hepatol 2012; 10: 664-9e2 6 Gutierrez Sanchez LH et al.: N Engl J Med 2022; 387 620-30 7 O´Grady JG et al.: Lancet 1993; 342: 273-5 8 Bernal W, Wendon J: N Engl J Med 2013; 369: 2525-34 9 Koch A et al.: Gastroenterologe 2017; 12: 507-17 10 Stravitz RT, Lee WM: Lancet 2019; 394: 869-81 11 Larsen FS et al.: J Hepatol 2016; 64: 69-78 12 Maiwall R et al.: Clin Gastroenterol Hepatol 2022; 20: e831-e54