Von Forschungserfolgen und dem Ende der sprachlichen Stigmatisierung
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger
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Vom 21. bis 24. Juni 2023 fand der jährliche Kongress der EASL in der Messe Wien statt. Eine neue Nomenklatur, viele Studienergebnisse und auch einige wissenschaftliche Durchbrüche: 8000 Besucher:innen aus der ganzen Welt lauschten vor Ort den Neuigkeiten aus der Welt der Hepatologie.
Aufgrund hochkalorischer Ernährung und übermäßigen Alkoholkonsums nehmen Lebererkrankungen vor allem in den westlichen Ländern rasant zu. Viele davon enden tödlich, 90% dieser Todesfälle wären vermeidbar. Daher lag der Schwerpunkt des diesjährigen Kongresses der EASL auf der Prävention und Früherkennung von Lebererkrankungen. Aber auch das Beenden von Stigmatisierung war ein großes Thema: Es wurde die neue Nomenklatur für die „Fettlebererkrankungen“ vorgestellt.
Neue Nomenklatur: steatotische Lebererkrankung
Mit dem Ziel, sich auf eine positive, nicht stigmatisierende Bezeichnung und Diagnose der Betroffenen zu einigen, gaben die Leiter der multinationalen Lebergesellschaften La Asociación Latinoamericana para el Estudio del Hígado (ALEH), American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD) und der European Association for the Study of the Liver (EASL) sowie die Vorsitzenden der NAFLD-Nomenklaturinitiative am diesjährigen EASL-Kongress bekannt, dass die steatotische Lebererkrankung („steatotic liver disease“; SLD) als neuer Überbegriff für die verschiedenen Ätiologien der Steatose gewählt wurde.1
Tab. 1: Kardiometabolische Kriterien für die Diagnose einer MASLD (modifiziert nach Rinella ME et al. 2023)1
Der Begriff Steatohepatitis soll als ein wichtiges pathophysiologisches Konzept beibehalten werden. Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) soll nun aber als mit metabolischer Funktionsstörung assoziierte steatotische Lebererkrankung („metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease“; MASLD) bezeichnet werden. Wobei der Begriff Patient:innen umfasst, die eine Lebersteatose und mindestens einen von fünf kardiometabolischen Risikofaktoren aufweisen (Tab. 1). Neben der reinen MASLD wurde eine neue Kategorie mit der Bezeichnung MetALD definiert, um diejenigen mit MASLD zu beschreiben, die wöchentlich größere Mengen Alkohol konsumieren (140g/Woche bzw. 210g/Woche bei Frauen bzw. Männern). Patient:innen ohne Stoffwechselpathologie und ohne bekannte Ursache haben eine kryptogene SLD (Abb. 1).
Abb. 1: Diagnostische Kriterien bei steatotischer Lebererkrankung (modifiziert nach Rinella ME et al. 2023)1
Mit metabolischer Funktionsstörung assoziierte Steatohepatitis („metabolic dysfunction-associated steatohepatitis“; MASH) löst zukünftig die Bezeichnung nichtalkoholische Steatohepatitis (NASH) ab.1
Die Änderung der Nomenklatur war aus einer Reihe von Gründen, die in der gemeinsamen Veröffentlichung der multinationalen Lebergesellschaften genannt werden, längst überfällig. Einer davon ist, dass die Fachwelt seit der ursprünglichen Beschreibung der viszeralen und subkutanen Adipositas bei überernährten Kindern durch Carl von Rokitansky im Jahr 1849 um eine angemessene Nomenklatur gerungen hat. Der Begriff „nichtalkoholische Fettlebererkrankung“ wurde damals der Einfachheit halber gewählt: Man hatte nicht genügend Daten, um die Pathophysiologie der Erkrankung besser zu verstehen. In Ermangelung von Alternativen einigte man sich auf NAFLD, weil der Begriff das Vorhandensein von Fett in der Leber beschreibt und eine andere häufige Ursache – nämlich übermäßigen Alkoholkonsum – ausschließt. Dank der Forschung der Welt-Lebergemeinschaft weiß man heute, dass die meisten Krankheiten, die derzeit als NAFLD bezeichnet werden, mit sogenannten „metabolischen“ Faktoren wie Fettleibigkeit, viszeraler Adipositas, Insulinresistenz und Dyslipidämie zusammenhängen. Diesem Umstand trägt die neue Nomenklatur Rechnung.
Stuhltransplantation: Hoffnung für Zirrhosepatient:innen
Ein Highlight des Kongresses war die Präsentation der Studiendaten von Dr.Lindsey Ann Edwards, King’s College London, UK, deren Forschungsgruppe sichmit der Wirksamkeit von fäkalen Mikrobiota-Transplantaten (FMT) bei fortgeschrittener Zirrhose beschäftigt.2
Patient:innen mit Leberzirrhose haben eine geringere bakterielle Vielfalt im Darm, zudem sind Pathobionten überrepräsentiert. In Verbindung mit einer Schädigung der Darmbarriere und bakterieller Translokation – einem wesentlichen Faktor für die zirrhosebedingte Immundysfunktion – erhöht dies die Anfälligkeit für Infektionen und Tod. Edwards und ihr Team führten eine placebokontrollierte, randomisierte, einfach verblindete Machbarkeitsstudie zur FMT-Transplantation bei 32 Patient:innen mit fortgeschrittener Zirrhose (MELD-Score 10–16) durch. Dabei wurden 50g flüssiges, gefrorenes FMT im Vergleich zu Placebo endoskopisch in das Jejunum verabreicht. Zur Beurteilung der Wirksamkeit bei der Modulation des patienteneigenen Mikrobioms und des Entzündungsstatus wurden Blut und Stuhl bei Studienbeginn sowie an den Tagen 7, 30 und 90 nach FMT/Placebo entnommen. Die Zytokinproduktion, Marker für die Integrität der Barriere, das globale Metabolitenprofil und die Proteomik des Stuhls wurden untersucht.2
Die Tiefenmetagenom-Sequenzierung bestätigte, dass das FMT den Artenreichtum des Empfänger:innen-Mikrobioms erhöhte und die Stuhlverschleppung von E. faecalis und anderen Pathobionten signifikant reduzierte. Zudem reduzierte das FMT die Biomarker für Entzündungen und erhöhte Marker, die mit der Reparatur der Darmbarriere in Verbindung gebracht werden. Das FMT führte nach 30 Tagen zu einer Verringerung des Ammoniakspiegels im Plasma (p=0,0006). Im Stuhl der FMT-Gruppe war der Ammoniakgehalt im Vergleich zu Placebo höher – sowohl nach 30 (p=0,011) als auch nach90 Tagen (p=0,025). Im Rahmen der fäkalen Proteomik wurden 301 Proteine quantifiziert, von denen 154 Proteine menschlichen und 147 bakteriellen Ursprungs waren, viele davon Enzyme. Im Gegensatz zu den im Blut verminderten Enzymen wurde im Stuhl eine Zunahme mikrobieller Enzyme beobachtet, die an der Denitrifikation und Ammonifikation beteiligt sind. Enzyme, die für die Stickstoffassimilation und -ausscheidung über den Harnstoffzyklus erforderlich sind, waren bei FMT-Empfänger:innen im Vergleich zu Placebo erhöht, mit einer erhöhten Sekretion von Hippurat im Urin an Tag 30 (p=0,0299).2
Die bahnbrechende Studie zeigte damit zum ersten Mal, dass die FMT die Darmmikrobiota verändert, die Barrierefunktion des Darms sowie die antimikrobielle Immunität der Schleimhäute erhöht und den Ammoniakstoffwechsel verbessert.
In der präsentierten Studie wurde das FMT als Rohmaterial endoskopisch verabreicht. In einem nächsten Schritt haben die Forschenden inzwischen Fäkalienkapseln hergestellt, die die Patient:innen ähnlich wie ihre anderen Medikamente einnehmen können. Professor Shawcross und sein Team am King´s College London starten nun mit der PROMISE-Studie, einer multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten Studie mit 300 Patient:innen, bei der die FMT-Kapseln mehrfach verabreicht und die Patient:innen über zwei Jahre lang beobachtet werden.
Naltrexon reduziert Alkoholabhängigkeit bei Zirrhosepatient:innen
Fortgesetzter Alkoholkonsum ist bestimmend für die Prognose von alkoholbedingten Lebererkrankungen. Zur Behandlung von Zirrhosepatient:innen mit dieser weitverbreiteten Suchterkrankung sind jedoch keine Medikamente zugelassen.
In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurden nun die Wirksamkeit und Sicherheit von Naltrexon, einem Opioidantagonisten, der zur Behandlung von Opioidabhängigkeit und Alkoholkonsumstörungen zugelassen ist, bei Patient:innen mit kompensierter Leberzirrhose und Alkoholmissbrauch untersucht.3
100 Patient:innen mit kompensierter Zirrhose, die die DSM-5-Kriterien für Alkoholmissbrauch gemäß den Ein- und Ausschlusskriterien der Studie erfüllten, wurden in die Studie aufgenommen und erhielten über 12 Wochen entweder Naltrexon oder Placebo. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patient:innen, die nach 12 Wochen eine Alkoholabstinenz erreichten und aufrechterhielten. Die sekundären Endpunkte waren der Anteil der Patient:innen, die ihre Abstinenz nach 6 und 12 Monaten aufrechterhielten, sowie unerwünschte Wirkungen, Entgleisungen und Rückfälle nach 3, 6 und 12 Monaten. Beiden Gruppen wurden eine Verhaltens-therapie und Beratung angeboten.
Nach 12 Wochen waren signifikant mehr Patient:innen unter Naltrexon vs. Placebo abstinent (64% vs. 22%; p<0,001) (Abb. 2). Im Vergleich zu Placebo waren unter Naltrexon zudem mehr Patient:innen nach 6 Monaten weiterhin abstinent (22% vs. 8%; p=0,09). Auch die Zahl der Rückfälle nach 12 Wochen war in der Naltrexon-Gruppe signifikant niedriger (28% vs. 54%; p=0,01). Die durchschnittlichen Craving-Scores waren unter Naltrexon nach 12 Wochen signifikant niedriger, ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen wurde auch bei der visuellen Analogskala für Craving im Vergleich der Mittelwerte festgestellt. Unerwünschte Ereignisse waren in beiden Gruppen vergleichbar: Leichte abdominale Beschwerden waren die häufigste unerwünschte Wirkung, die bei 10% der Patient:innen in der Naltrexon-Gruppe gegenüber 6% in der Placebogruppe festgestellt wurde.3
Abb. 2: Alkoholabstinenz: Naltrexon vs. Placebo (modifiziert nach Alla M et al. 2023)3
MAESTRO-NASH: Resmetirom bei NASH und Fibrose
MAESTRO-NASH ist eine laufende 54-monatige, placebokontrollierte, doppelblinde, klinische Phase-III-Zulassungsstudie zur Untersuchung der Wirkung von einmal täglich 80mg oder 100mg Resmetirombei Patient:innen mit NASH und Leberfibrose. 4966 Patient:innen an ca. 200 Standorten weltweit, die folgende Kriterien erfüllen, wurden eingeschlossen: ≥3 metabolische Risikofaktoren, FibroScan VCTE ≥8,5kPa, MRI-PDFF ≥8% zu Studienbeginn und durch Biopsie nachgewiesene NASH mit Fibrosestadium 1B, 2 oder 3 und NAFLD-Aktivitäts-Score (NAS) ≥4 mit mindestens 1 Punkt in jeder NAS-Komponente.
Zu den dualen primären Endpunkten gehörten das Verschwinden von NASH („ballooning“ 0; Entzündung 0 oder 1 mit einer Verringerung des NAS um mindestens 2 Punkte) ohne Verschlechterung der Fibrose ODER eine Verringerung der Fibrose um ≥1 Stadium ohne Verschlechterung des NAS zu Woche 52. Der wichtigste sekundäre Endpunkt war die prozentuale Verringerung des LDL-C zu Woche 24. Die Analyse der primären Endpunkte von MAESTRO-NASH zu Woche 52 wurden am Kongress nun vorgestellt.
Beide primären histologischen Endpunkte und der wichtigste sekundäre Endpunkt wurden bei beiden Dosierungen erreicht (siehe Tab. 2), die Ergebnisse waren unabhängig vom Diabetesstatus oder dem Ausgangsfibrosestadium. Ebenso konnten die Auflösung von NASH kombiniert mit einer Verringerung der Fibrose sowie eine Verringerung der Fibrose um zwei Stadien beobachtet werden. Die Biomarker-Endpunkte – einschließlich der Senkung von ALT, AST und GGT, ELF, MRI-PDFF, CAP und FibroScan VCTE – wurden ebenfallserreicht.Resmetirom erwies sich im Allgemeinen als sicher und gut verträglich, mit einer ähnlichen Anzahl von Nebenwirkungen in allen Gruppen und einem Anstieg der Häufigkeit von Durchfall und Übelkeit in den Resmetirom-Behandlungsgruppen nur zu Beginn der Therapie.4
Tab. 2: Ergebnisse der MAESTRO-NASH-Studie (modifiziert nach Harrison S et al. 2023)4
Chronische Hepatitis B: Langzeiteffizienz von TAF
In zwei ähnlich konzipierten doppelblinden, randomisierten Phase-III-Studien wurde die Nichtunterlegenheit von Tenofoviralafenamid (TAF) im Vergleich zu Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) untersucht und die Auswertung der 8-Jahresdaten am Kongress vorgestellt.5
Studie 108 wurde bei HBeAg-negativen Patient:innen (n=425) und Studie 110 bei HBeAg-positiven Patient:innen (n=873) durchgeführt. Nach Abschluss einer bis zu 3-jährigen doppelblinden Behandlung konnten alle Patient:innen bis zur Woche 384 (8. Jahr) TAF „open-label“ (OL) erhalten. Die Wirksamkeit wurde für jede Studie anhand des Ansatzes „missing equals excluded“ (M=E) des vollständigen Analysesatzes bewertet und umfasste serielle Bewertungen der viralen Suppression (HBV-DNA <29IU/ml), der ALT-Normalisierung nach den AASLD-Kriterien von 2018, der serologischen Reaktionen und der Fibroseveränderung mittels Serum-FibroTest. Resistenzanalysen, einschließlich Deep Sequencing der HBV-Polymerase bzw. reversen Transkriptase (bei Studienbeginn und jährlich), wurden für diejenigen mit virologischem Durchbruch/Blip, persistierender Virämie oder Behandlungsabbruch mit Virämie durchgeführt, ebenso wie eine Phänotypisierung der qualifizierten Proben. Von 1298 randomisierten und behandelten Patient:innen traten 1157 (89%; 775 TAF; 382 TDF) in die OL-Phase ein, insgesamt beendeten 974 (75%) Teilnehmende die OL-Studienbehandlung.
Über die beeindruckende Behandlungsdauer von bis zu 8 Jahren zeigte TAF in den doppelblinden Untersuchungen eine nichtunterlegene Wirksamkeit im Vergleich zu TDF. Die virologischen Suppressionsraten blieben in allen Gruppen konstant hoch, wobei bis zu 33% eine HBeAg/HBeAb-Serokonversion erreichten. Obwohl der HBsAg-Verlust bescheiden war (≤5%), unterstreichen diese Langzeitergebnisse die nachhaltige Wirksamkeit von TAF bei der Behandlung chronischer Hepatitis B. Die Sequenz- bzw. Phänotypisierungsanalysen nach 6 Jahren zeigten keine Resistenz gegen TAF; Resistenzanalysen nach 8 Jahren sind derzeit im Gange.
Quelle:
Presseaussendungen der EASL im Juni 2023
Literatur:
1 Rinella ME et al.: NAFLD Nomenclature consensus group: A multi-society Delphi consensus statement on new fatty liver disease nomenclature. Hepatology 2023; doi: 10.1097/HEP.0000000000000520 2 Edwards LA et al.: Faecal microbiota transplant restores gut barrier function and augments ammonia metabolism in patients with advanced cirrhosis: a randomised single-blind placebo-controlled trial. EASL 2023; GS-007 3 Alla M et al.: Naltrexone is safe and effective in achieving abstinence and reducing alcohol craving in cirrhotic patients: a double blind randomized placebo controlled trial. EASL 2023; GS-008-YI 4 Harrison S et al.: Primary results from MAESTRO-NASH a pivotal phase 3 52-week serial liver biopsy study in 966 patients with NASH and fibrosis. EASL 2023; GS-001 5 Buti M et al.: Long-term efficacy of tenofovir alafenamide in chronic hepatitis B patients treated for up to 8 years in 2 phase 3 studies. EASL 2023; OS-067
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