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Eine Herausforderung in Diagnostik und Therapie
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Maria Effenberger
Universitätsklinik für Innere Medizin I<br> Innsbruck<br> E-Mail: maria.effenberger@tirol-kliniken.at
30
Min. Lesezeit
20.11.2019
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<p class="article-intro">Autoimmunhepatitis ist definiert als chronische inflammatorische Lebererkrankung, die mit erhöhten Serumglobulinwerten und Autoantikörpern im Serum einhergeht.<sup>1</sup> Hier wird ein interessanter Fall präsentiert, in dem eine Patientin eine akute Leberschädigung aufgrund einer Autoimmunhepatitis ohne ausreichendes Ansprechen auf Steroidtherapie entwickelte.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Anamnese</h2> <p>Eine 28-jährige, leicht adipöse Patientin (BMI 27,3 kg/m<sup>2</sup>; 89 kg KG) stellt sich während ihrer dritten Schwangerschaft in der 28. Schwangerschaftswoche mit Pruritus am ganzen Körper in der gynäkologischen Ambulanz vor. Anamnestisch gibt die Patientin an, dass der Pruritus seit mehreren Tagen progredient sei. Zusätzlich habe sie einen ausgeprägten Leidensdruck bei Insomnie aufgrund des Pruritus. Die beiden vorangegangenen Schwangerschaften seien komplikationslos verlaufen, ähnliche Symptome nie zuvor aufgetreten. Die Patientin hat keine Vorerkrankungen und keine kürzlich durchgemachte virale oder bakterielle Infekte.</p> <h2>Klinische Untersuchung</h2> <p>In der initialen laborchemischen Untersuchung zeigen sich folgende Befunde: Bilirubin 1,35 mg/dl (Normbereich 0,00– 1,14 mg/dl), GOT 298 U/l (10–35 U/l), GPT 422 U/l (10–35 U/l), Gamma-GT 20 U/l (6–42U/l). Blutbild, CRP-Wert und Nierenfunktionsparameter zeigen keine Auffälligkeiten.<br /> Bildgebend zeigt sich in der Sonografie eine prominente Leber mit offener Arteria hepatica und Vena portae, ohne Hinweis auf Raumforderungen. Die weiteren Organe stellen sich unauffällig dar. Es werden zunächst eine Therapie mit Ursodesoxycholsäure (12 mg/kg KG) und eine Lokaltherapie begonnen. Während der Schwangerschaft bleiben Symptome und laborparametrische Auslenkungen konstant.</p> <h2>Weiterer Verlauf</h2> <p>Eine Woche post partum präsentiert sich die Patientin mit dem Bild einer akuten Leberschädigung («acute liver injury»): Bilirubin 16,32 mg/dl, GOT 492 U/l, GPT 732 U/l, Gamma-GT 125 U/l, INR 1,2; Quick 47 % und PTT 41 Sekunden, worauf die Patientin an die Universitätsklinik Innsbruck transferiert wird.<br /> In der weiteren laborchemischen Diagnostik kann eine virale Hepatitis (Hepatitis-A- bis -E-Antikörper und PCR negativ) ausgeschlossen werden. Ebenso sind die Immunserologie und die PCR für Herpes simplex, Ebstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus und Parvovirus B19 negativ. Bei unauffälliger genetischer Analyse für Morbus Wilson, Hämochromatose und Alpha-1-Antitrypsinmangel ist eine metabolische Genese des akuten Leberversagens ebenso auszuschliessen. Bei anamnestisch fehlender Einnahme von hepatotoxischen Substanzen und bildgebendem Ausschluss einer vaskulären Genese wie Budd-Chiari-Syndrom, einer Schockleber mittels MRT des Abdomens oder eines akuten Rechtsherzversagens mittels Echokardiografie bleibt die Genese der Lebererkrankung zunächst unklar.</p> <h2>Diagnose einer Autoimmunhepatitis</h2> <p>Allerdings weisen bestimmte Laborparameter der Patientin auf eine mögliche Autoimmunhepatitis hin:</p> <ul> <li>Erhöhtes Immunglobulin G: 1720 mg/dl (Normwert 720–1480 mg/dl)</li> <li>Positiv auf antinukleäre Antikörper (ANA): 1:160</li> <li>Positiv auf «smooth muscle antigen» (SMA)</li> <li>Die weiteren spezifischen Antikörper – lösliches Leber-/Pankreas-Antigen (SLA/LP), Leber-Nieren-Mikrosomen- Autoantikörper (LKM1, LKM3), Leberzytosol- Antigen Typ 1 (LC1) und Ro52- Antikörper – sind negativ.</li> </ul> <p>Es erfolgt bei weiterhin bestehenden Einschränkungen von INR, Quick und PTT eine transjuguläre Leberbiopsie. Histologisch zeigt sich ein hepatitisches Bild mit ausgeprägter Interface-Hepatitis und -Fibrose, die histologisch typisch für eine Autoimmunhepatitis sind. Dies erhärtet den Verdacht auf eine Autoimmunhepatitis. Mithilfe des Autoimmunhepatitis- Scores wird die Diagnose einer Autoimmunhepatitis Typ I gestellt (Tab. 1).<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Innere_1902_Weblinks_lo_innere_1902_s71_tab1_effenberger.jpg" alt="" width="1419" height="1860" /></p> <h2>Therapie und weiterer Verlauf</h2> <p>Es wird eine Therapie mit systemisch wirkenden Steroiden (1 mg/kg KG) eingeleitet.<sup>3</sup> Nach zweiwöchiger Behandlung stabilisiert sich die Leberfunktion, INR und Quick normalisieren sich und das Bilirubin sinkt auf 5,5 mg/dl. Parallel wird eine Therapie mit 50 mg Azathioprin pro Tag gestartet und wöchentlich um 50 mg gesteigert, bis die Azathioprin-Zieldosis von 2 mg/kg KG erreicht ist.<br /> Die Patientin entwickelt jedoch eine ausgeprägte Leukopenie von 0,8 G/l (Normwert 4–10 G/l), sodass die Therapie beendet werden muss. Es kommt zu einem neuerlichen Anstieg der Transaminasen (GOT, GPT, Gamma-GT) und des Immunglobulins G.<br />Weil es keinen Hinweis auf eine Leberzirrhose gibt, wird eine Behandlung mit dem lokal wirkenden Steroid Budesonid mit 9 mg pro Tag begonnen. Auch darunter zeigt sich keine Besserung der Leberfunktionsparameter. Entsprechend mehreren Fallserien wird eine Therapie mit Mycophenolat- Mofetil (1000 mg 2x täglich) eingeleitet. Auch hiermit kann keine biochemische Remission (Normalisierung der Immunglobuline) oder histologische Remission (normale Histologie oder minimale Hepatitis [HAI < 4]) erreicht werden. Daher wird die Therapie nochmals modifiziert und auf Tacrolimus (Zielspiegel 6–8 μg/l) umgestellt. Unter dieser Behandlung erreicht die Patientin eine dauerhafte Remission (Abb. 1).<sup>4, 5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Innere_1902_Weblinks_lo_innere_1902_s72_abb1_effenberger.jpg" alt="" width="2150" height="1965" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Der Fall zeigt einen besonders schweren Verlauf einer Autoimmunhepatitis, die auf multiple Therapiekonzepte kein Ansprechen zeigte. Dies ist ein aussergewöhnlicher Verlauf einer seltenen hepatologischen Krankheit, deren Genese nicht eindeutig geklärt ist.</p> <h2>Hintergrund: Autoimmunhepatitis</h2> <p>Die Autoimmunhepatitis ist eine seltene chronische Erkrankung der Leber, die mehrheitlich bei Frauen (im Verhältnis 3:1) in jedem Lebensalter auftreten kann. In Europa findet man 15–25 Fälle pro 100 000 Einwohner mit tendenzieller Zunahme.<sup>6</sup> Die klinische Präsentation ist mannigfaltig: 66 % der Patienten präsentieren sich mit unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schmerzen im rechten oberen Quadranten, Unwohlsein, Anorexie, Übelkeit, Gewichtsverlust, Juckreiz und Polyarthralgie, 25 % mit einem akuten Leberversagen und 33 % der Patienten werden erst im Stadium der Zirrhose diagnostiziert.<br /> Die Autoimmunhepatitis ist mit einer Vielzahl anderer Krankheiten, wie der primär sklerosierenden Cholangitis, der primär biliären Cholangitis oder anderen Autoimmunerkrankungen (z. B. Thyreoiditis Hashimoto, Diabetes mellitus Typ 1, Zöliakie), assoziiert. Des Weiteren kann sie durch bestimmte Medikamente (z.B. Interferon, Nitrofurantoin) oder eine Schwangerschaft ausgelöst werden.<sup>7</sup><br /> Die Diagnostik der Autoimmunhepatitis ist schwierig, denn neben erhöhten Leberwerten sind lediglich die Immunglobuline erhöht und spezifische Antikörper (ANA, SMA, LKM, SLA/LP) positiv. Bei dem Verdacht auf eine Autoimmunhepatitis ist eine Leberbiopsie zur Diagnosesicherung wichtig.</p> <h2>Therapie der Autoimmunhepatitis</h2> <p>Die Therapie gestaltet sich oft langwierig und schwierig. Initial wird eine Therapie mit systemischen Steroiden begonnen (1 mg/kg KG/d). Bei einem Abfall von Bilirubin unter 6 mg/dl kann jederzeit eine Behandlung mit Azathioprin gestartet werden, idealerweise zwei Wochen nach Beginn der Steroidtherapie. Die Gabe von systemischen Steroiden bzw. Budesonid, das bei nicht zirrhotischen Patienten das systemische Steroid ersetzen kann, soll über sechs bis zwölf Monate reduziert werden. Bei anhaltender serologischer Remission (Immunglobulin G im Normbereich) oder histologischer Remission (mHAI < 4/18) kann nach 24 Monaten eine Beendigung der Therapie eingeleitet werden. Die Rate an Rezidiven, die typischerweise in den 12 Monaten nach der Therapiebeendigung auftreten, ist mit 50–90 % hoch.<br /> Sollte keine serologische oder histologische Remission erreicht werden, steht für die Zweitlinientherapie die Immunsuppression, derzeit Mycophenolat-Mofetil (MMF) und Calcineurin-Inhibitoren (CNI) sowie Cyclosporin oder Tacrolimus, zur Verfügung. Es gibt jedoch keine Daten aus randomisierten Studien dazu. Die Dosis für MMF, einen reversiblen Hemmer der Inosinmonophosphat- Dehydrogenase, der die Proliferation von T- und B-Lymphozyten beeinflusst, soll 2 g/d betragen. Für Cyclosporin A, einen direkten Hemmer des Enzyms Calcineurin, ist eine Dosis von 2–3 mg/kg KG/d anzustreben, bei Tacrolimus, das spezifisch in die Signaltransduktion und in die Aktivierung von T-Zellen eingreift, ist eine Dosis von 1–6 mg/d mit einem Zielspiegel von 6–8 mg/dl wünschenswert.<br /> Andere Substanzen werden in Einzelberichten als effektiv beschrieben. Dazu gehören Cyclophosphamid (1–1,5 mg/kg/d), Rituximab (1000 mg alle 2 Wochen), Infliximab (5 mg/kg KG in Woche 0, 2, 6 und 8) sowie Methotrexat. Allerdings werden für diese Substanzen noch randomisierte Studien in der Indikation der Autoimmunhepatitis benötigt.<sup>8, 9</sup></p></p>
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<p><strong>1</strong> Stirnimann G et al.: Recurrent and de novo autoimmune hepatitis. Liver Transpl 2019; 25: 152-66 <strong>2</strong> Hennes EM et al.: Simplified criteria for the diagnosis of autoimmune hepatitis. Hepatology 2008; 48: 169-76 <strong>3</strong> Anand L et al.: Flare of autoimmune hepatitis causing acute on chronic liver failure (ACLF): diagnosis and response to corticosteroid therapy. Hepatology 2018 [epub ahead of print] <strong>4</strong> Luth S et al.: Serologic markers compared with liver biopsy for monitoring disease activity in autoimmune hepatitis. J Clin Gastroenterol 2008; 42: 926-30 <strong>5</strong> Liwinski T, Schramm C: Autoimmune hepatitis - update on clinical management in 2017. Clin Res Hepatol Gastroenterol 2017; 41: 617-25 <strong>6</strong> Feld JJ, Heathcote EJ: Epidemiology of autoimmune liver disease. J Gastroenterol Hepatol 2003; 18: 1118-28 <strong>7</strong> Gronbaek L et al.: Extrahepatic autoimmune diseases in patients with autoimmune hepatitis and their relatives: a Danish nationwide cohort study. Liver Int 2019; 39: 205-14 <strong>8</strong> Haridy J et al.: Methotrexate therapy for autoimmune hepatitis. Clin Gastroenterol Hepatol 2018; 16: 288-9 <strong>9</strong> European Association for the Study of the Liver: EASL Clinical Practice Guidelines: autoimmune hepatitis. J Hepatol 2015; 63: 971-1004</p>
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