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Die Leber im Fokus
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Mattias Mandorfer
Klinische Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie<br> Universitätsklinik für Innere Medizin III<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: mattias.mandorfer@meduniwien.ac.at
30
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31.10.2019
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<p class="article-intro">Der folgende Artikel gibt einen Überblick über aktuelle Erkenntnisse zur Pathogenese und zu den therapeutischen Massnahmen beim Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit Leberbeteiligung beim erwachsenen Patienten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2><strong>Pathogenese</strong></h2> <p>Beim Gesunden wird Alpha-1-Antitrypsin, ein Serinproteaseinhibitor (daher ruht der Genname SERPINA1), in den Hepatozyten gebildet. Es wird in die Blutzirkulation freigesetzt, über die es unter anderem die Lunge erreicht. Dort verhindert es als Inhibitor der Neutrophilenelastase den Abbau von Elastin. Fehlt Alpha-1-Antitrypsin in der Lunge («loss of function»), kommt es zur Ausbildung des panlobulären Emphysems.<sup>1</sup> Zusätzlich dürften auch zirkulierende Polymere (extrazellulärer «toxic gain of function») eine Rolle spielen. <br />Bei der Leberbeteiligung durch das Pi*Z-Allel handelt es sich im Gegensatz dazu um einen intrazellulären «toxic gain of function ». Das missgefaltete Protein akkumuliert in den Hepatozyten und es bilden sich Einschlusskörperchen, die mittels Periodic-Acid-Schiff-Diastase(PAS-D)-Färbung dargestellt werden können. Beim Pi*Null-Allel fehlt dieser «toxic gain of function». Daher kommt es trotz schwerster Lungenbeteiligung («loss of function») zu keiner Lebererkrankung. <br />Der direkte Zusammenhang zwischen Akkumulation des missgefalteten Proteins und der Entwicklung einer Leberfibrose/-zirrhose wurde zwar seit Langem postuliert, konnte jedoch erst durch eine neuere, auf den Leberbiopsien von 94 Pi*ZZ-Patienten basierende Arbeit von Clark et al. hinreichend belegt werden.<sup>2</sup> In dieser zeigte sich ein klarer Zusammenhang zwischen der Menge an PAS-D-gefärbten Granulae (intrazellulärer «toxic gain of function») und dem Leberfibrosegrad.</p> <h2>Epidemiologie und Diagnostik der Leberbeteiligung</h2> <p><strong>Pi*ZZ bzw. Pi*SZ</strong> <br />Während die Lebererkrankung im Kindes- und Jugendalter bereits umfangreich untersucht wurde, liegen wenige Daten zur Häufigkeit und Schwere der bereits 1986 beschriebenen Leberbeteiligung im Erwachsenenalter vor.<sup>3</sup> Studien zu dieser Fragestellung wurden besonders dadurch erschwert, dass Leberbiopsien nur bei selektionierten Patienten (z. B. mit einer erhöhten Vortestwahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Leberfibrose) durchgeführt werden können, womit darauf basierte Studien den Grad der Leberfibrose in der Regel überschätzen «Spitze des Eisbergs».<sup>4</sup> <br />Umgekehrt zeigt nur ein kleiner Teil der Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel erhöhte Leberenzyme. Dies legt nahe, dass sie, zumindest bei Anwendung der üblichen Cut-off-Werte, wenig sensitiv für die Detektion einer Leberbeteiligung sind.<sup>5</sup> Dies bestätigte sich mit Ausnahme der γ-Glutamyltransferase (GGT) auch in der Biopsie-kontrollierten Arbeit von Clark et al.<sup>2</sup> Nicht invasive, ultraschall-basierte Elastografieverfahren wie die transiente Elastografie (TE) erlauben es, den Grad der Leberfibrose/- verfettung abzuschätzen. Sie wurden vor Kurzem auch für den Alpha-1-Antitrypsin- Mangel durch einen Vergleich mit dem diagnostischen Goldstandard, der Leberbiopsie, validiert.<sup>2</sup> Um die Evidenzlücke «Prävalenz der Leberbeteiligung im Erwachsenenalter » zu schliessen, wurden eine österreichische und eine europaweite Studie initiiert, in denen Betroffene systematisch mittels TE untersucht wurden. <br />In die österreichische Studie wurden sowohl Patienten (28 Pi*ZZ und 3 Pi*SZ) als auch Angehörige (Pi*MZ und Pi*MS) eingeschlossen. Bei Patienten (Pi*ZZ/Pi*SZ) wurde in 23 % eine signifikante Leberfibrose (Lebersteifigkeit ≥ 7,1 kPa) festgestellt; erfreulicherweise lag die Häufigkeit der fortgeschrittenen Leberfibrose bei nur 3 % (≥ 9,5 kPa – Patienten mit hohem Risiko, Komplikationen einer Leberzirrhose zu entwickeln).<sup>6</sup> Während die Prävalenz der signifikanten Leberfibrose (24 %) mit jener, die in der europäischen Studie beobachtet wurde, vergleichbar war, lag die Prävalenz der fortgeschrittenen Leberfibrose europaweit höher (14 %, obwohl ein höherer Cutoff- Wert von ≥ 10 kPa verwendet wurde). Diese mutmassliche Diskordanz ist wahrscheinlich auf die geringe Fallzahl bzw. die grosse Schwankungsbreite in der österreichischen Studie zurückzuführen.<sup>6, 7</sup> <br />Interessanterweise fand sich bei 65 % der Patienten der österreichischen und 61 % der Patienten der europäischen Kohorte (Pi*ZZ/Pi*SZ) ein Hinweis auf das Vorliegen einer Leberverfettung.<sup>6, 7</sup> Dies ist besonders vor dem Hintergrund der Resultate der europäischen Studie relevant, die noch nicht als Originalarbeit publiziert ist. Sie konnte nämlich einen Zusammenhang zwischen Leberverfettung/Adipositas und dem Vorliegen einer Leberfibrose herstellen.<sup>7</sup> Diese Beobachtung deckt sich auch mit den Ergebnissen von histologischen Untersuchungen: Dawwad et al. beobachteten einen Zusammenhang zwischen Leberfibrose und hohem BMI.<sup>4</sup> Clark et al. beschrieben das assoziierte metabolische Syndrom als Hauptrisikofaktor.<sup>2</sup> Folglich dürfte das Vorliegen einer Fettleber oder einer Adipositas das Risiko erhöhen, eine Leberfibrose und in weiterer Folge eine Leberzirrhose zu entwickeln. Dies könnte sich durch den damit einhergehenden Stress auf das endoplasmatische Retikulum («2<sup>nd</sup> hit») erklären. Darüber hinaus ist das männliche Geschlecht ein reproduzierbarer Risikofaktor für das Vorliegen einer Leberfibrose.<sup>2, 7, 8 </sup></p> <p>Von den laborchemischen Parametern ist die GGT am engsten mit dem Vorliegen einer Leberfibrose assoziiert, wobei die optimalen Cut-off-Werte mit 21,5 (signifikante Leberfibrose) bzw. 36 IU/ml (fortgeschrittene Leberfibrose) innerhalb des Referenzbereiches vieler Labors liegen.<sup>2</sup> Für den Pi*SZ-Genotyp wurden in einem Abstract kürzlich dem Pi*ZZ-Genotyp ähnliche Prävalenzdaten präsentiert.<sup>9</sup></p> <p><strong>Pi*MZ und Pi*MS</strong><br /> Auch bezüglich des Pi*MZ-Genotyps gibt es neue Erkenntnisse: Bei Vorliegen anderer Lebererkrankungen (z. B. alkoholische und nichtalkoholische Fettleber) stellt die Heterozygotie den stärksten bisher beschriebenen genetischen Risikofaktor für die Entwicklung einer Leberzirrhose dar (Odds-Ratios von circa 6–7). Daher sollte die zugrunde liegende Lebererkrankung bei diesen Hochrisikopatienten besonders konsequent behandelt werden.<sup>10</sup> Dementsprechend zeigte sich bei Patienten mit einer klinisch signifikanten portalen Hypertonie als Ausdruck einer fortgeschrittenen Lebererkrankung auch eine erhöhte Prävalenz des Pi*Z-Allels.<sup>6</sup> Dieses dürfte auch über die Entwicklung einer Leberzirrhose hinaus noch das Fortschreiten der Lebererkrankung begünstigen.<sup>11</sup> Entwarnung darf aus der Sicht des Hepatologen hingegen bei Pi*MS gegeben werden – hier fand sich keine Risikoerhöhung, was sich durch die deutlich geringere Polymerisationstendenz des S-Proteins erklärt.<sup>1</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Innere_1905_Weblinks_lo_innere_1905_s67_abb1_mandorfer.jpg" alt="" width="1417" height="1012" /></p> <h2>Zusammenfassung (Abb. 1)</h2> <p>Bei circa einem Viertel der Patienten gehen der Pi*ZZ- bzw. Pi*SZ-Genotyp mit einer Leberfibrose und damit einer Leberbeteiligung einher. Männliches Geschlecht, das Vorliegen der miteinander assoziierten Faktoren Übergewicht, metabolisches Syndrom und Fettleber sowie hohe (aber nicht unbedingt erhöhte) GGT-Werte sind Risikofaktoren für das Vorliegen einer Leberfibrose. Da der Verlauf der Erkrankung durch Lebensstilmodifikation aller Wahrscheinlichkeit nach positiv beeinflusst werden kann und auch spezifische Therapien absehbar sind, sollte jeder Pi*ZZ- bzw. Pi*SZ-Patient mittels eines nicht invasiven Verfahrens untersucht werden. Auch bei Pi*MZ-Patienten ist zumindest bei weiteren Noxen (metabolische Risikofaktoren oder relevanter Alkoholkonsum) die Durchführung einer solchen nicht invasiven Untersuchung anzuraten, während beim Pi*MS-Genotyp aus derzeitiger Sicht keine spezifischen Massnahmen ergriffen werden müssen.<br /> Sollte ein Hinweis auf eine zumindest signifikante Leberfibrose (Lebersteifigkeit ≥ 7,1 kPa mittels TE oder ≥ 5–6 kPa mittels Scherwellenelastografie [SWE] gemessen) vorliegen, ist eine Überweisung an ein hepatologisches Zentrum zur weiteren Abklärung (ggf. Leberbiopsie) angezeigt.<sup>15</sup> Bei Übergewicht spielt die Gewichtsreduktion (Ziel: mind. 7–10 %) eine zentrale Rolle in der Lebensstilmodifikation. Laufende klinische Studien untersuchen die Effektivität einer Reduktion der Produktion des missgefalteten Proteins mittels der RNAi ARC-AAT bzw. einer Steigerung des Abbaus durch Carbamazepin. Sofern bereits eine «compensated advanced chronic liver disease» (cACLD)/Zirrhose vorliegt, darf die HCC- Surveillance bzw. das Zirrhose-Management nicht vergessen werden.<sup>16</sup></p> <h2>Allgemeinmassnahmen</h2> <p>Für den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel liegen keine spezifischen Empfehlungen vor. Da aber eine enge Assoziation metabolischer Faktoren mit dem Vorliegen einer signifikanten Leberfibrose besteht, wird auf die Empfehlungen für Patienten mit «non-alcoholic fatty liver disease» (NAFLD) verwiesen.12 Bei Übergewicht ist eine Gewichtsreduktion (Ziel: mindestens 7–10 %) anzustreben. Diese sollte, vor allem bei Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit Lungenbeteiligung, nur unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden. Sie gelingt am besten durch eine Reduktion der Kalorienzufuhr (anzustrebendes Defizit 500 bis 1000 kcal/Tag) und drei- bis fünfmal pro Woche körperliches Training (in Summe 150–200 min/Woche). Die Alkoholmenge sollte bei Frauen maximal ein Glas (1,25 dl), bei Männern maximal zwei Gläser Wein pro Tag betragen. Fruchtzucker (Fructose; besonders süsse Getränke und Fertigprodukte) ist zu vermeiden. Es gibt auch Hinweise, dass die Einhaltung einer mediterranen Diät bzw. reichlich Kaffeekonsum vorteilhaft sind.</p> <h2>Spezifische Therapien</h2> <p>Erfreulicherweise sind auch über diese Lifestyle-Massnahmen hinausgehende, medikamentöse Therapieoptionen für die Leberbeteiligung bei Alpha-1-Antitrypsinmangel absehbar. Die Akkumulation des missgefalteten Proteins ergibt sich aus einem Ungleichgewicht zwischen Produktion und Abbau. Somit basiert die Therapie auf folgenden Ansätzen:</p> <ul> <li>Reduktion der Produktion: Durch eine Hepatozyten-gezielte RNA-Interferenz mittels der RNAi ARC-AAT konnte sowohl bei gesunden Probanden als auch bei Pi*ZZ-Patienten eine deutliche und lang anhaltende Reduktion des zirkulierenden Alpha-1-Antitrypsins erzielt werden.<sup>13</sup> Therapieziel wäre es, durch eine temporäre Reduktion der Produktion eine histologische Verbesserung zu erzielen. Diese Substanz wird im Rahmen einer Phase-II/III-Studie in Kürze auch in Österreich verfügbar sein. Es ist jedoch in Anbetracht des Grundsatzes «primum non nocere» anzumerken, dass diese Therapie nur bei Patienten mit signifikanter Lebererkrankung und unter engmaschiger lungenfachärztlicher Kontrolle/Substitutionstherapie Anwendung finden sollte.</li> <li>Steigerung des Abbaus: Carbamazepin induziert Autophagie, wodurch in einer experimentellen Studie die Menge an hepatozellulären Einschlusskörperchen reduziert werden konnte.<sup>14</sup> Eine entsprechende multizentrische Phase-II-Studie wird derzeit in den USA durchgeführt.</li> </ul></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Lomas DA et al.: Update on alpha-1 antitrypsin deficiency: New therapies. J Hepatol 2016; 65: 413-24 <strong>2</strong> Clark VC et al.: Clinical and histologic features of adults with alpha- 1 antitrypsin deficiency in a non-cirrhotic cohort. J Hepatol 2018; 69: 1357-64 <strong>3</strong> Eriksson S et al.: Risk of cirrhosis and primary liver cancer in alpha 1-antitrypsin deficiency. New Engl J Med 1986; 314: 736-9 <strong>4</strong> Dawwas MF et al.: Prevalence and risk factors for liver involvement in individuals with PiZZ-related lung disease. Am J Respir Crit Care Med 2013; 187: 502-8 <strong>5</strong> Clark VC et al.: Liver test results do not identify liver disease in adults with alpha(1)-antitrypsin deficiency. Clin Gastroenterol Hepatol 2012; 10: 1278-83 <strong>6</strong> Mandorfer M et al.: Liver disease in adults with alpha1- antitrypsin deficiency. United European Gastroenterol J 2018; 6: 710-8 <strong>7</strong> Hamesch K et al.: Liver fibrosis and metabolic alterations in adults with homozygous alpha1-antitrypsin deficiency (PiZZ genotype). J Hepatol 2018; 68: S80 <strong>8</strong> Bowlus CL et al.: Factors associated with advanced liver disease in adults with alpha1-antitrypsin deficiency. Clin Gastroenterol Hepatol 2005; 3: 390-6 <strong>9</strong> Pereira V et al.: Liver disease in alpha-1 antitrypsin deficiency: from non-invasive evaluation to liver biopsy. Hepatology 2018; 68: 720A-1A <strong>10</strong> Strnad P et al.: Heterozygous carriage of the alpha1-antitrypsin PiZ variant increases the risk to develop liver fibrosis. Z Gastroenterol 2018; 56: A2.7 <strong>11</strong> Schaefer B et al.: Heterozygosity for the alpha- 1-antitrypsin Z allele in cirrhosis is associated with more advanced disease. Liver Transpl 2018; 24: 744-51 <strong>12</strong> European Association for the Study of the Liver, European Association for the Study of Diabetes, European Association for the Study of Obesity. EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol 2016; 64: 1388-402 <strong>13</strong> Turner AM et al.: Hepatic-targeted RNA interference provides robust and persistent knockdown of alpha-1 antitrypsin levels in ZZ patients. J Hepatol 2018; 69: 378-84 <strong>14</strong> Hidvegi T et al.: An autophagy-enhancing drug promotes degradation of mutant alpha1-antitrypsin Z and reduces hepatic fibrosis. Science 2010; 329: 229-32 <strong>15</strong> Mulazzani L et al.: Different techniques for ultrasound liver elastography. J Hepatol 2019; in press <strong>16</strong> Reiberger T et al.: Austrian consensus guidelines on the management and treatment of portal hypertension (Billroth III). Wien Klin Wochenschr 2017; 129: 135-58</p>
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