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Nobelpreis für Medizin 2020

Die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus

Anlässlich der Verleihung des 119. Nobelpreises für Medizin oder Physiologie, der in diesem Jahr an drei Forscher ging, die wesentlich an der Entdeckung bzw. Identifizierung des Hepatitis-C-Virus beteiligt waren, lässt Prof. Dr. med. Peter Ferenci, Wien, die Geschichte dieser Entdeckung Revue passieren.

Drei eminente Personen, die an der Entdeckung des Hepatitis-C-Virus (HCV) führend beteiligt waren, haben den Nobelpreis für Medizin 2020 erhalten. Um aus heutiger Sicht diese epochale Entdeckung zu verstehen, müssen wir fast 50 Jahre in der Medizingeschichte zurückgehen. Heutzutage wäre dieses Virus vermutlich innert weniger Wochen beschrieben worden, wie z.B. der Erreger von Covid-19. Die vollständige Identifizierung und Einordnung des HCV dauerte damals allerdings mehr als zehn Jahre. Es zeigt auch, dass Teamarbeit ein wesentlicher Baustein des Erfolges ist. Drei Männer wurden mit dem Nobelpreis geehrt, aber auch viele andere haben einen genauso wichtigen Beitrag geleistet, wie Steve Feinstone, Blaine Hollinger, Daniel Bradley, Stan Lemon, Jay Hoofnagle, Ralf Bartenschlager, um nur einige zu nennen. Auch sie wurden durch die Verleihung des Nobelpreises indirekt gewürdigt.

Harvey J. Alter

Dr. Harvey J. Alter, mit dem ich während meiner Zeit an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, USA, zusammenarbeiten durfte, hat als Leiter der Blutbank des NIH in Zusammenarbeit mit der Transfusion-transmitted Viruses Study Group erkannt, dass viele Patienten, die nach einer Bluttransfusion an einer Hepatitis erkrankten, nicht durch die damals bekannten Hepatitiserreger (Hepatitis-A- und -B-Viren) infiziert worden waren. Man nannte den verursachenden Erreger dieser Virushepatitis «nonAnonB virus». Die Krankheit, die dieses Virus verursacht, hat Alter gemeinsam mit Steve Feinstone beschrieben.1 Er versuchte in der Folge, dieses Virus zu identifizieren, doch ohne Erfolg.

Michael Houghton

Dies gelang erst 1987 der Arbeitsgruppe um den Briten Dr. Michael Houghton. Sie verwendeten neue Technologien zur Virussuche. Dr. Daniel Bradley (Centers for Disease Control [CDC], Arizona, USA) stellte viele biologische Proben aus dem nonAnonB-Hepatitis-Schimpansenmodell zur Verfügung. Aus deren Lebern wurden Homogenate unzähliger Millionen bakterieller cDNA-Klone hergestellt. In mühevoller Kleinarbeit wurde die Reaktion der cDNA-Klone mit Sera von Patienten mit nonAnonB-Hepatitis, die den nonAnonB-Hepatitis-Erreger enthielten, gescreent. Der eigentliche Erfolg gelang Dr. George Kuo mit diesem cDNA-Immunoscreening-Ansatz. Diese Untersuchungen, die zwischen 1982 und 1989 im Labor der Firma Chiron unter der Leitung von Dr. Houghton gemacht wurden, führten zur Identifizierung des Hepatitis-C-Virus (HCV). Es wurden spezifische Antikörper gegen ein HCV-Antigen gefunden (anti-HCV). Zu den wichtigsten Forschern in seinem Labor gehörten Dr. Qui-Lim Choo und eben Dr. George Kuo. Damals war die PCR-Technologie erst in Entwicklung. Interessanterweise wurde die Identifizierung des HCV bereits 1987 auf der Aktionärsversammlung der Firma Chiron bekannt gegeben, aber erst zwei Jahre später publiziert.2

Charles M. Rice

Dr. Charles M. Rice von der Rockefeller University, New York City, USA, arbeitete drei Jahrzehnte lang an der Erforschung der Strukturproteine von RNA-Viren und deren Vermehrung in ihren Wirten. Er stellte als Erster eine Version der Struktur des HCV her, die im Labor kultiviert und untersucht werden konnte. 1996 schloss er die Charakterisierung des viralen Genoms ab und ein Jahr später gelang es ihm, im Labor ein infektiöses Virus zu produzieren. Seine Forschungstätigkeit trug wesentlich zum Verständnis des Aufbaus der HC-Viren bei. Die Herstellung des ersten infektiösen Klons des Virus ermöglichte weitere Studien zur Bekämpfung dieses Virus.3

Fast gleichzeitig hat die Arbeitsgruppe von Dr. Stanley Lemon, USA, ähnliche Beobachtungen beschrieben.4 Zwei Jahre zuvor hatte Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, in Heidelberg das HCV-Replikon entwickelt.5 Diese Forschungsergebnisse waren die Grundlage zur Entwicklung von neuen Medikamenten zur Behandlung von Hepatitis-C-Infektionen, da das HCV-Replikon die systematische Untersuchung von potenziellen Hemmern der viralen Replikation ermöglichte.

Entwicklungsschritte der Behandlung der Hepatitis C

Solche Replikationshemmer («direct-acting antivirals»; DAA) wurden seit Ende des Jahrhunderts getestet. Die erste Generation von DAA wurde 2013 zugelassen, diese mussten damals noch gemeinsam mit Interferon und Ribavirin für bis zu 48 Wochen gegeben werden. Der wirkliche Durchbruch gelang 2009 mit der Entwicklung von Sofosbuvir.6 Diese Substanz in Kombination mit einem Nichtstrukturprotein-5A(NS5A)-Hemmer (Velpatasvir, Epclusa®) und eine andere Kombination von einem NS5A-Hemmer mit einem Nichtstrukturprotein-3/4(NS3/4)-Proteasehemmer (Glecaprevir und Pibrentasvir, Maviret®) ermöglicht heute die komplette Heilung der Hepatitis C innerhalb von 8–12 Wochen ohne wesentliche Nebenwirkung. Durch die weltweite Anwendung dieser Medikamente erhofft die WHO eine komplette Eradikation von HCV bis 2030. Wenn dies gelingt, wäre HCV nach Pocken das zweite Virus, das die Menschheit nicht mehr befallen wird.

Diese Erfolgsstory lässt hoffen, dass nun mit den heute zur Verfügung stehenden Möglichkeiten das Covid-19-Virus bald erfolgreich bekämpft werden kann.

1 Feinstone SM et al.: Transfusion-associated hepatitis not due to viral hepatitis type A or B. N Engl J Med 1975; 292: 767-70 2 Choo QL et al.: Isolation of a cDNA clone derived from a blood–borne non-A, non-B viral hepatitis genome. Science 1989; 244: 359-62 3 Blight KJ et al.: Highly permissive cell lines for subgenomic and genomic hepatitis C virus RNA replication. J Virol 2002; 76: 13001-14 4 Ikeda M et al.: Selectable subgenomic and genome-length dicistronic RNAs derived from an infectious molecular clone of the HCV-N strain of hepatitis C virus replicate efficiently in cultured Huh7 cells. J Virol 2002; 76: 2997-3006 5 Lohmann V et al.: Replication of subgenomic hepatitis C virus RNAs in a hepatoma cell line. Science 1999; 285: 110-3 6 Sofia MJ et al.: Discovery of a β-d-2′-deoxy-2′-α-fluoro-2′-β-C-methyluridine nucleotide prodrug (PSI-7977) for the treatment of hepatitis C virus. J Med Chem 2010; 53: 7202-18

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