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Richtungsweisendes in der Therapie des multiplen Myeloms
Jatros
30
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22.11.2018
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<p class="article-intro">Neue Substanzen und diagnostische Möglichkeiten verändern die Therapie des multiplen Myeloms. Wie sich die neuen Erkenntnisse auf die Klinik auswirken, beleuchteten bei der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie unter anderem die wissenschaftlichen Symposien zur Therapiesequenz und zur Therapiesteuerung.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei Patienten bis 70 oder 75 Jahre ohne erhebliche Komorbidität ist die Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender ASZT die Therapie der Wahl.</li> <li>Die Induktion sollte auf einem Proteasominhibitor plus immunmodulierender Substanz basieren und mindestens als Dreierkombination verabreicht werden.</li> <li>Bei Hochrisiko-MM und Patienten, die nach ASZT kein vollständiges Ansprechen erreichen, sollte eine zweite ASZT erfolgen.</li> <li>Für nicht transplantationsfähige Patienten sind Rd und DVMP Therapien der Wahl für die erste Linie.</li> <li>Die MRD wird als prognostisches Kriterium zur Beurteilung der Remission zunehmend wichtiger.</li> </ul> </div> <h2>Therapie jüngerer transplantationsfähiger Patienten</h2> <p>Prof. Hermann Einsele, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II am Universitätsklinikum Würzburg, erläuterte die Therapiestrategie für jüngere Patienten, die für eine Stammzelltransplantation geeignet sind. Vor einigen Jahren habe man das multiple Myelom (MM) erst dann behandelt, wenn ein Endorganschaden nach den CRAB-Kriterien (erhöhtes Serumkalzium, Niereninsuffizienz, Anämie oder Knochendestruktion) entstanden war, sagte er. Zusätzlich seien gehäufte bakterielle Infektionen, das Vorliegen einer Amyloidose oder Hyperviskosität in die Überlegungen einbezogen worden. Aktuell werden die SLiM-CRAB-Kriterien (Tab. 1) angewandt, um vorherzusagen, ob der Patient innerhalb der nächsten zwei Jahre einen Endorganschaden erleiden wird und entsprechend behandelt werden sollte.<sup>1</sup><br /> In der Phase-II-Studie GEM-CESAR wurden bereits Patienten mit einem Hochrisiko- Smoldering-MM sehr intensiv behandelt: Auf eine Induktion mit einer Dreierkombination aus einem Proteasominhibitor (PI), einer immunmodulierenden Substanz (IMiD) und Dexamethason (Carfilzomib/Lenalidomid/Dexamethason: KRd) und eine Hochdosistherapie mit Melphalan folgte die Stammzelltransplantation (ASZT). In der Konsolidierungsphase erhielten die Patienten erneut KRd und schließlich die Erhaltungstherapie mit Rd. Die Ansprechraten waren sehr gut.<sup>2</sup> Einsele schränkte jedoch ein, dass man Patienten nur dann einem so intensiven Regime unterziehen sollte, wenn eine kurative Absicht besteht. Zudem müsse man nun beobachten, ob es zu Langzeittoxizitäten kommt.<br /> Eine Alternative zur ASZT gibt es laut Einsele bei den für die Transplantation geeigneten Patienten nicht. Aufgrund der genetischen Instabilität des MM sollte diese so früh wie möglich erfolgen, betonte er. Wie die EMN02/HO95-Studie gezeigt hat, führt eine Tandemtransplantation im Vergleich zu einer Einfachtransplantation zu einem im Mittel um 12 % besseren progressionsfreien Überleben (PFS), wobei vor allem Hochrisikopatienten von einer Doppeltransplantation profitieren.<sup>3</sup> EMN02 zeigte zudem eine Verlängerung des PFS bei einer Konsolidierung mit Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason (VRD).<sup>4</sup><br /> Etwa 15 bis 20 % der Patienten sprechen auf die Induktion nicht an. Während Patienten mit einer stabilen Krankheit („stable disease“) von einer ASZT profitieren und ein ähnliches PFS erreichen wie die chemosensitiven Patienten, ist dies bei progredienten Patienten nicht der Fall. Laut Einsele sollten Letztere nochmals eine Induktion mit einem anderen Therapieregime erhalten und falls sie darauf ansprechen anschließend einer ASZT unterzogen werden.<sup>5</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1806_Weblinks_jatros_onko_1806_s16_tab1.jpg" alt="" width="400" height="238" /></p> <h2>Therapie von nicht für die ASZT geeigneten Patienten</h2> <p>Prof. Katja Weisel, Leiterin des Myelomzentrums am Universitätsklinikum Tübingen, ging auf die Behandlung jener Patienten ein, die nicht für eine Transplantation geeignet sind. Wichtig sei, dass man diese Patienten früh so effektiv wie möglich behandle, da viele eine Zweitlinientherapie nicht mehr erreichen, betonte sie. Die aktuellen ESMOLeitlinien empfehlen für die Erstlinientherapie entweder die EMA-zugelassene Kombination aus dem PI Bortezomib (V) mit Melphalan/Prednison (MP) oder die Kombination aus Lenalidomid/Dexametason (Rd).<sup>6</sup> Bisher noch nicht von der EMA zugelassen ist VRd, das in den USA bereits Standard sei und bewusst in die Leitlinien aufgenommen wurde, erklärte Weisel. Sie hoffe, dass auch dieses Regime bald in Europa zugelassen werde, da die Kombination im Vergleich zu Rd ein signifikant verlängertes PFS (43 Monate vs. 30 Monate, p=0,0018) und Gesamtüberleben (OS: 75 Monate vs. 64 Monate, p=0,025) gezeigt hat.<sup>7</sup><br /> Ganz aktuell von der EMA für die Erstlinientherapie des MM bei nicht transplantationsfähigen Patienten zugelassen: die Viererkombination von VMP plus Daratumumab, einem monoklonalen Anti-CD38- Antikörper.<sup>8</sup> In der Zulassungsstudie ALCYONE reduzierte die Zugabe von Daratumumab zu VMP das Risiko für Progression oder Tod um 50 % (p<0,001). Die Ansprechraten unter DVMP lagen bei 90,9 % (vs. 73,9 % ; p<0,001) und 22,3 % der Patienten waren MRD-negativ (vs. 6,2 % ; p<0,001).<sup>9</sup> Die Viererkombination habe auch bei älteren Patienten keine unerwartete Toxizität gezeigt, abgesehen von signifikant häufigeren Infektionen, sagte Weisel. Sie sprach auch die Frage der geeigneten Kombinationspartner für den Antikörper an, da Melphalan und Prednison das Immunsystem eher hemmen, während der Antikörper immunmodulierend wirkt und zu einem Anstieg der zytotoxischen T-Zellen führt.</p> <h2>Therapiesequenz nach relapsiertem MM</h2> <p>Prof. Heinz Ludwig, Leiter des Wilhelminenkrebsforschungsinstituts Wien, befasste sich mit der Behandlung nach einem MM-Rezidiv. Ein Problem sei die genetische Instabilität des MM, die im Verlauf der Krankheit zu neuen Tumorzellklonen mit zunehmender Behandlungsresistenz führe, erklärte er. Von den zahlreichen möglichen Regimen werden in Europa beim Rezidiv nach ASZT und nach konventioneller Erstlinientherapie vor allem Rd und Vd eingesetzt.<sup>10</sup> Nach dem ersten Rezidiv ist grundsätzlich eine weitere ASZT bei dafür geeigneten Patienten möglich. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient von der zweiten Transplantation profitiert, umso größer, je länger es von der ersten ASZT bis zum Rezidiv gedauert hat.<sup>11</sup> Die Induktionstherapie hängt vom vorhergehenden Therapieregime ab. Bei Patienten, die entweder eine IMiD- oder PI-basierte Behandlung hatten, sollte die Medikamentenklasse gewechselt werden. Enthielt das vorangegangene Regime beide Wirkstoffklassen, sollte die Zugabe eines monoklonalen Antikörpers erwogen werden. Sofern der Patient die vermehrten Nebenwirkungen toleriert, sollte eine Dreierkombination eingesetzt werden. Generell profitierten Patienten mit wenigen Vortherapien am meisten, so Ludwig.<sup>12</sup> Bei Rezidiven nach zwei oder drei vorangegangenen Therapielinien sind Dreifachkombinationen mit Rd und Substanzen neuer Wirkstoffklassen sinnvoll. Bei den weiteren Therapielinien sind vor allem Pomalidomid-Kombinationen, Daratumumab oder Panobinostat/Vd indiziert.<sup>1</sup></p> <h2>Bedeutung der minimalen Resterkrankung (MRD)</h2> <p>In Studien wird die MRD als Parameter für das Therapieansprechen immer wichtiger. Prof. Hartmut Goldschmidt, Leiter der Sektion Multiples Myelom an der Medizinischen Klinik V, Universitätsklinikum Heidelberg, erklärte die Bedeutung der MRD in Diagnostik und Therapie. Inzwischen seien verschiedene hochwirksame Medikamente für die MM-Therapie zugelassen; die Kombination dieser Substanzen verstärke die Tiefe der Remission, sagte er. Deshalb hat die International Myeloma Working Group (IMWG) neue Remissionsklassen definiert. Zudem sind sensitivere Methoden zur Beurteilung der Remission in klinischen Studien notwendig.<sup>13, 14</sup> Eine ist die MRD, und es hat sich gezeigt, dass eine MRD-Negativität mit einer signifikanten Verlängerung des PFS und besserem OS einhergeht (Abb. 1).<sup>15, 16</sup> Die MRD kann auf verschiedene Weise bestimmt werden, etwa mit multiparametrischer Durchflusszytometrie (MFC), allelspezifischer Oligonukleotid-Polymerase-Kettenreaktion (ASO-PCR) und DNA-Sequenzierung mittels Next Generation Sequencing (NGS).<sup>14</sup> Diese Methoden weisen laut Goldschmidt eine Sensitivität zwischen 10<sup>–5</sup> bis 10<sup>–6</sup> Zellen auf. Sie können mit funktioneller Bildgebung kombiniert werden, um MRD außerhalb des Knochenmarks nachzuweisen.<sup>14</sup> Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung und Standardisierung dieser Verfahren habe die MRD großes Potenzial als prognostischer Faktor in klinischen Studien zum MM, schloss Goldschmidt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1806_Weblinks_jatros_onko_1806_s17_abb1.jpg" alt="" width="1457" height="1513" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Fortbildung „Multiples Myelom: Therapiesequenz“, wissenschaftliches
Symposium „Multiples Myelom: Therapiesteuerung“
im Rahmen der DGHO-Jahrestagung, 28. September
bis 2. Oktober 2018, Wien
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Rajkumar SV et al.: Lancet Oncol 2014; 15: e538-48 <strong>2</strong> Mateos MV et al.: ASH 2017; Abstract 402 <strong>3</strong> Cavo M et al.: Blood 2016; 128: 991 <strong>4</strong> Sonneveld P et al.: Blood 2016; 128: 242 <strong>5</strong> Rosiñol L et al.: Haematologica 2012; 97: 616- 21 <strong>6</strong> Moreau P et al.: Ann Oncol 2017; 28: iv52-61 <strong>7</strong> Durie BG et al.: Lancet 2017; 389: 519-27 <strong>8</strong> www.ema.europa. eu: Darzalex (Daratumumab) EMA/551466/2018 <strong>9</strong> Mateos MV et al.: N Engl J Med 2018; 378: 518-28 <strong>10</strong> Mohty M et al.: Clin Lymphoma Myeloma Leuk 2018; 18: e401-19 <strong>11</strong> Kumar S et al.: Bone Marrow Transplant 2008; 42: 413- 20 <strong>12</strong> Spencer A et al.: Haematologica 2018; pii: haematol. 2018.194118. doi: 10.3324/haematol.2018.194118. (Epub ahead of print) <strong>13</strong> Rajkumar SV et al.: Blood 2011; 117: 4691-5 <strong>14</strong> Paiva B et al.: Blood 2015; 125: 3059-68 <strong>15</strong> Landgren O et al.: Bone Marrow Transplant 2016; 51: 1565-8 <strong>16</strong> Paiva B et al.: Blood 2008; 112: 4017-23</p>
</div>
</p>
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