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Wertvolle Ergänzungen zur konventionellen Therapie
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Teelke Beck, M.A.
Medizinisches Zentrum Chrummbächli, Richterswil<br> E-Mail: info@senobeck.ch
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Die Europäische Gesellschaft für Integrative Onkologie (ESIO) veranstaltet regelmässig Fortbildungen mit dem Ziel, die wissenschaftlich fundierte Komplementärmedizin in die konventionelle Medizin einzubinden und diese um verschiedene Behandlungskonzepte zu erweitern. Damit soll einerseits einem grossen Bedürfnis vonseiten der Patienten Rechnung getragen und andererseits die somatisch orientierte Medizin um die seelische und geistige Komponente ergänzt werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die kontrastverstärkende Mammografie und die Tomosynthese erweitern die diagnostischen Möglichkeiten.</li> <li>Dank der verbesserten systemischen Therapie und der Radiotherapie sinkt die Radikalität der Lymphonodektomie in der Axilla.</li> <li>Neue Wirkstoffe verändern die Therapie des Mammakarzinoms vermehrt in Richtung einer individualisierten Behandlung.</li> <li>Komplementäre Verfahren werden zunehmend unterstützend eingesetzt, um Nebenwirkungen zu behandeln. Ihr Nutzen wird inzwischen durch zahlreiche Studien belegt.</li> <li>Die Psychoonkologie ist eine wichtige Säule der Brustkrebstherapie, da sie den Patientinnen ermöglicht, ihre seelischen Kraftquellen zu erschliessen.</li> </ul> </div> <p>Das Mammakarzinom stand im Mittelpunkt der ESIO-Fortbildungsveranstaltung, denn Brustkrebspatientinnen haben im Vergleich mit anderen Tumorpatienten das grösste Interesse an komplementären Methoden und wenden sie am häufigsten an.</p> <h2>Highlights Senologie und medizinische Onkologie</h2> <p>In zwei Vorträgen wurden die neuesten Studien und Therapieempfehlungen in der konventionellen Therapie vorgestellt. Bei der Diagnostik geht der Fortschritt mit der kontrastverstärkenden Mammografie und der Tomosynthese weiter, um bei grösserer Sensitivität und Spezifität Überdiagnosen zu vermeiden. Während die Tomosynthese in neueren Studien nur eine geringe Verbesserung der Spezifität zeigte, bereits aber im klinischen Alltag eingesetzt wird, lässt die kontrastverstärkende Mammografie trotz erhöhter Spezifität und Sensitivität noch keinen breiten Einsatz in der Routine zu, da die Langzeittoxizität der Kontrastmittel zurzeit noch unklar ist.<br /> Chirurgisch zeigt sich eine abnehmende Radikalität in der Entfernung der Achsellymphknoten. Die Clipmarkierung des initial befallenen Lymphknotens erhöht die Genauigkeit einer Sentinellymphonodektomie nach neoadjuvanter Chemotherapie und senkt die falsch negative Rate auf 1,4 % . In vergleichenden Studien ist eine onkoplastische Chirurgie gegenüber einer konventionellen brusterhaltenden Therapie mit einer verringerten Zahl an Nachresektionen und verbesserten Kosmetik bei gleichbleibender Sicherheit verbunden. Eine angleichende Operation der gesunden Seite ist seit 2015 erfreulicherweise kassenpflichtig. Auch strahlentherapeutisch sind neuere Studien verfügbar. So hatte die zusätzliche regionäre Bestrahlung des Lymphabflusses bei nodal-positiven Patientinnen zwar keinen Überlebensvorteil, jedoch eine verringerte Rückfallquote. Im Vergleich zwischen kompletter Axilladissektion und Radiotherapie der Axilla bei einem positiven Sentinellymphknoten fand sich in der AMAROS- Studie kein prognostischer Unterschied. In der Gruppe der bestrahlten Patientinnen kam es jedoch zu signifikant weniger Lymphödemen, sodass die Radiotherapie in diesen Fällen eine valide Option darstellt.<br /> In der medizinischen Onkologie sind neuere Substanzen in Richtung individualisierter Medizin weiter auf dem Vormarsch. Palbociclib, ein oraler CDK4/6- Inhibitor, zeigt in Studien eine klare Verbesserung des progressionsfreien Überlebens beim Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinom zur Überwindung einer endokrinen Resistenz bei mehrfach vorbehandelten Patientinnen. In der Schweiz ist Palbociclib bisher jedoch noch nicht zugelassen. Dagegen ist Olaparib, ein oraler PARP-Inhibitor, seit August für Patientinnen mit einem serösen «High grade»- Ovarialkarzinom und einer somatischen oder Keimbahnmutation der BRCA-Gene zugelassen. Im Rahmen von Studien steht es auch für Patientinnen mit einer Keimbahnmutation der BRCA-Gene und Mammakarzinom als Erhaltungstherapie nach Abschluss der adjuvanten oder neoadjuvanten Chemotherapie zur Verfügung.<br /> In der endokrinen Therapie liegen die Ergebnisse mehrerer grosser Studien endlich vor. Gewisse prämenopausale Patientinnen haben mit der zusätzlichen Verabreichung eines GnRH-Analogons zur Antihormotherapie Vorteile und auch die von fünf auf zehn Jahre verlängerte endokrine Therapie ist mit einem verlängerten rezidivfreien Überleben vergesellschaftet. Welche Patientin einen Nutzen davon hat und welche nicht, ist Gegenstand aktueller Diskussionen und möglicherweise werden hier genomische Tests in Zukunft eine gute Hilfestellung sein.</p> <h2>Komplementäre supportive Therapien</h2> <p>Die Komplementärmedizin wird in Ergänzung zur konventionellen Therapie mit dem supportiven Ziel einer verbesserten Lebensqualität eingesetzt und inzwischen belegt eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen den Nutzen verschiedener Substanzen und Verfahren. Ein Beispiel ist die Anwendung von Akupunktur aus der traditionellen chinesischen Medizin in der Behandlung von Nausea, Emesis, Arthralgien, Hitzewallungen, Fatigue und bei Schmerzen. Andere Beispiele sind Weihrauch aus der ayurvedischen Medizin beim Hirnödem, Honig bei einer Mukositis und Ingwer bei der Chemotherapie-induzierten Nausea. Die Misteltherapie aus der anthroposophischen Medizin kann zur Reduktion Chemotherapie- bedingter Nebenwirkungen, zur Verbesserung der Lebensqualität und einer Fatigue eingesetzt werden. Die Verfahren der Mind-Body-Medizin haben inzwischen teilweise den Empfehlungsgrad A (= empfohlen bei hoher Gewissheit für substanziellen Benefit) erhalten, beispielsweise Hypnose und Yoga für die Behandlung der Fatigue, Meditation und Achtsamkeitstraining (MBSR = «mind-based stress reduction») zur Verbesserung der Lebensqualität und Entspannung, Yoga und MBSR zur Linderung depressiver Symptome.</p> <h2>Ernährung und Fasten</h2> <p>Verschiedene Krebsdiäten erfreuen sich ungebrochen einer gewissen Beliebtheit. Die Idee, den Tumor auszuhungern oder durch die Korrektur einer falschen Nahrungsweise das Krebsgeschehen günstig beeinflussen zu können, ist nach wie vor recht populär. Dabei kommt es unter Umständen durch eine sehr einseitige und defizitäre Nahrungsform zu negativen Gesundheitsfolgen. Dank neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen haben wir heute differenziertere Kenntnisse über den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung und das Fortschreiten einer Karzinomerkrankung. Die klassisch mediterrane Kost mit viel Gemüse, Salat, Olivenöl und Fisch sowie wenig Fleisch und gesättigten Fettsäuren gilt heute als die sehr wahrscheinlich empfehlenswerteste Nahrungsform. Es gilt, Übergewicht zu reduzieren und/oder zu vermeiden und den Insulinspiegel möglichst konstant zu halten. Ein besonderes Augenmerk kommt in letzter Zeit (wieder) der Nahrungskadenz, dem Fasten, zu. Die dahinterstehenden Überlegungen basieren darauf, dass in verschiedenen Modellorganismen eine vorübergehende Kalorienrestriktion die antioxidative Kapazität gesunder Zellen erhöht hat. Ein Mechanismus, den die Krebszellen aufgrund ihrer Wachstumsprogrammierung nicht haben und der sie daher möglicherweise sogar sensibler für die Wirkung der Chemotherapie macht. Erste klinische Studien mit einem kurzzeitigen Fasten rund um die Chemotherapiegabe zeigen keine negativen Auswirkungen auf die Effektivität der Chemotherapie, jedoch verringerte Nebenwirkungen – hier sind aktuelle Studien in Deutschland mit Spannung zu erwarten.<br /> Die Anpassung und/oder ggf. Umstellung der Ernährung – zusammen mit moderater Bewegung – stellen eine relativ einfache und kostengünstige Massnahme dar, die von den Patientinnen selbst umgesetzt werden kann.</p> <h2>Anthroposophische Medizin und Pflege</h2> <p>Die anthroposophische Medizin stellt nicht nur die Behandlung der Krankheit in den Mittelpunkt, sondern bindet den erkrankten Menschen in ihr Behandlungskonzept mit ein, um damit den Genesungsprozess umfänglicher zu fördern. Durch die Anwendung einer Misteltherapie, durch pflegerische Massnahmen wie die rhythmischen Einreibungen, durch gestalterische Ausdrucksmöglichkeiten wie das Malen und durch die Beschäftigung mit der eigenen Biografie sollen die immer vorhandenen salutogenetischen Anteile im Menschen gestärkt und gefördert werden. Dabei geht der Blick über die rein somatische Ebene hinaus und bezieht die seelische und geistige Ebene des individuellen Menschen in den Heilungsprozess mit ein. Den betroffenen Menschen in seiner Entscheidung zu achten und zu begleiten steht im Mittelpunkt.</p> <h2>Seelenstärkung und Förderung eigener Ressourcen</h2> <p>Die Diagnose Krebs als existenzielles und einschneidendes Erlebnis bedarf eines ergänzenden seelischen Beistands. In der Psychoonkologie sind verschiedene Methoden und Möglichkeiten vorhanden, die Patientin auf ihrem individuellen und sehr persönlichen Weg zur Krankheitsbewältigung zu begleiten und zu unterstützen. Den Zugang zu den inneren Kräften und seelischen Ressourcen als Verbindung zu wichtigen Lebenskräften zu finden und die eigenen Schutzfaktoren zu stärken ist eine grosse Herausforderung. Es ist aber eine wichtige Komponente, um Resilienz und Selbstwirksamkeit zur Bewältigung der aktuellen Lebenssituation zu entdecken. An konkreten Beispielen gelingt ein Einblick in die psychoonkologische Begleitung. Diesen Prozess durchlaufen die Frauen absolut individuell und einmalig in der Erkrankung. Dabei entdecken sie behutsam und auf ihre Bedürfnisse abgestimmt innere Ressourcen, wodurch sich neue Lebensperspektiven auf unterschiedlichen Ebenen entwickeln. Es wird deutlich, wie wichtig und hilfreich eine solche Unterstützung im Heilungsprozess ist.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Die integrative Onkologie als eine Kombination wissenschaftlich fundierter konventioneller wie auch komplementärer Verfahren zeigt sich an diesem Kongress einmal mehr nicht nur als Bereicherung des Therapiespektrums, sondern auch als eine Möglichkeit, die somatische Perspektive um eine seelische und geistige Dimension zu erweitern und damit einem grossen Bedürfnis der betroffenen Frauen gerecht zu werden.</p> </div></p>
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