
Traumafolgestörungen in der Frauenheilkunde
Autorin:
Dr. Sonja Laure
Psychiatrischer Konsiliardienst LKH Graz
NADUA – Trauma und Dissoziation im Zentrum
Graz
E-Mail: sonja.laure@nadua.at
Web: www.nadua.at
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Patientinnen mit Traumafolgestörungen sind sehr häufig in gynäkologischen Praxen und in der Geburtshilfe. Der Umgang mit ihnen gestaltet sich oft schwierig. Wissen um die Symptomatik erleichtert die Interaktion zwischen Ärzt:innen und Patientinnen enorm.
Es gibt Schicksalsschläge, die erzeugen Wunden für die Ewigkeit. Sie heilen nicht, sie verblassen höchstens und man nimmt sie letztendlich mit ins Grab.
Die Verwendung des Begriffs „Trauma“
In der heutigen Zeit wird der Begriff „Trauma“ häufig sehr inflationär verwendet. Alles Erlebte in Verbindung mit negativen Gefühlen wird oft bereits als Trauma bezeichnet (z.B. auch Kränkungen, Frustrationen, Trauer, Hilflosigkeit, Verlusterlebnisse, Burnout etc.), auch in den Medien. Dieses Faktum bewirkt, dass wirklich traumatisierte Menschen nicht mehr ernst genommen werden.
Was sind traumatische Ereignisse wirklich?1
Sie sind außergewöhnlich, unvorhersagbar und liegen außerhalb der normalen Lebenserfahrung eines Menschen (bezogen auf das Lebensalter!). Sie ereignen sich meist plötzlich und treffen sowohl Erwachsene als auch Kinder mental und körperlich völlig unvorbereitet. Sie sind lebensbedrohend (physisch oder psychisch) für einen selbst oder jemanden Nahestehenden (Zeugenschaft).
Traumaformen
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Typ-I-Traumata (kurz dauernde traumatische Ereignisse) wie z.B. Unfälle, Gewalttaten, technische Katastrophen, Naturkatastrophen etc.
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Typ-II-Traumata (länger dauernde, wiederholte Traumata) wie z.B. familiäre Gewalt, Misshandlung, Missbrauch, Deprivation (Vernachlässigung), Verluste, Kriegserfahrungen (Flucht, Haft, Folter), Asylverfahren etc.
Man unterscheidet auch zwischen
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Monotrauma: einmaliges Ereignis (z.B. Unfall, Überfall,…). Auch mehrfache Monotraumen sind möglich (z.B. Unfall, Zeugenschaft bei einer Gewalttat, sexueller Übergriff etc.); und
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sequenziellem Trauma: passiert wiederholt (über Jahre) immer wieder, wie z.B. innerfamiliärer Missbrauch, Gewalt in der Ehe oder auch Gewalt und Missbrauch in Institutionen.
Auch eine Kombination beider Traumaformen ist möglich.
Fischer und Riedesser beschreiben 1999 das psychische Trauma als „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirkt“.2
Wesentliche Faktoren des Traumas sind:
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die Dauer
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der Schweregrad
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das Ausmaß der physischen Verletzung
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die individuelle, biografische Lerngeschichte („Traumavorerfahrung“),
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die eigene Persönlichkeitsstruktur (extrovertiert oder introvertiert)
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die eigenen Coping-Strategien
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das soziale Unterstützungsnetzwerk
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die spezifischen Möglichkeiten der Erholung (Sicherheit, selbstbestimmtes Sich-Öffnen, Therapieangebot, ...)
Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Die Prävalenzraten reichen von 4,5% im Rahmen von Naturkatastrophen über 11,5% (körperliche Gewalt) bis hin zu 55,5% bei Vergewaltigungen und 98% bei sequenziellem Missbrauch. Eine berufsbedingte, sekundäre PTBS (18%) finden wir bei Menschen, die regelmäßig mit schwer traumatisierten Personen zu tun haben, entweder als Einsatzkräfte vor Ort, in Notaufnahmen und Intensivstationen oder als Fachärzt:innen oder Psychotherapeu-t:innen.
Als Reaktionen auf Traumata finden sich u.a. folgende psychiatrische Diagnosen: akute Belastungsreaktion (F43.0), posttraumatische Belastungsstörung (F43.1), Anpassungsstörung (F43.2), dissoziative Störung (F44.7), andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0)
Die posttraumatische Belastungsstörung
Siehe dazu Diagnosecode ICD 10 F43.11
Trauma und Körper: „The body bears the burden!“
Bei traumatisierten Menschen finden sich Körpersymptome verschiedenster Natur. Vielen Menschen ist es angenehmer, körperliche als psychische Symptome zu haben. Man wird damit ernster genommen (zumindest zu Beginn) und es ist nicht so schambesetzt. Problematisch wird es, wenn Mediziner:innen keine pathologischen Befunde erheben können und die Patient:innen beginnen, einen Arzt nach dem anderen aufzusuchen, und schlussendlich nicht selten bei Wunderheilern landen, um ihr großes Leid, das keine Einbildung ist, zu lindern. Hier müssen wir uns mit dem Thema der Körpererinnerungen auseinandersetzen. Zu den häufigsten Symptomen und körperlichen Auswirkungen zählen:
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Kopfschmerzen: vor allem, wenn sie chronifiziert und medikamentös schwer zu beeinflussen sind – meist besteht mit der Zeit auch Schmerzmittelmissbrauch.
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gastrointestinale Beschwerden: chronische Unterbauchbeschwerden, Verstopfungen, Durchfall, wechselnde Stuhlkonsistenz, Reizdarm, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn; oft auch Abführmittelmissbrauch.
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Essstörungen: anorektische und/oder bulimische Symptome, Fressanfälle und in der Folge Übergewicht, Blähbauch, undefinierte Bauchschmerzen, diverse Allergien auf unterschiedliche Lebensmittel (Histaminintoleranz etc.)
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Hauterkrankungen: chronische Ausschläge, Schuppenflechte, Neurodermitis, rissige Haut bei Waschzwang,…
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chronische Infekte: insgesamt schlechte Abwehrlage durch chronischen Stress! Chronisch erhöhtes CRP, dadurch häufige Antibiotikabehandlungen
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Herzbeschwerden: Herzrasen, Herzschmerzen, Herzphobien, dadurch auch Angst vor MCI,…
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Atemwegsbeschwerden: Atemnot, Druck auf der Brust, chronisches Asthma,…
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neurologische Beschwerden: funktionelle Anfälle – genaue Differenzialdiagnose zur Epilepsie nötig, Antiepileptika verbessern das Zustandsbild nicht! EEG eher unspezifisch, Lähmungen (funktionell), Gangstörungen,…
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Beschwerden im Bereich des Halses: Engegefühl, Schluckbeschwerden, Würgegefühle (Kloß im Hals, …) etc.
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spezielle (uro)gynäkologische Beschwerden: chronische Unterbauchbeschwerden, genitale Krämpfe, rezidivierende Harnwegsinfekte (cave: bei sehr jungen Mädchen evtl. aktuelle Missbrauchserfahrungen), chronischer Ausfluss, Miktionsstörungen/Harndrang/Reizblase, sexuelle Funktionsstörungen, häufiger ungewollte Schwangerschaften, komplizierte Geburten, Infertilität etc.
Die gynäkologische Untersuchung als Ursache für Traumatisierung
Auch heute haben Frauen oft noch traumatische Erstkontakte (mit Schmerzen bei der Untersuchung) mit wenig einfühlsamen Gynäkolog:innen. Viele trauen sich danach jahre- bis jahrzehntelang nicht mehr zu einer gynäkologischen Untersuchung und viele Frauen werden dafür auch verurteilt. Für ganz junge Frauen und Mädchen gibt es kaum Verhütungsaufklärung und oft wird aus Gründen des Alters oder der Religion, v.a. bei Mädchen mit muslimischem Hintergrund, auch keine Sexualanamnese durchgeführt.
Es ist im Alltag aus Zeitgründen oft schwierig, sich für besonders ängstliche und auffällige Frauen genug Zeit zu nehmen. Genau diese würden aber eine genaue Aufklärung über die Gerätschaften und Vorgehensweisen benötigen, da sie mit der Untersuchungssituation besonders schwer zurechtkommen.
Bei traumatisierten Frauen gibt es auch deutlich häufiger traumatische Erfahrungen während der Schwangerschaft und bei der Geburt. Sie haben oft besonders schwierige Geburtsverläufe bei natürlichen Geburten. Hier ist immer wieder die Frage zu stellen: Handelt es sich um eine Retraumatisierung oder, wie von Hebammen und Geburtshelfern oft voreilig diagnostiziert, um eine „Hysterie“? Unter Umständen kommt es zu Dammrissen, einer Notsectio etc. Oft kommt es in weiterer Folge zur Abwertung von Frauen, die nicht stillen können oder wollen, obwohl das Stillen oft einen heftigen Trigger für die betroffenen Frauen darstellt.
Auch bei Gerontopatientinnen wäre es wichtig, eventuelle Traumatisierungen miteinzubeziehen. Viele haben zumindest einen Weltkrieg und in Verbindung damit diverse Traumatisierungen erlebt. Diese Traumata sind meist nicht verarbeitet und brechen psychisch oft im fortgeschrittenen Alter mit voller Wucht durch. Diese Menschen sind extrem ängstlich bis panisch, manche werden auch wahnhaft-psychotisch. Bei ihnen ist das Risiko für eine Retraumatisierung sehr hoch. Es ist auch unsere Aufgabe, zwischen Dissoziationen, echtem Wahn bzw. Traumafolgesymptomen und Delirien zu unterscheiden, was immer schwieriger wird, je dementer die Patientinnen werden.
Gynäkolog:innen als Erstkontakt nach sexueller Gewalt
Nach sexueller Gewalt befinden sich Gynäkolog:innen in einer besonders schwierigen Untersuchungs- und Behandlungssituation. Man sollte unbedingt forensische Unterstützung anfordern, da sonst Beweismaterial verloren gehen könnte. Eine professionelle Bilddokumentation und Spurensicherung sind unbedingt notwendig, um den Frauen auch später noch die Möglichkeit einer Anzeige, die oft in der Akutsituation nicht möglich ist, offenzuhalten.
Behandlungskonzepte bei Traumafolgestörungen
Bei leichter Symptomatik ist die Psychotherapie Therapie der ersten Wahl. Bei mittelschwerer bis schwerer Symptomatik braucht es zusätzlich psychopharmakologische Unterstützung zur Behandlung der Komorbiditäten (v.a. Schlafstörungen, Depressionen und Angstzustände; evtl. auch Impulskontrollstörungen oder Energiemangel). Als Medikamente empfehlen sich v.a. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (u.a. Sertralin, Paroxetin). Nicht wirksam bei PTBS und anderen Traumafolgestörungen sind Benzodiazepine.3 Sie werden von vielen Kolleg:innen bei Schlafstörungen, akuten Krisen, Angst- oder Erregungszuständen aufgrund der schnellen Wirksamkeit und des breiten Wirkspektrums gerne verwendet (Anxiolyse, Sedierung, Relaxation).Es besteht jedoch die Gefahr eines Rebound-Syndroms. Benzodiazepine senken die Dissoziationsschwelle und verstärken damit auch Flashbacksymptome! Diese Patientinnen werden aufgrund ihrer Vorgeschichte besonders schnell süchtig und werden dann von medizinischem Personal aufgrund ihrer Abhängigkeit veruteilt, die iatrogen verursacht worden ist. Neuroleptika wie Quetiapin, Dominal und Olanzapin zeigen im klinischen Alltag bei einer Einnahme tagsüber eine gute Reduktion von Spannungssymptomen sowie eine gute schlafanstoßende Wirkung ohne Suchtpotenzial. Es sind jedoch oft hohe Dosen notwendig, um die Erregungszustände zu regulieren.
Zu bedenken ist, dass 60–80% der Patientinnen eine Tendenz zur „Selbstmedikation“ zeigen (Alkohol, Medikamente, Drogen etc.) und in der Folge Abhängigkeitserkrankungen entwickeln.
Probleme mit chronisch traumatisierten Patientinnen im Alltag
Die Patientinnen befinden sich in ständigen Kampf-, Flucht und Erstarrungsreaktionen, die niemand nachvollziehen kann. Sie fühlen sich leicht angegriffen, geringfügige Irritationen können schnell zu Katastrophen ausufern. Kleine Kommunikationsspannungen sind schwer auszubügeln – sie verwandeln sich leicht in dramatische interpersonelle Konflikte. Die Patientinnen brechen dann die Behandlungen ab.
Was ist zu tun?
PTSD und andere Traumafolgestörungen sind sehr häufig in gynäkologischen Praxen. Daher sollten Traumafolgeerkrankungen, v.a. wenn organische Befunde fehlen, in Erwägung gezogen werden. Eine dementsprechend einfühlsame, aber doch ausführliche Anamnese ist für beide Seiten nützlich. Für die Patientinnen kann es hilfreich sein, wenn sie von den Ärzt:innen ihres Vertrauens entsprechende Informationen zu Kontakten (Gewaltschutzzentrum bzgl. Anzeige, Schutz etc.) sowie zu Behandlungsmöglichkeiten (z.B. durch traumasensible Fachärzt:innen sowie ausgebildete Traumatherapeut:innen) erhalten.
Es wäre wichtig, eine traumasensible Atmosphäre unter Einbeziehung des gesamten Praxisteams zu schaffen. Das Geschehene sollte wahrgenommen, angesprochen und anerkannt werden. Eine gründliche, aber traumasensible Untersuchung, eine gute, ausführliche Dokumentation (u.U. auch gerichtsfest in Absprache mit der zu behandelnden Frau), das Abklären des aktuellen Schutzbedürfnisses und die Vermittlung von Unterstützungsangeboten sind von großer Bedeutung.
Das Thema sollte seitens der Gynäkolog:innen nicht vermieden werden. Hilfreich ist auch die Auseinandersetzung mit der Thematik der Psychotraumatologie als Teil des Berufsbildes. Wie bei jedem Randthema im Rahmen unserer beruflichen Tätigkeit geht es darum, sich Wissen zum Thema anzueignen und im Falle einer Überforderungssituation in der täglichen Arbeit Unterstützung in Form von Supervision durch fachkompetente Kolleg:innen zu suchen.
Seminarreihe
Für Interessierte bietet die Deutsche Gesellschaft für Psychsosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe e.V. die Seminarreihe „Wissenswertes über Gewalt und Trauma in Gynäkologie und Geburtshilfe“ an. https://dgpfg.de/seminarreihe-wissenswerte-ueber-gewalt-und-trauma-in-gynaekologie-und-geburtshilfe/
Literatur:
1 ICD10: DSM-IV Traumafolgestörungen 2 Fischer G, Riedesser P: Lehrbuch der Psychotraumatologie. UTB GmbH 2023 3 van Etten M, Taylor S: Comparative efficacy of treatments for post-traumatic stress disorder: a meta-analysis. Clin Psychol Psychother 1998; 5(3): 126-44 • Backe J et al.: Posttraumatische Belastungsstörung und gynäkologische Symptome in einer Frauenarztpraxis. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2006; 66(5): 461-8
Weiterführende Informationen:
• Backe J et al.: Posttraumatische Belastungsstörung und gynäkologische Symptome in einer Frauenarztpraxis. Geburtshilfe und Frauenheilkunde 2006; 66(5): 461-8