
Sakrale Neuromodulation bei Harninkontinenz
Autorin:
Sandra Möhr
Leitende Ärztin, spez. FMH Neuro-Urologie
Klinik für Neurorehabilitation und Paraplegiologie
REHAB Basel
E-Mail: s.moehr@rehab.ch
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Wenn Physiotherapie und Medikamente gegen eine Harninkontinenz nicht helfen, kann unter Umständen ein «Blasenschrittmacher» etwas ausrichten. Die Therapie ist jedoch aufwendig und sollte von einem erfahrenen Team begleitet werden.
Die sakrale Neuromodulation (SNM) zählt zu den minimalinvasiven Therapien und ist eine Zweit- oder Dritttherapie nach Versagen konservativer Therapien. Sie kann sowohl bei Speicher- als auch bei Entleerungsstörungen von Harnblase und Mastdarm eingesetzt werden.
«Minimalinvasiv» ist dabei jedoch nur dieArt des chirurgischen Verfahrens. Die gesamte Therapie ist aufwendig. Es bedarf einer exakten Indikationsstellung und eines guten und langfristigen Betreuungssettings. Dieser Aufwand ist im Allgemeinen oft nur durch ein ganzes Team zu gewährleisten.
Funktionsweise
Abb. 1: Schematische Darstellung der Implantate(Nachdruck mit Genehmigung von Medtronic, Inc.)
Mittels eines subkutan implantierten Impulsgebers wird über eine Sonde elektrische Energie auf eine Sakralwurzel appliziert und damit die Innervation u.a. der Harnblase moduliert. Dadurch können Hypersensitivität, Überaktivität und Unteraktivität beeinflusst werden. fMRI-Studien konnten nachweisen, dass dies nicht lokal, sondern zentral im Gehirn erfolgt, weshalb auch von einer Modulation und nicht von einer Stimulation gesprochen wird (Abb. 1).1
Bei neurogener oder auch nichtneurogener Blasenspeicherstörung (sog. OAB-Symptomatik) mit imperativem Harndrang, Pollakisurie, Nykturie mit und ohne Harndranginkontinenz und bei der sogenannten nichtobstruktiven Harnretention kann diese Therapie erfolgreich eingesetzt werden.2 Mehrere Studien haben die langfristige Effektivität und Sicherheit dieser Therapie nachgewiesen.3
Beim chronischen Beckenschmerzsyndrom und bei erektiler Dysfunktion kann sie auch erfolgreich eingesetzt werden. Zur Behandlung der Belastungsinkontinenz ist die SNM nicht geeignet.
Blasenspeicherstörung
Bei Patient:innen mit OAB-Symptomatik sind die Erstlinientherapie verhaltensmodifizierende Massnahmen inkl. Blasentraining; optimal zusammen mit einem Beckenbodentraining. Sollte dies erfolglos sein, ist abzuwägen, ob eine medikamentöse Therapie mit Antimuskarinergika und/oder Beta-3-Mimetika erfolgen soll oder eine minimalinvasive Therapie erwogen werden kann. Antimuskarinergika sollten jeweils mindestens 4 Wochen gegeben werden und bei Versagen oder zu starken Nebenwirkungen wird empfohlen, mindestens zwei verschiedene Präparate zu testen. Grundsätzlich gilt weiterhin, dass konservative Therapien den invasiven Therapien vorzuziehen sind, jedoch sollten beim Einsatz von Antimuskarinergika deren zum Teil nicht unerhebliche Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten bedacht werden.4 Wenn dann die SNM in Betracht gezogen wird, muss der Einsatz anderer minimalinvasiver Therapien zumindest erwogen werden. Dabei handelt es sich um die perkutane Nervenstimulation und die Injektion von OnabotulinumtoxinA in den M. detrusor vesicae.
Im Vergleich zur Injektion von 200E OnabotulinumtoxinA in den M. detrusor vesicae zeigt die SNM nach 6 Monaten keine bessere Wirksamkeit, jedoch ist hier auch keine Reinjektion nach Wirkverlust notwendig.5 Die implantationsassoziierten Komplikationen und Nebenwirkungen sind mit bis zu 50% und Revisionsraten mit 33–41% nicht unerheblich.4 Die SNM ist bei Harnblasenfunktionsstörung effektiv und sicher.3 Dies konnte 2022 dann auch in einer randomisierten, multizentrischen Studie in der Schweiz für neurologische Patient:innen nachgewiesen werden.6 Durch die MRI-Gängigkeit der Implantate ist der Einsatz bei neurogener Harnblasenfunktionsstörung sehr vereinfacht worden.7
Die SNM ist in der Schweiz zugelassen und gemäss Krankenpflegeleistungsverordnung (KLV, Anhang 1) seit 2000 leistungspflichtig. Ihr Einsatz ist durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) streng reguliert. Die Therapie ist bis auf individuelle Ausnahmen auf qualifizierte Zentren mit Urolog:innen mit Schwerpunkt Neurourologie oder Chirurg:innen mit Schwerpunkt Viszeralchirurgie beschränkt.2,8 Die Anerkennung der Zentren erfolgt durch die SSSNM (Swiss Society for Sacral Neuromodulation) und die Ausarbeitung der Qualitätsansprüche erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem BAG.
Zweistufiges Vorgehen empfohlen
Die Blasenfunktionsstörung muss klinisch, urodynamisch und endoskopisch abgeklärt werden. Ein zweischrittiges Vorgehen wird empfohlen. Erst erfolgt eine Testphase, bei der perkutan und unter Röntgenkontrolle entweder die definitiven Stimulationssonden (sog. «tined leads») oder Testsonden für den sog. PNE-Test (perkutane Neuroevaluation) implantiert werden (Abb. 2). Die Implantation erfolgt in einer modifizierten Bauchlage mit Lokalanästhesie und ggf. Analgosedation oder in Allgemeinanästhesie.
Über einen provisorischen, externen Impulsgeber kann dann eine längerfristige, zum Teil mehrwöchige (bei «tined leads») oder eine kurzfristige, nur wenige Tage (bei PNE) dauernde Testtherapie erfolgen. Wenn sich innerhalb der Testphase die Beschwerden um mindestens 50% verbessern, wird von einem erfolgreichen Test ausgegangen. Danach ist je nach Art der Testung nur noch die subkutane Implantation der Impulsgeber oder aber eine komplette Implantation von Sonde und Impulsgeber nötig (Abb. 3). Die Implantation kann unilateral oder bilateral erfolgen, meist werden die Sonden an die sakrale Nervenwurzel S3 gelegt.
Der Impulsgeber ist programmierbar, sodass die elektrische Energie, die appliziert wird, in Bezug auf Impulsrate, Impulsweite, Stärke und Grösse des elektrischen Feldes modifizierbar ist. Die Verantwortung dafür liegt in den Händen der betreuenden Ärzt:innen. Regelmässige, das heisst mindestens jährliche Kontrollen sind nötig. Dabei wird die Funktionsfähigkeit des Implantats überprüft und gegebenenfalls Anpassungen an der Programmierung durchgeführt.
Patient:innen können mit einem Steuergerät die Stimulationsstärke verändern, es de- und aktivieren und ggf. unter verschiedenen Programmierungen wählen. Im Alltag müssen sie u.a. auf Magnetfelder, wie zum Beispiel bei Induktionsherden oder den Sicherheitskontrollen an Flughäfen, achten, da sich die Impulsgeber zum Teil deaktivieren.
In der Schweiz sind zwei verschiedene Hersteller mit ihren Produkten auf dem Markt vertreten: Medtronic® und Axonics®.
Beide Systeme sind (unter gewissen Bedingungen) MRI-fähig. Es gibt die Wahl zwischen Impulsgebern, die regelmässig wieder aufgeladen werden müssen, und denen, die nicht wiederaufladbar sind. Das Wiederaufladen erfolgt einmal pro Woche bzw. einmal pro Monat durch Induktion mit einem speziellen Ladegürtel. Die Lebensdauer der Impulsgeber richtet sich in erster Linie nach der Energie, die für die chronische Stimulation abgegeben werden muss. Sie wird bei durchschnittlichem Gebrauch für die aktuellen Modelle der nichtwiederaufladbaren Batterien mit schätzungsweise 10 bis 15 Jahren und für die wiederaufladbaren mit ca. 15 bis 20 Jahren angegeben (Angaben der Hersteller).
Zusammenfassung
Die sakrale Neuromodulation ist eine effektive und elegante Therapie bei Funktionsstörungen des unteren Harntraktes und erfolgreich einsetzbar. Sie ist keine Erstlinientherapie. Eine urodynamische Vorabklärung und das Abwägen gegenüber anderen minimalinvasiven Optionen ist obligat. Die Entscheidung für die SNM sollte dann erfolgen, wenn ein Betreuungssetting besteht, in dem mögliche Komplikationen erkannt und behoben werden können.
Literatur:
1 De Wachter S et al.: Sacral neuromodulation: mechanism of action. Eur Urol Focus 2020; 6(5): 823-5 2 Swiss Society for Sacral Neuromodulation: Richtllinien. SSSNM 2021; verfügbar unter https://www.sssnm.ch/wp-content/uploads/richtlinien_de.pdf (zuletzt aufgerufen am 22.1.2024) 3 Wei ZG et al.: Effectiveness and safety of sacral neuromodulation for neurogenic bladder. Neurol Res 2023; 45(6): 520-9 4 Harding CK et al. (Hg.): EAU guidelines on management of non-neurogenic female lower urinary tract symptoms. EAU Guidelines Office 2023 5 Amundsen CL et al.: The refractory overactive bladder: sacral neuromodulation vs. botulinum toxin assessment: ROSETTA trial. Contemp Clin Trials 2014; 37(2): 272-83 6 Liechti MD et al.: Sacral neuromodulation for neurogenic lower urinary tract dysfunction. NEJM Evid 2022; 1(11). doi: 10.1056/EVIDoa2200071 7 Blok B et al. (Hg.): EAU guidelines on neuro-urology: EAU Guidelines Office 2023 8 Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz: Anhang 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV). BAG 2024; verfügbar unter: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/versicherungen/krankenversicherung/krankenversicherung-leistungen-tarife/Aerztliche-Leistungen-in-der-Krankenversicherung/anhang1klv.html (zuletzt aufgerufen am 22.1.2024)
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