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Rettet das Ovar!
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Irène Dingeldein
Kinder- und Jugendgynäkologie<br> Universitätsfrauen- und Kinderklinik Bern<br> E-Mail: praxis.dingeldein@hin.ch
30
Min. Lesezeit
16.10.2018
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<p class="article-intro">Ovarialzysten können in jedem Alter eines weiblichen Individuums (inklusive pränatal) vorkommen, und zwar als Normalbefunde. Dieses Wissen soll uns vor falschen und übereiligen Handlungen schützen und so helfen, das Ovar immer und jederzeit erhalten zu wollen. Es gibt einige wenige Ausnahmen, wo dies nicht möglich ist. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in diesen Fällen unabdingbar und enorm wichtig.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Rettet das Ovar!</li> <li>Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist notwendig.</li> <li>In den meisten Fällen von zystischen Ovarialbefunden in der Kinder- und Jugendgynäkologie kann beobachtet und zugewartet werden.</li> <li>Ovarialzysten sind Normalbefunde.</li> <li>Auch torquierte und livide verfärbte Ovarien sollen belassen werden.</li> </ul> </div> <p>Adnextumoren werden unterteilt in Zysten der Tuben, sogenannte Hydatidenzysten oder Morgagni-Zysten, zystische Befunde des Ligamentum latum oder des Ovars selber. Es kann sich um eine Extrauteringravidität (EUG) oder auch um einen Tuboovarialabszess (TOA) handeln. Andere differenzialdiagnostische Möglichkeiten für zystische Massen im Abdominalbereich sind in Tabelle 1 aufgelistet.<br /> In 2,6 Fällen von 100 000 Mädchen- Geburten wird ein zystischer Ovarialbefund diagnostiziert. Bei 50 % handelt es sich um zystische Befunde, bei den anderen 50 % um Tumoren, benigne oder maligne. Maligne Ovarialtumoren machen 1 % aller malignen Erkrankungen im Alter von 0 bis 17 Jahren aus.<sup>1, 2</sup> Dank der Identifizierung von Tumormarkern (Beta- HCG, AFP, LDH) sowie Fortschritten in bildgebenden Verfahren konnten die fertilitätserhaltenden und konservativen Behandlungsoptionen deutlich verbessert werden. Die grosse Mehrheit der Ovarpathologien im Kindesalter ist benigne, die genaue Diagnosestellung und das interdisziplinäre Management sind eminent wichtig, um das Risiko einer Torsion und den Verlust des Organs zu reduzieren sowie die Prognose von malignen Erkrankungen zu verbessern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1803_Weblinks_lo_gyn_1803_s24_tab1.jpg" alt="" width="685" height="1802" /></p> <h2>Fetale Ovarialzysten</h2> <p>Zysten in der Pränatalperiode werden bei 30–70 % in routinemässig durchgeführten Ultraschalluntersuchungen der Schwangeren diagnostiziert. Ovarialzysten sind nach den zystischen Veränderungen der Nieren die zweithäufigsten Zysten des Urogenitalsystems. Ihr Auftreten wird als Folge von maternalen und fetalen Hormonveränderungen in der Schwangerschaft gedeutet. Gehäuft treten sie auf in Fällen von Präeklampsie, Diabetes mellitus, Polyhydramnion, Blutgruppeninkompatibilität und Autoimmunerkrankungen. Die spontane Rückbildung dieser Zysten ist die Regel, sei es ante- oder postnatal.<sup>3, 4</sup> Falls im Verlauf keine Regredienz des Befundes zu beobachten ist, muss differenzialdiagnostisch eine sehr seltene ovarielle Neoplasie in Erwägung gezogen werden.<sup>5</sup> Auf diese wird in diesem Artikel nicht näher eingegangen. Beispiele für fetale Ovarialzysten finden sich in den Abbildungen 1a und 1b.<br /> Risiken stellen intrazystische Hämorrhagien dar, ebenso eine Zystenruptur mit möglicher intraabdomineller Blutung. Eine Kompression des Urogenital- oder Gastrointestinaltraktes durch die Zyste, je nach Grösse des Befundes, kann beobachtet werden. Die Ovarialtorsion mit nachfolgender Nekrose des Organs ist selten, jedoch ebenfalls möglich. Gelegentlich kann ein zystisches Ovar in eine kongenitale Inguinalhernie inkarzerieren, was zu einer Nekrose desselben führen kann. Grosse Zysten (>5cm) können ein Geburtshindernis darstellen und zu einem «respiratory distress syndrome» führen.<sup>6</sup><br /> Es ist deshalb von grosser Wichtigkeit, die diagnostizierten Befunde in regelmässigen Abständen zu kontrollieren. Grössere Zysten können antenatal punktiert werden, wenn dies nicht möglich ist, wird bei einer Grösse von >6cm Diameter die elektive Sectio caesarea empfohlen, um eine Dystokie zu vermeiden.<sup>2</sup> Die Vorstellung des Neugeborenen in der kinder- und jugendgynäkologischen Sprechstunde macht Sinn.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1803_Weblinks_lo_gyn_1803_s25_abb1.jpg" alt="" width="2187" height="996" /></p> <h2>Neonatale Ovarialzysten</h2> <p>Meist handelt es sich um im Ober- oder Mittelbauch palpable Massen, welche sonst asymptomatisch bleiben. Auch hier handelt es sich um zystische Bildungen infolge fetaler und maternaler hormonaler Veränderungen in utero. Innerhalb von 3–6 Monaten erfolgt die spontane Regredienz, selten persistiert ein Befund über 1–2 Jahre. Bei einer Zystengrösse über 5cm besteht die Gefahr der Ovarialtorsion mit Verlust des Organs. Die Aspiration des Zysteninhaltes oder die chirurgische Intervention mit Organerhalt muss in Erwägung gezogen werden.<sup>7</sup></p> <h2>Ovarialzysten in der Präpubertät</h2> <p>Meist handelt es sich um die Folge einer GnRH-Hormonstimulation mit Follikelpersistenz.<br /> Die anatomische Kenntnis der kindlichen Ovarien ist notwendig. Hormonaktive Zysten können gelegentlich zu einer Pseudopubertas praecox führen, wobei es zu einer vaginalen Blutung sowie einer frühzeitigen Thelarche kommen kann. Differenzialdiagnostisch muss dann an eine echte Pubertas praecox, eine Hyperthyreose, an McCune-Alkbright-Syndrom oder einen Aromatasemangel gedacht werden. Klinisch findet sich eine abdominal palpable Masse. Es können akute Bauchschmerzen auftreten, welche eine Appendizitis, eine Perforation oder eine Torsion vermuten lassen können.<br /> Treten Übelkeit, Völlegefühl und Blähungen auf, muss auch an einen Tumor gedacht werden. Pollakisurie oder Harnretention können auftreten.<br /> Aber auch hier gilt: Eine chirurgische Intervention ist nur selten notwendig. Das Ovar befindet sich in der Kindheit nicht in einer totalen hormonellen Ruhephase. Die meisten Zysten bilden sich spontan zurück und auch auftretende Blutungen können kurzfristig zu einer Exazerbation der Beschwerden führen, sind jedoch in aller Regel selbstlimitierend. Die Beruhigung der Patientin und der Eltern kann Wunder bewirken.</p> <p>Eine retrospektive Studie konnte belegen, dass von 51 Zysten, welche grösser als 5cm waren, komplex oder simpel, 90 % innerhalb zweier Wochen spontan verschwanden.<br /> 23 Kinder wurden chirurgisch behandelt, wobei es sich dabei in 10 Fällen um tumoröse Neubildungen handelte (6 Teratome, 2 Zystadenome, 1 Granulasazelltumor und ein Sertoli-Leydigzell-Tumor). In aller Regel handelt es sich jedoch um funktionelle Ovarialzysten, entstanden als Variante des normalen physiologischen Prozesses im Eierstock. Sie sind praktisch immer selbstlimitierend und meist die Folge einer Störung der Follikelreifung. Es handelt sich dabei um Follikelzysten, Corpus- luteum-Zysten oder Theka-Lutein- Zysten. Die Folge sind Menstruationsunregelmässigkeiten, Bauchschmerzen, eventuell Pollakisurie und Obstipation.</p> <h2>Ovarialzysten im Jugendalter</h2> <p>Ovarialzysten im Jugendalter sind sehr häufig und meist die Folge einer Follikelpersistenz oder es handelt sich um eine Corpus-luteum-Zyste. Diese können durch Einblutung gross werden (bis zu 10cm), sind jedoch meist selbstlimitierend. Selten ist eine starke, hämodynamisch wirksame Blutung möglich, sodass die Blutstillung und Zystektomie notwendig werden. Ebenfalls selten sind es benigne Ovarialtumoren oder Endometriosezysten. Beim Vorhandensein von soliden Anteilen soll differenzialdiagnostisch an einen malignen Ovarialtumor gedacht werden.<sup>8</sup> Voraussetzung für die Beurteilung eines zystischen Ovarialbefundes ist das Wissen, dass bei einer Grösse von kleiner als 3cm von einem normalen Follikel gesprochen werden kann. Diese bedürfen weder weiterer Abklärungen noch Verlaufskontrollen.</p> <ul> <li>Befunde kleiner als 6cm sollen bei fehlenden Symptomen beobachtet werden. Die zusätzliche Verschreibung von Ovulationshemmern ist nicht obligat und kann situativ erfolgen (Suppression der hypothalamisch-ovariellen Achse). Es wird so lediglich die Entstehung weiterer Zysten verhindert.<sup>9</sup> Bei Grössenzunahme oder Auftreten von Symptomen soll die laparoskopische Zystektomie in Erwägung gezogen werden. Bei Symptomfreiheit kann auch bei grösseren Zysten zugewartet werden.<sup>3</sup> Die Angst vor einem malignen Tumor führt verständlicherweise häufig dazu, dass ein operativer Eingriff vorgenommen wird. Verschiedene Kriterien können helfen, eine Malignität auszuschliessen:</li> <li>Toronto (Rogers): Tumor grösser als 8cm und komplex: hoher Verdacht.</li> <li>Indianapolis (Papic): Tumor grösser als 10cm, solide Komponente vorhanden und einer der drei Tumormarker positiv (AFP, Beta-HCG, LDG): hoher Verdacht.</li> </ul> <p>Sind alle diese erwähnten Kriterien negativ, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine benigne Adnexmasse handelt und somit eine Therapie bei Beschwerdefreiheit nicht eilt.<br /> Zufällig gefundene Zysten, z.B. anlässlich einer Appendektomie, sollen weder punktiert noch exzidiert werden, da dies zu Schmerzen und/oder paratubaren Verwachsungen bis hin zur Sterilität führen kann.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1803_Weblinks_lo_gyn_1803_s26_abb2.jpg" alt="" width="1456" height="865" /></p> <h2>Komplikationen</h2> <p>Eine gefürchtete Komplikation der Ovarialzysten stellt die Ovarialtorsion dar. Diese ist extrem schmerzhaft und kann zum Verlust des Organs führen. Die Ovarialtorsion stellt den fünfthäufigsten gynäkologischen Notfall dar. In der Gruppe der 1- bis 20-jährigen Mädchen kommen 4,9/100 000 Ovarialtorsionen vor und machen 2,7 % aller akuten Abdomen im Kindesalter aus. Auch bei Ovarien normaler Grösse in der Vorpubertät treten Torsionen gehäuft auf, da das Organ noch sehr mobil ist. 15 % aller Ovarialtorsionen finden in der Vorpubertät bei normalen Ovarien statt. Übelkeit, Erbrechen, starke Schmerzen und möglicherweise subfebrile Temperaturen weisen darauf hin, dass ein notfallmässiger chirurgischer Eingriff indiziert ist. Ursachen für eine Torsion sind mobile Mesovare oder Tuben, lange Ligamente, akute Wechsel des intraabdominalen Druckes, sportliche Aktivitäten und gelegentlich eine familiäre Veranlagung. Der Ultraschall als diagnostische Bestätigung ist meist eindeutig («whirlpool sign»).<sup>5</sup> Das Ovar erscheint vergrössert und die Follikel sind an die Peripherie verdrängt durch das ödematöse Gewebe im Zentrum. Das Ovar liegt nicht mehr orthotop und freie Flüssigkeit wird gefunden. Intraoperativ erscheint das Ovar häufig dunkel verfärbt und nekrotisch, was leider immer noch zu viele Operateure dazu verleitet, dieses Organ zu entfernen. Dies sollte jedoch nicht geschehen, da die spontane Erholung die Regel ist, was auch in der Literatur hinreichend belegt ist. Falls möglich soll der zystische Befund entfernt werden, falls nicht möglich, unbedingt belassen und nur falls notwendig in einer «Second-Look-Operation» die persistierende Masse entfernt werden. Ultraschallkontrollen im Intervall (nach 4–6 Wochen) sind angebracht. Ein Review-Artikel dazu ist in Druck.</p></p>
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Breen JL, Maxson WS: Ovarian tumors in children and adolescents. Clin Obstet Gynecol 1977; 20: 607 <strong>2</strong> BreenJL et al.: Genital tract tumors in children. Pediatr Clin North Am 1981; 28: 355 <strong>3</strong> Murray S, London S: Management of ovarian cysts in neonates, children and adolescents. Adolescent Ped Gynecol 1995; 5: 27 <strong>4</strong> Zampieri et al.: Foetal and neonatal ovarian cysts: a 5-year experience. Arch Gynecol Obstet 2008; 277: 303-306 <strong>5</strong> Bryant AE, Laufer MR: Fetal ovarian cysts: incidence, diagnosis and management. J Reprod Med 2004; 49(5): 329-337 <strong>6</strong> Bagolan P et al.: The management of fetal ovarian cysts. J Pediatri Surg 2002; 37(1): 25-30 <strong>7</strong> Strickland JL: Ovarian cysts in neonates, children and adolescents. Curr Opin Obstet Gynecol 2002; 14(5): 459-465 <strong>8</strong> Kirkham YA, Kives S: Ovarian cysts in adolescents: medical and surgical management. Adolesc Med State Art Rev 2012; 23(1): 178-191 <strong>9</strong> Warner BW et al.: Conservative management of large ovarian cysts in children: the value of serial pelvic ultrasonography. Surgery 1992; 112(4): 749-755 <strong>10</strong> Lack EE, Goldstein DP: Primary ovarian tumors in childhood and adolescence. Curr Probl Obstet Gynecol 1984; 8: 1</p>
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