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Primäre Ovarialinsuffizienz bei Jugendlichen – gibt es das überhaupt?
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Ruth Draths
Co-Präsidentin Gynea<br> Frauenpraxis Buchenhof,Praxis für Mädchen und Frauen, Sursee<br> E-Mail: ruth.draths@frauenpraxis-buchenhof.ch
30
Min. Lesezeit
19.09.2019
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<p class="article-intro">Die primäre Ovarialinsuffizienz ist eine einschneidende Diagnose für jede Patientin. Ganz besonders schwerwiegend ist die Diagnose im Jugendalter, da sie unmittelbare Auswirkungen auf die Pubertätsentwicklung, auf die Ausbildung der Geschlechtsorgane und die psychosexuelle Entwicklung haben kann. Eine frühe und sorgfältige Diagnostik und die entwicklungsadaptierte Hormontherapie sind für die langfristige Gesundheit entscheidend.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <div> <ul> <li>Eine primäre Ovarialinsuffizienz kann bereits im Jugendalter eintreten.</li> <li>Jugendliche erleben keine Menopausensymptome.</li> <li>Die Zyklusstörung ist der wichtigste Hinweis für eine primäre Ovarialinsuffizienz, es sollte keine hormonelle Zyklusregulation ohne vorangehende Diagnostik erfolgen.</li> <li>Eine Pille bzw. eine hormonelle Kontrazeption ist keine genügende Therapie der Ovarialinsuffizienz.</li> <li>Die Hormontherapie in der Jugendzeit muss der Pubertätsentwicklung entsprechend erfolgen und gehört in geübte Hände.</li> <li>Eine primäre Ovarialinsuffizienz hat weitreichende Folgen für die Gesundheit und muss langfristig begleitet und therapiert werden.</li> </ul> </div> </div> <h2>Definition und Inzidenz</h2> <p>Mit dem Begriff «primäre Ovarialinsuffizienz » wird die Erschöpfung der ovariellen Funktion vor dem 40. Lj. bezeichnet, die zur Amenorrhö führt.<sup>1</sup> Die primäre Ovarialinsuffizienz wird auch als primäres Ovarialversagen («primary ovarian failure», POF) oder als prämatures Ovarialversagen bzw. prämature Ovarialinsuffizienz bezeichnet.<sup>2</sup> Die Begriffe «prämature Menopause», «vorzeitige Menopause » und «Klimakterium präcox» sollten nicht mehr verwendet werden,<sup>3</sup> insbesondere nicht für Jugendliche. Weitere Synonyme sind «ovarielle Dysgenesie» oder «hypergonadotroper Hypogonadismus», der eigentlich die Laborkonstellation beschreibt. Pathophysiologisch besteht eine beschleunigte Atresie der Follikel, eine kongenitale Abnahme der Primordialfollikel oder eine Unfähigkeit, vorhandene Primordialfollikel zu rekrutieren.<sup>4</sup></p> <p><strong>Inzidenz</strong> <br />Die Inzidenz der Ovarialinsuffizienz ist altersabhängig. Während es ab 45 Jahren physiologischerweise zu einer Erschöpfung der ovariellen Reserve kommt, wird sie zwischen 40 und 45 Jahren als vorzeitige Menopause bezeichnet und davor, vor dem 40. Lebensalter, als «prämatur» oder «primär“. Dabei wird dieselbe Bezeichnung (POI oder POF) für eine 39-jährige Frau mit erfüllter Familienplanung sowie für ein 14-jähriges Mädchen mit fehlender Pubertätsentwicklung verwendet. Bei Jugendlichen handelt es sich um ein seltenes Ereignis, wobei die Inzidenz vermutlich unterschätzt wird. Sie wird mit 1 : 10 000 angegeben, fussend auf einer Studie von Coulam von 1986<sup>5</sup> (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_abb1_s22_draths.png" alt="" width="620" height="436" /></p> <p><strong>Stimmen diese Zahlen?</strong><br /> In den letzten Jahren sind mehrere Fallstudien mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen publiziert worden,<sup>6 – 9</sup> die eine höhere Inzidenz vermuten lassen. Dies ist auch davon abhängig, welche Ätiologie in der Analyse berücksichtigt wird (vgl. Tab. 1). In der eigenen Sprechstunde wurden 31 Jugendliche mit primärem Ovarialversagen untersucht (2012 bis 2018), davon 7 Fälle mit idiopathischem POI (vgl. Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab1_s23_draths.png" alt="" width="620" height="322" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_abb2_s23_draths.png" alt="" width="640" height="533" /></p> <h2>Die Situation bei Jugendlichen</h2> <p>Kommt es in der Jugendzeit zu einer Erschöpfung der ovariellen Reserve oder besteht bereits primär eine Störung der Follikelreifung, wird die Pubertät unterbrochen oder bleibt ganz aus. Neben der primären Amenorrhö fehlen dann die Brustentwicklung sowie die Reifung des inneren und äusseren Genitales.</p> <p><strong>Diagnostik<br /></strong> Die frühe Diagnosestellung der Ovarialinsuffizienz ist für die Patientinnen sehr wichtig, wird aber oft verpasst.<sup>10</sup> Über 50 % der Patientinnen sind hormonell unterversorgt.<sup>11</sup><br /> Leitsymptom ist die Zyklusstörung, die primäre bzw. sekundäre Amenorrhö oder auch eine Oligoamenorrhö.<sup>12, 13</sup> Jugendliche erleben keine typischen Menopausensymptome.</p> <p>Neben der Zyklusanamnese, der klinischen Untersuchung (Pubertätsentwicklung, Östrogenmangel) und der transabdominalen Sonografie (Nachweis des inneren Genitales, Uterusreife, Endometrium sowie ovarielle Aktivität) ist die Labordiagnostik (vgl. Tab. 2) mit Nachweis von erhöhten Gonadotropinen bei niedrigem Estradiol (hypergonadotroper Hypogonadismus) entscheidend.<sup>14, 15</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab2_s24_draths.png" alt="" width="640" height="412" /></p> <p><strong>Therapie</strong><br /> Die primäre Ovarialinsuffizienz ist an sich nicht heilbar, es gibt keine ursächliche Therapie. Wegen der weitreichenden Konsequenzen und der assoziierten Morbidität sind aber die frühe Diagnose und korrekte Hormontherapie entscheidend.<sup>16</sup> Die ärztliche Behandlung von Jugendlichen mit primärem Ovarialversagen unterscheidet sich grundsätzlich von der Betreuung von erwachsenen Frauen mit früher Menopause, wie in Tabelle 3 gezeigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab3_s24_draths.png" alt="" width="620" height="432" /></p> <h2>Assoziierte Morbidität</h2> <p><strong>1. Knochenstoffwechsel</strong> <br />Bei jungen Frauen mit POI ist die Knochendichte signifikant erniedrigt<sup>16</sup> und das Osteoporoserisiko drei- bis vierfach erhöht; unabhängig von der Ätiologie der Ovarialinsuffizienz.<sup>17</sup> Bis heute existieren noch keine einheitlichen Empfehlungen bezüglich einer DEXA-Messung bei Jugendlichen, anders als beim Turner- Syndrom (Empfehlung gemäss ESHRE- Guidelines: DEXA-Messung alle 5 Jahre<sup>18</sup>).<br /> Die physiologische Hormonersatztherapie senkt die Frakturrate und ist der Gabe von hormonellen Kontrazeptiva für die Knochendichte überlegen.<sup>19, 20</sup> Zur Osteoporoseprävention werden die Substitution mit Vitamin D3 und Kalzium sowie genügend körperliches Training empfohlen, hingegen sollten in der Jugendzeit keine Bisphosphonate verabreicht werden.</p> <p><strong>2. Herz-Kreislauf</strong> <br />Frauen mit primärer Ovarialinsuffizienz zeigen eine erhöhte Mortalität an kardiovaskulären Erkrankungen.<sup>21, 22</sup> Eine Anpassung des Lifestyles, Verzicht auf Nikotin, Gewichtsreduktion bei Übergewicht und die regelmässige Kontrolle von Blutdruck und Lipidstoffwechsel werden empfohlen. Die physiologische Hormonersatztherapie wirkt sich günstiger auf die kardiovaskuläre Gesundheit aus als hormonelle Kontrazeptiva.<sup>23 –25</sup></p> <p><strong>3. Endokrine Pathologie</strong> <br />Die vorzeitige Ovarialinsuffizienz ist mit verschiedenen endokrinen Störungen assoziiert, vor allem Schilddrüsenfunktionsstörungen (ca. 20 %), Nebennierenunterfunktion (bei Vorliegen von adrenalen Antikörpern) sowie seltener mit Diabetes mellitus, perniziöser Anämie, Myasthenia gravis, rheumatoider Arthritis und systemischem Lupus erythematodes. Die Bedeutung von Anti-Ovar-Antikörpern ist bis heute unklar.<sup>1, 2, 4</sup></p> <p><strong>4. Infertilität</strong> <br />Die Infertilität ist für viele junge Frauen mit POI das wichtigste Thema. Obwohl bei einigen Frauen mit POI noch Follikel im Ovar nachweisbar sind, liegt die spontane Schwangerschaftsrate nur bei 5–10 %, und dies ausschliesslich bei erwachsenen Frauen mit sekundärer Amenorrhö und intermittierend noch vorhandener Ovaraktivität. Für Jugendliche mit frühem komplettem Ovarversagen, vor allem bei fehlender spontaner Pubertätsentwicklung und primärer Amenorrhö, muss von einer definitiven Infertilität ausgegangen werden. Als therapeutische Optionen bestehen aktuell nur die Möglichkeit der Eizellspende für IVF/ICSI oder die Embryonenspende (beides bisher nur im Ausland möglich) oder dann die Adoption. Bei früher Diagnose und noch vorhandener Follikelaktivität, z. B. bei einer Patientin mit Turner-Mosaik, kann eine Kryokonservierung (Ovargewebe oder reife Oozyten) diskutiert werden.<sup>26</sup></p> <p><strong>5. Emotionale und kognitive Gesundheit bei POI</strong><br /> In verschiedenen Studien wurde ein erhöhtes Risiko für Depression und Ängstlichkeit gezeigt, wobei die Estradiolsubstitution die emotionale Gesundheit verbessert.<sup>27</sup> Geforscht wird über den neuroprotektiven Effekt des Estradiols. Die Wirkung einer Androgen- und DHEA-Substitution ist noch nicht geklärt. Frauen mit vorzeitiger Ovarialinsuffizienz soll in jedem Fall psychologische Unterstützung und Beratung angeboten werden. Leider gibt es bisher noch keine Selbsthilfegruppe.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Primary ovarian insufficiency in idolescents and young women. Committe Opinion Nr 605, ACOG 2014; Obstet Gynecol 2014; 124(1): 193-7 <strong>2</strong> ESHRE Guideline: management of women with premature ovarian insufficiency. European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) Guideline Group on POI. Hum Reprod 2016; 31(5): 926-37 <strong>3</strong> Welt CK: Clin Endocrinol (Oxf) 2008; 68(4): 499- 509 <strong>4</strong> Cox L, Liu J: Int J Womens Health 2014; 20; 6: 235- 43 <strong>5</strong> Coulam CB et al.: Obstet Gynecol 1986; 67: 604-6 <strong>6</strong> Chaloutsou K et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2017; 30(6): 615-619 <strong>7</strong> Brauner R et al.: Eur J Pediatr 2015; 174(6): 767-73 <strong>8</strong> Kanner L: J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31(6): 597-604 <strong>9</strong> Cameron M et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2008; 21(1): 3-8 <strong>10</strong> Kanj RV et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31: 13-18 <strong>11</strong> Hipp HS et al.: Menopause 2016; 23: 993-9 <strong>12</strong> Moreira A, Spritzer P: Endocrinol Diabetes Metab Case Rep 2016; 2016: 160026 <strong>13</strong> Alzubaidi NH et al.: Obstet Gynecol 2002; 99(5 Pt 1): 720-5 <strong>14</strong> Rafique S et al.: Obstet Gynecol Clin North Am 2012; 39: 567-86 <strong>15</strong> Rudnicka E et al.: Prz Menopauzalny 2018; 17(3): 105–108 <strong>16</strong> Sullivan SD et al.: Fertil Steril 2016; 106: 1588-1599 <strong>17</strong> Popat VB et al.: J Clin Endocrinol Metab 2009; 94(7): 2277- 2283 <strong>18</strong> ESHRE-Guideline, International Turner Syndrome Consensus Group: Clinical practice guidelines for the care of girls and women with Turner syndrome: proceedings from the 2016 Cincinnati International Turner Syndrome Meeting. Eur J Endocrinol 2017; 177(3): G1-G70 <strong>19</strong> Crofton PM et al.: Clin Endocrinol 2010; 73: 707-14 <strong>20</strong> Cartwright B et al.: J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 3497-505 21 Hu FB et al.: Arch Intern Med 1999; 159: 1061-6 <strong>22</strong> Rivera CM et al.: Menopause 2009; 16: 15-23 <strong>23</strong> Muka T et al.: JAMA Cardiol 2016; 1: 767-776 <strong>24</strong> Løkkegaard E et al.: Maturitas 2006; 53: 226-33 <strong>25</strong> Langrish JP et al.: Hypertension 2009; 53: 805-11 <strong>26</strong> Oktay K et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2016; 29(5): 409-416<strong> 27</strong> Rivera CM et al.: Neuroepidemiology 2009; 33: 32-40</p>
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