
Kontroverse um präventive Beratungsleistungen
Bericht:
Dr. med. Felicitas Witte
Aufklärende Patientengespräche stehen offenbar nicht im Fokus der Gesundheitspolitiker. Kolleginnen und Kollegen müssten sich zurzeit vor den Kassen dafür rechtfertigen, weil sie «übermässig viele» präventive Beratungen durchführen, berichtet Dr. med. Pierre Villars, im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zuständig für Tarifwesen und Verbindungen zu den Krankenkassen.
Gynäkologen der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) fürchten, dass in Zukunft präventive Beratungsleistungen nicht mehr adäquat honoriert werden. So erzählt Dr. Villars von einer Praxis, die an die Tarifsuisse einen sechsstelligen Frankenbetrag zurückzahlen soll. Gemäss Santésuisse ermittelt die Tarifsuisse AG im Namen diverser Versicherer unter anderem aufgrund von Missbräuchen bei der Fakturierung von Leistungen zulasten der Grundversicherung. «Dabei hat die Praxis noch nicht einmal einen zu hohen Kostenindex und auch die Laborkosten waren kein Thema», sagt Villars, der als Tarifexperte der SGGG in das Verfahren involviert ist.
Die Ärztinnen in dieser Praxis führten viele antikonzeptionelle und präkonzeptionelle Beratungen durch, weshalb ihnen Tarifsuisse vorwirft, ihre Patientinnen «künstlich krank» zu machen. Es sei der Eindruck entstanden, heisst es bei Santésuisse, dass die Beratung gesunder Patienten zu Unrecht als Krankheitsbehandlung zulasten der Grundversicherung fakturiert worden sei.
«Wir haben die Aufgabe, zu kontrollieren, ob die Tarife korrekt angewendet werden», sagt Matthias Müller, Pressesprecher von Santésuisse. «Das ist hier nicht der Fall. Denn es handelt sich um Nicht-Pflichtleistungen. Uns geht es nicht darum, diese Tätigkeiten in medizinischer Hinsicht infrage zu stellen. Vorliegend geht es darum, ob – abgesehen von der klassischen gynäkologischen Vorsorgeuntersuchung – weitere Leistungen zusätzlich über die Grundversicherung abgerechnet werden dürfen oder nicht.» Bei der Santésuisse seien Rechnungen eingegangen, die darauf gründeten, dass eine Person mit «Krankheitswert» behandelt und beraten worden sei. «Allerdings war dieser sogenannte Krankheitswert nicht gegeben. Deshalb waren die Fakturierungen nicht korrekt», so Müller.
«Es ist korrekt, dass in der angeklagten Praxis Leistungen bemängelt wurden», so die Replik von Dr. Villars. «Der Vertrauensarzt von Tarifsuisse war in seiner Stellungnahme der Meinung, dass der Krankheitswert nicht gegeben sei.» Bei diesen Leistungen ohne erkennbaren Krankheitswert habe es sich um Beratungsleistungen zur Antikonzeption, zur Präkonzeption und um Sterilitätsberatung gehandelt, also typische präventive Beratungsleistungen, so Villars. Wenn sich – wie aktuell – die Diskussion mit Santésuisse beziehungsweise Tarifsuisse darum drehe, welchen Krankheitswert eine präventive Beratung habe, würden die Bemühungen, Jugendliche und Erwachsene besser aufzuklären, mit Füssen getreten.
Man weise diesen Vorwurf zurück, sagt Müller: «Im vorliegenden Fall wurde leider nicht korrekt abgerechnet.» Selbstverständlich halte man auch bei der Santésuisse Aufklärung für sehr wichtig, so Müller, allerdings wurde hier nicht Aufklärung verrechnet – sondern eine Behandlung von Personen mit Krankheitswert, die aber nicht krank waren. «Diese unkorrekten Abrechnungen dürfen nicht zulasten der Prämienzahler gehen, denn die Grundversicherung ist der falsche Kostenträger.»
Laut Villars beträfen die «unkorrekten Abrechnungen» jedoch ausschliesslich präventive Beratungsleistungen. Die SGGG sei indes dabei, zur Leistungspflicht der antikonzeptionellen und präkonzeptionellen Beratung eine Stellungnahme zu schreiben. Parallel dazu habe man Kontakt mit diversen Politikern aufgenommen, um die Leistungspflicht präventiver Beratungen gesetzlich besser zu verankern. «Wir halten das Problem für sehr brisant und die SGGG wird sich, sollte es zu einem Musterprozess kommen, auch finanziell engagieren.»
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