
Wann macht eine Operation Sinn?
Autor:innen:
Prof. Dr. Thomas Kolben, MD
Prof. Dr. Fabian Trillsch
Dr. Simon Keckstein
PD Dr. Alexander Burges
Prof. Dr. Sven Mahner
Dr. Susanne Beyer
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
LMU Klinikum
München
Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. Thomas Kolben
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Die Indikation zur operativen Therapie einer tief infiltrierenden Endometriose (TIE) sollte wohl überlegt und individuell auf die Patientin abgestimmt sein. Es gilt multiple Faktoren wie Symptomatik, Organdestruktion, Kinderwunsch und Lokalisation der TIE zu berücksichtigen sowie den Nutzen gegenüber den nicht unerheblichen Komplikationsraten abzuwägen.
Epidemiologie und Prävalenz
Die Endometriose ist eine benigne Erkrankung, die durch das Vorkommen von dem Endometrium ähnelnden Zellverbänden außerhalb des Cavum uteri definiert ist. Es werden verschiedene Ausprägungsformen unterschieden: oberflächliche peritoneale Endometriose, ovariell zystische Endometriose, Adenomyose und tief infiltrierende Endometriose (TIE).
Eine tief infiltrierende Endometriose liegt vor, wenn die Invasionstiefe des Endometrioseherdes mehr als 5mm beträgt. Typische Lokalisationen sind die Ligamenta sacrouterina, das Septum rectovaginale, die Fossa ovarica, der Douglas’sche Raum, die Rektumvorderwand sowie etwas weniger häufig die Blase und der Ureter.1,2
Die genaue Ätiologie ist weiterhin nicht abschließend geklärt, wobei verschiedene Theorien diskutiert werden. Dabei scheinen eine uterine Hyperperistaltik, Hyperöstrogenisierung und immunologische sowie inflammatorische Prozesse eine zentrale Rolle zu spielen.3–6
Die Prävalenz wird auf etwa 10–15% aller Frauen im gebärfähigen Alter geschätzt, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet wird. Die Prävalenz für Österreich wird mit bis zu 300000 Frauen angegeben, für Deutschland geht man von etwa 1Mio. betroffenen Frauen aus. In etwa 14% der Fälle liegt eine TIE vor.1,2 Bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch leiden den Schätzungen nach etwa 20–50% an Endometriose.7–9
Therapeutische Ansätze
Die Behandlung der Endometriose wird durch die beiden Hauptsäulen der medikamentösen (endokrinen) und der operativen Therapie getragen. Die Tatsache, dass die Krankheitsentstehung nicht abschließend verstanden ist, hat auch die Entwicklung von kausal ansetzenden Therapeutika bis jetzt verhindert.
Die Endometrioseherde reagieren, wie auch das Endometrium, auf die Hormonschwankungen im Rahmen des weiblichen Zyklus. Somit besteht hier die Möglichkeit eines therapeutischen Ansatzpunktes. Die Operation erlaubt nicht nur die Entfernung der Endometrioseherde, sondern ist gleichzeitig nach wie vor die einzige Möglichkeit zur definitiven Diagnosestellung. Der Zugang erfolgt in der Regel minimal invasiv.
Während ursprünglich die operative Diagnostik generell bei Endometrioseverdacht indiziert war, erleben wir aktuell gewissermaßen einen Paradigmenwechsel. Bei klinischem Verdacht auf eine Endometriose wird zunehmend auch primär ein hormoneller Therapieversuch ohne vorherige histologische Sicherung durchgeführt, dies gilt insbesondere für die Rezidivsituation. Außerdem konnte bisher kein eindeutiger Vorteil einer operativen gegenüber einer medikamentösen Therapie über alle Endometriosestadien hinweg gezeigt werden.10
Die beiden genannten Ansätze können bzw. sollten aber auch kombiniert werden.Je nach Ausprägung erfordert die Behandlung der Endometriose einen multimodalen Ansatz. Neben schmerztherapeutischen sollten hier auch komplementäre Maßnahmen berücksichtigt werden.
Einflussfaktoren für die Operationsindikation
Die Entscheidung zur Operation bei tief infiltrierender Endometriose sollte individuell auf die Patientin abgestimmt getroffen werden. Dabei sollten verschiedene Aspekte in die Entscheidungsfindung einfließen. Der wohl wichtigste Punkt in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob überhaupt eine Symptomatik vorliegt. Besteht der Verdacht auf Endometriose oder ist diese als Zufallsbefund diagnostiziert worden, so ist bei asymptomatischer Patientin dennoch keine Operation indiziert. Dies gilt auch bei möglicherweise sehr ausgedehnten Befunden.11
Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Patientin unter nicht tolerablen Schmerzen leidet. Dies gilt auch insbesondere dann, wenn bereits eine endokrine Therapie gestartet wurde und diese erfolglos bleibt. Hinweise auf Organdestruktionen (z.B. Hydronephrose, Ileus) stellen eine klare OP-Indikation dar. Ferner kann auch ein unerfüllter Kinderwunsch ausschlaggebend sein oder aber die Lokalisation des TIE-Herdes.
Generell muss selbstverständlich auch der Wunsch der Patientin Berücksichtigung finden. Besteht bei einer symptomatischen Patientin also die Indikation zur Operation, dann sollte die Komplettresektion angestrebt werden. Dies sollte allerdings unter Abwägung der zu erwartenden Schmerzreduktion gegenüber einer möglichen Organbeeinträchtigung erfolgen (z.B. Sexualität, Blasen-, Darmfunktion, sensomotorische Störungen).10
Operationsindikation nach Lokalisation
Im Falle einer symptomatischen Bauchdecken- oder Nabelendometriose sollte die operative Resektion angestrebt werden, da hierdurch die Problematik in der Regel abschließend behoben werden kann.12,13
Bei TIE der Harnblase besteht der therapeutische Ansatz meistens in einer Resektion im Sinne einer Teilzystektomie, auch wenn Beschreibungen von medikamentös behandelten Fällen mit Blasenendometriose vorliegen.14 Gleichermaßen sollte bei Ureterbefall die operative Dekompression und/oder Resektion erfolgen.15,16
Operationsindikation bei unerfülltem Kinderwunsch
Die Entscheidungsfindung zur Operationsindikation im Falle von unerfülltem Kinderwunsch ist komplex. Zunächst muss differenziert werden, welche Beschwerde im Vordergrund steht. Steht der unerfüllte Kinderwunsch im Vordergrund, so empfiehlt sich eine präoperative reproduktionsmedizinische Abklärung. Häufig sind jedoch Schmerzen der ausschlaggebende Grund, wobei sich auch hier eine Vorstellung in der Reproduktionsmedizin anbietet, um den Nutzen einer etwaigen präoperativen Eizellasservierung abzuklären.
Die Erfolgsraten von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen können durch das Vorliegen einer Endometriose eingeschränkt sein und durch eine operative Sanierung verbessert werden. Zusätzlich können durch eine TIE-Resektion Spontankonzeptionsraten vergleichbar mit Raten nach assistierten Reproduktionstechniken (ART) ohne OP erreicht werden.17–19 Gleichzeitig gibt es aber auch vielversprechende Daten zu primärer ART bei TIE, die die Notwendigkeit einer OP relativieren.20
Zu berücksichtigen ist, dass eine TIE häufig auch mit einer Adenomyose vergesellschaftet ist, die als relevanter im Hinblick auf den Kinderwunsch gewertet wird und somit den Nutzen der TIE-Resektion ebenfalls infrage stellt.21,22
TIE-Subgruppe mit besonderem Benefit durch OP
Die Datenlage zu dieser Fragestellung ist sehr überschaubar. Ein Review zu diesem Thema ergab lediglich das Ergebnis, dass eine größere Beschwerdelinderung postoperativ mit einem ausgedehnteren TIE-Befall präoperativ assoziiert war.23
Komplikationen
Operative Eingriffe bei TIE erfolgen häufig in einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Viszeralchirurgie und Urologie. Diese teilweise sehr ausgedehnten Resektionen gehen mit relevanten Komplikationsraten einher, insbesondere wenn Rektumchirurgie notwendig ist. Intraoperative Komplikationsraten werden mit etwa 2% angegeben, während die postoperativen Raten je nach Untersuchung zwischen 5 und 14% liegen.24–26 Hierzu zählen u.a.: Anastomoseninsuffizienz, Darm-, Blasenentleerungsstörungen, Ureterleckage, Fistelbildung, „lower anterior resection syndrome“ (LARS), sensomotorische Ausfälle. Weiters gilt es zu beachten, dass auch die Rezidivraten mit 5–25% je nach Ausprägungsgrad nicht unerheblich sind.26,27
Zusammenfassung
Die TIE erfordert ein multimodales Therapiekonzept, das auf die einzelne Patientin individuell abgestimmt sein sollte. Faktoren wie Schmerzen, gegebenenfalls trotz endokriner Therapie, Organdestruktion, Lokalisation der Herde, unerfüllter Kinderwunsch und nicht zuletzt der Wunsch der Patientin triggern die OP-Indikation. Insgesamt bedarf es bei Operationen einer TIE häufig eines indisziplinären Vorgehens. Das Ziel der Operation sollte die komplette Resektion aller Endometrioseherde sein, dabei gilt es aber im Vorfeld auch die Risiken eines solchen Eingriffs zu beachten.
Literatur:
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