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Geburtshilfe

Ambulant vor stationär?

Die Entscheidung, ob eine Geburt beziehungsweise das Management von Schwangerschaftskomplikationen ambulant oder stationär erfolgen sollen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, darunter die medizinische Vorgeschichte, die Wünsche und Vorstellungen der werdenden Mutter sowie die Verfügbarkeit, Qualität und auch Kosten der medizinischen Versorgung.

Warum etwas ändern, das immer gut war?

Schwangere entscheiden sich häufig, für die Geburt oder bei Schwangerschaftskomplikationen in ein Spital zu gehen. Manchmal möchten Frauen den Krankenhausaufenthalt so kurz wie möglich halten. Krankenhäuser versuchen aus verschiedenen Gründen, die Aufenthaltsdauer zu verkürzen. Es ist jedoch wichtig, dass Komplikationen rechtzeitig erkannt und behandelt werden. In bestimmten Situationen ist eine ambulante Betreuung möglich und wird von Frauen bevorzugt. Dies hilft den Krankenhäusern wirtschaftlich, ohne die Verantwortung für eine gute Betreuung zu vernachlässigen. Eine sorgfältige Auswahl der Fälle ist wichtig, zum Beispiel bei vorzeitigem Blasensprung, zur Einleitung der Geburt, bei drohender Frühgeburt und anderen Risikosituationen.

Wo liegt das ambulante Potenzial?

Vorzeitiger Blasensprung

Ein vorzeitiger Blasensprung ab 37+0 Schwangerschaftswochen kommt bei bis zu 10% der Fälle vor, wobei meist innerhalb von 24 Stunden spontan Wehen einsetzen. Risiken sind unter anderem das Triple-I («infection, inflammation, or both», vormals Amnioninfektionssyndrom) und bei Streptokokken-B-Besiedelung eine Neugeborenensepsis. Die AWMF-Leitlinie «Vaginale Geburt am Termin» von 2020 gibt das Risiko für schwere Infektionen nach Blasensprung mit 1% an.1 Ein Cochrane-Review von 2017 empfiehlt die Geburtseinleitung frühzeitig innerhalb von 24 Stunden,2 während andere Studien ein abwartendes Vorgehen bei fehlenden Infektionszeichen vorschlagen.3,4 Notfallsituationen wie Nabelschnurvorfall oder eine Ruptur der Vasa praevia müssen ausgeschlossen werden, bevor ein ambulantes Management erwogen wird.

Grundvoraussetzungen für ambulantes Management

Der Wunsch nach einer ambulanten Betreuung sollte im Vordergrund stehen. Bestimmte geburtshilfliche Risiken schliessen eine ambulante Betreuung aber aus. Das Schwangerschaftsalter sollte mindestens 37+0SSW betragen. Klares oder rosafarbenes Fruchtwasser sollte beobachtet und eine Kopflage mit gutem Bezug zum mütterlichen Becken ertastet werden. Ein physiologisches Herzfrequenzmuster des Fetus im Kardiotokogramm (CTG) ist wichtig. Bei regelmässigen Wehen sollte eine stationäre Betreuung empfohlen werden und ein Bishopscore erhoben werden. Eine intravenöse antibiotische Therapie ist bei Streptokokken der Gruppe B im stationären Setting indiziert. Eine drohende Infektion ist bei einer Temperatur <37,5°C, einem CRP <10mg/l und einer Leukozytenzahl <14x109/l unwahrscheinlich.Die Anfahrt zum Krankenhaus sollte maximal 30 Minuten dauern und eine Bezugsperson ständig verfügbar sein. Eine gute Kommunikation ist wichtig, um all dies der Patientin oder dem Paar zu vermitteln.

Ablauf des ambulanten Managements bei vorzeitigem Blasensprung

Nach einem vorzeitigen Blasensprung wird die Schwangere im Spital untersucht. Bei Eignung für eine ambulante Betreuung kann sie nach Hause gehen und sich nach 12 bis spätestens 24 Stunden zur Nachkontrolle vorstellen. Bei unauffälligen Befunden kann sie weitere 12 Stunden zu Hause bleiben. 24 Stunden nach dem Blasensprung wird die Geburt im Krankenhaus abhängig vom geburtshiflichen Befund eingeleitet.

Outcome nach ambulantem Management bei vorzeitigem Blasensprung

Klotzsch und Li et al. haben in einer Untersuchung nach ambulantem Management des vorzeitigen Blasensprungs eine kürzere Zeitspanne von Blasensprung bis Wehenbeginn und bis Geburt bei häufigerem Einsetzen spontaner Wehentätigkeit respektive weniger Notwendigkeit zur medizinischen Geburtseinleitung demonstrieren können. Das mütterliche und kindliche Outcome hat sich nicht signifikant unterschieden.5

Gedanken zum Kosten-Nutzen-Verhältnis

Die Wirtschaftlichkeit von drei Geburtsfällen wird verglichen: Im ersten Fall verursacht ein stationärer Aufenthalt von fünf Tagen nach vorzeitigem Blasensprung Kosten von CHF13959,52, bei einem Erlös von CHF6983,80. Bei zwei initial ambulant, dann stationär betreuten Geburten liegen die Erlöse bei CHF5182,15 (Frühentlassung) bzw. CHF6172,35, mit Kosten von CHF5235,14 und CHF6505,17.

Geburtseinleitung

Die Geburtseinleitung ist ein häufiger Eingriff bei Terminüberschreitung oder vorzeitigem Blasensprung. In Deutschland wurde sie 2022 bei etwa 20% der Geburten angewandt.6 Es gibt verschiedene Methoden, von alternativen bis zu medikamentösen Ansätzen, wobei die Frau nach ihrer Präferenz gefragt werden sollte. Einige Methoden wie die Eipollösung und Wehencocktails sind klinisch verbreitet, aber deren Nutzen wissenschaftlich nicht belegbar.7–9 Die Amniotomie hat ein festes Zeitfenster bis zum Geburtsbeginn, bietet danach aber wenige Alternativen. Medikamentöse Methoden beziehen sich auf Prostaglandine oder Oxytocin, wobei Oxytocin die Mobilität unter Geburt einschränkt und beide das Risiko einer Überstimulation bergen. Mechanische Methoden wie osmotische Dilatatoren und Ballonkatheter vermeiden eine Überstimulation. Osmotische Dilatatoren quellen im Gebärmutterhals, während Ballonkatheter in der Zervix platziert und mit Kochsalzlösung gefüllt werden, was die Zervixreifung fördert. Studien zeigen, dass auch eine kürzere Verweildauer als die etablierten 24 Stunden des Ballons die Zeit bis zur Geburt verkürzen kann.10

© Kantonsspital Graubünden

Abb. 1: Transzervikal, intrauterin platzierter Foleykatheter

Mechanische Methoden können ohne spezielle Überwachung bei Schwangeren mit niedrigem Risiko ambulant angewendet werden. Die Materialkosten für einen Doppelballonkatheter und hygroskopische Dilatatoren sind ähnlich wie für In-Label-Misoprostol, während ein grosser Standard-Foleykatheter (Abb. 1) preislich mit Off-Label-Misoprostol vergleichbar ist.

Kosten-Nutzen-Gedanken

Eine holländische Untersuchung zeigte, dass eine ambulante Einleitung mit Foleykatheter durchschnittlich knapp ein Viertel weniger Kosten produziert als die stationäre Einleitung mit Misoprostol oral.11

Wenneine Schwangere, die zum Geburtstermin stationär aufgenommen wird, am dritten Tag entbindet und das Krankenhaus am sechsten Tag verlässt, verursacht das Einnahmen von CHF6233,25 und Kosten von CHF15729,84. Eine andere Schwangere, die ambulant mit einem Foleykatheter eingeleitet wird und bei der am nächsten Tag Wehen eintreten, entbindet und verlässt das Krankenhaus am fünften Tag, wobei Einnahmen von CHF7919,75 und Kosten von CHF7376,32 anfallen.

Noch mehr ambulantes Potenzial?

Ambulantes Management des frühen vorzeitigen Blasensprungs

Ein früher vorzeitiger Blasensprung kann zu einer Frühgeburt führen, im schlimmsten Fall verkompliziert durch ein verpasstes Triple-I. Üblicherweise wird dies bis zur Geburt stationär überwacht, wobei die Kosten oft die Erlöse übersteigen.12 Eine ambulante Betreuung wird zunehmend erwogen, Details dazu bietet eine aktuelle Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Geburtshilfe und Pränatalmedizin (AGG – Sektion Frühgeburt).13

Placenta praevia, Vasa praevia

Bei Placenta praevia und Vasa praevia kann die Betreuung ambulant durchgeführt werden. Bei einer Placenta praevia besteht das Risiko für mütterliche Blutungen und fetale Hypoxie, das mit fortschreitender Schwangerschaftswoche steigt. Bei Vasa praevia, wo Nabelschnurgefässe über den inneren Muttermund verlaufen, kann ein Blasensprung zu schweren fetalen Blutungen führen. Die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Blasensprungs beläuft sich vor 35+0 Schwangerschaftswochen auf 3%, steigt aber mit bestimmten Risikofaktoren, wie zum Beispiel genitalen Infektionen. Bei festgestellten Vasa praevia sollte sich die Schwangere zur Risikominimierung in Spitalsnähe aufhalten, was oft einen stationären Aufenthalt erfordert.

Drohende Frühgeburt/Gemini

Eine drohende Frühgeburt wird durch vorzeitige Wehen und die Messung der Zervixlänge erkannt, wobei Letztere nur ein Surrogatparameter ist. Mehrlingsschwangerschaften erhöhen das Risiko. Bei Gefahr einer Frühgeburt vor 34+0 Schwangerschaftswochen erfolgt meist eine stationäre Aufnahme für eine Kortikosteroidtherapie und Tokolyse über 48 Stunden, ergänzt durch Progesteron und manchmal durch ein Pessar oder orale Tokolyse. Die Nähe zum Krankenhaus ist bei drohender Frühgeburt entscheidend, besonders in ländlichen Gebieten, wo die Schwangere oft bis zu einem sicheren Geburtszeitpunkt im nächstgelegenen Spital in einem wohnortfernen Zentrum stationär aufgenommen werden muss.

Aufenthaltsort der Schwangeren in besonderen Fällen

In Flächenkantonen wie Graubünden sind die Wege zu Spezialkliniken oft zu weit für ein sicheres ambulantes Management. Die DRG-Kostenkalkulation berücksichtigt lange Krankenhausaufenthalte selten, was finanzielle Nachteile für Krankenhäuser in diesen Regionen bedeutet. Kreative Lösungen sind gefragt, da die Kosten für Hotels für werdende Familien unzumutbar sind. Spitäler könnten ihre Personalhäuser oder Gästehotels als Alternative anbieten.

Fazit

Das Dogma «ambulant vor stationär» hält immer mehr Einzug in die Geburtshilfe. Die ambulante, mechanische Geburtseinleitung verkürzt das Einleitungs-Entbindungs-Intervall und wird von Frauen gerne angenommen. Die Latenzphase zwischen vorzeitigem Blasensprung und Einleitung im ambulanten Setting verkürzt die Dauer des stationären Aufenthaltes. Es gibt Hinweise, dass das geburtshilfliche Outcome begünstigt wird. Behandlungen, die teilweise ambulant durchgeführt werden, schonen die Ressourcen des Gesundheitswesens. In Sonderfällen kann die Unterbringung von Risikoschwangeren in der Nähe des Spitals eine gute Alternative zum stationären Aufenthalt sein.

1Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF): Leitlinie: Die vaginale Geburt am Termin. AWMF 2020; verfügbar unter https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/die-vaginale-geburt- am-termin ; zuletzt aufgerufen am 5.1.2024 2 Middleton P et al.: Planned early birth versus expectant management (waiting) for prelabour rupture of membranes at term (37 weeks or more). Cochrane Database Syste Rev 2017; 1(1): CD005302 3 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF): S2k-Leitlinie Geburtseinleitung. AWMF 2020; verfügbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-088 ; zuletzt aufgerufen am 5.1.2024 4 Morris JM et al.: Immediate delivery compared with expectant management after preterm pre-labour rupture of the membranes close to term (PPROMT trial): a randomised controlled trial. Lancet 2016; 387(10017): 444-52 5 Klotzsch A-K et al.: Ambulantes Management nach vorzeitigem Blasensprung – eine chancenreiche Alternative auch für das geburtshilfliche Outcome. Die Hebamme 2021; 34(1): 50-5 6 Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG): Bundesauswertung Perinatalmedizin: Geburtshilfe – Erfassungsjahr 2022. IQTIG 2023. Verfügbar unter https://iqtig.org/downloads/auswertung/2022/pmgebh/DeQS_PM-GEBH_2022_BUAW_Bund_2023-07-20.pdf ; zuletzt aufgerufen am 5.1.2024 7 Hill MJ et al.: The effect of membrane sweeping on prelabor rupture of membranes: a randomized controlled trial. Obstet Gynecol 2008; 111(6): 1313-9 8 Neri I et al.: Castor oil for induction of labour: a retrospective study. J Matern Fetal Neonatal Med 2018; 31(16): 2105-8 9 Boel ME et al.: Castor oil for induction of labour: not harmful, not helpful. Aust N Z J Obstet Gynaecol 2009; 49(5): 499-503 10 Strößner L et al.: Induction of labour with a double balloon catheter - comparison of effectiveness of six versus twelve hours insertion time: a prospective case control study. Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(12): 1500-7 11 Eikelder MT et al.: Comparing induction of labour with oral misoprostol or Foley catheter at term: cost-effectiveness analysis of a randomised controlled multi-centre non-inferiority trial. BJOG 2018; 125(3): 375-83 12 Maul H et al.: [Current approach in preterm prelabor rupture of membranes: new definitions? Is CRP determination useful? Are alternatives in sight?] Gynakologe 2021; 54(3): 186-94 13 Kunze M et al.: Statement of the Obstetrics and Prenatal Medicine Working Group (AGG - Preterm Birth Section) on „Outpatient management for pregnant women with Preterm premature rupture of membranes (PPROM)“. Geburtshilfe Frauenheilkd 2024; 84(1): 43-7

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