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Von Urininkontinenz bis zu Senkungsbeschwerden

Der Beckenboden nach Schwangerschaft und Geburt

Nach Schwangerschaft und Geburt ist der Beckenboden eines der Organe, welches am häufigsten in Mitleidenschaft gezogen wird. Beckenbodenbeschwerden betreffen die Mehrheit aller Frauen, die geboren haben. Dennoch ist es nach wie vor Inhalt von Diskussionen, welche Faktoren diese unter der Geburtverschlimmern oder aber auch verhindern können.

Beckenbodenbeschwerden betreffen 2/3 aller Frauen, die bereits geboren haben und treten mit dem Älterwerden häufiger auf. Die Beschwerden reichen von Urininkontinenz bei 3–50% über Senkungsbeschwerden bei 14–18% bis zu Stuhlinkontinenz bei 10% und chronischen Schmerzen, wie Dyspareunie bei 24–44%.1,2Davon abzugrenzen sind durch die Geburt entstandene Beckenbodenschäden, welche von Dammrissen über Levatoravulsion bis zu geburtshilflichen Fisteln reichen. Dammrisse (DR) III und IV° kommen gemäss Literatur bei 1–11% aller vaginalen Geburten vor. Es wird aber eine hohe Dunkelziffer (10–35%) angenommen, was die Wichtigkeit der Schulung des medizinisch involvierten Personals verdeutlicht. Zudem ist es wichtig, dass eine tiefe DR III/IV°-Rate nicht als klinikvergleichendes Qualitätsmerkmal benutzt wird, da dies zum Runterstufen (in DR II°) solcher Verletzungen einlädt.

Risikoerhöhende und risikomindernde Faktoren

Bekannte Risikofaktoren für Dammrisse III° und IV° sind in Tabelle 1 aufgelistet.Risikomindernde Faktoren sind prä- und peripartale Dammmassage (OR: 0,5), peripartale perineale feuchte Kompressen (OR: 0,5), selektive Episiotomie (OR: 0,7) und mediolaterale Episiotomie bei vaginal operativer Geburt (OR: 0,2–0,5). Ohne Einfluss auf das Entstehen eines DR III/IV° haben sich gemäss der DACH-Leitlinie zum Management von höhergradigen Dammverletzungen die präpartale vaginale Ballondilatation, die Art und der Zeitpunkt des Pressens, die Wassergeburt, das Ritgen-Manöver und die Hands-off- versus die Hands-on-Technik des Dammschutzes erwiesen.3,4

Tab. 1: Bekannte Risikofaktoren für Dammrisse III° und IV°

Einfluss der Wassergeburt

In einer Kohorte, welche zwischen 1991 und 2006 an einem Schweizer Spital weit über 4000 Frauen einschloss, haben wir anhand der damals ausgefüllten Fragebögen und Dokumentation der involvierten Fachpersonen gewisse Geburtsmodi, Geburtsverletzungen und Beckenbodenbeschwerden ein Jahr postpartal analysiert.5 Eingeschlossen wurden in der retrospektiven Analyse nur Primiparae am Termin mit einem Kind in Schädellage. Multiparae und Sectiones wurden ausgeschlossen.

Im Folgenden zeigen wir die Daten zur Wassergeburt, welche international nach wie vor kontrovers in Bezug auf den Beckenboden diskutiert wird.

Beckenbodenbeschwerden nach Wassergeburt und spontaner Bettgeburt zeigten folgende Häufigkeiten: Urininkontinenz 14% versus 16%, Dyspareunie 15% versus 12% und Stuhlinkontinenz 4% versus 3%. Der Unterschied bei der Stuhlinkontinenz erwies sich im t-Test als statistisch signifikant, p=0,031. Die anderen Unterschiede waren nicht signifikant.

Im Gruppenvergleich zeigten sich vergleichbare Geburtsgewichte der Kinder: 3325g bei im Wasser geborenen Kindern versus 3342g bei im Bett geborenen Kindern. Die Geburtszeiten sowohl die Gesamtdauer als auch die Eröffnungsperiode wie auch die Austreibungsperiode waren in der Wassergeburtsgruppe signifikant kürzer. Die Gesamtdauer im Wasser betrug 380 Minuten (SD 216) versus 427 Minuten (SD 204) bei den Bettgeburten. Die Eröffnungsperiode betrug im Wasser 330 Minuten (SD 160) und im Bett 370 Minuten (SD 186). Die Austreibungsperiode betrug im Wasser 48 Minuten (SD 37) versus 60 Minuten (SD 52) im Bett.

In der Wassergeburtsgruppe wurde auch signifikant weniger häufig Oxytocin zur Wehenunterstützung verwendet. In der Eröffnungsperiode waren es 24% (n=312) der Wassergeburten versus 44% (Nn=661) der Bettgeburten. In der Austreibungsperiode waren es 41% ( N=575) der Wassergeburten versus 75% (N=1322) der Bettgeburten.

Die Dammverletzungsrate wurde anhand von Wasser- und Bettgeburten analysiert und hier zeigte sich im Wasser eine Damm-intakt-Rate von 49,2% (n=908) versus 57,6% (n=1188) bei Bettgeburten. DR I und II° waren bei Wassergeburten 47,1% (n=868) und bei Bettgeburten 36,4% (n=750) vorhanden. DR III° und IV° kamen nach Wassergeburt bei 3,5% (n=68) und nach Bettgeburten bei 6,1% (n=125) vor. Der Unterschiede erwiesen sich als statistisch signifikant, p=0,001.

Mit diesen Daten zeigen wir Folgendes: Die Wassergeburten haben in unserem Kollektiv eine niedrigere Rate an DR III/IV°. Die Geburtszeiten im Wasser sind kürzer als im Bett und brauchen weniger Oxytocin. Die Wassergeburt scheint auf die Wehentätigkeit einen harmonisierenden und auf den Beckenboden vielleicht einen entspannenden Effekt zu haben.

1 Viereck V et al.: SGGG-Expertenbrief No 75, Der Beckenboden während Schwangerschaft, Geburt und postpartal. Verfügbar unter https://www.sggg.ch/fileadmin/user_upload/PDF/75_Expertenbrief_Beckenboden_waehrend_ Schwangerschaft_und_nach_Geburt_ersetzt_No_29__ 002_.pdf . Zuletzt aufgerufen am 13.2.2024 2 Ludwig S: Risiko peri- und postpartaler Beckenbodenfunktionsstörungen. Dtsch Arztebl 2023; 120(24): A-1074/B-922 3 André K et al.: Obstetric anal sphincter injuries-Maternal, fetal and sociodemographic risk factors: A retrospective register-based study. Acta Obstet Gynecol Scand 2022; 101(11): 1262-8 4 AWMF: S2k-DACH-Leitlinie zum Management von OASIS bei vaginaler Geburt. AWMF 2020; verfügbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-079 . Zuletzt aufgerufen am 13.2.2024 5 Zachariah RR et al.: Is water delivery a good idea to prevent obstetric anal sphincter injuries in low risk primiparae? An exploratory study in a Swiss public teaching hospital. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2024; 294: 39-42

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