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Bariatrie und Schwangerschaft: ein praktisches Update für den Gynäkologen
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Susanne Maurer Adimed – Zentrum für Adipositas- und
Adimed – Zentrum für Adipositas- und Stoffwechselmedizin Winterthur GmbH<br> Lagerhausstrasse 9<br> CH-8400 Winterthur<br> E-Mail: s.maurer@adimed.ch
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19.09.2019
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<p class="article-intro">Adipositas ist nicht selten ein Grund für Kinderlosigkeit, doch bereits eine geringe Gewichtsreduktion von 5 bis 10 kg kann die Fertilität signifikant verbessern. Des Weiteren gibt es immer mehr Schwangere mit Status nach einer adipositaschirurgischen Intervention. Dies erfordert mehr und andere Kontrollen. Für den Gynäkologen sind dies neue Herausforderungen. Mehr Information und auch eine möglichst pragmatische Anleitung zur Betreuung dieser Patientinnen sollen Sie in Ihrer Arbeit unterstützen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Metformin + Widerstandstraining + Optimierung des Kohlenhydratkonsums (z. B. Pape-Konzept, Intervallfasten, ketogene Diät), am besten im Rahmen einer ordentlichen Ernährungstherapie, sind bei Adipositas und Fertilitätsstörungen/ Schwangerschaftswunsch hilfreich.</li> <li>Der BMI allein ist kein Grund für eine Gewichtsabnahme. 10 % Gewichtsabnahme bzw. eine langsame und kontinuierliche Gewichtsabnahme bringen den besten Erfolg bei metabolischen Begleitkrankheiten.</li> <li>Keine SS in den ersten 1 bis 2 Jahren nach Bariatrie (Achtung: Die Fertilität kann sich nach der Bariatrie rasch und rapide verbessern – Kontrazeption). Supplementationen beachten und Laborkontrollen durchführen. Fetales Wachstum regelmässig kontrollieren. SS-Diabetes mit Nüchtern-BZ und HbA<sub>1c</sub> diagnostizieren. Risikoprofil beachten und darüber aufklären.</li> </ul> </div> <h2>Adipositas, Fertilität und Schwangerschaft</h2> <p>Eine Übersicht über die pathophysiologischen Hintergründe zwischen Adipositas, Fertilität und Schwangerschaft, auf welche bereits vor mir sehr viele Autoren eingegangen sind, habe ich in den Literaturangaben beigefügt.<sup>1–3</sup><br /> Ich möchte diese Veröffentlichung nutzen, um Ihnen vor allen Dingen praktische Tipps und Hinweise zu geben, wie Sie mit Ihrer Patientin das Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft im Hinblick auf das Gewichtsthema anschauen und besprechen können.<br /> Uns allen ist bekannt, dass Adipositas die Fertilität deutlich reduzieren und ein wichtiger Grund für Kinderlosigkeit sein kann, nicht nur bei der Frau. Ich konnte die Erfahrung machen, dass betroffene Frauen in Bezug auf die Gewichtsabnahme hochmotiviert sind, um ihre Aussichten auf eine Schwangerschaft zu optimieren. Die Insulinresistenz, gefolgt von der verminderten Sekretion von SHGB aus der Leber und der daraus resultierenden Erhöhung androgener Hormone mit Reduktion der Zyklusfunktion, ist ursächlich für dieses Problem.<sup>1</sup> Sie können die Insulinresistenz sehr gut mit einem oralen Glukosetoleranztest bestimmen, ich empfehle Ihnen, das Insulin mitzumessen. Optimal wäre, die Messung vor sowie 1 und 2 Stunden nach Verabreichung der Glukose durchzuführen. In der Praxis sehen wir nüchtern und/oder postprandial nach 1 Stunde und/oder nach 2 Stunden eine Insulinresistenz.<br /> Dies bedeutet, dass einerseits sowohl ein HOMA-Index von > 2,5 vorhanden sein kann als auch auffällige Glukosewerte und/oder Insulinwerte 1 Stunde und/oder 2 Stunden nach der Verabreichung der Glukose. In unseren Spezialsprechstunden differenzieren wir zwar das Vorgehen bei Insulinresistenz nüchtern/postprandial, aus pragmatischen Gründen hat sich aber folgendes Konzept bewährt:</p> <ul> <li>Medikamentöse Therapie mit Metformin. Ich empfehle, diese Therapie bis 3 g pro Tag auszubauen, wenn es die Patientin verträgt. Da Metformin tatsächlich die Abortrate senken kann, empfehle ich, diese Therapie gerade bei Frauen mit habitueller Abortneigung, PCOS oder Insulinresistenz bis zur zwölften Schwangerschaftswoche beizubehalten.</li> <li>Ernährungstherapie mit dem Konzept nach Dr. Pape (Stichwort «Schlank im Schlaf»; zu finden im Internet).<sup>4–8</sup> Das Grundprinzip dabei ist, zum Frühstück und zum Mittagessen Kohlehydrate zu konsumieren, zu den Zwischenmahlzeiten und zur Nachtmahlzeit diese aber zu meiden und die Qualität der Kohlenhydrate zu verbessern. Da häufig die Patientinnen eine lang anhaltende und sehr hohe Insulinausschüttung nach Nahrungszufuhr aufweisen, was den Abbau von Fett aus der Fettzelle blockiert, macht dieses Prinzip Sinn. Wenn Sie es auch medizinisch etwas gezielter haben möchten und keinen Zugang zu Ernährungsberatern haben, können Sie Ernährungsberatung auch über ein digitales Konzept (OVIVA) verordnen.</li> <li>Widerstandstraining (Muskelaufbau), da eine verbesserte Muskelmasse die Insulinresistenz deutlich reduzieren kann und die Muskelmasse nur bei genetisch Begünstigten auch bei Ausdauertraining wächst.<sup>9–10</sup></li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_abb1_s31_maurer.png" alt="" width="780" height="463" /></p> <h2>Festlegung des medizinischen Zielgewichtes</h2> <p>Das Gewicht per se ist nicht behandlungsbedürftig. In letzter Zeit haben mehrere Publikationen dargelegt, dass anthropometrische Parameter zwar hilfreich sind, aber nur einen Teilaspekt des individuellen Risikos widerspiegeln. Die Stratifizierung des Risikos entsprechend dem Edmonton-Obesity-Score-Systems (EOSS) offeriert eine zusätzliche Möglichkeit, die Behandlungsnotwendigkeit unabhängiger vom BMI zu gestalten.<sup>11–14</sup> Das sogenannte 4M-System gruppiert die Begleiterkrankungen in vier Kategorien.<sup>15</sup> Zu den metabolischen Begleiterkrankungen gehören z. B. die Fettstoffwechselstörungen, das polyzystische Ovarysyndrom (PCOS) und der Diabetes mellitus. Zu den mechanischen Begleiterkrankungen sind die Schlafapnoe und z. B. die orthopädischen Probleme zu zählen. Depressionen und Essstörungen sind mentale Begleiterkrankungen. Soziale Probleme (in dem System als «monetäre Begleiterkrankungen» bezeichnet) erfassen Beeinträchtigungen im Rahmen der Jobsuche oder der Partnerschaft, die häufig bei adipösen Patienten vorkommen. In Abhängigkeit von der Schwere der Begleiterkrankungen werden vier Stadien eingeteilt: Stadium 1 (z. B. Störung der Glukosetoleranz) bis Stadium 4 (z. B. diabetische Retinopathie als Endorganerkrankung).<br />Das Risiko für metabolische Begleiterkrankungen, zu welchen die Störung der Fertilität oder das PCOS gehören, reduziert sich bereits durch eine geringe Gewichtsabnahme von 3 kg, allerdings möglichst über eine sehr lange Zeit (über mehr als 16 Jahre), um bis zu 40 %.<sup>4</sup> Das bedeutet, dass praktisch über einen längeren Zeitraum eine ganz leichte Kalorienunterversorgung im Energiesystem vorliegt.<br />Die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Patientin spielt beim Therapieerfolg eine entscheidende Rolle.</p> <h2>Bariatrie und Schwangerschaft</h2> <p>Nach einer Adipositaschirurgie erfolgen 60 bis 80 % der Gewichtsabnahme in den ersten sechs Monaten. Wir empfehlen in dieser Zeit, absolut auf eine Schwangerschaft zu verzichten.<sup>16</sup> Gegebenenfalls darf nach ein bis zwei Jahren eine Schwangerschaft geplant werden; empfohlen wird, nach einem solchen Eingriff für zwei Jahre mit einer Schwangerschaft zu warten. Die Mangelprobleme sind am häufigsten und am ausgeprägtesten in dieser Zeit zu erwarten, insbesondere der Eiweissmangel. Ein weiterer Nachteil ist das Ausschwemmen von im Fettgewebe gespeicherten Toxinen, dieses kann zu regelrechten Vergiftungserscheinungen mit fahler Haut, Haarausfall und Nagelproblemen führen.<br /> Wir empfehlen keine andere Schwangerschaftsvorbereitung (Jod-/Folsäuresupplementation usw.) als bei anderen Frauen. Patientinnen mit Magenbypässen sollten aber eventuell deutlich höhere präkonzeptionelle Jodiddosen bekommen (250 mcg/d statt 50 mcg/d; amerikanische Empfehlung). Eine geregelte bariatrische Nachsorge und regelmässige Laborkontrollen mit einem festgelegten Supplementationskonzept sind vorteilhaft, denn nur 59 % aller bariatrisch versorgten Schwangeren sind vor Konzeption compliant.<sup>2, 17–25</sup><br />Der orale Glukosetoleranztest nach Magenbypass ist immer pathologisch und somit obsolet für die Diagnostik eines Schwangerschaftsdiabetes; besser ist die regelmässige Kontrolle des Nüchternblutzuckers und des HbA<sub>1c</sub> (NBZ < 5,1 mmol/l; HbA<sub>1c</sub> < 5,4 %).<br />Bei Patientinnen mit Magenband empfehlen wir eine Bandentlastung von 2 ml (in der Regel sind die Bänder mit Kontrastmittel, zum Beispiel Iopamiro 200, befüllt), zumindestens bei anhaltendem Erbrechen, unzureichender Körpergewichtszunahme (6–8 kg Mindestzunahme, wenn möglich nicht mehr als 15–18 kg) und bei verzögertem fetalem Wachstum, spätestens in der 28. SSW.<sup>3</sup><br />Laborkontrollen empfehlen wir individueller, die 1. Kontrolle sollte möglichst gleich nach Kenntnis der Konzeption stattfinden, um die 7. SSW; eine weitere Kontrolle um die 15. SSW; dann weiter in der Regel alle 12 Wochen (in ebensolchen Abständen sollten Kontrollen während der Stillzeit durchgeführt werden).<br />Zudem sollten regelmässige Kontrollen des fetalen Grössenwachstums mittels Sonografie ab der 20./24. SSW alle 4 bis 6 Wochen erfolgen (häufiger als bei nicht bariatrisch versorgten Patientinnen).<br />Wichtig ist es, die Patientinnen über ihr höheres Risiko aufzuklären für:</p> <ul> <li>abdominale Hernien</li> <li>Gallen- und Nierensteine</li> <li>Darmblutungen</li> <li>innere Hernien</li> <li>Stoffwechselkomplikationen, Organprobleme.</li> </ul> <p>Diese sind häufiger zu drei Zeitpunkten:</p> <ul> <li>wenn der Uterus aus dem kleinen Becken herauswächst</li> <li>unter den Wehen</li> <li>bei der postpartalen Uterusrückbildung.</li> </ul> <h2>Fazit</h2> <p>Adipositas stellt eines der grössten Gesundheitsprobleme weltweit dar. Der Gynäkologe ist nicht selten der einzige ärztliche Ansprechpartner vieler Frauen auch zum Thema Gewichtsmanagement. Aus ärztlicher Sicht ist das Ziel der Adipositastherapie in erster Linie eine Reduktion der abdominellen Fettverteilung und erst dann des Körpergewichtes durch ein geändertes Ess- und Bewegungsverhalten in Verbindung mit weiteren förderlichen Lebensgewohnheiten, ergänzt durch gewichtsreduzierende medikamentöse, invasive (Magenballon/ EndoBarrier®) und/oder chirurgische Therapiemassnahmen zur Reduktion adipositasassoziierter Komorbiditäten und zur Verbesserung der Lebensqualität. In 80 % der Fälle reicht eine Gewichtsabnahme von 10 % des Ausgangsgewichts, um einen aus medizinischer Sicht adäquaten Effekt zu erreichen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Ovesen PG, Møller Jensen D: Maternal obesity and pregnancy. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag, 2012 <strong>2</strong> Ernst B et al.: Fertilität und Schwangerschaft nach bariatrischer Chirurgie zur Behandlung der hochgradigen Adipositas. Aktuel Ernahrungsmed 2010; 35: 220-6 <strong>3</strong> Institute of Medicine and National Research Council of the National Academies: Guidelines on weight gain and pregnancy. The National Academies Press: Washington, DC 2013 <strong>4</strong> Astrup A: Healthy lifestyles in Europe: prevention of obesity and type II diabetes by diet and physical activity. Public Health Nutr 2001; 4: 499-515 <strong>5</strong> Stern L et al.: The effects of low-carbohydrate versus conventional weight loss diets in severely obese adults: one-year follow-up of a randomized trial. Ann Intern Med 2004; 140: 778-85 <strong>6</strong> Larsen TM et al.: Diets with high or low protein content and glycemic index for weight-loss maintenance. N Engl J Med 2010; 363: 2102-13<strong> 7</strong> Layman DK et al.: A reduced ratio of dietary carbohydrate to protein improves body composition and blood lipid profiles during weight loss in adult women. J Nutr 2003; 133: 411-7 <strong>8</strong> Foster GD et al.: A randomized trial of a low-carbohydrate diet for obesity. N Engl J Med 2003; 348: 2082-90 <strong>9</strong> Rice B et al.: Effects of aerobic or resistance exercise and/or diet on glucose tolerance and plasma insulin levels in obese men. Diabetes Care 1999; 22: 684-91 <strong>10</strong> De Feo P et al.: Metabolic response to exercise. J Endocrinol Invest 2004; 26: 851-4 <strong>11</strong> Hubert HB et al.: Obesity as an independent risk factor for cardiovascular disease: a 26-year follow-up of participants in the Framingham Heart Study. Circulation 1983; 67: 968- 77 <strong>12</strong> Manson JE et al.: Body weight and mortality among women. N Engl J Med 1995; 333: 677-85 <strong>13</strong> WHO: Global Status Report on Noncommunicable Diseases 2014, WHO Press 2014 <strong>14</strong> Lean ME et al.: Waist circumference as a measure for indicating need for weight management. BMJ 1995; 311: 158-61 <strong>15</strong> Sharma AM, Kushner RF: A proposed clinical staging system for obesity. Int J Obes 2009; 33: 289-95 <strong>16</strong> The American College of Obstetricians and Gynecologists: ACOG practice bulletin no. 105: bariatric surgery and pregnancy. Obstetrics & Gynecology 2009; 113: 1405-13 <strong>17</strong> Aasheim ET et al.: Vitamin status in morbidly obese patients: a cross-sectional study. Am J Clin Nutr 2008; 87: 362-9 <strong>18</strong> Buchwald H et al.: Bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2004; 292: 1724-37 <strong>19</strong> Ernst B et al.: Evidence for the necessity to systematically assess micronutrient status prior to bariatric surgery. Obes Surg 2009; 19: 66-73 <strong>20</strong> Flancbaum L et al.: Preoperative nutritional status of patients undergoing Roux-en-Y gastric bypass for morbid obesity. J Gastrointest Surg 2006; 10: 1033-7 <strong>21</strong> Garcia OP et al.: Impact of micronutrient deficiencies on obesity. Nutr Rev 2009; 67: 559-72 <strong>22</strong> Madan AK et al.: Vitamin and trace mineral levels after laparoscopic gastric bypass. Obes Surg 2006; 16: 603-6 <strong>23</strong> Edwards JE: Pregnancy after bariatric surgery. AWHONN Lifelines 2005; 9: 388-93 <strong>24</strong> Beard JH et al.: Reproductive considerations and pregnancy after bariatric surgery: current evidence and recommendations. Obes Surg 2008; 18: 1023-7 <strong>25</strong> Schultes B: Bariatrische Chirurgie: Schwanger nach Magenoperation? Deutsche Hebammen Zeitschrift 2018; 70: 50-4</p>
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