Aktuelle Empfehlungen der Expertenbriefe
Bericht:
Dr. Lydia Unger-Hunt
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An der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) 2025 wurden wieder die neuesten Expertenbriefe und Leitlinien vorgestellt, in diesem Jahr unter anderem zu Hyperemesis, RSV-Infektionen sowie Beratung von Frauen mit Kinderwunsch und Adipositas. Die Expertenbriefe sollen dabei nicht nur als Referenz, sondern auch als unmittelbare Unterstützung im klinischen Alltag dienen.
Zu Beginn stellte Univ.-Prof. Dr. med. Daniel Surbek vom Inselspital Bern den Expertenbrief zu Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft (NVP) und Hyperemesis gravidarum (HG) vor.1
Hyperemesis und PUQE-Score
Die NVP betrifft die Mehrheit aller schwangeren Frauen (50–80%), in der Frühschwangerschaft sollte daher bei jeder Arztvisite NVP erfragt werden. Die HG ist mit 0,3–3% zwar vergleichsweise selten, wichtig ist hier aber die erhöhte mütterliche und fetale Komplikationsrate (Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie).
Der Begriff der «morgendlichen Übelkeit» ist übrigens irreführend, stellt Prof. Surbek klar: Der Verlauf ist biphasisch mit dem höchsten Peak in den Morgenstunden (5–10 Uhr) und einem weiteren Höhepunkt am späteren Nachmittag. Zur Quantifizierung des Schweregrads wurde ein Score mit dem treffenden Akronym «PUQE» entwickelt («pregnancy-unique quantification of emesis»), der die Dauer der Übelkeit sowie die Häufigkeit von Brechreiz beziehungsweise Erbrechen erhebt. «Eine ambulante Therapie wird bei einem PUQE-Score von 3–12 empfohlen, ab 13 ist eine stationäre Aufnahme zu erwägen.»
Der erste Punkt im Behandlungsalgorithmus des Expertenbriefs sind Empfehlungen zur Ernährung: Regelmässige und kleine Mahlzeiten sowie eher trockene Nahrungsmittel (Knäckebrot) sind zu bevorzugen, auf Eisenpräparate ist zu verzichten. Als komplementäre Therapien haben Ingwer und Akupunktur in Studien «einen gewissen Effekt» gezeigt; halten die Beschwerden allerdings trotzdem weiterhin an, sollte eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden: Diese besteht in erster Linie aus Antihistaminika (Doxylamin, Meclozin), die üblicherweise mit Pyridoxin (Vitamin B6) kombiniert werden, in der nächsten Stufe kommt dann der Dopaminantagonist Metoclopramid zum Einsatz.
Als intravenöse Therapie ist der Serotonin(5HT3)-Rezeptor-Antagonist Ondansetron verfügbar. «Hier wird gelegentlich ein möglicher Zusammenhang mit der Entwicklung von Lippen-Gaumen-Spalten erwähnt, die Korrelation ist allerdings sehr schwach ausgeprägt und interessanterweise nur bei oraler Behandlung sowie bei sehr früher Verabreichung (vor der zehnten Woche) zu beobachten», berichtet Prof. Surbek. Als Ultima Ratio kann bei HG auch eine parenterale Ernährung erforderlich sein.
Grundsätzlich sollte sich die Behandlung auf die Reduktion der Symptomatik und die Vorbeugung schwerer Komplikationen fokussieren sowie fetale Auswirkungen der pharmakologischen Behandlung möglichst gering halten. Die laut Daniel Surbek wichtigste Empfehlung bei der Behandlung der HG ist übrigens das Timing: «Laut einer Vielzahl von Studien endet ein verzögerter Beginn der medikamentösen Therapie sehr häufig mit stationärer Aufnahme und intravenöser Therapie, bei entsprechenden Beschwerden sollte man also nicht zu lange abwarten.»
Menopausale Hormontherapie: optimales Zeitfenster
Der Expertenbrief zur systemischen menopausalen Hormontherapie (MHT) bestätigt sie als Therapie der ersten Wahl beim klimakterischen Syndrom (sofern keine Kontraindikationen vorliegen), wobei für jede MHT eine Indikation erforderlich ist.2 Die wichtigsten Indikationen sind neben dem klimakterischen Syndrom bei Frauen mit Menopause oder früher Menopause/prämaturer Ovarialinsuffizienz auch die Osteoporoseprophylaxe bei Frauen mit erhöhtem Frakturrisiko. Eine systemische Östrogenmonotherapie eignet sich nur für Frauen nach Hysterektomie.
Die Patientin ist ausführlich über die Auswirkungen eines Östrogenmangels sowie Nutzen und Risiken der MHT aufzuklären. Unverändert bleibt die Empfehlung, Östrogen je nach Behandlungsziel immer in der jeweilig niedrigstmöglichen Dosis auszuwählen und erst bei Bedarf zu erhöhen.
«Auch hier ist das Timing ein wichtiger Faktor», erklärt Surbek: Insgesamt ist das Sicherheitsprofil der MHT dann am günstigsten (und der Nutzen am höchsten), wenn es bei gesunden Frauen im Alter <60 Jahren eingeleitet wird oder innerhalb von zehn Jahren nach Beginn der Menopause. Im Gegensatz dazu erfordert der Beginn einer MHT bei Frauen >60 Jahre die «sorgfältige Abwägung von Vorteilen und Risiken».
Die absoluten Risiken der MHT sind mit 10/10000/Jahr «insgesamt selten» und beinhalten bei oraler Gabe venöse Thromboembolien, bei transdermaler Verabreichung Gallenblasenerkrankungen. Bei peroraler Östrogen-Progestagen-MHT besteht ein gering erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Brustkrebs. «Dieses Risiko ist vergleichbar mit dem von zwei alkoholischen Getränken pro Tag, Adipositas oder geringer körperlicher Aktivität», zieht Prof. Surbek Vergleiche.
Da dieses Thema in der Praxis von Frauen häufig angesprochen wird – etwa bei familiärer Vorbelastung – enthält der Expertenbrief alle aktualisierten Informationen zu verschiedenen Krebsarten einschliesslich Brustkrebs.
RSV in der Schwangerschaft und postpartal: starkes Argument für Impfung
Der Expertenbrief zur Prävention von Infektionen durch das respiratorische Synzytial-Virus (RSV) in der Schwangerschaft und postpartal gilt ebenfalls als ein sehr wichtiges Thema: «RSV-Infektionen sind bei Säuglingen die wichtigste Morbiditäts- und Mortalitätsursache, aber auch bei Kleinkindern mit einer hohen Hospitalisierungsrate verbunden», erinnert der Experte.3 Schwangere sind aufzuklären über die neu verfügbaren möglichen Präventionsstrategien:
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Die RSV-Impfung der Mutter (Abrysvo®) während der 32. und 36. SSW ist empfohlen, wenn der erwartete Geburtstermin zwischen Beginn Oktober und Ende März liegt (also innerhalb der RSV-Saison). Cave: Entwicklung und Übertragung der mütterlichen Antikörper dauern mindestens 14 Tage ab Impfung. Säuglinge, die weniger als 14 Tage nach der Impfung geboren werden, sind also nicht geschützt.
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Bei einer voraussichtlichen Geburt zwischen Oktober und März wird die postpartale Immunisierung des Neugeborenen empfohlen (monoklonaler Antikörper Nirsevimab, Beyfortus®), idealerweise in der Wochenbettstation vor der Entlassung.
Diese beiden Optionen hätten bereits eine massive Auswirkung auf die Zahl der RSV-Infektionen bei Kleinkindern auf der Intensivstation gehabt, «wir haben also ein sehr starkes Argument für die Impfung beziehungsweise Immunisierung», berichtet Prof. Surbek.
Neu mit Stand Juni 2025 ist, dass bei einem Geburtstermin zwischen Oktober und März neben den Kosten der Immunisierung auch die Kosten der Impfung in der Schwangerschaft franchisebefreit von den Kassen übernommen werden (das gilt ab 1. Januar 2026 für alle im Impfplan empfohlenen Impfungen). Beide Ansätze – Impfung und Immunisierung – werden gleichermassen empfohlen. Bei Folgeschwangerschaft nach vorangehender Schwangerschaft mit Impfung wird aktuell allerdings keine erneute Impfung empfohlen, sondern die Immunisierung des Neugeborenen.
Beratung bei Schwangerschaftswunsch: Sonderkapitel Adipositas
Der Expertenbrief zur Präkonzeptionsberatung beschreibt Ansätze, um die besten Voraussetzungen für eine Schwangerschaft zu ermöglichen.4
Logistisch ist die Präkonzeptionsberatung als mehrstufiger Prozess zu planen und nicht als einzelner zweistündiger Beratungstermin; sie sollte idealerweise im Rahmen der regelmässigen gynäkologischen Vorsorge stattfinden und je nach Bedarf erweitert werden.
Kernpunkte des Gesprächs sind die Evaluierung des allgemeinen Gesundheitsstatus und damit verbundener Risiken für Fertilität und Schwangerschaft. Nota bene: «Es gibt per se kein ideales Alter für eine Schwangerschaft, allerdings steigt ab einem Alter von 30 Jahren allgemein das Risiko für unerfüllten Kinderwunsch.» So ist etwa die Schwangerschaftsrate zwischen 19 und 26 Jahren doppelt so hoch wie zwischen 35 und 39 Jahren, und auch Probleme wie Abortrisiko und Aneupoloidie nehmen mit dem Alter zu.
Zu besprechen ist zunächst die eventuelle Verbesserung von Lebensstilfaktoren:
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Ernährung: Identifizierung etwaiger Mangelzustände + gezielte Supplementierung:
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bei vegetarischer/veganer Ernährung: Vitamin B12 überprüfen, zudem Eisen, Folsäure, Kalzium, Jod, Zink;
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Vitamin-D-Mangel ist häufig, ≥800 IU sind vor einer gewünschten Konzeption wahrscheinlich sinnvoll.
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Ausschluss von Eisenmangel/Anämie
Die Adipositas wird gesondert abgehandelt, bekannt ist hier ein erhöhtes Risiko für Infertilität, Aborte und ungünstige Schwangerschaftsoutcomes, aber auch für ein Versagen der Kontrazeption und damit für ungeplante Schwangerschaften.
Bei aktiver Familienplanung ist auf die Vorteile schon einer geringen Gewichtsabnahme vor einer Schwangerschaft hinzuweisen. Bei sehr hohem Body-Mass-Index (BMI) können bariatrische Chirurgie und GLP-1-Rezeptor-Agonisten erwogen werden, aber cave: «GLP-1-RA sind in der Schwangerschaft kontraindiziert, sollten also zusammen mit der Verhütung abgesetzt werden.» Und: Bei adipösen Frauen mit einem BMI >35 wird eine höhere tägliche Dosis Folsäure als üblich empfohlen (4–5mg statt 400mcg).
Neu ab 2026: Expertenbriefe live online besprechen
Um die Inhalte künftig noch besser diskutieren zu können, werden ab 2026 ergänzend einstündige Online-Live-Seminare mit Fortbildungspunkten eingeführt. Interessierte Kolleginnen und Kollegen können sich einloggen, die Inhalte mit den Autorinnen und Autoren besprechen und direkt Fragen stellen.
Quelle:
Jahreskongress der SGGG, 26.–28. Juni 2025, Basel
Literatur:
1 Martinez de Tejeda B et al.: Expertenbrief Nr. 88: Nausea und Erbrechen in der Schwangerschaft und Hyperemesis gravidarum 2 Stute P et al.: Expertenbrief Nr. 90: Aktuelle Empfehlungen zur systemischen Menopausalen Hormontherapie (MHT) 3 Baud D et al.: Expertenbrief Nr. 91: Prävention von Infektionen durch das respiratorische Synzytial-Virus in der Schwangerschaft und postpartal 4 Krischer B et al.: Expertenbrief Nr. 92: Präkonzeptionsberatung – “Preconception Care”
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