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Wie in einer Allgemeinpraxis kalkuliert werden muss
DAM
Autor:
Dr.in Martina Hasenhündl
Leiterin der Fortbildungsakademie der NÖ Ärztekammer<br> E-Mail: martina.hasenhuendl@arztnoe.at
30
Min. Lesezeit
22.03.2018
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<p class="article-intro">Die Diskussion um die mangelnde Nachbesetzbarkeit von Kassenstellen, vor allem im Bereich Allgemeinmedizin, ist in Politik und Medien derzeit dauernd präsent. Kassenstellen für Allgemeinmedizin sind tatsächlich immer schwieriger zu besetzen, wobei die „mangelnde Attraktivität“ natürlich die Begründung ist. Viele setzen diesen Begriff jedoch als Synonym für „mangelndes Einkommen“. Die Feststellung, dass zu wenig bezahlt wird, mag zwar richtig sein, aber die Probleme sind mit Sicherheit vielschichtiger.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Vor einigen Wochen wurde zum wiederholten Mal von einem Vertreter der Gebietskrankenkasse eines Bundeslandes verlautbart, dass man es nicht verstehen würde, wenn das Einkommen von Allgemeinmedizinern als zu gering kritisiert werde. Mit einem Durchschnittseinkommen von mehr als 250 000 Euro stünden die Allgemeinmediziner sehr gut da. Gemeint ist natürlich der Umsatz. Was davon übrig bleibt und wie viele Patienten dafür betreut werden müssen, werde ich im Folgenden vorrechnen.<br /> Mit 250 000 Euro Jahresumsatz gehört man beispielsweise in Niederösterreich zum guten Durchschnitt, versorgt dabei ein Gebiet mit etwa 2000 Einwohnern. Man hat unter Berücksichtigung der kleinen Kassen dabei etwa 1200 sogenannte „Scheine“ und meistert in seiner Ordination mehr als 15 000 Patientenkontakte pro Jahr. So kann mit rund 16 Euro Umsatz pro Patientenkontakt kalkuliert werden. Wohlgemerkt „Umsatz“, was nichts mit Einkommen oder gar Nettoeinkommen zu tun hat.</p> <h2>Rechenübung</h2> <p>Gehen wir von einer 45-Stunden- Woche (davon 12 Stunden pro Woche nur für Verwaltung) bei fünf Wochen Urlaub und weiteren fünf Wochen Fehlzeiten durch Fortbildung, Feiertage und Krankenstand aus, dann muss dieser Umsatz in knapp 1400 ärztlichen Arbeitsstunden pro Jahr verdient werden. Das sind 180 Euro pro Stunde im Schnitt, wobei die Ordinationsstunden sicherlich etwas höher zu Buche schlagen als die Nachmittagsstunden der Visite oder inaktive Stunden im Bereitschaftsdienst.<br /> Wenn wir 180 Euro pro Stunde durch 16 Euro Umsatz pro Patient teilen, ergibt sich die Zahl von etwa 12 Patienten pro Stunde. Womit wir bei der 5-Minuten- Medizin angekommen wären, die berechtigterweise von vielen Menschen kritisiert wird. Und somit sind wir an einem der Kernprobleme in unserem System angelangt, auch im Hinblick auf die neue Primärversorgung, die ja von so vielen Funktionären hochgelobt wird: Wer als Allgemeinmediziner 2000 Menschen versorgt, der kann bei einer gerade noch erträglichen ärztlichen Arbeitszeit nicht mehr als durchschnittlich fünf Minuten pro Patientenkontakt einsetzen.<br /> Und das wäre auch so, wenn besser oder anders bezahlt würde. Die Kapazität eines Allgemeinmediziners mit einem Versorgungsauftrag im Ausmaß dessen, was die Stellenpläne der Kassen hergeben, kann eine volle allgemeinmedizinische Betreuung niemals abbilden. Für eine Primärversorgung mit Vernunft wären daher mindestens doppelt so viele Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag notwendig, als wir derzeit haben. Eine bloße Umschichtung von Kassenstellen oder Gruppenpraxen auf Primärversorgungseinheiten wird keinerlei Erhöhung der Gesamtkapazität mit sich bringen können.<br /> Mit 180 Euro Umsatz pro Stunde kann ein Allgemeinmediziner also durchschnittlich 250 000 Euro pro Jahr erwirtschaften. Doch was bleibt davon netto im Börserl übrig? Und vor allem: Ist das errechenbare Einkommen unter Berücksichtigung der eingesetzten Arbeitszeit, der Verantwortung und vor allem des wirtschaftlichen Risikos im Zuge des freien Unternehmertums als fair, gut, angemessen oder ausreichend zu betrachten? Mehr dazu in der kommenden Ausgabe.</p></p>
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