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Landarztpraxis: Enteignung als Dauergefahr
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
12.07.2018
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<p class="article-intro">Altlengbach, Schwadorf und St. Veit/Gölsen: Zwangsschließungen von Hausapotheken sind eine Bankrotterklärung der Ärztevertretung.</p>
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<p class="article-content"><p>Seit Jahrzehnten werden Landärzte mit Hausapotheke schlechtgeredet – von Nachbarkollegen im Stadtbereich, von Funktionären der Apothekerkammer, von Patientenanwälten oder von Lokalpolitikern mit Apothekenwunsch. Das Image des Hausapothekers sinkt gegen null. Plötzlich wendet sich das Blatt. Seit Monaten schreiben sich Journalisten die Finger wund, um die Leserschaft über Details des Landeärztemangels zu informieren. Kleinlaut muss jeder Redakteur bei den Recherchen erkennen, dass frei werdende Kassenstellen mit Hausapotheke weggehen wie die warmen Semmeln. Das klingt bei Jakob Winter im „Profil“ vom 23. April etwa so: „Stellen mit Hausapotheke sind leichter zu vermitteln, sie werfen mehr Ertrag ab.“ Über Nacht bekommen die Einnahmen aus der ärztlichen Apotheke eine positive Bedeutung. Oft können nur diese Gelder die Wirtschaftlichkeit einer Landpraxis gewährleisten. So las man im „Profil“: „So manche Landordination ist allerdings ohne angegliederte Hausapotheke nicht rentabel – diese macht knapp die Hälfte des Umsatzes eines Hausarztes aus.“</p> <h2>Primärversorgungszentren mit Schattenseiten</h2> <p>Im „Profil“-Beitrag kommt dann Patientenanwalt Hofrat Bachinger zu Wort. Wie nicht anders zu erwarten, setzt er seine Hoffnungen auf einen Höhenflug der Primärversorgungseinheiten. Zur Erinnerung: Per 15a-Vereinbarung werden 200 Mio. Euro dafür eingesetzt, um frei werdende Hausarztstellen in 75 Primärversorgungszentren umzuwandeln. Was Bachinger nicht erwähnt, muss an dieser Stelle gesagt werden. Das Betreiben von Hausapotheken ist für die neuen Versorgungseinheiten nur in einer Grauzone möglich. Eine entsprechende Judikatur liegt nicht vor. Die Konzession für eine ärztliche Apotheke ist eine höchstpersönliche, also an eine Person gebunden. Daher werden Primärversorgungszentren wohl keine Bewilligung zur direkten Medikamentenabgabe bekommen. Einzelne Hausapothekenstandorte drohen damit von der Landkarte zu verschwinden. So bleibt für mich persönlich die Hoffnung, dass die geplanten Einheiten im ländlichen Raum zum „Rohrkrepierer“ verkommen.</p> <h2>Mit dem Baby in die Apotheke</h2> <p>Zur Auflockerung darf auch Humorvolles Platz haben. Dabei denke ich an bezahlte Anzeigen der Apothekerkammer, welche oft für Heiterkeit sorgen. Kaum spricht die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) den heimischen Hausärzten aufgrund angeblich zu kurzer Ausbildung die Fähigkeit ab, Säuglinge und Kleinkinder kompetent zu versorgen, melden sich die Apotheker in dieser Angelegenheit zu Wort. In einem Zeitungsinserat erheben sie den Anspruch, erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen zu sein: „Für das Baby, die Mutter, die ganze Familie. 365 Tage im Jahr rund um die Uhr!“ Mit fetter Überschrift wird der Inhalt des Textes zusammengefasst: „Alles rund um die Gesundheit Ihres Babys.“ Motto der Ausführungen: Bringen Sie auch Ihr Kleinstes mit in die Apotheke! Dort werde geholfen, so die Versprechungen, wenn Blähungen quälen oder die ersten Zähne kommen. Mit dem letzten Satz der bezahlten Anzeige wird auch gleich das Ziel dieser Apothekerkonsultationen festgelegt: „Damit aus dem kleinen, verletzlichen Lebewesen ein gesunder, starker Erwachsener wird.“</p> <h2>Zwangsschließung kann jede Hausapotheke treffen</h2> <p>Sollte so ein ehemals verletzliches Wesen nach 30 Jahren Landarzt mit Hausapotheke sein, ist die in Aussicht gestellte Stärke von großem Nutzen. Primär Nervenstärke ist gefragt. Niederlassungswillige Pharmazeuten sind ein Damoklesschwert über jeder ärztlichen Apotheke. Fälle wie Schwadorf beweisen, dass Ärzten auch mitten im Berufsleben das Dispensierrecht entzogen werden kann. Möglichkeit Nummer 1: Befindet sich ein zweiter Mediziner mit Hausapotheke im Ort, wird das Zittern vor Zwangsschließung zum Dauerzustand. Diese sogenannten Zwei-Arzt-Gemeinden sind vor Etablierung einer öffentlichen Apotheke nicht geschützt. Im Gegenteil! Sie sind Hauptziel für Neueröffnungen. Sobald dort die Verkaufsportale öffnen, müssen die Mediziner im Ort, nach kurzer Schonzeit, ihre Direktabgabe von Medikamenten einstellen. Möglichkeit Nummer 2: Auch Landärzte in sogenannten Ein-Arzt-Gemeinden sind nicht hundertprozentig vor Zwangsschließungen sicher, wie es das aktuelle Beispiel von Schwadorf beweist. Hier wurde 1999 um die Apothekenkonzession angesucht. Aufgrund der Verfahrensdauer von 13 Jahren kommt in diesem Fall die alte Rechtslage mit dem 4-km-Mindestabstand zu tragen. Auch Gemeindefusionen können dem Hausapotheker einen Schrecken einjagen, denn das derzeit bestehende Gesetz ist nicht in Stein gemeißelt. Verblendete Gesundheitsreformer und eine zielgerichtete Apothekerschaft lassen keine Gelegenheit aus, um nach Abänderungen in ihrem Sinne zu rufen. So müssen Jungärzte vor der Niederlassung klipp und klar darüber aufgeklärt werden, dass es für keine einzige Hausapotheke im Land eine Bestandsgarantie bis zum Pensionsantritt gibt.</p> <h2>Strategiewechsel: Warnung vor Stellenübernahme</h2> <p>Die aktuelle Diskussion über vakante Hausarztstellen beweist: Das Verlangen nach einem Mediziner vor Ort ist groß. Landärztemangel geht den Leuten unter die Haut. Demgegenüber ist der Ruf der Bevölkerung nach neuen zusätzlichen Apotheken eher ein verhaltener. Tatsache: Die verzweifelten Hilferufe der von Enteignung betroffenen Hausapotheker gehen neben den millionenschweren Werbekampagnen der Apotheker unter. Aufgrund meines Detailwissens beschränke ich mich bei Fallbeschreibungen und Aktivitäten auf das Bundesland Niederösterreich. Wie bereits ausgeführt, musste Dr. Claudia Ertl in Schwadorf Anfang April des laufenden Jahres, nach knapp zwei Jahrzehnten Tätigkeit in der Kassenpraxis, die direkte Medikamentenausgabe beenden. Mit Ende des Jahres ist Dr. Günther Malli in Altlengbach von der Schließung betroffen. Auch in St. Veit/ Gölsen liegt bereits eine Apothekenbewilligung vor. Für die Hauspotheken im Ort besteht noch eine „Galgenfrist“ bis Mai 2020. Beide Ärzte, Dr. Martin Feistritzer und Dr. Alfred Stalzer, kündigen an, ihre Praxen bei Verlust der Hausapotheken zu schließen. Was die Aufklärung der Bevölkerung betrifft, finden in Niederösterreich seit 10 Jahren Podiumsdiskussionen statt. Von Zwangsschließungen betroffene Bürger hatten auf insgesamt sieben Großveranstaltungen Gelegenheit, gegen das Hausapothekensterben Stellung zu beziehen. Chronologie: am 6. März 2008 in Wilfersdorf, am 11. Oktober gleichen Jahres im Stift Göttweig, am 4. November 2009 in Paudorf bei Krems, am 13. Oktober 2010 in Rabenstein/Pielach, am 4. Oktober 2011 in Raabs/Thaya, am 8. Jänner 2015 in Altlengbach und am 3. April 2018 in Schwadorf. Ergebnis: Hilflosigkeit in Reinkultur!<br /> Ein radikaler Strategiewechsel ist angesagt. Der Landärztemangel bietet die einmalige Chance, dem Abwehren von ärztlichen Apotheken ein Ende zu bereiten. Schluss mit dem unwürdigen Betteln um Gnade. Eine einzige Presseveranstaltung der Österreichischen Ärztekammer würde genügen, um die Themenführerschaft an sich zu reißen. Die Botschaft muss lauten: Finger weg von Landarztpraxen, solange den Hausapotheken die „Exekution“ droht! Das damit verbundene wirtschaftliche Risiko ist für Jungärzte nicht kalkulierbar. Auch den Absolventen der Medizin-Unis ist bei derzeit geltender Rechtslage dezidiert vom Eröffnen einer Landarztpraxis abzuraten. Schon höre ich im Hintergrund: „Unmöglich, in laufende Verfahren von Apothekenbewilligungen kann nicht eingegriffen werden!“ Wer 21 Sozialversicherungsträger auf fünf zusammenstutzt, findet auch einen Weg, die besagten Zwangsschließungen im Apothekengesetz zu streichen. Sobald dies vollzogen ist, engagiert sich die Ärztekammer wieder bei der Nachbesetzung von frei werdenden Stellen.</p></p>
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