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Kassenbindung dauerhafter als Ehebund

<p class="article-intro">Kassenärzte trennen sich von Ehefrauen, nicht aber vom Vertragspartner. Ihm bleiben sie trotz aller Erniedrigungen treu. Nur wenige wechseln in die Wahlarztpraxis. Die Überschuldung einiger Ärzte macht die Kündigung des Gesamtvertrages unmöglich. Das nützen unsere Gegner weidlich aus.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Wortmeldungen bei diversen Veranstaltungen vor den Kammerwahlen haben deutlich gezeigt, dass die Unzufriedenheit unter den Vertrags&auml;rzten f&uuml;r Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde am gr&ouml;&szlig;ten ist. Wie schon in diesem Medium mehrfach thematisiert, greifen manche Kollegen mutig zur Selbsthilfe und entledigen sich der &bdquo;Zwangsjacke Kassenvertrag&ldquo;. Die Zeitspanne zwischen Einstieg ins Kassenwesen und der pers&ouml;nlichen K&uuml;ndigung des Vertrages ist dabei von unterschiedlicher L&auml;nge. Allgemeinmediziner Dr. Peter-Kurt &Ouml;sterreicher zum Beispiel, jetzt erfolgreicher Wahlarzt in Traiskirchen, war lediglich drei Jahre lang Kassenvertragsarzt. Die M&ouml;dlinger Kinder&auml;rztin Dr. Ursula Vallazza hat der Nieder&ouml;sterreichischen Gebietskrankenkasse (N&Ouml;GKK) 15 Jahre lang die Treue gehalten. Mit 1. Juli wird sie diesen Vertrag absch&uuml;tteln und l&auml;sst schon jetzt &uuml;ber eine Landeszeitung wissen, dass sie sich au&szlig;erstande sieht, weiterhin bis zu 100 Patienten t&auml;glich durchzuschleusen. F&uuml;r Gespr&auml;che, so ihre Aussage, bleibe keine Zeit. Stattdessen qu&auml;le die N&Ouml;GKK sie mit &Uuml;berpr&uuml;fungen, weil ihre Werte nicht durchschnittlich genug seien. Nach einer Vertragspartnerbindung von 15 Jahren oder l&auml;nger kommt f&uuml;r viele der Wendepunkt. Den restriktiven Vorgaben der Kasse kann nicht mehr Folge geleistet werden. Das gilt etwa auch f&uuml;r die Wolkersdorfer Allgemeinmedizinerin Dr. Gertrude Bartke-Glatz. Die Steigerung der administrativen T&auml;tigkeit und die versch&auml;rfte Verpflichtung zur Dokumentation hatten ihren Arbeitsaufwand in gesundheitsgef&auml;hrdende H&ouml;hen schnellen lassen. So entledigte sie sich bereits im Herbst 2015 des Vertrages mit der N&Ouml;GKK und behielt nur die sogenannten kleinen Kassen. Dieser Schritt erm&ouml;glichte ihr die R&uuml;ckkehr zu einer gesunden Lebensf&uuml;hrung. Diese Beispiele &auml;ndern nichts an der Tatsache, dass die gro&szlig;e Mehrheit der Kassen&auml;rzte um die 30 Jahre lang im Vertrag bleibt. Ich kann auch von einem Landarzt berichten, der 41 Jahre lang an die N&Ouml;GKK gebunden war.</p> <h2>Drei Durchschnittsehen entsprechen einem Kassenleben</h2> <p>Die mittlere Dauer der im Vorjahr geschiedenen Ehen betrug knapp elf Jahre. Ob die heimischen Kassen&auml;rzte aus der Scheidungsstatistik ausscheren, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich kann nur auf Erfahrungswerte aus &Auml;rztesitzungen und aus dem Bekanntenkreis zur&uuml;ckgreifen. Manche Kollegen wechseln schon einige Jahre nach Praxiseinstieg ihre Partnerin aus. Nicht selten heiraten sie dann in zweiter Ehe eine ehemalige Patientin oder eine ihrer Ordinationshilfen. Die Kasse hingegen ist ein Langzeitpartner. &ndash; &bdquo;Drum pr&uuml;fe, wer sich ewig bindet&ldquo; (nach Friedrich Schiller). F&uuml;r Jung&auml;rzte &uuml;berspitzt formuliert: Ein Kassenleben dauert so lang wie drei durchschnittliche Ehen. Im Laufe von drei Jahrzehnten sind auch finanzielle Talfahrten m&ouml;glich, seien sie unverschuldet oder durch privates Fehlverhalten verursacht. In diesen F&auml;llen findet eine fast zwangsweise Bindung an den Vertragspartner Krankenkasse statt. Die fixen Honorar&uuml;berweisungen der Sozialversicherung dienen als Notanker und verhindern das Abrutschen in die Zahlungsunf&auml;higkeit: Kredite k&ouml;nnen gerade noch bedient und Angestellte entlohnt werden. Umso wichtiger ist es f&uuml;r die betriebswirtschaftlich unerfahrenen Jung&auml;rzte, den Praxisstart mit m&ouml;glichst geringen Schulden &uuml;ber die B&uuml;hne gehen zu lassen.</p> <h2>Schuldner sind unfrei</h2> <p>Auf &Auml;rzteversammlungen stimmen auch die von &uuml;berdimensionalen Kreditr&uuml;ckzahlungen betroffenen Mediziner in den Chor der Kassenkritiker ein. Sie klagen &uuml;ber die explodierende B&uuml;rokratie und die zunehmende Fremdbestimmung. Gleitet die Diskussion jedoch in Richtung Notwendigkeit einer landesweiten Vertragsk&uuml;ndigung, verstummen diese Kollegen. Bittere Wahrheit: &Uuml;berschuldung nimmt die Mehrheit der Vertrags&auml;rzte in Geiselhaft. Selbst der kurzzeitige Ausfall von Kassengeldern, wie in einem vertragsfreien Zeitraum, stellt f&uuml;r sie ein Horrorszenario dar. Auch Fehltritte des Vertragspartners, wie &uuml;bergenaue Patientenbefragungen oder Zurechtweisungen durch den chef&auml;rztlichen Dienst, k&ouml;nnen an dieser festen Bindung nicht r&uuml;tteln. &Auml;rzte, die dahinterkommen, dass sie im Auftrag des Ehepartners von einem Detektiv beschattet werden, wenden sich umgehend an den Scheidungsanwalt. Ist es aber die Kasse, die in &auml;hnlicher Weise agiert, wird dieses Fehlverhalten geduldet. So wird Mystery Shopping z&auml;hneknirschend von der Standesvertretung hingenommen &ndash; genauso wie die von Vertrags&auml;rzten durchzuf&uuml;hrenden Ausweiskontrollen bei Fremdpatienten.</p> <h2>&Ouml;sterreichweite K&uuml;ndigung der GKK -Vertr&auml;ge unrealistisch</h2> <p>Am Gesamtvertrag wird nicht ger&uuml;ttelt, was immer auch kommen mag: ELGAZwang ohne ad&auml;quate Abgeltung, ein medizinisch l&auml;ngst &uuml;berholter Leistungskatalog, Verherrlichung und Subventionierung von Prim&auml;rversorgungszentren, um nur einige Tiefschl&auml;ge zu erw&auml;hnen. Frei erfundene Zuspitzung: Sollten uns die Kassen zuk&uuml;nftig zwingen, neben den Chipkarten-&Uuml;berpr&uuml;fungen auch Taschenkontrollen hinsichtlich Medikamentenrestbest&auml;nden bei unseren Patienten durchzuf&uuml;hren, w&auml;re das kein Grund, die Vertr&auml;ge mit den Gebietskrankenkassen &ouml;sterreichweit zu k&uuml;ndigen. Die Leidensf&auml;higkeit der Vertrags&auml;rzteschaft macht das Gegen&uuml;ber so m&auml;chtig. Wir sind der Willk&uuml;r des Gesetzgebers und der Sozialversicherer hilflos ausgeliefert. Um es ganz deutlich auszusprechen: Eine &ouml;sterreichweite K&uuml;ndigung der GKK-Vertr&auml;ge durch die Standesvertretung ist und bleibt reine Theorie. Die &Ouml;sterreichische &Auml;rztekammer (&Ouml;&Auml;K) ist dazu nicht berechtigt. Die neun L&auml;nderkammern m&uuml;ssten &ndash; in einer exakt abgestimmten Aktion &ndash; den Vertrag mit der jeweiligen GKK k&uuml;ndigen: ein Ding der Unm&ouml;glichkeit. Der Aktionstag als Reaktion auf die &sect;15a- Vereinbarung vergangenen Dezember hat die Hilflosigkeit unserer Standesvertretung medienwirksam dokumentiert. Von Wien bis Vorarlberg wurden jeweils eigene Suppen gekocht. Die besagte Vereinbarung ging daher komplikationslos durchs Parlament. Den Funktion&auml;ren der GKK Ober&ouml;sterreich und Steiermark haben die K&uuml;ndigungsdrohungen der Vertr&auml;ge mit &bdquo;ihren&ldquo; L&auml;nderkammern nur ein m&uuml;des L&auml;cheln gekostet. Kassenfunktion&auml;re zittern nur vor m&ouml;glicher Fusion ihrer Anstalten, Aktionen der &Auml;rztekammer jedoch stehen sie angstfrei gegen&uuml;ber.</p> <h2>N&Ouml;: &bdquo;Vertragsloser&ldquo; w&uuml;rde 130 Kollegen in den Konkurs treiben</h2> <p>War bisher die Unm&ouml;glichkeit eines &bdquo;Vertragslosen&ldquo; nur hinter vorgehaltener Hand best&auml;tigt worden, &auml;nderte sich das mit dem Wahlkampf 2017 der nieder&ouml;sterreichischen Standesvertretung. Vor laufender ORFKamera erkl&auml;rten Spitzenfunktion&auml;re in den R&auml;umlichkeiten der nieder&ouml;sterreichischen Landeskammer unisono, eine Vertragsk&uuml;ndigung stehe nicht zur Diskussion. Man k&ouml;nne, so die Aussage des 1. Kurienobmann- Stellvertreters Dr. Max Wudy, nicht verantworten, dass bei K&uuml;ndigung des Gesamtvertrages allein in Nieder&ouml;sterreich 130 Kollegen in den Konkurs schlittern. Eine Vertragsaufl&ouml;sung w&auml;re unm&ouml;glich und ein Streik ginge sowohl auf die Kosten der Kammermitglieder als auch auf die der Patienten. So schlie&szlig;t sich der Kreis. Die Standesvertretung kann keine Verbesserungen erzwingen. Selbsthilfe ist angesagt. Kein einziger &bdquo;Kassenaussteiger&ldquo;, den ich befragt habe, bereut seinen Schritt in die Freiheit.</p></p>
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