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Getty Images/iStockphoto
Kammerfunktion als Beschäftigungstherapie
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
13.07.2017
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<p class="article-intro">Unsere Standesvertretung ist Meister im Zähmen kritischer Kollegen. Diese werden mittels Einbindung in Kammerreferate oder Projektgruppen ruhiggestellt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Kassenmedizin-Neueinsteiger lässt das Raunzen älterer Vertragsärzte über die alles beherrschende Gesundheitsbürokratie meist kalt. Vergleiche mit der in Kafkas Romanwelt „Das Schloss“ dargestellten Superbürokratie halten Jungärzte für maßlos übertrieben. Diese Kollegen, zwischen 1980 und 1990 geboren, der „Generation YouTube“ angehörend, stehen mit der Computerwelt auf Du und Du. Sie glauben an eine perfekt funktionierende Praxis-EDV, welche ihnen alle Probleme abnimmt. Ein Blick nach Niederösterreich soll zum Schmunzeln an­regen.<br /> Was den Umfang abgedruckter Leserbriefe betrifft, schafft die Ausgabe des „NÖ Consilium“ vom März 2017, des Organs der Ärztekammer für Niederösterreich, einen Rekord. Kein Wunder, es herrscht Kammerwahlkampf. Von Seite 36 bis 45 prallen die Meinungen der Kammermitglieder aufeinander. Dr. Bernhard Harb, seit Juli 2016 Kassen-Allgemeinmediziner in Herzogenburg, ist einer der Leserbriefschreiber. Mit seinem umfangreichen Text geht der Kassenpraxis-Einsteiger auf eine Veröffentlichung des NÖ Kurienobmann-Stellvertreters Dr. Max Wudy ein. Unter dem Titel „Der Kunde ist Knecht, nicht König!“ hatte besagter Kammerfunktionär in der zuletzt erschienenen Ausgabe ausführlich über zunehmende Probleme mit der Praxis-EDV referiert. Unter anderem thematisierte er das Passwort-Kuddelmuddel beim Programmeinstieg in seine insgesamt sieben Rechner. Die ellenlange Harb-Reaktion auf Wudys Ausführungen bietet zwei Highlights: Einleitung und Abschluss. So bin ich sicher nicht der einzige Consilium-Leser gewesen, der Anfang und Ende des Schreibens mehrmals laut wiederholt und dabei vor Lachen Tränen vergossen hat: „Sehr geehrter Herr Kollege Wudy! Vorerst möchte ich meine Hochachtung aussprechen, dass Sie versuchen, am Puls der Zeit zu bleiben und sich auch noch kurz vor der Pension mit PCs und Technik beschäftigen.“ Eine Wertschätzung der besonderen Art gegenüber einer in die Jahre gekommenen Kollegenschaft.</p> <h2>Kassen-Allgemeinmediziner mit prägendem Vorleben</h2> <p>Mein erster Gedanke: Neuling Harb gibt sich womöglich der Vorstellung hin, 58-jährige Kollegen – Wudy gehört zu dieser Altersgruppe – zeigen nur mehr Interesse für Testwochen in Seniorenheimen und für Alzheimer-Vorsorgeprogramme. Harbs Fachsimpelei lässt sofort erkennen: Hier dringt ein Branchenfremder in die Allgemeinmedizin ein. Einer, der noch fest daran glaubt, die gefühlt hunderttausend Vorgaben der Krankenkasse mittels ausgefeilter EDV-Lösungen gesundheitlich unbeschadet überstehen zu können. Das „Outing“ des Leserbriefschreibers folgt umgehend. Er habe den Vorteil, die Medizin als zweiten Bildungsweg gewählt zu haben, im Vorleben habe er sich der Softwareentwicklung und der Netzwerktechnik hingegeben. Wudys Klagen über sein Passwort-Chaos beantwortet er mit dem Tipp, die EDV-Wartung doch in professionelle Hände zu legen. Zum Beispiel: zentrale Passwortver­waltung. Die Aufzählung aller anderen Empfehlungen würde den Rahmen meiner Ausführungen sprengen. Kollege Harb beendet sein Schreiben mit folgenden Sätzen: „Zum Schluss möchte ich nochmals anmerken, dass ich ältere Kollegen bewundere, wenn sie versuchen am Puls der Zeit zu bleiben, allerdings bitte ich Sie, neue Kollegen nicht damit abzuschrecken, indem Sie von Problemen berichten, die man sehr einfach beheben könnte, wenn man wirklich mit der Zeit gehen würde.“</p> <h2>Kurienobmann-Stellvertreter als EDV-Pionier</h2> <p>Mit diesen Äußerungen vermittelt Dr. Harb den Eindruck, jahrzehntelang im Ausland geweilt zu haben, denn Wudys Rolle als Pionier der Praxis-EDV ist fast allen Praktikern Niederösterreichs ein Begriff. Max, der Elektronik-Freak schlechthin, gehörte 1986 zu den ersten Ärzten bundesweit, welche einen Computer für alle Belange in der Kassenpraxis einsetzten. Zusammen mit Dr. Otto Pjeta war er auch an der Weiterentwicklung von Programmen beteiligt. Ich persönlich kann mich noch gut an eine Kammerversammlung erinnern, in der sich Max während einer hitzigen Debatte umdrehte, um mir stolz sein soeben erworbenes Apple-Notebook „MacBook Air“ zu zeigen. Ich kannte das Ding bis dahin nur aus Fernsehberichten. In San Francisco präsentierte Steve Jobs das superdünne Notebook im Jänner 2008. Der Apple-Chef hatte damals mit Sicherheit keine Ahnung, wo Weissenbach an der Triesting liegt. Dort prüfte ein gewisser Dr. Wudy in Eigenregie das hauchdünne Wunderding schon lange vor der österreichischen Markteinführung auf seine Leistungsfähigkeit. Plakativer Vergleich: Für Insider kommt der Harb-Leserbrief etwa so rüber wie das Lob eines unbekannten Nachwuchsrennläufers in „Ski Austria“ (= offizielle Zeitschrift des Österreichischen Skiverbandes) für Marcel Hirscher, sich im fortgeschrittenen Alter noch die Skier anzuschnallen. Zu guter Letzt erhält der Nationalheld noch Tipps, seinen Fahrstil zu verbessern. Aufgrund des herrschenden Wahlkampfes wird die Antwort des Kurienobmann-Stellvertreters gleich im Anschluss an Harbs Ausführungen abgedruckt. Schließlich hat Wudy in seiner Rolle als Spitzenkandidat einer Wahlplattform auch etwas zu verlieren. Der Kammerfunktionär in Pensionsnähe greift nach dem Abarbeiten der vorgebrachten Argumente zu einer bestens bewährten Methode, um kritische Geister zu zähmen: „Ich würde mich freuen, wenn Sie im Interesse der Kollegenschaft mehr über die innovativen Produkte berichten könnten, auch eine Mitarbeit im EDV-Referat wäre mit Ihrem Background mehr als wünschenswert.“</p> <h2>IGMed gibt Schützenhilfe</h2> <p>Als Nachschlag erscheint in der April-Ausgabe des „NÖ Consilium“ ein Schreiben von Dr. Christian Schwarz, einem bekanntermaßen engagierten Vertreter der Landärzteschaft. Die Kammerwahl ist längst entschieden, trotzdem muss dem Außenstehenden erklärt werden, dass der engagierte Kollege aus Oberndorf an der Melk als IGMed-Funktionär der Wahlplattform Wudys angehört. Er kommt der Aufgabe, dem Kollegen Harb mit fachlichen Argumenten zu antworten, hervorragend nach. Im Schreiben, welches im Du-Wort gehalten ist, wird mit fachchinesischen Ausdrücken nicht gespart. Dem Leser soll der Eindruck vermittelt werden, Schwarz sei der ungekrönte König im Reich aller EDV-besessenen Ärzte. Die Einleitung ist für Otto Normalverbraucher gerade noch verständlich: „Ohne jetzt Max Wudy verteidigen zu wollen, den Du im Consilium ja direkt angesprochen hast, muss ich Dir mitteilen, dass Max Wudy zur ,auslaufenden Hausarztgeneration‘ zählt, noch ein paar Jahre älter ist als ich, aber gerade das Gegenteil eines ,EDV-Arzt-Dummies‘ darstellt, als der er von Dir hingestellt wird.“ Die Ausführungen von Dr. Schwarz enden in bewährter Weise: „Bewegen wir doch gemeinsam im EDV-Referat unserer Kammer etwas, ich wäre dabei!“ Gesagt, getan! Mit der konstituierenden NÖ Kammervollversammlung Ende April wurden auch die Referate für die Funktionsperiode 2017 bis 2022 neu bestellt. Das EDV-Referat wird die kommenden fünf Jahre Dr. Christian Schwarz leiten, als sein Stellvertreter wird Dr. Bernhard Harb fungieren. Zwischenzeitlich wird der Kammer-Neuling schon in den Mühen der Ebene angekommen sein. Sollte er es solange wie Max Wudy in der Standespolitik aushalten, hat er gute Chancen, von einem aufgeweckten Kollegen der nächsten oder übernächsten Ärztegeneration einen Leserbrief in Harb-Version zu erhalten.</p></p>
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