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„Hausarzt in Not“ – ein Jubiläum der besonderen Art
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Ein Vierteljahrhundert hindurch wurden Vorschläge zur Aufwertung des Hausarztes von Kammer und Kasse in den Wind geschlagen. Die Folgen sind bekannt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s7_abb1.jpg" alt="" width="2518" height="1358" /><br /><br />Schon 1992 zeigten Kassenpraktiker große Unzufriedenheit mit ihren Arbeitsbedingungen. Dem damaligen Herausgeber der „Ärzte Woche“, Dr. Hartmut Stein, ist es damals in Kooperation mit Mag. Wilhelm Ambrosch von der Firma Grünenthal hervorragend gelungen, die Stimmung in der Kollegenschaft einzufangen. Dazu dienten Stammtischrunden mit Praktikern in allen 9 Bundesländern und schriftliche Befragungen. In einer 92 Seiten starken Broschüre mit dem Titel „Hausarzt in Not?“ wurden die Ergebnisse zusammengefasst. Auf Seite 17 kommt Dr. Stein unter anderem zum Ergebnis, dass die befragten Vertragsärzte einen bundesweit gültigen Leistungskatalog herbeisehnen: „Oberstes Anliegen ist, in Zukunft zu einem einheitlichen leistungsorientierten Honorierungsmodell für alle Praktiker zu gelangen: gleiches Geld für gleiche Leistung!“</p> <h2>Gleiches Geld für gleiche Leistung</h2> <p>Dr. Gottfried Wurst aus Pillichsdorf in Niederösterreich hat sich schon vor einem Vierteljahrhundert bemüht, den Leistungskatalog für Kassenpraktiker zu modernisieren. Auf zahlreichen Veranstaltungen präsentierte er seinen Vorschlag. Vergeblich! Weder Kammer noch Kasse sahen die Notwendigkeit einer Aktualisierung. Beim Durchblättern der Grünenthal-Broschüre stoßen die Leser auf ein Statement des besagten Kollegen, welches an Aktualität nicht zu übertreffen ist: „Die Leistungskataloge gehören vereinheitlicht. Meine Leistung am Patienten muss immer gleich viel wert sein, egal ob er Sandler, Bauer oder Generaldirektor ist. Was der Wert des Patienten für die Versicherung ist, ist nicht Gegenstand unserer Überlegungen.“ Auch vom Ärztevertreter Dr. Rolf Jens aus Wien wurden damals Forderungen erhoben, die aus der Jetztzeit stammen könnten. Am 9. Mai 1992 hielt er in Salzburg einen vielbeachteten Vortrag. Ein Jens-Zitat soll für alle anderen Vorschläge stehen, die zur Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen vorgebracht wurden: „Wir wünschen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und fordern eine feste universitäre Verankerung der Allgemeinmedizin.“</p> <h2>Drei Nöte plagen den Hausarzt</h2> <p>Dr. Arnold Fragner, Kassen-Allgemeinmediziner in Engelhartstetten, fungierte von 1994 bis 1999 als Präsident des Niederösterreichischen Hausärzteverbandes (NÖHV). Er kommt auf Seite 53 der Broschüre zu Wort: „Drei Nöte plagen den Hausarzt: die Geldnot, die Zeitnot und daraus resultierend die Qualitätsnot. Dass es dazu gekommen ist, liegt zum Teil sicherlich an den Kammern und zum Teil am Hauptverband.“ Er fordert unter anderem, den Reformwillen auf politischer Seite voranzutreiben. Ein Ruf, der an Aktualität nichts eingebüßt hat. Leider gab es schon damals einige Vertragsärzte, die mit den angeblich finanzschwachen Kassen mehr Mitleid hatten als mit den um Wirtschaftlichkeit ihrer Praxen bemühten Kollegen. Bei den 25 Jahre zurückliegenden Erklärungen von Dr. Günther Glaser aus Tirol hört sich das so an: „Die Sozialversicherung ist durch ihre fixen Einnahmen gebunden. Eine Änderung lässt sich nur über das Parlament erreichen. Wir können in diesem System machen, was wir wollen, es ist einfach nicht mehr drin!“</p> <h2>Dauerthema „Fünf-Minuten-Medizin“</h2> <p>OMR Dr. Gerhard Tutsch schließt zum Thema Zeitnot nahtlos an. Der damalige Leiter des Zentrums für Allgemeinmedizin der Wiener Ärztekammer (ÄKW) wortwörtlich: „Man sollte die Fünf-Minuten- Medizin nicht von vornherein verdammen. Fünf Minuten sind nicht wenig, und schon gar nicht, wenn man einen Patienten seit 20 Jahren als Freund des Hauses behandelt und er nur kommt, um seinen Blutdruck kontrollieren zu lassen.“ Der Beweis liegt auf der Hand. Schon vor einem Vierteljahrhundert rückten Standesvertreter aus, um den Zeitdruck, dem Kassenpraktiker tagtäglich ausgeliefert sind, Außenstehenden gegenüber zu verteidigen. Seit damals übernehmen Ärztevertreter freiwillig den Part, der eigentlich den Funktionären der Sozialversicherungen zustünde. Ihr Honorierungssystem hat die Kassen- zur Massenmedizin verkommen lassen.</p> <h2>Hausarzt als Callboy?</h2> <p>In Kollegenkreisen wird der Hausarzt manchmal abwertend als „Callboy“ bezeichnet. Dr. Rolf Jens bringt es in der besagten Druckschrift auf den Punkt: „Anruf genügt, der Arzt kommt ins Haus!“ Zu diesem Themenkomplex gibt es auch ein Statement des Salzburger Praktikers Dr. Klaus Bernhart. Er kritisiert den Umstand, dass Medizin den Einzelnen nichts kosten darf. Die geringe Honorierung der Hausbesuche ist ihm ein besonderer Dorn im Auge. Seine Botschaft lautet: „Die Bezahlung der Visite ist für mich das Wesentliche.“ Angesichts der derzeit landesweit sinkenden Visitenfrequenz erlangt die Aussage Bernharts nach 25 Jahren eine Aktualisierung der besonderen Art. Die im November 1991 gegründete „Gesundheitsallianz“ war eine Vereinigung von Ärzte- und Patientenvertretern. Sie hatte zum Ziel, das österreichische Gesundheitssystem patienten- und ärztefreundlicher zu machen. Hausarzt und Patient wurden ins Zentrum des Systems gestellt. Dazu passt in der Broschüre folgende Passage: „Der eigentliche Partner des Hausarztes sollte der Patient und nicht die Gebietskrankenkasse sein. Ihm gegenüber muss der Arzt verantwortlich sein, denn es geht um seine Gesundheit.“</p> <h2>Kassenhonorare als vermeintlicher Reingewinn</h2> <p>Jungärzte werden fragen, wie es den Verantwortlichen gelungen ist, die exakt aufgelisteten Hausarztbelastungen zu ignorieren. Klare Antwort: mit dem Totschlagargument, alle Ärzte seien Millionäre. Die Sozialversicherung überweise jedem Praktiker jährlich bis zu zwei Mio. Schilling und trotzdem herrsche das große Jammern, so die Kassenbosse schon vor 25 Jahren. Über Jahrzehnte hindurch ist es den Sozialversicherern vortrefflich gelungen, mit der Bekanntgabe von Jahresumsätzen einzelner Ärzte bei der Bevölkerung Neidgefühle zu wecken. Zitat aus „Hausarzt in Not“: „Tatsache ist, dass der durchschnittliche Umsatz zwei Millionen Schilling beträgt.“ Dr. Josef Probst, damals Generaldirektor-Stellvertreter im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, bringt auf Seite 42 des besagten Druckwerks noch weitere Gegenargumente vor: „Wir glauben, dass der Hausarzt in Österreich eine Position mit hoher sozialer Absicherung hat. Mehr Klientel, als ihm oft lieb ist, und auch einen Kündigungsschutz, der über den von Arbeitnehmern erheblich hinausgeht.“</p> <h2>Busek ließ Hausärztevertreter abblitzen</h2> <p>Mittels der „Grünenthal-Broschüre“ wurde Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um Außenstehenden die Nöte der Hausärzte vor Augen zu führen. Es würde diese Ausführungen bei Weitem sprengen, alle Aktivitäten im Detail aufzulisten. So liegt es unter anderem ein Vierteljahrhundert zurück, dass engagierte Kollegen mit den Argumenten aus dem Schriftwerk die Sprechstunden diverser Politiker aufgesucht haben. Ein Beispiel herausgenommen: Dr. Wolfgang Gasser, von 1990 bis 1994 NÖHV-Präsident, und Dr. Peter Pölzlbauer, langjähriger „Hausarzt“-Chefredakteur, begaben sich damals zu Dr. Erhard Busek ins Wiener Palais Todesco. Busek war zu dieser Zeit Vizekanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann. Wir Kämpfer für die Aufwertung des Hausarztes knüpften an diese Vorsprache große Erwartungen. Wir dachten: „Das Du-Wort mit einem hochrangigen Politiker zu pflegen könnte von Vorteil sein.“ Gasser und Busek haben gemeinsam ein Wiener Unterstufenrealgymnasium besucht. Sie waren dort Klassenkameraden und abwechselnd Klassensprecher. Die Reaktion des Großkoalitionärs Busek auf die vorgebrachten Argumente war aber enttäuschend. Gasser und Pölzlbauer können sich noch heute an die Schlüsselsätze des damaligen Vizekanzlers erinnern: „Was wollt ihr? Ihr Ärzte seid die Reichsten in unserer Gesellschaft!“ Busek verwies die beiden zur damaligen Nationalratsabgeordneten und ÖVP-Generalsekretärin Ingrid Korosec. Auch diese Vorsprache blieb ohne Ergebnis. Die Talfahrt der Hausarztmedizin nahm ihren Lauf.</p></p>
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