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„Hausarzt in Not“ – ein Jubiläum der besonderen Art

<p class="article-intro">Ein Vierteljahrhundert hindurch wurden Vorschläge zur Aufwertung des Hausarztes von Kammer und Kasse in den Wind geschlagen. Die Folgen sind bekannt.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s7_abb1.jpg" alt="" width="2518" height="1358" /><br /><br />Schon 1992 zeigten Kassenpraktiker gro&szlig;e Unzufriedenheit mit ihren Arbeitsbedingungen. Dem damaligen Herausgeber der &bdquo;&Auml;rzte Woche&ldquo;, Dr. Hartmut Stein, ist es damals in Kooperation mit Mag. Wilhelm Ambrosch von der Firma Gr&uuml;nenthal hervorragend gelungen, die Stimmung in der Kollegenschaft einzufangen. Dazu dienten Stammtischrunden mit Praktikern in allen 9 Bundesl&auml;ndern und schriftliche Befragungen. In einer 92 Seiten starken Brosch&uuml;re mit dem Titel &bdquo;Hausarzt in Not?&ldquo; wurden die Ergebnisse zusammengefasst. Auf Seite 17 kommt Dr. Stein unter anderem zum Ergebnis, dass die befragten Vertrags&auml;rzte einen bundesweit g&uuml;ltigen Leistungskatalog herbeisehnen: &bdquo;Oberstes Anliegen ist, in Zukunft zu einem einheitlichen leistungsorientierten Honorierungsmodell f&uuml;r alle Praktiker zu gelangen: gleiches Geld f&uuml;r gleiche Leistung!&ldquo;</p> <h2>Gleiches Geld f&uuml;r gleiche Leistung</h2> <p>Dr. Gottfried Wurst aus Pillichsdorf in Nieder&ouml;sterreich hat sich schon vor einem Vierteljahrhundert bem&uuml;ht, den Leistungskatalog f&uuml;r Kassenpraktiker zu modernisieren. Auf zahlreichen Veranstaltungen pr&auml;sentierte er seinen Vorschlag. Vergeblich! Weder Kammer noch Kasse sahen die Notwendigkeit einer Aktualisierung. Beim Durchbl&auml;ttern der Gr&uuml;nenthal-Brosch&uuml;re sto&szlig;en die Leser auf ein Statement des besagten Kollegen, welches an Aktualit&auml;t nicht zu &uuml;bertreffen ist: &bdquo;Die Leistungskataloge geh&ouml;ren vereinheitlicht. Meine Leistung am Patienten muss immer gleich viel wert sein, egal ob er Sandler, Bauer oder Generaldirektor ist. Was der Wert des Patienten f&uuml;r die Versicherung ist, ist nicht Gegenstand unserer &Uuml;berlegungen.&ldquo; Auch vom &Auml;rztevertreter Dr. Rolf Jens aus Wien wurden damals Forderungen erhoben, die aus der Jetztzeit stammen k&ouml;nnten. Am 9. Mai 1992 hielt er in Salzburg einen vielbeachteten Vortrag. Ein Jens-Zitat soll f&uuml;r alle anderen Vorschl&auml;ge stehen, die zur Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen vorgebracht wurden: &bdquo;Wir w&uuml;nschen neue Formen der Zusammenarbeit zwischen &Auml;rzten und fordern eine feste universit&auml;re Verankerung der Allgemeinmedizin.&ldquo;</p> <h2>Drei N&ouml;te plagen den Hausarzt</h2> <p>Dr. Arnold Fragner, Kassen-Allgemeinmediziner in Engelhartstetten, fungierte von 1994 bis 1999 als Pr&auml;sident des Nieder&ouml;sterreichischen Haus&auml;rzteverbandes (N&Ouml;HV). Er kommt auf Seite 53 der Brosch&uuml;re zu Wort: &bdquo;Drei N&ouml;te plagen den Hausarzt: die Geldnot, die Zeitnot und daraus resultierend die Qualit&auml;tsnot. Dass es dazu gekommen ist, liegt zum Teil sicherlich an den Kammern und zum Teil am Hauptverband.&ldquo; Er fordert unter anderem, den Reformwillen auf politischer Seite voranzutreiben. Ein Ruf, der an Aktualit&auml;t nichts eingeb&uuml;&szlig;t hat. Leider gab es schon damals einige Vertrags&auml;rzte, die mit den angeblich finanzschwachen Kassen mehr Mitleid hatten als mit den um Wirtschaftlichkeit ihrer Praxen bem&uuml;hten Kollegen. Bei den 25 Jahre zur&uuml;ckliegenden Erkl&auml;rungen von Dr. G&uuml;nther Glaser aus Tirol h&ouml;rt sich das so an: &bdquo;Die Sozialversicherung ist durch ihre fixen Einnahmen gebunden. Eine &Auml;nderung l&auml;sst sich nur &uuml;ber das Parlament erreichen. Wir k&ouml;nnen in diesem System machen, was wir wollen, es ist einfach nicht mehr drin!&ldquo;</p> <h2>Dauerthema &bdquo;F&uuml;nf-Minuten-Medizin&ldquo;</h2> <p>OMR Dr. Gerhard Tutsch schlie&szlig;t zum Thema Zeitnot nahtlos an. Der damalige Leiter des Zentrums f&uuml;r Allgemeinmedizin der Wiener &Auml;rztekammer (&Auml;KW) wortw&ouml;rtlich: &bdquo;Man sollte die F&uuml;nf-Minuten- Medizin nicht von vornherein verdammen. F&uuml;nf Minuten sind nicht wenig, und schon gar nicht, wenn man einen Patienten seit 20 Jahren als Freund des Hauses behandelt und er nur kommt, um seinen Blutdruck kontrollieren zu lassen.&ldquo; Der Beweis liegt auf der Hand. Schon vor einem Vierteljahrhundert r&uuml;ckten Standesvertreter aus, um den Zeitdruck, dem Kassenpraktiker tagt&auml;glich ausgeliefert sind, Au&szlig;enstehenden gegen&uuml;ber zu verteidigen. Seit damals &uuml;bernehmen &Auml;rztevertreter freiwillig den Part, der eigentlich den Funktion&auml;ren der Sozialversicherungen zust&uuml;nde. Ihr Honorierungssystem hat die Kassen- zur Massenmedizin verkommen lassen.</p> <h2>Hausarzt als Callboy?</h2> <p>In Kollegenkreisen wird der Hausarzt manchmal abwertend als &bdquo;Callboy&ldquo; bezeichnet. Dr. Rolf Jens bringt es in der besagten Druckschrift auf den Punkt: &bdquo;Anruf gen&uuml;gt, der Arzt kommt ins Haus!&ldquo; Zu diesem Themenkomplex gibt es auch ein Statement des Salzburger Praktikers Dr. Klaus Bernhart. Er kritisiert den Umstand, dass Medizin den Einzelnen nichts kosten darf. Die geringe Honorierung der Hausbesuche ist ihm ein besonderer Dorn im Auge. Seine Botschaft lautet: &bdquo;Die Bezahlung der Visite ist f&uuml;r mich das Wesentliche.&ldquo; Angesichts der derzeit landesweit sinkenden Visitenfrequenz erlangt die Aussage Bernharts nach 25 Jahren eine Aktualisierung der besonderen Art. Die im November 1991 gegr&uuml;ndete &bdquo;Gesundheitsallianz&ldquo; war eine Vereinigung von &Auml;rzte- und Patientenvertretern. Sie hatte zum Ziel, das &ouml;sterreichische Gesundheitssystem patienten- und &auml;rztefreundlicher zu machen. Hausarzt und Patient wurden ins Zentrum des Systems gestellt. Dazu passt in der Brosch&uuml;re folgende Passage: &bdquo;Der eigentliche Partner des Hausarztes sollte der Patient und nicht die Gebietskrankenkasse sein. Ihm gegen&uuml;ber muss der Arzt verantwortlich sein, denn es geht um seine Gesundheit.&ldquo;</p> <h2>Kassenhonorare als vermeintlicher Reingewinn</h2> <p>Jung&auml;rzte werden fragen, wie es den Verantwortlichen gelungen ist, die exakt aufgelisteten Hausarztbelastungen zu ignorieren. Klare Antwort: mit dem Totschlagargument, alle &Auml;rzte seien Million&auml;re. Die Sozialversicherung &uuml;berweise jedem Praktiker j&auml;hrlich bis zu zwei Mio. Schilling und trotzdem herrsche das gro&szlig;e Jammern, so die Kassenbosse schon vor 25 Jahren. &Uuml;ber Jahrzehnte hindurch ist es den Sozialversicherern vortrefflich gelungen, mit der Bekanntgabe von Jahresums&auml;tzen einzelner &Auml;rzte bei der Bev&ouml;lkerung Neidgef&uuml;hle zu wecken. Zitat aus &bdquo;Hausarzt in Not&ldquo;: &bdquo;Tatsache ist, dass der durchschnittliche Umsatz zwei Millionen Schilling betr&auml;gt.&ldquo; Dr. Josef Probst, damals Generaldirektor-Stellvertreter im Hauptverband der Sozialversicherungstr&auml;ger, bringt auf Seite 42 des besagten Druckwerks noch weitere Gegenargumente vor: &bdquo;Wir glauben, dass der Hausarzt in &Ouml;sterreich eine Position mit hoher sozialer Absicherung hat. Mehr Klientel, als ihm oft lieb ist, und auch einen K&uuml;ndigungsschutz, der &uuml;ber den von Arbeitnehmern erheblich hinausgeht.&ldquo;</p> <h2>Busek lie&szlig; Haus&auml;rztevertreter abblitzen</h2> <p>Mittels der &bdquo;Gr&uuml;nenthal-Brosch&uuml;re&ldquo; wurde &Ouml;ffentlichkeitsarbeit betrieben, um Au&szlig;enstehenden die N&ouml;te der Haus&auml;rzte vor Augen zu f&uuml;hren. Es w&uuml;rde diese Ausf&uuml;hrungen bei Weitem sprengen, alle Aktivit&auml;ten im Detail aufzulisten. So liegt es unter anderem ein Vierteljahrhundert zur&uuml;ck, dass engagierte Kollegen mit den Argumenten aus dem Schriftwerk die Sprechstunden diverser Politiker aufgesucht haben. Ein Beispiel herausgenommen: Dr. Wolfgang Gasser, von 1990 bis 1994 N&Ouml;HV-Pr&auml;sident, und Dr. Peter P&ouml;lzlbauer, langj&auml;hriger &bdquo;Hausarzt&ldquo;-Chefredakteur, begaben sich damals zu Dr. Erhard Busek ins Wiener Palais Todesco. Busek war zu dieser Zeit Vizekanzler und &Ouml;VP-Bundesparteiobmann. Wir K&auml;mpfer f&uuml;r die Aufwertung des Hausarztes kn&uuml;pften an diese Vorsprache gro&szlig;e Erwartungen. Wir dachten: &bdquo;Das Du-Wort mit einem hochrangigen Politiker zu pflegen k&ouml;nnte von Vorteil sein.&ldquo; Gasser und Busek haben gemeinsam ein Wiener Unterstufenrealgymnasium besucht. Sie waren dort Klassenkameraden und abwechselnd Klassensprecher. Die Reaktion des Gro&szlig;koalition&auml;rs Busek auf die vorgebrachten Argumente war aber entt&auml;uschend. Gasser und P&ouml;lzlbauer k&ouml;nnen sich noch heute an die Schl&uuml;ssels&auml;tze des damaligen Vizekanzlers erinnern: &bdquo;Was wollt ihr? Ihr &Auml;rzte seid die Reichsten in unserer Gesellschaft!&ldquo; Busek verwies die beiden zur damaligen Nationalratsabgeordneten und &Ouml;VP-Generalsekret&auml;rin Ingrid Korosec. Auch diese Vorsprache blieb ohne Ergebnis. Die Talfahrt der Hausarztmedizin nahm ihren Lauf.</p></p>
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