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Allgemeinmediziner im Imagetief
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
30.05.2018
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<p class="article-intro">Miese Honorierung, fehlende Patientensteuerung und geringe Wertschätzung drängen den Hausarzt ins Abseits.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Beteuerungen vom angeblich besten Gesundheitssystem der Welt werden leiser. Der Landärztemangel und das permanente Chaos in den Spitalsambulanzen haben einen Wandel in der Berichterstattung vollzogen. Plötzlich werden Schwachstellen des Systems schonungslos aufgezeigt. Der „Kurier“ zum Beispiel liefert Mitte April folgende Schlagzeile: „Woran das Gesundheitssystem derzeit krankt.“ Die Rubrik zum Landärztemangel bekommt die Überschrift: „Für so wenig Geld macht das keiner gern.“ So schnell kann es gehen. Über Jahrzehnte waren wir dem Ruf ausgesetzt, Schwerverdiener zu sein. Beim Erwerb teurer Autos oder bei Errichtung schmucker Landhäuser schlugen uns oft Neid und Missgunst entgegen. Jetzt wären die Bürgermeister einiger Landgemeinden hellauf begeistert, wenn ein Kassen-Allgemeinmediziner Baumaschinen auffahren ließe, um im Ortsgebiet ein Wohnhaus inklusive Praxisräumlichkeiten zu errichten. Zwischenzeitlich sind Gemeindevertreter schon froh, einen Jungarzt wenigstens zum täglichen Einpendeln gewinnen zu können, ganz egal, wo der Mediziner dann abends sein müdes Haupt bettet.</p> <h2>Ex-Grünen-Abgeordnete: Hausärzte schlecht bezahlt</h2> <p>Schon früh haben einige Politiker klare Worte zum finanziellen Ertrag von Hausarztpraxen gefunden. Man denke dabei etwa an die ehemalige Grünen-Abgeordnete im Nationalrat Gabriela Moser. Die Oberösterreicherin fasste im August 2017 mit klaren Worten zusammen, woran es im Bereich Gesundheit kranke: „An der ganzen Palette von höchst unterschiedlichen Finanzierungsquellen über den Spitälerwildwuchs an Landesgrenzen bis hin zur schlechten Bezahlung für Allgemeinmediziner, den Engpässen und Wartezeiten für Patienten und der Kuvertmedizin.“ So weit die Aussage einer Politikerin, welcher nicht nachgesagt werden kann, Bundessprecherin der Schwerverdiener zu sein. Ein Landsmann von Gabriela Moser ist da ganz anderer Ansicht. Der Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK), Albert Maringer, lässt die Leser der „Bezirksrundschau Kirchdorf“ wissen, Hausarzt sei sowohl menschlich als auch finanziell ein lohnender Beruf. Auf Zahlenangaben verzichtet der Obmann. Funktionäre anderer Krankenkassen sprudeln bei so einer Gelegenheit die durchschnittlichen Honorarsummen der Vertragsärzte für Allgemeinmedizin heraus. Sie bauen damit geschickt auf die Unwissenheit von „Otto Normalverbraucher“. Der kann mit solchen Angaben nichts anfangen, er hat ja keine Ahnung, was dem Hausarzt nach Abzug aller Aufwendungen und Steuern in der Geldbörse bleibt.</p> <h2>Vorwurf des Krankredens</h2> <p>Manche Verantwortungsträger erheben den Vorwurf, der Beruf des Hausarztes werde nur schlechtgeredet. Dazu zählt der OÖGKK-Obmann. In besagter „Bezirksrundschau“ lässt er seinen Gedanken freien Lauf: „Das Krankreden des wundervollen Berufs als Hausarzt muss ein Ende finden.“ Irgendwie klingt durch, Jungärzte werden von uns Miesmachern durch Falschinformation vom Landarztjob abgehalten. Maringer im Originalton: „Jahrelanger gesundheitspolitischer Hickhack, vor allem auf Bundesebene, hat ein Bild vom Hausarztberuf gezeichnet, welches weit weg von der Realität ist und junge Ärzte abschreckt, diesen Weg einzuschlagen.“ Leider ist das Gegenteil der Fall. Die unmenschliche Kassenbürokratie zum Beispiel hat noch nicht den Weg in die Massenmedien gefunden. Wäre das der Fall, stünden weit mehr Hausarztpraxen ohne Nachfolger da. Fühlen hingegen Kassenfunktionäre den Druck von bürokratischen Belastungen, scheint der Weg für sie in die Öffentlichkeit ein leichter.</p> <h2>Hanusch-KH : Fenstertausch durch Kassen-Hofrat</h2> <p>Ein Beispiel: Der Generaldirektor der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Hofrat Ing. Mag. Erich Sulzbacher, klagt in einer Ausgabe der Zeitung „Die Presse am Sonntag“, die Kasse habe sich bei ihren Bauprojekten an mindestens 300 Ö-Normen zu halten. 530 dieser Richtlinien gebe es in Gesamtösterreich. Der notwendige Austausch von zehn Fenstern im Logistikzentrum des Hanusch-Krankenhauses war mit rund 120 000 Euro (exkl. Umsatzsteuer) veranschlagt. Die Einhaltung aller Bestimmungen lässt jedoch den Endpreis der zehn Fenster auf 260 000 Euro (exkl. Umsatzsteuer) hinaufschnellen. Diese Darstellung des Generaldirektors schreit nach einem Vergleich mit der Kassenärzteschaft. Für die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) ist es eine gesundheitspolitische Verirrung, Spitalsbetreiber zu sein. Gäbe es einen bundesweit gültigen Aufgabenkatalog für Krankenversicherungen, hätten Kassenhofräte wie Sulzbacher gar nicht die Aufgabe, sich mit der Erneuerung von Spitalsfenstern herumzuärgern. Seit Jahrzehnten empfehlen sämtliche Experten, die WGKK möge sich von ihrem Hanusch-Krankenhaus trennen. Vergeblich! Im Gegensatz zu Kassenbeamten haben Vertragsärzte für ihre Praxisräumlichkeiten selbst aufzukommen. Der WGKK-Boss muss die Fenster nicht aus der eigenen Tasche bezahlen. Seine Mitarbeiter sind auch nicht gezwungen, sich in der Freizeit mit den Fensterkeilern herumzuschlagen. Zur Einhaltung aller 300 Ö-Normen wird bezahlte Dienstzeit in Anspruch genommen. Weder Kassenfunktionäre noch WGKK-Bedienstete sind gezwungen, für die Finanzierung des notwendigen Fensteraustausches Kredite aufzunehmen. So weit der Unterschied zum freiberuflich tätigen Kassenvertragsarzt.</p> <h2>Fachärzteschwemme degradiert Hausarzt</h2> <p>In Ländern mit hoher Wertschätzung des Allgemeinmediziners ist die Anzahl der frei praktizierenden Fachärzte gering. In Norwegen zum Beispiel sind Fachkollegen fast nur in Spitälern anzutreffen. Solange sich der aktuelle Trend in Österreich fortsetzt, dass junge Kollegen mehrheitlich nach der Facharztausbildung im Spital bleiben und dann nebenbei eine Ordination als Wahlarzt führen, muss es mit dem heimischen Hausarzt weiter bergab gehen. Schon rein zahlenmäßig wird er in die Defensive gedrängt. Nur mehr 8 % der aktiven Ärzte unseres Landes sind Kassen-Allgemeinmediziner. Das ist ein Negativrekord. Die Anzahl der Wahlarztpraxen diverser Fachrichtungen hingegen explodiert. Ein österreichisches Spezifikum, denn nur bei uns gibt es die Kostenrückerstattung für Honorarnoten von Niedergelassenen ohne Vertragsbindung. Solange den Sozialversicherten das Recht zugestanden wird, gleich direkt den Facharzt anzusteuern oder nach eigenem Gutdünken eine Spitalsambulanz aufzusuchen, muss der Kassen-Allgemeinmediziner im Imagetief verweilen. Unter diesen Umständen bleibt er ein Arzt zweiter Wahl.</p> <h2>Herabwürdigung bleibt ohne Konsequenz</h2> <p>Es vergeht kein Monat, in dem nicht irgendeine selbsternannte Expertin oder ein Experte die praktischen Ärzte als schlecht ausgebildet und fachlich inkompetent hinstellt. Als Beispiel fasse ich die angeblich zu leichtfertige Verordnung von Benzodiazepinen durch die Allgemeinmediziner heraus. Anfang Februar erhob Frau Univ.-Prof. Dr. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz im Wiener AKH, in einem „Kurier“-Bericht von Michaela Reibenwein den Vorwurf, Hausärzte hätten ein Ausbildungsdefizit und würden daher teils zu viele Benzodiazepine verschreiben. Tenor der Fachkollegin: Aufgrund eines Mangels an Psychiatern kämen die Patienten überhaupt erst in die Verlegenheit, vom Allgemeinmediziner behandelt zu werden. So die diskriminierenden Ausführungen im Innenteil auf Seite 15. Auf der Titelseite der besagten Tageszeitung vom 5. Februar 2018 wurde noch dicker aufgetragen: „Oft würden Hausärzte ohne adäquate Ausbildung ihre Patienten therapieren.“ Bei diesen Fällen der Herabwürdigung kenne ich keine Zurückhaltung. Meist wende ich mich umgehend an die Redaktion. Dabei erkläre ich gleich die Folgen des permanenten Miesmachens von Allgemeinmedizinern: „In dieser Atmosphäre der Geringschätzung werden immer weniger Jungärzte Bereitschaft zeigen, freistehende Planstellen für Allgemeinmedizin zu übernehmen.“ Die Antwort der „Kurier“-Redakteurin Reibenwein kommt prompt. Ein Auszug: „Ich bin für den Inhalt der Seite 15 die zuständige Ansprechpartnerin. Die Seite 1 allerdings wird bei uns vom Blattmacher des Tages gemacht. Der hat das vielleicht etwas überspitzt formuliert.“ Nicht immer sind die Rückmeldungen so nobel formuliert. Manchmal mündet es in einen Kampf mit harten Bandagen. Es ist kein Leichtes, dem Imageverlust des Hausarztes aktiv entgegenzutreten.</p></p>
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