
Ärzte-Misere in NÖ: Hanni & Co auf Rettungsmission
Gemeindearzt-Abschaffung, Verweigerung der Nachtdienst-Honorierung und Hausapotheken-Schließungen fallen den Politikern jetzt auf den Kopf.
Meinen DAM-Beitrag „Lesestoff für Bürgermeister“ (1/2017) über den beginnenden Landärztemangel habe ich herausgelöst und an die Gemeindeämter betroffener niederösterreichischer Orte in elektronischer Form versandt. Die Rückmeldungen lassen erkennen, dass sich Ortschefs und Gemeindevertreter eine Gedankenauffrischung verdient haben. Teilweise besteht bereits eine Täter-Opfer- Umkehr. Nicht die Verantwortlichen mit ihrer seit Jahren betriebenen Hausärzteabwertung seien schuld an der Vakanz von Planstellen, sondern die angeblich bequemen Jungärzte selbst. Tenor des Pauschalverdachtes: Schönheitschirurgen wollen sie werden und mit der Landbevölkerung nichts zu tun haben. Es fehlt gerade noch der Vorwurf, sie seien für die Zwangsschließung der insgesamt 100 ärztlichen Apotheken in Österreich selbst verantwortlich. Das Kalenderjahr 2017 bringt die Wende: Beschwichtigungen von Kassenfunktionären und Beruhigungspillen aus der Landespolitik verlieren ihre Wirkung. Das Thema beginnt sich zu verselbstständigen. Bezirks- und Landeszeitungen starten mit schonungslosen Berichten. Schlussendlich sind alle Medien gezwungen, über den Mangel an Kassen-Allgemeinmedizinern exakt zu recherchieren. Die Thematik dringt auch in diverse Sendereihen des ORF. Gresten im Bezirk Scheibbs wird zum Vorzeigebeispiel. Mit Jahresbeginn 2018 war die freie Kassenplanstelle dort bereits 24-mal ausgeschrieben. Vergeblich! Zuletzt widmete sich die ORF-Sendung „Report“ am 16. Jänner 2018 ausführlich der untragbaren Situation in Gresten. Für angehende Mediziner, so der Einleitungstext, sei der Beruf des Hausarztes unattraktiv geworden: große Verantwortung, aber weniger Geld und Prestige.
Landarzt-Garantie: Spitalskollegen sollen einspringen
Während die Endphase des Wahlkampfes um den niederösterreichischen Landtag von der Liederbuch- Affäre beherrscht wird, steht die Wochen davor das Thema „Landärztemangel“ im Mittelpunkt. Zum Jahreswechsel warnt die FPÖ vor einem drohenden Gesundheitsnotstand. Auf großen Plakaten werden drei Argumente für diese Warnung ins Treffen geführt: „kein Arzt im Ort – lange Wartezeiten – Zweiklassenmedizin“. Auf anderen Werbeflächen wiederum präsentieren die Freiheitlichen gleich ihre Reformvorschläge: „Grundversorgung sichern – Hausärzte fördern – Patienten gleich behandeln“. Im „ZIB 2“-Bericht vom 19. Jänner 2018 über den Wahlkampfstil der niederösterreichischen Landesparteien von ÖVP und FPÖ wird unter anderem ein Zusammenschnitt der Auftritte des damals noch unumstrittenen FPÖ-Kandidaten Udo Landbauer gebracht. In allen drei Einblendungen klagt der Politiker über den Landärztemangel. Auch die Sozialdemokratie muss auf das Thema aufspringen. Im Rahmen der ORF-Diskussion der Spitzenkandidaten für NÖ wiederholt der SPÖ-Mann Franz Schnabl seine bereits bekannte Forderung: Wiedereinführung der Gemeindeärzte. ÖVP-Frontfrau Johanna Mikl-Leitner (vom Boulevard liebevoll als „Hanni“ bezeichnet) jedoch schießt mit ihrer „Landarzt-Garantie“ den Vogel ab: Praxen, welche ein Jahr hindurch vakant bleiben, werden ab nun mit Ärzten der Landeskliniken- Holding besetzt. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe sind die Verhandlungen dazu noch nicht abgeschlossen. Details und Fachmeinung dazu entnehmen Sie dem Beitrag unseres Rechtsexperten Mag. Markus Lechner.
Wir brauchen euch nicht. Wir haben die Rettung und Spitäler!
Chronologie der Hausarzt-Abwertung in NÖ: 1994 proben die Kassenpraktiker des Bezirkes Krems unter Führung ihres damaligen Bezirksärztevertreters MR Dr. Norbert Skorjanz den Aufstand. Sie fordern eine gerechte Honorierung der Wochentags- Nachtbereitschaftsdienste. Per Kammerbeschluss wird eine Tarifhöhe von ATS 2000,– (EUR 145,–) pro Nacht festgelegt. Die bewährten Dienstsprengel vom Sonn- und Feiertagsdienst sollen übernommen werden. Doch die Rechnung geht nicht auf. Den Landespolitikern ist ein Nachtdienst der Praktiker keinen Schilling wert. So stellen die Kremser Kollegen mit Anfang Dezember 1994 die freiwilligen Nachtbereitschaftsdienste unter der Woche auf unbestimmte Zeit ein. Kollegen in anderen Bezirken folgen. Im Gegensatz zu heute stehen zu dieser Zeit für eine frei werdende Planstelle bis zu 10 Bewerber zur Verfügung. Kassenfunktionäre und Gemeindepolitiker schöpfen aus dem Vollen. Der Arzt vor Ort gerät in eine Spirale der Abwertung. Im Gegenzug setzt eine Verherrlichung der Spitalswelt ein. Alle medizinischen Leistungen, so selbst ernannte Experten, können dort günstiger erbracht werden. Finanzlandesrat HR Mag. Edmund Freibauer etwa urteilt über das erwähnte Nachtdienstmodell der Niedergelassenen so: „Das Angebot der Ärztekammer stellt keine Verbesserung der ärztlichen Versorgung dar und ist das Geld nicht wert. Die Sicherstellung der Patientenversorgung kommt in den Spitälern billiger als bei Hausärzten.“ Mit den aufständischen Ärzten wird man schnell fertig. Auf die Nachtbereitschaft der Praktiker, so der Tenor, könne locker verzichtet werden. Rotes Kreuz oder Samariterbund sollten einspringen und für den Transport der „Nacht-Patienten“ ins nächste Spital Sorge tragen. Zeitgleich dazu wird die Kritik an den angeblich so kostspieligen Gemeindeärzten immer lauter. Ihr Recht auf Pension und die BVA-Krankenversicherung sind plötzlich ungerechtfertigte Privilegien. So klagt etwa Liese Prokop, damals Landeshauptmannstellvertreterin: „Das Pensionsrecht der Gemeindeärzte ist ein Klotz am sozialen Bein des Landes.“ Die Ernennung von Gemeindeärzten nach dem bis dahin bewährten Modell endet 2001. Ein attraktives Angebot für Stellenbewerber fällt weg. Der Verknappung der Hausärzte in NÖ wird damit der Weg bereitet.
Jungarzt-Vertreibung
Am Tag vor der Landtagswahl in NÖ berichtet der „Kurier“ über die 1600-Seelen- Gemeinde Spitz an der Donau. Thema: Kassen-Allgemeinmediziner Dr. Holger Chromy kündigt die Verträge und verlässt den Ort. Grund: Die ihm versprochene Errichtung von Praxisräumlichkeiten in einem Gemeindehaus bleibt aus. Eine Rückblende ist angesagt. Den Lesern der „Österreichischen Ärztezeitung“ (ÖÄZ) ist Dr. Chromy kein Unbekannter. In der Ausgabe vom 25. Mai 2017 werden dem Praxiseinsteiger zwei Seiten gewidmet. Der in St. Pölten auch zum Orthopäden ausgebildete Allgemeinmediziner übernimmt im Sommer 2016 die Kassenpraxis eines pensionierten Kollegen. Womöglich will die ÖÄZ-Redaktion mit dem besagten Bericht zu den Lobpreisungen der Primärversorgungszentren ein Gegengewicht setzen. Die Botschaft an Jungärzte soll lauten: Greift auch nach Einzelpraxen! Redakteure aus dem Gesundheitsbereich genießen Interviews mit jungen Kassenmedizinern: kein Jammern über aufgeblähte Bürokratie oder zu niedrige Kassentarife; kein Klagen über Fremdbestimmung. Meist strotzen die Frischeinsteiger vor Zuversicht und Tatendrang, denn bittere Erfahrungen mit Kassenkontrollen, Finanzprüfungen oder hohen Steuervorauszahlungen stehen noch aus. So antwortet Kollege Chromy etwa auf die Frage, warum er sich entschieden hat, Kassenarzt zu werden, wie folgt: „Zum Beispiel habe ich jetzt ausreichend Zeit für eine individuelle und persönliche Betreuung meiner Patienten.“ Knapp zwei Jahre nach Praxiseinstieg beendet der Kollege sein Wirken in Spitz. Obwohl die Ursachen für dieses Scheitern eher im Gemeindebereich zu vermuten sind, fühlt sich die Landeshauptfrau berufen, in die Bresche zu springen. Einen Tag vor dem Urnengang verspricht sie ihren Landsleuten in Spitz: „Wir lassen keine Gemeinde und ihre Bürger im Stich, wenn es darum geht, einen Landarzt zu haben oder zu finden.“ In Niederösterreich gibt es weiterhin eine Proporzregierung. In der sind diesmal ÖVP, SPÖ und FPÖ vertreten. Alle drei Parteien haben ihren Wählern versprochen, dem Kassen-Allgemeinmediziner auf die Sprünge zu helfen. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dieses Versprechen zur Einlösung kommt.
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