
Wenn der Toilettengang eine Qual ist
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Probleme mit dem Stuhlgang äussern sich durch Veränderungen von Frequenz, Konsistenz und/oder Volumen, und es können auch Schmerzen auftreten. Doch wie sollen Durchfallerkrankungen sinnvoll abgeklärt werden? Und warum genügt bei Obstipation das Vorgehen nach den Rom-Kriterien nicht? Diese und andere Fragen beantwortete Dr. med. Stephan Baumeler, Leitender Arzt Gastroenterologie/Hepatologie am Kantonsspital Luzern, im Rahmen des «FomF Hausarztmedizin» in Luzern.
Keypoints
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Die Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Diarrhö hilft bei der Abklärung und der Therapieplanung.
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Eine routinemässige empirische Antibiotikatherapie wird nicht empfohlen, ausser bei einer schweren Reisediarrhö.
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Endoskopische, serologische und laborchemische Abklärungen werden bei akuter und persistierender Diarrhö (Dauer 14–30 Tage) nicht empfohlen.
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Mikrobiologische Abklärung (am besten mit Multiplex) ist bei schwerer entzündlicher Diarrhö (ohne Reiseanamnese) und bei wässriger Diarrhö mit Fieber von mehr als 3 Tagen Dauer indiziert.
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Auch wenn in den Rom-Kriterien nicht aufgeführt, sollten bei Obstipation strukturelle und metabolische Ursachen frühzeitig ausgeschlossen werden.
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Das obstruktive Defäkationssyndrom (ODS) und auch die anorektale Dyssynergie sind häufiger als gemeinhin angenommen.
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Bringen Koloskopie, Labor und ein Therapieversuch bei Obstipation keinen Erfolg, sollte als erster spezialisierter Test eine Funktionstestung durchgeführt werden.
Die Diarrhö wird häufig beschrieben mit «mehr Stuhlgängen als normal während 14 Tagen» oder mit «mehr als drei weichen oder wässrigen Stühlen pro Tag während mehr als 14 Tagen». «Die zeitliche Einteilung ist für die Diagnostik und Therapie wegweisend», erklärte Baumeler. Denn sie ermöglicht die frühzeitige Unterscheidung zwischen akuter (Dauer <14 Tagen), persistierender (Dauer 14–30 Tage) und chronischer (Dauer >30 Tage) Diarrhö.
Um einen Spezialfall handelt es sich bei der Pseudo-Diarrhö. Sie geht mit erhöhter Stuhlfrequenz und normaler Konsistenz einher und kommt beispielsweise nach volumenreduzierender Rektumoperation aufgrund eines Rektumkarzinoms vor. «Die Patienten müssen dauernd auf die Toilette, aber nicht weil sie Durchfall haben, sondern weil sie keine Speicherkapazität mehr haben», so der Experte.
Ein weiteres Problem, das auftreten kann, ist die Stuhlinkontinenz. «Aus Schamgefühl sagen viele Patienten, sie hätten Durchfall. Im Gespräch zeigt sich dann aber, dass sie nicht an einer Diarrhö leiden, sondern an einem unwillkürlichen Stuhlabgang.»
Klinische Klassifikation der Diarrhö
Für die Klassifikation von Durchfallerkrankungen ist neben der zeitlichen auch die klinische Einteilung von Bedeutung. Bei der akuten Diarrhö wird primär zwischen infektiösen und nicht infektiösen Durchfällen unterschieden. «80 bis 90% der akuten Diarrhöen sind nicht entzündlich», sagte Dr. Baumeler.
Typischerweise ist der Stuhl grossvolumig und wässrig. Fieber tritt nur selten auf. Häufig sind jedoch Oberbauchschmerzen, die auch mit Nausea/Erbrechen einhergehen können. Als Ursache kommen Viren, Bakterien, gewisse Substanzen (z.B. Sorbitol, Laxanzien) oder auch ein Reizdarm infrage.
Deutlich seltener als wässrige akute Durchfälle sind dysenterische, entzündliche Diarrhöen. «In diesem Fall sind die Stühle eher kleinvolumig und blutig und werden eher durch Bakterien – vor allem Shigellen, Campylobacter und Salmonellen – verursacht», so der Experte. Gelegentlich kann allerdings auch eine Mesenterialischämie dahinterstecken, ein Strahlenschaden am Darm (typischerweise nach Bestrahlen eines Prostatakarzinoms) oder eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung. Entzündliche Durchfälle gehen häufig mit Fieber und schmerzhaftem Stuhlgang einher.
Hämoccult-Test ist hilfreich
«Der Hämoccult-Test hilft meistens weiter, um auch bei einem unklaren Durchfall zwischen wässriger und entzündlicher Diarrhö zu unterscheiden», sagte Baumeler. Er hat einen sehr hohen negativen prädiktiven Wert.1 «Ist das Ergebnis negativ, können wir praktisch sicher sein, dass es sich um keine entzündliche Diarrhö handelt und es keine Antibiotikatherapie braucht», so der Magen-Darm-Spezialist.
Wenig aussagekräftig ist der Test, wenn er positiv ausfällt, da bei einer nicht entzündlichen Diarrhö gleichzeitig andere Ursachen vorliegen können, die zu einem positiven Ergebnis führen. So z.B. Hämorrhoiden, die durch die häufigen Toilettengänge gereizt sind, oder durch Erbrechen bedingte Läsionen am gastroösophagealen Übergang.
Für die Stuhl- und Erregerdiagnostik werden seit einiger Zeit zunehmend Multiplex-PCR-Panel eingesetzt.2, 3 «Sie sind etwas teurer als Stuhlkulturen, aber deutlich sensitiver», erklärte Baumeler. Mit einem Multiplex-PCR-Panel werden typischerweise Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Yersinien und enterovirulente E. coli gesucht.
Bei akuten Durchfällen genügt meistens Flüssigkeitszufuhr
Für die Abklärung einer akuten Diarrhö bestehen verschiedene Algorithmen. Die amerikanischen Guidelines empfehlen bei mindestens drei ungeformten Stühlen in 24 Stunden plus Symptomen (Nausea, Krämpfe, Schmerzen) in einem ersten Therapieschritt, Flüssigkeit zu substituieren, eine Magen-Darm-schonende salzhaltige Diät durchzuführen und zusätzlich allenfalls Loperamid zu geben.2
«Steht die Diarrhö im Zusammenhang mit einer Reise und fühlt sich der Patient sehr schlecht, sollte empirisch mit einem Antibiotikum therapiert werden», so der Experte. In dieser Situation sei die Vortest-Wahrscheinlichkeit für eine enterotoxische E.-coli-Infektion sehr hoch.
Bei nicht reiseassoziierten akuten Durchfällen, die aber mit hohem Fieber einhergehen, empfehlen die Guidelines eine mikrobielle Testung. Kann ein Erreger identifiziert werden, wird spezifisch behandelt, wenn nicht, sollte eine empirische Antibiotikatherapie durchgeführt werden.
Für die antibiotische Behandlung bei akuten Durchfallerkrankungen empfehlen die US-Guidelines Fluorchinolone oder Azithromycin.2 «Bei Diarrhö nach einem Aufenthalt in Südostasien sollte Azithromycin verordnet werden, da dort praktisch alle Keime, inklusive Campylobacter, auf Fluorchinolone resistent sind», betonte Baumeler.
Um Spezialfälle handelt es sich bei Infektionen mit EHEC/ETEC (enterohämorrhagische Escherichia coli/enterotoxinbildende Escherichia coli) und Nahrungsmittelvergiftungen. Sie werden nur symptomatisch behandelt.
Wann ist eine Reiseprophylaxe sinnvoll?
«Eine Reiseprophylaxe wird nur bei hohem Risiko empfohlen», so der Referent weiter. Zum Beispiel für Patienten nach schweren Krankheiten und Immunsupprimierte sowie generell für alle, die in ein Risikoland reisen, wo es kein sauberes Trinkwasser gibt. Als Prophylaxe können Rifaximin (1 Tabl./d) oder ein Fluorchinolon gegeben werden. Nicht zu empfehlen sind Prä-, Pro- und Synbiotika.
«Bei den akuten Durchfallerkrankungen von Reiserückkehrern aus Risikoländern handelt es sich meistens um wässrige Diarrhöen», so der Experte. Die Beschwerden halten mitunter bis zu zwei Wochen an. 10% entwickeln zudem einen postinfektiösen Reizdarm, der länger persistieren kann. Bei Reiserückkehrern mit leichten Beschwerden besteht die Durchfallbehandlung in einer oralen Rehydrierung und Loperamid, bei schweren Symptomen zusätzlich mit einem Antibiotikum.
Persistierende und chronische Durchfälle
Bei persistierenden Durchfällen (Dauer 14–30 Tage) ist eine mikrobiologische Testung indiziert und die Behandlung sollte wenn möglich erregerspezifisch erfolgen. Weitere Abklärungen wie Serologien, Endoskopien und Bildgebung sind nicht nötig.
Anders bei der chronischen Diarrhö, also bei Durchfallerkrankungen, die länger als 30 Tage bestehen. «Sie sollten grundsätzlich immer abgeklärt werden und natürlich zwingend immer, wenn ‹Red flags› wie Gewichtsverlust, Mangelerscheinungen oder Entzündungszeichen bestehen», betonte der Gastroenterologe.
Die Diagnostik bei chronischer Diarrhö erfolgt stufenweise (Abb. 1). In einem ersten Schritt wird zwischen wässriger, entzündlicher und fettiger Diarrhö unterschieden. Dann folgt die Laboruntersuchung mit Hämatogramm und Chemie sowie Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA, da immer auch eine Zöliakie ausgeschlossen werden sollte.
Abb. 1: Mögliche Abklärungsschritte bei chronischer Diarrhö (gemäss S. Baumeler)
Zur Abklärung einer chronischen Durchfallerkrankung gehört zudem ein Resorptionsprofil mit Albumin, Ferritin, Kalzium, Folsäure, Vitamin D und Vitamin B12. Ein Laktoseintoleranz-Test wird nur bei Verdacht durchgeführt. «Wichtig ist die Bestimmung des Calprotectins, das Hinweise auf eine Entzündung geben kann», erläuterte Baumeler. Das Calprotectin sollte möglichst vor der Endoskopie abgenommen werden, weil es nach einer Biopsie etwa vier Wochen lang falsch hoch ist. Je nach Situation muss auch nach Bakterien und Parasiten gesucht und es müssen Elektrolyte und bei Fettstühlen muss auch die Pankreaselastase bestimmt werden.
Liegen alle wesentlichen Laborwerte vor, wird schliesslich endoskopiert. Eine Gastroskopie ist bei chronischer Diarrhö indiziert bei Verdacht auf eine Zöliakie oder Lamblien, eine Ileokoloskopie, wenn eine chronisch-entzündliche Erkrankung, eine mikroskopische Kolitis oder ein ischämisches Geschehen im Vordergrund stehen. In speziellen Situationen sind auch Bildgebungen, Laxanzien- und Hormonscreenings, Fasten- und Tryptase-Tests angezeigt.
Behandelt wird eine chronische Diarrhö wenn immer möglich spezifisch (z.B. mit einer Diät, einem Immunsuppressivum oder einem Antibiotikum).
Bei Obstipation auch an ein ODS denken
Eine Obstipation wird in der Schweiz meistens anhand der Rom-Kriterien klassifiziert. «Diese sind jedoch unvollständig», sagte Baumeler. Sie unterscheiden aufgrund des Vorhandenseins von Symptomen nur zwischen funktioneller Obstipation (ohne oder mit nur wenig Schmerzen) und einem Reizdarm vom Obstipationstyp, (IBS-C, mit Schmerzen). Die amerikanischen Guidelines berücksichtigen zusätzlich die Defäkationsstörungen, die in der Klinik auch als obstruktives Defäkationssyndrom (ODS) bezeichnet werden. «Das ODS wird anhand von Symptomen und anorektalen Tests definiert und ist deshalb von Bedeutung, weil es im Gegensatz zum Reizdarm und zur funktionellen Obstipation kausal behandelt werden kann», betonte Baumeler.
Ausgelöst wird ein ODS im Wesentlichen durch anatomische und neurologische Störungen. Diese anatomischen Probleme lösen Ventilmechanismen aus, die zu Störungen der Stuhlentleerung und zu Stuhlinkontinenz führen können.
Als anatomische Ursachen kommen infrage:
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Entrozele: Sie entsteht, wenn Dünndarm zwischen Rektum und Blase prolabiert, und kommt häufig bei hysterektomierten Frauen vor.
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Rektozele: Sie kommt typischerweise bei Frauen vor und entsteht, wenn der Darm sich nach anterior ausbuchtet in Richtung vorderer Vaginalwand.
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Intussuszeption: Diese entsteht durch eine Einstülpung des Darmes in sich selbst (ähnlich einer Socke) und kann, wenn sie ausgeprägt ist, zu einem Rektalprolaps führen.
Unter den neurologischen Ursachen des ODS spielt die dyssynerge Defäkation eine grosse Rolle. «Bei den betroffenen Patienten führt Pressen zu einer Erhöhung des Druckes im Rektum und gleichzeitig auch zu einem Anspannen des Sphinkters. Dadurch kann der Darm nicht oder nicht vollständig entleert werden», so Baumeler.
Eine anorektale Dyssynergie lässt sich in der Klinik einfach messen und kommt bei 30–60% der Patienten mit einer therapierefraktären Obstipation vor.4, 5 «Ein ‹slow transit› ist deutlich seltener», so der Referent. Häufig sind allerdings Mischbilder. Die Ursachen für eine anorektale Dyssynergie sind in den meisten Fällen unklar.5 Bei fast 20% der Patienten gibt es in der Anamnese einen sexuellen Missbrauch und bei 30% ein Trauma (z.B. Entbindung, Hämorrhoidenoperation, schwerer Unfall, Rückenverletzungen). Oft bestehen die Symptome schon sehr lange, bei 30% seit der Kindheit.
Sinnvolle hausärztliche Abklärungen bei Obstipation
«Bei der Obstipation sollten bereits früh strukturelle und metabolische Störungen ausgeschlossen werden», riet Baumeler. Amerikanische Experten empfehlen ein Basislabor (TSH, HbA1c, Kalzium), eine Koloskopie und eine Abdomensonografie (Abb 2A).6
«Sind Karzinom, Diabetes mellitus und schwere Schilddrüsenstörungen ausgeschlossen, kann ein Therapieversuch mit einem Quellmittel (z.B. Flohsamenpulver) oder mit Laxativa (z.B. Macrogol) durchgeführt werden», so der Experte. Einem grossen Anteil der Patienten ist mit dieser Massnahme bereits geholfen.
«Bei den anderen sollten weitere Abklärungen folgen, und zwar im ersten Schritt eine anorektale Manometrie und nicht etwa die Messung der Kolontransitzeit oder eine MR-Defäkografie», betonte Baumeler (Abb. 2B).
Abb. 2: Abklärung der Obstipation. A: sinnvolle Abklärungsschritte beim Hausarzt; B: spezielle Abklärung (adaptiert nach Bharucha et al.)6
Fällt die anorektale Manometrie pathologisch aus, kann die Defäkationsstörung bereits zielgerichtet behandelt werden: bei einer anatomischen Ursache mit einer Pessartherapie oder einer Operation, bei einer Dyssynergie mit Physiotherapie mittels Biofeedback.
Sind strukturelle und metabolische Störungen einmal ausgeschlossen, wird die medikamentöse Therapie ausgebaut (z.B. mit Linaclotid, Prucaloprid). Eine «slow transit constipation» wird ebenfalls medikamentös oder auch mit Irrigationssystemen behandelt. «Wichtig für die Praxis ist: Je invasiver die Therapie ist, desto umfassender muss auch die Diagnostik sein», so Baumeler.
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
Quelle:
FomF Hausarztmedizin, 18. und 19. September 2020, Luzern (Livestream)
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Literatur:
1 McNeely et al.: Occult blood versus fecal leukocytes in the diagnosis of bacterial diarrhea: a study of US travelers to Mexico and Mexican children. Am J Trop Med Hyg 1996; 55: 430-3 2 Riddle MS et al.: ACG clinical guideline: diagnosis, treatment, and prevention of acute diarrheal infections in adults. Am J Gastroenterol 2016; 111: 602-22 3 Fan K et al.: Application of rejection criteria for stool cultures for bacterial enteric pathogens. J Clin Microbiol 1993; 31: 2233-5 4 Preston DM et al.: Anismus in chronic constipation. Dig Dis Sci 1985; 30: 413-8 5 Rao SS et al.: Diagnosis and treatment of dyssynergic defecation. J Neurogastroenterol Motil 2016; 22: 423-35 6 Bharucha AE et al.: American Gastroenterological Association medical position statement on constipation. Gastroenterology 2013; 144: 211-7